Bücher- und Filmbesprechungen

Zur Beachtung;

Ab Januar 2022 geht es rund um meine Bücher- (und Film-) Besprechungen auf der neuen Seite (Bücher ab 2022) weiter!  

 

Ich bin ein Bücherwurm....

Ich bin ein "Bücherwurm", und schon früh, ab dritter Primarklasse, wurde das Bücherlesen für mich zu einem echten Hobby, einer Leidenschaft sogar, gewissermassen zu einem Teil meines Lebensstils! Als Jüngling galt ich ein bisschen als Sonderling, da ich mich (wenn Gleichaltrige auf dem Sportplatz herumtollten) immer wieder in mein Zimmer zurückzog und mich stundenlang in ein Buch vertiefte. Und dies ist bis heute bei mir so geblieben!

Bücher spielten in unserer Familie, auch bei meinen Vorfahren, immer eine recht grosse Rolle. Mein Vater zum Beispiel war sehr stolz auf seine recht grosse Bibliothek in unserem Wohnzimmer. Immer wieder wurden neue Bücher  angeschafft, gelesen und auch heiss diskutiert. In dieser "Leseumgebung" wurde ich gross.

Sogar einer meiner Urgrossväter hatte zu seiner Zeit etwas mit "Büchern" zu tun. Er gründete in Huttwil die Buchdruckerei Schürch. Dort wurde nicht nur der "Unter-Emmenthaler"  (das lokale Käsblatt!) herausgegeben, sondern alle Arten von weiteren Druckprodukten, von Todes-, Geburts- und Vermählungsanzeigen bis zu Broschüren und auch Büchern wurde dort alles gedruckt und unter die Leute gebracht!

Ein anderer Grossvater von mir, er wirkte als Gefängnisdirektor in Zürich anfangs des 20. Jahrhunderts, hatte beruflich sehr viel mit "Bücherlesen" zu tun. Er war einer der Schweizer Pioniere in Sachen Gefängnis-Bibliotheken - dies zu einer Zeit,  als es so etwas eigentlich noch gar nicht gab - nicht geben durfte! Den Inhaftierten wurde ein solches Vergnügen nicht zugestanden! Aus den Tagebüchern meines Grossvaters habe ich erfahren, dass er damals während seiner Wirkungszeit engen Kontakt zu norddeutschen Rabbinern pflegte, die offenbar in der Gefangenenbetreuung das Bücherlesen als sinnvoll und therapeutisch wichtig erachteten und bewusst förderten! In der Schweiz war so ein Ansinnen, die Gefängnisinsassen (also Verbrecher!) mit "Büchern" zu verwöhnen, etwas ganz Neues! Es scheint, dass mein Grossvater hier richtige Pionierarbeit geleistet hat! Heutzutage ist eine Gefängnisbibliothek nicht mehr wegzudenken.

Vielleicht kommt von dorther die allgemeine Bücherleidenschaft der Schürchs! Und diese Leidenschaft teile nicht nur ich, sondern offenbar auch meine Nachkommen!

Hier auf dieser Seite möchte ich einige aktuell gelesene Bücher, die ich als lesenswert betrachte, Bücher, die mich bewegten, die mich konfrontierten aber auch befruchteten, kurz vorstellen! Ich möchte hier auch Filme, die mir etwas sagen, präsentieren. Diese hier präsentierten Bücher und Filme sind eine Auswahl! Es würde zu weit führen, alle von mir besuchten Filme und alle jetzt gerade gelesenen Bücher hier Revüe passieren zu lassen! 

____________________________________________________________________

Sie finden zuerst eine Zusammenfassung der Buchtitel und gerade anschliessend folgen dann die detaillierten Buchbesprechungen (also scrollen!) 

2021

  • Ayelet Gundar-Goshen: "Wo der Wolf lauert"
  • Zeruya Shalev: "Schmerz" 
  • Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer"
  • Arnon Grünberg: "Besetzte Gebiete"   
  • Zeruya Shalev: "Schicksal"
  • Yishai Sarid: "Monster" und "Limassol"
  • A Promised Land, Barack Obama (Autobiographie)
  • Siegerin, von Yishai Sarid
  • ARTE: Fernsehserien: In Therapie, Hazufim, MUM etc. 
  • A.M. Homes: "Die Tochter der Geliebten"
  • Alfred Bodenheimer: "Der böse Trieb - ein Fall für Rabbi Klein 
  • Viktor E. Frankl: ... trotzdem ja zum Leben sagen 

2020

  • Viktor E. Frankl - Was nicht in meinen Büchern steht: Lebenserinnerungen
  • Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror (2018) Michael Wolffsohn
  • Was hilft Psychotherapie, Herr Kernberg? (2020) Manfred Lütz
  • Als Partisan im französischen Widerstand (2006) Herbert Herz
  • Alfred Adler, die Vermessung der menschlichen Psyche (Alexander Kluy)
  • OLIVER SACKS und seine Bücher...
  • Wie bedingungslose Liebe Leid bringt: David Grossman
  • Deborah Feldmann: ein Bild von Pierre Heumann 
  • Rachel Naomi Remen: "Aus Liebe zum Leben"
  • Nir Baram: «Erwachen»
  • "Zwei alte Frauen", von Velma Wallis
  • "Wann, wenn nicht jetzt? von Primo Levi
  • Ken Follet: Fall of Giants, und Lukas Hartmann: Ein Bild von Lydia
  • Diese verdammten liberalen Eliten - Wer sie sind und warum wir sie brauchen - von Carlo Strenger
  • Filmbesprechungen: Marriage Story, The Joker, Als Hitler das rosa Kaninchen stahl 

2019

  • Jitzchak Rabin - Als Frieden noch möglich schien (Eine Biografphie) von Itamar Rabinovich
  • „Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin“, von Thomas Meier
  • "Das Verschwinden der Stephanie Mailer", von Joel Dicker
  • "Und Sie hatten nie Gewissensbisse? " über Rudolf Höss, Kommandant von Auschwitz - von Manfred eselaers

2018

  • "Juden und Christen - 2000 Jahre tragische Geschichte" (Bullinger u. Klaiber) 
  • "Die Pentagon-Papiere" (rund um den Vietnam-Krieg) von Neil Sheehan
  • Wolf Biermann: "Warte nicht auf bessre Zeiten" und Bassam Tibi: "Islamische Zuwanderung und ihre Folgen"
  • "Götzen - die Autobiografie von Adolf Eichmann" - von Raphael Ben Nescher kommentiert, und Biografien über Kurt Gehrstein
  • Irvin D. Yalom: "Wie man wird, was man ist."

 

2017

  • Alfred Bodenheimer - vier Krimis
  • Ayelet Gundar-Goshen: "Löwen wecken"
  • Deborah Feldmann: "unorthodox" und "verbitten"
  • "Islamistische Drehscheibe Schweiz" von Saida Keller-Messahli und Robert Seethalers "Ein ganzes Leben".
  • "I'm Your Man - das Leben des Leonard Cohen" von Sylvie Simmons, und Leonard Cohens "Beautiful Losers"
  • "Sweet Occupation" von Lizzi Doron
  • "Die vierzig Tage des Musa Dagh" von Franz Werfel
  • und "Der Abituriententag" von Franz Werfel
  • 23. Mai 2017: "Der Koran" von Hamed Abdel-Samad
  • 16. Mai 2017: "Cordoba" (von Waltraut Lewin, 2016)
  • 5. April 2017: Vorpremiere von "Staatenlos - Klaus Rozsa, Fotograf"  
  • "Und was hat das mit mir zu tun?", von Sacha Batthyany
  • "The Clash of Civilisations" von Samuel P. Huntington und Michel Houellebecq:  "Die Unterwerfung" 
  • Rückblick auf einige gelesene Bücher 
  • "Mir selber seltsam fremd" von Willy Peter Reese (Russland 1941-44) 
  • "Kurt Gerstein oder die Zwiespältigkeit des Guten", von Saul Friedländer 

2016 

  • Buchbesprechungen: "Not in God's Name" (Jonathan Sacks) und "Start-Up Nation" (Dan Senor + Saul Singer). 
  • Der Film: "Brooklyn, eine Liebe zwischen zwei Welten" 
  • Shlomo Sand: "Die Erfindung des jüdischen Volkes" 
  • "Der Aleppo Codex",  
  • "Schweizer Terror-Jahre"  

2015 

  • "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" von Oliver Sacks. 
  • "Allein unter Juden" von Tuvia Tenenbom 
  • Der Film "Mita tova" (engl. A Farewell Party)  
  • "Heilung oder Hindernis" - Religion bei Freud, Adler, Fromm, Jung und Frankl - . von Christoph Kolbe 
  • "Nicht irgendein anonymer Verein..." - eine Geschichte der Israelitischen Cultusgemeinde Zürich, Hrsg. Alfred Bodenheimer 
  • "Lexikon der Gerechten unter den Völkern - Deutsche und Österreicher" - Yad Washem 
  • "Eichmann and the Holocaust", Hannah Arendt

 

 __________________________________________________________________________

 Hier folgen die detaillierten Buchbeschreibungen!

_________________________________________________________________________________

2021

Ende Oktober 2021

Bei meinem Bücherlesen gibt es immer eine Mischung zwischen "Fachliteratur" und Belletristik. Im Moment vertiefe ich mich gerade in Steven Pinkers "Gewalt", einer tiefschürfenden Arbeit über das, was man "menschliche Gewaltentwicklung" nennen kann. Das ist ein Werk von mehr als 1000 Seiten, die alles andere als leicht verständlich ist. Ich jedenfalls muss gewisse Kapitel jeweils mehr als einmal durchlesen und zu verstehen versuchen, was wirklich gemeint ist. Steven Pinker führt in seiner Publikation aus, dass "Die Gewalt" im Laufe der Jahrhunderte massiv abgenommen hat. Wir leben heute in einer Welt, in der die Gewalt zwischen Menschen massiv weniger Ausmasse annimmt, also wesentlich friedlicher ist, als das noch in den vergangenen Generationen der Fall war. Das ist nicht so leicht nachzuvollziehen! Ich werde zu einem späteren Zeitpunkt, wenn ich diese 1000 Seite durchgearbeitet habe, darauf zurückkommen. 

Neben solchen Büchern, die "happig" sind, die ich aber als enorm wichtig zur allgemeinen Meinungsbildung betrachte, möchte ich mich gleichzeitig auch ein wenig literarisch erholen, indem ich leichtere, belletristische Bücher zu Gemüte führe. 

Ein Buch der israelischen Autorin Ayelet Gundar-Goshen habe ich gerade hinter mir: 

WO DER WOLF LAUERT ... Ayelet Gundar Goshen

Der Titel tönt eher etwas verwirrend. Der Inhalt von Gundar-Goshens Buch ist für mich jedenfalls extrem faszinierend. Die Geschichte einer israelischen Familie, die im Silicon Valley lebt und viel mit amerikanischem Antisemitismus zu tun hat, ist aussergewöhnlich und zudem von Gundar-Goshen ganz extrem faszinierend, sensibel beschrieben. 

Um was geht es hier: 

(AMAZON Buchbeschreibung kurz und bündig): "Lilach Schuster hat alles: ein Haus mit Pool im Herzen des Silicon Valley, einen erfolgreichen Ehemann und das Gefühl, angekommen zu sein in einem Land, in dem man sich nicht in ständiger Gefahr wähnen muss wie in ihrer Heimat Israel. Doch dann stirbt auf einer Party ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Je mehr Lilach über die Umstände des Todes erfährt, desto größer wird ihr Unbehagen: Ist es möglich, dass Adam irgendwie damit in Verbindung steht?"

Und weitere Stimmen (aus dem Internet): 

"Ein psychologisch raffinierter Roman über die langen Schatten unserer Herkunft und darüber, dass uns oft die Menschen das größte Rätsel bleiben, die wir am besten zu kennen glauben: unsere Kinder."

Und die Kulturzeitschrift "Der Perlentaucher" meint dazu: 

KLAPPENTEXT

Aus dem Hebräischen von Ruth Achlama. Lilach Schuster hat alles: ein Haus mit Pool im Herzen des Silicon Valley, einen erfolgreichen Ehemann und das Gefühl, angekommen zu sein in einem Land, in dem man sich nicht in ständiger Gefahr wähnen muss wie in ihrer Heimat Israel. Doch dann stirbt auf einer Party ein Mitschüler ihres Sohnes Adam. Je mehr Lilach über die Umstände des Todes erfährt, desto größer wird ihr Unbehagen: Ist es möglich, dass Adam irgendwie damit in Verbindung steht?

07.08.2021

Rezensentin Christiane Pöhlmann ist begeistert von Ayelet Gundar-Goshens Roman. Die Vielschichtigkeit des Textes um einen behüteten jüdischen Teenager und den rätselhaften Tod eines schwarzen Mitschülers erstaunt sie. Mehr als ein Thriller um Antisemitismus und Rassismus, mehr als die Geschichte einer Mutter-Sohn-Beziehung ist der Roman für sie durch die Fragen über stereotype Wahrnehmungen, Opfer- und Täterzuschreibungen, die er aufwirft. Dass die Autorin dem Leser damit einiges zutraut und ihn auch für mündig genug hält, zwischen Autorin und Figurenmeinung zu unterscheiden, gefällt Pöhlmann gut.

Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

15.07.2021

Ein toller Wirtschaftsspionage-Krimi, ruft Rezensentin Sigrid Brinkmann. Autorin Ayelet Gundar-Goshens erzähle kühl und dennoch "ungemein feinfühlig" von einer jüdischen Familie im Silicon-Valley, deren Sohn in eine Gruppe hineingezogen wird, die Nahkampftraining für israelische Jugendlicher durch einen gescheiterten Brigadegeneral anbietet. Während der Mutter das ganze nicht geheuer ist, ist der Vater, der Software für Waffen entwickelt, begeistert, lesen wir. Ein berührendes "Eltern-Kind-Drama", das bis zum Schluss spannend bleibt, urteilt Brinkmann zufrieden.

Und wie ist es mir beim Lesen dieses neuesten Buches von Ayelet Gundar-Goshen ergangen? 

Spannung total! Ich hatte Mühe, das Lesen jeweils zu unterbrechen. Dieses Buch hätte ich, wenn es möglich gewesen wäre, "voll, ohne Unterbruch, durchgelesen!" Der Stil von Gundar-Goshen spricht mich enorm an und erzeugte bei mir jeweils fast "voyeuristische Gefühle"! Die Menschen, die hier zusammenprallen mit all ihren menschlichen Fazetten gaben mir das Gefühl, sie bereits schon (vor dem Lesen dieses Romans) zu kennen aber sie immer wieder neu in ihrem Verhalten, ihren Gefühlen und ihren Reaktionen zu beobachten! Inhaltlich machten meine Gefühle eine Berg- und Talbahn und bestätigten einmal mehr, wie latent existierend, aber auch wie brutal im direkten Ausleben antisemitische Regungen überall, weltweit, existieren und uns Juden das Leben schwer machen. 

Ich kann nur empfehlen, dieses neueste Buch von Ayelet Gundar-Goshen zu lesen und "zu erleben"! 

Ende September 2021

In den vergangenen Wochen habe ich einige Bücher verschlungen, die mich so richtig in Bann zogen und die ich hier kurz vorstellen möchte: 

Schmerz von Zeruya Shalev

Die israelische Autorin Zeruya Shalev berührt mich mit ihren Romanen ganz besonders. Ihr Buch "Ke'ev" (Schmerz) kam 2015 in Israel heraus und wurde viel beachtet. Amos Oz, ebenfalls ein berühmter israelischer Autor schrieb über Zeruya Shalevs  Buch folgendes:

"Als Iris auf Eitan trifft, glaubt sie, alles hinter sich lassen zu können: die Schmerzen, ihr festgefahrenes Leben, den soliden, aber harmlosen Ehemann. Doch kann die Liebe alte Wunden heilen? Kann man noch einmal von vorn anfangen? Ein berauschender, ein aufrüttelnder Roman über die Liebe, über Wunden und Wunder."

Bereits in ihrem Buch "Schicksal" schreibt Zeruya Shalev wirklich ehrlich über alle Fazetten der Liebe, alle möglichen Hochs und Tiefs. Und sie tut es - so empfinde ich - so liebevoll wie etwas! 

Um was geht es in diesem Buch (Amazon Buchbesprechung): 

"Vor zehn Jahren ist Iris bei einem Anschlag schwer verletzt worden. Zwar ist sie in ihr altes Leben zurückgekehrt, doch quälen sie Tag für Tag Schmerzen. Als sie Eitan wiederbegegnet, der Liebe ihrer Jugend, der sie vor Jahren abrupt verlassen hat, wirft sie das völlig aus der Bahn. Die Wunde, die er ihr zufügte, ist nicht weniger tief als die, die der Selbstmordattentäter, der sich neben ihr in die Luft sprengte, riss. Und doch fühlt sich Iris jäh, voller Staunen, erneut zu ihm hingezogen. Wie in »Liebesleben« lotet Shalev die Untiefen der Liebe, die Fährnisse einer fatalen Anziehung aus. Die erotische Spannung, die Wucht der unerwartet wieder aufflammenden Leidenschaft sind kompromisslos, ehrlich und tief bewegend erzählt. »Schmerz« ist ihr persönlichstes Buch, eine emotionale Grenzerfahrung."

Das Kulturmagazin "Perlentaucher" zitiert einige weitere Rezensionen, die ich gerne einspiele: 

KLAPPENTEXT

Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler. Vor zehn Jahren ist Iris bei einem Terroranschlag schwer verletzt worden. Zwar ist sie in ihr altes Leben zurückgekehrt, sie leitet eine Schule, ihr Mann steht ihr treu zur Seite, die Kinder sind fast erwachsen, doch quälen sie Tag für Tag Schmerzen. Als sie Eitan wiederbegegnet, der Liebe ihrer Jugend, der sie vor Jahren jäh verlassen hat, wirft sie das völlig aus der Bahn. Die Wunde, die er ihr damals zufügte, ist nicht weniger tief als die, die der Selbstmordattentäter, der sich neben ihr in die Luft sprengte, riss. Und doch fühlt sich Iris, zaghaft, überrascht, erneut zu ihm hingezogen, ist versucht, ihrer Ehe zu entfliehen, die ersten Lügen zu stricken, alles aufs Spiel zu setzen.

24.10.2015

Keinen Hehl macht Rezensent René Hamann, hauptberuflich Meinungsredakteur der taz, daraus, mit Shalevs Stil wenig anfangen zu können. Auch "Schmerz" sagt ihm, gelinde gesagt, nicht zu, was auch daran liegen mag, dass die Autorin sich darin vor dem Hintergrund eines Selbstmordattentats in Israel mit Fragen der Liebe und der persönlichen Lebensführung befasst und jeden Kommentar zur Lage im Nahen Osten vermeidet. Auch reibt sich der Rezensent daran, wie kleinfaserig Shalev ihr Sujet erzählerisch zerteilt und dabei stilistisch "gewöhnungsbedürftig" bleibe. Den Fans der Autorin, die deren Bücher in den Stand junger Klassiker emotionaler Literatur gehoben hätten, kann der Kritiker das Buch reinen Herzens empfehlen. Ihn hat es mit seinen "Satzgirlanden" und "selbstverliebten Redundanzen" eher gelangweilt.

14.10.2015

Rezensentin Katharina Teutsch ist hin- und hergerissen von Zeruya Shalevs neuem Roman. Das Thema Schmerz behandelt die Autorin in ihrer in Israel angesiedelten Familiengeschichte mit deutlichem Schlag ins Sentimentale, wenngleich ohne Larmoyanz. Liebesschmerz, Lebensschmerz, körperlicher Schmerz, dekliniert Teutsch gemeinsam mit der Protagonistin und möchte das Buch aus der Hand legen, wenn die Figur, eine gestandene Mutter und Schulleiterin, angesichts einer wiederauftauchenden alten Liebe ihre Ehe in Zweifel zieht. Doch dann überrascht die Autorin die Rezensentin, indem sie eben nicht dem Kitsch der Passion anheimfällt, sondern der Geschichte durch eine andere Konfliktlage neuen Drive gibt und die Mechanismen der Ehe subtil schildert.

Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

13.10.2015

"Schmerz" ist seit "Liebesleben" der beste Roman Zeruya Shalevs, versichert Rezensentin Meike Fessmann, die die israelische Autorin ohnehin für ihre furiose Intensität und ihr außergewöhnliches Pathos bewundert. Sie folgt hier der Familienmutter Iris, die zehn Jahre nach einem Bombenattentat in Jerusalem nicht nur plötzlich wieder die damals erlebten Schmerzen spürt, sondern in der Schmerzambulanz ihrer großen Liebe wiederbegegnet. Die Kritikerin meint geradezu den Zorn, das Verlangen und die Schuldgefühle der Protagonistin zu spüren, so eindringlich schildert Shalev das Bewusstsein der Heldin. Darüber hinaus sieht Fessmann hier große Themen verarbeitet wie die Glorifizierung der Mutterschaft, das Generationenverhältnis, die Angst vor Anschlägen und die Militärzeit der Söhne als Hintergrundrauschen dieses Romans, der der begeisterte Rezensentin nicht zuletzt die Konfrontation zwischen neuen Liebes- und Lebensmodellen und traditionellen Werten in der israelischen Gesellschaft vor Augen führte.

Lesen Sie die Rezension bei buecher.de

19.09.2015

Elmar Krekeler ahnt die Wahrheit hinter den Geschichten von Zeruya Shalev: Dass er auch so ist oder wird wie ihre Figuren, dass er die gleichen Seelenqualen kennt. An Shalevs Fähigkeit, die Untiefen der Familie und der Paarbeziehung auszuloten, hat er keinen Zweifel. Ebenso wenig an der Treffsicherheit ihres Tons. Wenn die Autorin nun eine Paarbeziehung um das traumatische Schmerzerlebnis eines Selbstmordanschlags herum gruppiert, scheint Krekeler dieses Zentrum fast zu mächtig für die eher kleine Beziehungsgeschichte. Doch die Präzision der Erzählung zieht den Rezensenten letztlich in den Text hinein und lässt ihn schärfer sehend daraus hervorgehen.

10.09.2015

In ihrem neuen Roman "Schmerz" ist Zeruya Shalev in Liebesdingen ein wenig pragmatischer und reifer geworden, nachdem sie in ihren früheren Büchern sämtliche Extreme des Gefühls durchlaufen hatte, erzählt Rezensentin Iris Radisch anlässlich eines Besuchs bei der Autorin in Israel. Elemente im Leben der sechsundfünfzigjährigen Autorin sind hier Fiktion geworden, erklärt sie weiter: ein Anschlag auf die Residenz des Ministerpräsidenten 2004, bei dem Shalev verletzt wurde, Geschichten ihrer Eltern von der verlorenen großen Liebe und ihr Leben in Israel, zählt Radisch auf. Was aus früheren Werken erhalten geblieben ist, sind die biblischen Bezüge, die Shalevs Bücher seit jeher in einer mythisch-religiösen Tradition verankert haben, sowie ihr  Einfühlungsvermögen in die weibliche Seele, erklärt die Rezensentin, deren lobender Artikel insgesamt alle Bücher Shalevs umfasst.

Bücherbrief vom 04.11.2015

Diesen Rezensionen möchte ich nichts Weiteres hinzufügen. Ich empfehle schlicht und einfach, dieses wunderbare Buch von Zeryua Shalev zu lesen! Mich hat es zutiefst berührt, aufgerührt auch, und betroffen gemacht! 

 

Und ein weiteres Buch, auch von einer bekannten israelischen Autorin verfasst, hat mir grosse Freude beim Lesen gemacht: 

Wir sehen uns am Meer von Dorit Rabinyan

Die hebräische Ausgabe, erschien im Jahr 2014 unter dem Titel "Gader Chaija/Borderline", und war ebenfalls in Israel ein Bestseller. Auch hier geht es um eine (eher tragische) Liebesgeschichte, die  sehr viel mit der Palästina-Tragödie zwischen Israelis und Palästinenser zu tun hat. 

Amazon beschreibt den Inhalt wie folgt - kurz und bündig: 

Die Israelin Liat lernt in New York den Palästinenser Chilmi kennen. Die beiden verlieben sich, wohl wissend, dass ihre Liebe keine Zukunft hat: Wenn die Zeit in New York vorbei ist, wird auch die Beziehung, die eigentlich nicht sein darf, zu Ende gehen. Doch Liat und Chilmi haben die Rechnung ohne ihre Gefühle gemacht.

Liat und Chilmi haben die Rechnung in der Tat ohne ihre Gefühle gemacht! Und ihre Gefühle machen eine Berg- und Talfahrt aus. Diese Liebe sollte es eigentlich nicht geben und eine Zukunft der beiden war alles andere als "möglich", fast so, wie eine friedliche Lösung des Palästinakonflikts. Das Ende dieser Liebesgeschichte, vor allem das Schîcksal Chilmis, ist nicht nur tragisch, es ist herzzerreissend!

Ich empfehle auch hier die Rezensionen vom Kulturmagain "Perlentaucher" zu lesen:  

KLAPPENTEXT

Aus dem Hebräischen von Helene Seidler. In der Heimat hätten sie sich nie kennengelernt, aber durch einen Zufall treffen die Tel Aviverin Liat und der Maler Chilmi aus Ramallah in New York aufeinander und verlieben sich. Liat kämpft mit sich, denn weder ihre Eltern noch ihre jüdischen New Yorker Freunde dürfen von der Beziehung erfahren, die ein klares Enddatum hat: Wenn Liat zurück nach Israel geht, ist Schluss. Doch Gefühle lassen sich nicht einfach abstellen, und die Herkunft der beiden sowie die Perspektivlosigkeit belasten ihre Gegenwart - eine Zukunft scheint unmöglich. Gibt es einen Ausweg, oder ist das private Glück vor dem Hintergrund des Konflikts der beiden Völker unmöglich? Ein Roman, der mit großer Wucht und in einer bildreichen, emotionalen Sprache von einer unmöglichen Liebe erzählt. Das Buch wurde vom israelischen Erziehungsminister von der Lektüreliste der Oberstufe gestrichen, was auch in Deutschland ein starkes Presseecho hervorrief.

Info

Dorit Rabinyan: Wir sehen uns am Meer - Auszug bei Kiepenheuer & Witsch.

31.12.2016

Dorit Rabinyans neuer Roman "Wir sehen uns am Meer" wurde vom israelischen Schulministerium als Bedrohung für die "getrennten Identitäten" von Juden und Arabern von der Lektüreliste für Gymnasien gestrichen, informiert Rezensentin Stefana Sabin und fügt hinzu: Auch jenseits des Skandals lohnt sich die Lektüre dieses Buches, in dem die israelische Autorin erstmals ganz auf fantastische Elemente verzichtet. Indem Rabinyan ihre Liebesgeschichte um Liat, eine israelische Schriftstellerin, die eine realpolitische Kompromissposition vertritt, und den Künstler Chilmi, der von einem binationalen Staat träumt, nicht nur mit zahlreichen, differenzierten Streitgesprächen über den Nahost-Konflikt anreichert, sondern die Beziehung schließlich auch an der Realität zerbrechen lässt, zeichne die Autorin ein geradezu "naturalistisches" Bild des Verhältnisses zwischen Israelis und Arabern, lobt die Kritikerin. Ein herrlich unsentimentaler Roman, der Gespür für Nuancen beweist, schließt Sabin.

03.09.2016

Den Entschluss des israelischen Bildungsministeriums, Dorit Rabinyans neuen Roman als Skandal zu brandmarken und verbieten zu lassen, kann Katharina Granzin nicht nachvollziehen. Immerhin scheitert die Liebesgeschichte um den arabischen Künstler Chilmi und die israelische Studentin Liat gerade an Liats Patriotismus, der ihr keine andere Möglichkeit lässt, als nach Israel zurückzukehren und mit einem jüdischen Mann eine Familie zu gründen. Die Kritikerin kann diese solide geschriebene, mit differenzierter Figurengestaltung und expliziten Sexszenen aufwartende "Romeo und Julia in der Diaspora"-Geschichte aber in jedem Fall empfehlen.

13.08.2016

Dorit Rabinyans dritter Roman "Wir sehen uns am Meer", der die Liebesgeschichte zwischen der Israelin Liat und Chilmi , dem Palästinenser,  erzählt, hat in Israel für einen Skandal gesorgt, informiert Rezensent Peter Münch, der sich mit der Autorin zum Gespräch getroffen hat. Das Verbot des Buches, das laut israelischer Regierung die "getrennten Identitäten von Juden und Nicht-Juden" gefährde, hat sicher zum großen Erfolg des Romans, der bereits in 18 Sprachen übersetzt wurde, beigetragen, fährt der Kritiker fort. Wie Rabinyan ihre beiden Protagonisten vor dem Hintergrund des 11. Septembers in New York zueinander finden lässt, über politische Konflikte und die Ein- oder Zwei-Staaten-Lösung streiten lässt und als "temporäres Abenteuer" zweier Liebender schildert, die an der politischen Realität scheitern, scheint dem Rezensenten gefallen zu haben. Leider hält sich Münch mit einem eigenen Urteil bedeckt, beruft sich lieber auf die Aussagen der Autorin über ihren Roman.

Ich denke, dass man dieses Buch von Dorit Rabinyan lesen muss! Ich hatte beim Lesen jeweils das Gefühl direkt betroffen, involviert zu sein. Die Gefühle dieser beiden Liebenden machten in der Tat eine Berg- und Talfahrt - meine auch! Das Ende dieser Liebensgeschichte ist - so scheint es mir - allerdings eine Tragödie. Chilmi ertrinkt am Strand von Jaffa, kurz, bevor er sich wieder mit Liat treffen kann! Dieses Ende ist brutal und tut weh! 

Und nun komme ich noch zu einem dritten Buch, das ich soeben gelesen habe. Auch hier geht es um eine Liebesgeschichte, allerdings einer Liebesgeschichte der besonderen Art: 

Besetzte Gebiete

Ich habe von Arnon Grünberg vor einiger Zeit "Den jüdischen Messias" gelesen, ein Buch, das nicht nach meinem Geschmack ist. Ich wollte (von meiner Seite) Arnon Grünberg noch eine Chance geben und nahm sein neuestes Buch in Angriff.

Es ist mir bekannt, dass der Autor Arnon Grünberg v.a. in Holland als "genial" gilt, seine Bücher als Bestseller verkauft werden. Das NRC Handelsblad sagt sogar: "Grünberg ist (mit diesem neuesten Buch) auf dem Gipfel seines Könnens". 

"

Renies Lesetagebuchs

Renies Lesetagebuch

....nicht nur Gegenwartsliteratur...

Der niederländische Autor Arnon Grünberg tummelt sich in den unterschiedlichsten literarischen Gattungen. Er schreibt Romane, Reportagen, Essays, Gedichte, Filmskripte. Für viele seiner Werke ist er in seiner Heimat ausgezeichnet worden. Ich bin gespannt, wie sein aktueller Roman „Besetzte Gebiete“ in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird. Denn dieser Roman ist mutig, unbequem und vor allen Dingen schräg, wenn nicht sogar grotesk. Grünberg nimmt sich darin eines sehr sensiblen Themas an, bei dem die meisten Menschen der Nachkriegszeit sich in Zurückhaltung üben würden, aus Angst, dass ihnen die Political Correctness abgesprochen würde.

In "Besetzte Gebiete" geht es vordergründig um das Judentum und das Jüdischsein sowie die unterschiedlichen Standpunkte zu diesen Themen. Jeder, der sich öffentlich zu diesen Themen äußert, begibt sich auf dünnes Eis. Denn schnell wird man in die Nähe des Antisemitismus geschubst, sobald man nur den Verdacht einer Kritik am Judentum und dessen Auslegung äußert. Doch Grünberg scheint davor nicht bange zu sein, denn in seinem aktuellen Roman nimmt er das moderne Judentum auf brachiale Weise aufs Korn.

Der Titel dieses Romans ist Programm. „Besetzte Gebiete“ – darunter versteht man in Israel das Westjordanland, in dem jüdische Siedler Land annektiert und sich dort niedergelassen haben – sehr zum Unwillen der Palästinenser, die das Westjordanland als ihr Eigentum ansehen. Vor lauter UN-Beschlüssen, die über die Jahre getroffen und wieder aufgehoben wurden sowie diversen Anektionen blickt man nicht mehr durch. Fakt ist: Jede Partei fühlt sich im Recht und beansprucht das Westjordanland für sich. Hinzu kommt auf israelischer Seite noch die vermeintlich religiöse Legitimation. Denn Palästina gehört zu demjenigen Land, das Gott den Juden verheißen hat (nachzulesen in der Hebräischen Bibel).

Inmitten dieser schwierigen Verhältnisse landet ein niederländischer Psychotherapeut: Kadoke, jüdisch, wenn auch nur auf dem Papier. Kadoke ist der Protagonist dieses Romans, begleitet wird er von seinem senilen und gebrechlichen Vater.

Doch zunächst blicken wir zu Beginn des Romans auf die Zeit, vor Kadokes Ankunft im Gelobte Land. Wir erfahren, dass Kadoke in Amsterdam zuhause war und hier seine Zulassung als Psychiater verloren hat. Seine "alternativen Therapiemethoden" sorgten für einen Skandal. Die Folge für unseren Protagonisten: der Job ist weg, der Ruf ist ruiniert, er wird zum Opfer der Medien und zieht den Zorn der Öffentlichkeit auf sich. Seine alternativen Therapiemethoden bewirken also, dass er eine Alternative für sein bisheriges Leben benötigt. Und diese Alternative sieht er in Israel, wobei die Liebe ihm bei dieser Entscheidung geholfen hat.

Kadoke wandert also ins gelobte Land aus. Anat, die Frau, für die sein Herz schlägt, ist eine entfernte Verwandte, die ihn zufällig in Amsterdam besucht hat, und in die er sich scheinbar verguckt hat. Sie lebt in einem Kibbuz inmitten des Westjordanlandes. Hier tobt der Konflikt zwischen jüdischen und arabischen Siedlern, in dem es um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Besiedlung des arabischen Landes durch jüdische Siedler geht. Anat ist eine, fast schon fanatische Verfechterin der jüdischen Argumentation. Wer nicht für sie ist, ist gegen sie. Hier will nun Kadoke leben, der aus Amsterdam andere Wohn- und klimatische Verhältnisse gewohnt ist. Er versucht also, sich ein neues Leben aufzubauen, was sich als schwierig gestaltet. Denn das Leben mit seiner Freundin, der Schwiegermutter in spe sowie der Kibbuzgemeinschaft ist nicht einfach für jemanden, der zum Einen andere Lebensumstände gewohnt ist und zum Anderen überzeugter Atheist und Anti-Zionist ist.

Arnon Grünberg hat mit "Besetzte Gebiete" einen aberwitzigen und schockierenden Roman geschrieben. Vieles in dieser Geschichte scheint an den Haaren herbeigezogen, ist aber dennoch zum Brüllen komisch. Menschliche Befindlichkeiten und Bedürfnisse prallen aufeinander, werden überspitzt dargestellt. Ich fühlte mich unweigerlich an die Filme von Monty Python erinnert, die sich mit ihrer Komik ständig an der Grenze zur Geschmacklosigkeit bewegt haben. Dieselbe Komik findet sich auch in diesem Roman wieder. 

Für mich ist "Besetzte Gebiete" eine groteske Satire. Doch hier kommt der Punkt, der mich durchgängig während der Lektüre dieses Romans beschäftigt hat: Was genau kritisiert Arnon Grünberg? Seine Kritik ausschließlich auf den Konflikt des Westjordanlandes zu begrenzen, erscheint im ersten Moment offensichtlich, hinterlässt jedoch Zweifel. 

Tatsächlich wäre ich nicht in der Lage, die Thematik dieses Romans in einem Satz zusammenzufassen . Allerdings könnte ich eine Riesen-Liste an Schlagwörtern erstellen, die mir während des Lesens eingefallen sind und bei denen ich jedes Mal gedacht habe: Stimmt ja, darum geht es auch.

Selbstverständlich würden die Wörter Judentum und Westjordanland ("Besetzte Gebiete") darauf stehen. Doch mir ist es zu wenig, diesen Roman darauf zu begrenzen. Ich sehe andere Aspekte. Um bei meiner Schlagwortliste zu bleiben: Standpunkte, Opfer/Täter, Selbstwahrnehmung, Gerechtigkeit, Moral, Doppelmoral, Glaube, Schubladendenken, Political Correctness, Leben und Lebenlassen ... und es gäbe noch vieles mehr, je länger ich darüber nachdenke.

Aber ich schaffe einfach nicht, diese Schlagwörter miteinander in Einklang zu bringen. Obwohl sie doch irgendwie zusammengehören, kriege ich die Aussage dieses Buches nicht auf den Punkt gebracht, was mich aber nicht stört. Stattdessen weiß ich, dass mich dieser Roman noch lange beschäftigen wird. Und ich mag Bücher, die mich nicht loslassen. Es gibt zuviele Bücher, die ich gelesen und für gut befunden habe. Nach ein paar Wochen hatte ich aber schon wieder vergessen, warum mir das Buch gefallen hatte. Bei diesem Buch wird mir das garantiert nicht passieren.

Fazit:

Eine verrückte Satire mit einem Humor, der sich an der Grenze zur Geschmacklosigkeit bewegt. So etwas muss man mögen, ich mag es. Die Kernaussage dieses Romans lässt sich kaum in Worte fassen, so dass dieser Roman mich noch lange beschäftigen wird. © Renie

Ich bin mit "Renie" einverstanden, dass es sich hier um eine verrückte Satire mit einem Humor handelt, der sich an der Grenze zur Geschmacklosigkeit" bewegt. In diesem 429 Seiten langen Roman sind diese "Geschmacklosigkeiten" aber derart krass, dass ich dieses Buch eher mit Mühe las. Das Schönste, eigentlich das Menschlichste in diesem Roman, fand ich in der (homosexuellen) Liebesbeziehung zwischen Otto Kadoke und seinem palästinensischen Liebhaber. Aber auch hier endete diese Liebesgeschichte grotesk mit Mord und Grausamkeit. Mein Fazit: dieses Buch empfehle ich nicht weiter! Ich fand es furchtbar! 

6. August 2021

In den vergangenen Wochen habe ich einige Bücher gelesen, die es wert sind, hier besprochen zu werden. Eines dieser Bücher ist die neueste Publikation von Zeruya Shalev: "Schicksal". Dieses Buch hat mich nicht nur "angesprochen", wie selten es ein Roman tut. Es hat mich bewegt, die Protagonisten, die hier von Zeruya Shalev vorgeführt werden, haben sogar bei mir persönlich vieles "ausgelöst".

Das Badener Tagblatt publizierte soeben ein Interview mit ihr, das ich hier aufführen möchte: 

Badener Tagblatt – 06. August 2021 Ausgaben-Nr. 180, Seite: 18 Kultu

«Es gab Zeiten, in denen ich Angst hatte, dass ein Fluch über diesem Land liegt» Die Bestsellerautorin Zeruya Shalev über Israels Geschichte, die Spaltung der Gesellschaft und ihre Hoffnungen auf die neue Regierung. Pierre Heumann, Tel Aviv 

Pierre Heumann ist Nahostkorrespondent der Weltwoche und schreibt auch für CH Media Die Bücher der preisgekrönten israelischen Schriftstellerin Zeruya Shalev sind in 27 Sprachen übersetzt worden. Jetzt hat die 62-jährige Autorin erstmals einen Roman geschrieben, in dem die israelische Politik und der Umgang mit der Geschichte des Landes eine zentrale Rolle spielen. Im Buch «Schicksal» thematisiert sie die Terrororganisation Lechi, die in der israelischen Literatur bisher totgeschwiegen wurde. Sie zeigt auch, wie die Erinnerung an die radikale Gruppe, die die britische Mandatsmacht mit Gewalt aus Palästina vertreiben wollte, bis heute Israels Gesellschaft polarisiert. Shalev zog vor fünf Jahren von Jerusalem nach Haifa, weil sie in einem spannungsfreieren Klima leben wollte. Im Gegensatz zu Jerusalem hat Haifa bis vor kurzem als Beispiel für eine entspannte Koexistenz zwischen der jüdischen und der palästinensischen Bevölkerung gegolten. Doch Mitte Mai kam es auch in Haifa, wie in vielen anderen israelischen Städten mit einer gemischt jüdisch-arabischen Bevölkerung, zu massiven Ausschreitungen.

 Ist die Zeit des Friedens in Haifa vorbei? 

Zeruya Shalev: Keineswegs. Wir unterscheiden nicht zwischen Juden und Arabern. Zudem vergessen wir schnell. Jetzt ist es fast wieder so wie vor dem Unruhe-Monat Mai. 

So schnell scheint man in Israel allerdings nicht zu vergessen. In Ihrem jüngsten Roman «Schicksal» spaltet die Last der Vergangenheit Familien. 

Wenn ich von «vergessen» spreche, meine ich nicht die ganz grossen Themen. In meinen Büchern vergisst niemand irgendetwas (lacht). Die Vergangenheit ist immer präsent. Trotzdem waren zwei Tage nach den Unruhen die Cafés in Haifa wieder voll. Diese Vitalität sorgt regelmässig dafür, dass wir schnell zur Routine zurück finden. 

In Israel gibt es auch innerhalb der jüdischen Mehrheit Konflikte. Der Bruch geht oft quer durch die Familien. Sagen Sie doch bitte: Was hält das Land zusammen, das aus so unterschiedlichen Geschichten besteht und in dem so viele Erinnerungen für Bitterkeit sorgen? 

Was uns zusammenhält, ist der existenzielle Instinkt, dass wir überleben wollen. Ein Song, der bei uns sehr populär ist und «Ich habe kein anderes Land» heisst, bringt dieses Gefühl sehr genau auf den Punkt. 

Ihr Roman enthält autobiografische Elemente. Ihr Vater war Mitglied der UntergrundOrganisation Lechi, die vor der Staatsgründung gegen die britische Mandatsmacht kämpfte. 

Auch wenn ich hier und da kleine Stücke einflechte, die etwas mit meinem Leben zu tun haben, ist es kein autobiografischer Roman. Aber es stimmt: Mein Vater war während zweier /3 Jahre bei der Lechi, und es waren, wie er zu sagen pflegte, seine aufregendsten in seinem ganzen Leben. Er erzählte unablässig davon. 

Sie konnten also beim Schreiben aus dem Vollen schöpfen? 

Leider nein. Das Problem ist, dass ich nicht zuhören wollte (lacht). Erst spät in meinem Leben begann ich mich für Lechi zu interessieren. Die rechts-radikale Terrorgruppe Lechi wurde im jungen Staat nach dem Abzug der Briten und der Unabhängigkeit Israels totgeschwiegen. In unserem Haus aber war die Lechi sehr wohl ein Thema. 

Wie kam das? 

Meine Mutter stammte aus einem Kibbuz, ihre Eltern gehörten zu den Gründern einer Genossenschaftssiedlung am See Genezareth im Norden des Landes. Da prallten zwei ideologische Welten aufeinander: Die Linke meiner Mutter und die radikal Rechte meines Vaters. Wenn sich mein Grossvater mütterlicherseits, der Kibbuznik, und mein Vater über die Geschichte stritten, konnte es auch schon mal laut werden. Der Streit führte immer wieder zu Spannungen innerhalb der Familie, was mich stets aufs Neue irritierte.

 Wann haben Sie den israelisch-palästinensischen Konflikt ein erstes Mal wahrgenommen? 

Nach 1967, als in den besetzten Gebieten die ersten Siedlungen errichtet wurden, fuhren wir zu den ehemaligen Kameraden meines Vaters aus den Lechi-Zeiten. Diese Ausflüge sind mir bis heute präsent. Ich mochte diese Lechi-Kämpfer nie besonders. Wie Spinner wirkten sie in meiner Kindheit auf mich, als sie meinen Vater besuchten. Sie taten immer so aufgeregt und vertraten lautstark ihre radikale Ansichten. 

Kritiker haben an der deutschen Übersetzung bemängelt, dass im Glossar unter «Lechi» Wesentliches verschwiegen wird. Es werde nicht erwähnt, dass die Terrorbande 1940 eine Kooperation mit den Nazis geprüft hat, um gemeinsam gegen die Briten zu kämpfen. Als Gegenleistung hätten Juden aus dem von den Nazis besetzen Europa ins damalige Palästina übersiedeln dürfen. 

Die Protagonistin Rachel, die von 1944 bis 1945 bei der Lechi war, war zehn Jahre alt, als die Lechi mit den Nazis kooperieren wollte. In der Zeit, da Rachel aktiv war, war die angedachte Zusammenarbeit der Lechi mit den Nazis kein Thema mehr, und deshalb wird das im Glossar nicht erwähnt. Doch abgesehen davon frage ich mich: War es denn eine so schlechte Idee, mit dem Teufel zusammenspannen zu wollen, um in Europa den drohenden Massenmord der Juden zu verhindern und zu versuchen, Leben zu retten? 

Sie zeichnen ein desillusioniertes Bild von Israel. «Hier wird es kein normales Leben geben, wir haben umsonst gekämpft!», sagt ein Lechi-Kämpfer und beklagt, dass dieses Land verflucht sei: «Es ist ein Wüstland, und es verwüstet uns. Ein blutrünstiges, verlogenes, treuloses Land». Sind das Sätze, mit denen Sie sich identifizieren?

Es gibt tatsächlich Momente, in denen ich dieses Gefühl habe. Es gab Zeiten in meinem Leben, in denen ich Angst hatte, dass ein Fluch über diesem Land liegt. Nicht nur wir bringen Opfer für den Staat, sondern auch die andere Seite – noch ein Opfer und dann noch eines und so weiter. 

Wie stark ist dieses Gefühl heute bei Ihnen? 

Manchmal bricht es durch. Es ist eben die Kluft zwischen dem Anspruch des auserwählten Volkes, woran ich natürlich nicht glaube, und der Realität, die mitunter grausam ist. 

Macht Ihnen die neue Regierung unter dem Tandem Naftali Bennett und Yair Lapid Hoffnung, dass es besser wird? 

Die Regierung verfügt zwar nur über eine hauchdünne Mehrheit in der Knesset, aber sie ist aus verschiedenen politischen Strömungen zusammengesetzt. Fortan beherrschen nicht Ideologien die Politik. Die Koalition wird nach einem gemeinsamen Nenner suchen und trotz unterschiedlicher Weltanschauungen zusammen arbeiten müssen, um den Zusammenhalt zu stärken. Sie wird, anders als bisher, in der Politik wieder miteinander statt gegeneinander arbeiten müssen, um nicht abgewählt zu werden. Das ist, und darum geht es mir in meinem Roman, eine der wichtigsten Voraussetzungen für das Zustandekommen einer nationalen Aussöhnung. 

Versöhnung findet in Ihrem Roman nicht statt. Die Figuren bleiben stur in ihren unterschiedlichen Welten leben: In einer fanatisch frommen, einer politisch radikalen oder einer traumatisierten Welt, aus der sie flüchten wollen. 

Man muss ja nicht miteinander einverstanden sein, um miteinander zu leben. Auch dieses Land kann eine Vielzahl verschiedener Meinungen akzeptieren, ohne dass man sich gegenseitig bekämpft. Ideologien sollten unser Leben nicht länger bestimmen. Deshalb bin ich vor einigen Jahren der Bewegung «Women Wage Peace» beigetreten. Wir suchen den Dialog mit Frauen – ob links oder rechts, ob Siedlerinnen oder Palästinenserinnen, Christinnen, Jüdinnen oder Muslima. Wir wollen betonen, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt. Unser Ziel ist es, die Verantwortlichen auf beiden Seiten unter Druck zu setzen. In den Jahren des Schreibens war ich zwar nicht aktiv, besonders während der letzten zwei Jahre nicht. Manchmal ist das Schreiben eben zu anspruchsvoll und es ist unmöglich, sich anderen wichtigen Dingen zu widmen. Aber ich habe meine Kolleginnen bereits kontaktiert und ihnen mitgeteilt, dass ich zurück im Leben bin und wieder Zeit für Aktivitäten habe. 

Zeruya Shalev: «In Haifa unterscheiden wird nicht zwischen Juden und Arabern». 

Bild: Yannick Coupannec/Imago-Images «Wir wollen betonen, was uns verbindet, und nicht, was uns trennt.» Zeruya Shalev, 62 Israelische Bestsellerautorin.

Um was geht es in diesem neuesten Buch von Zeruya Shalev? Die Zusammenfassung von Amazon: 

Endlich – der neue Roman von Zeruya Shalev: Der SPIEGEL-Bestseller der israelischen Star-Autorin! 

Die Freundschaft zweier Frauen führt direkt in eine Katastrophe: „Schicksal“ ist ein Generationenroman mit aktuellen politischen Anklängen und ein großes Beispiel moderner Frauenliteratur. 

Israels Bestseller-Autorin Zeruya Shalev nimmt in jedem ihrer Romane Anlauf zu literarischen Höchstleistungen. Mit machtvollem Erzähltalent und intelligentem Gespür für große Themen verleiht sie ihren vielschichtigen Frauenfiguren eine Stimme, die weit über ihre eigentliche Geschichte hinausreicht. 

Ihr lang erwarteter Roman „Schicksal“ katapultierte Zeruya Shalev direkt auf die internationalen Bestsellerlisten und löste einen Kritikersturm der Begeisterung aus. Denn „Schicksal“ verwebt Familiengeheimnisse und das politische Zeitgeschehen zu einer komplexen Betrachtung innerer Zerrissenheit. 

Zeruya Shalev schickt ihre Protagonistin Atara auf eine Spurensuche, die ihre Fragen an ihr Leben mit distanziertem Ehemann und traumatisiertem Soldatensohn klären soll. Dafür wendet sich Atara ausgerechnet an die erste Frau ihres Vaters – und löst eine Kettenreaktion aus, die ihre Familie zu zerreißen droht. 

Schicksal, Kontrolle, Illusionen und Liebe – große Themen in einem großen Roman 

Wenn Zeruya Shalev über die Liebe als Triebfeder schreibt, hört die ganze Welt zu. Hinter ihrer Nahbetrachtung eines Schicksals steht stets eine kenntnisreiche Bestandsaufnahme israelischer Realität, die sich untrennbar an Generationen von Leben angeheftet hat. Damit wird Zeruya Shalev zu einer zwingenden Vertreterin engagierter Literatur, die weit über das Frauenbuch hinausreicht. 

Ein literarisches Geschenk für Mütter und Freundinnen, das lange nachhallt 

„Schicksal“ gehört zu den seltenen literarischen Perlen, für die Buchclubs aus der Taufe gehoben werden. Dieses Buch lädt zum Diskutieren und Reflektieren ein. Es provoziert Sie zum Widerspruch und zum Hinterfragen. Doch vor allem verführt es Sie zum Lesen in einem Rutsch. 

Dieses Buch verführt wirklich zum Lesen in einem Rutsch, das finde ich auch. Von Anfang an macht es auch neugiertig, wie die einzelnen Zusammenstösse weitergehen. Zeruya Shalev zeichnet nicht nur die Situationen, in der die Protagonisten stehen, auf eine lebhafte, farbige und auch eindrückliche Weise. Áber vor allem die Menschen, die hier durch die Seiten flattern, werden von Zeruya Shalev in allen Fazetten gezeichnet und hinterfragt. 

Man könnte stundenlang über den Inhalt dieses Buches diskutieren, Gedanken austauschen. Ich kann es einfach wärmstens empfehlen... Und gleich mache ich mich hinter die anderen Bücher, wie zB "Angst" von Zeruya Shalev, die ich  aus dem Bücherregal nehmen und wieder lesen will. 

Der weltberühmte Psychiater Viktor E. Frankl ist der Begründer der Dritten Wiener Schule der Psychotherapie - der Logotherapie. Seine über 30 Bücher sind in 24 Sprachen übersetzt worden. Für seine wissenschaftlichen Verdienste wurde er weltweit mit 27 Ehrendoktorate^n ausgezeichnet. 

20. April 2021 

Yishai Sarids Buch "Siegerin" habe ich kürzlich gelesen und unten kurz beschrieben. Dieses Buch, es war das erste von mir gelesene von Yisahi Sarid, hat mich veranlasst, oder besser: ermutigt, weitere Bücher von ihm zu lesen. Es gibt von ihm in deutscher Übersetzung noch deren drei. Zwei davon habe ich kürzlich gelesen, und dies mit grosser Freude. Seine in diesen zwei Romanen geäusserten Gedanken und auch zum Ausdruck gebrachten Vorstellungen vom "Töten" haben mich zutiefst berührt. 

Zuerst zu: 

MONSTER, von Yishai Sarid

Die Originalausgabe auf Hebräisch unter dem Titel Mifletzet HaSikaron erschien in  Israel 2017. Die deutsche Ausgabe im Jahr 2019. 

Um was geht es hier: 

"Am Ende des Romans steht eine Eskalation: Ein israelischer tourguide streckt im Konzentrationslager von Treblinke einen deutsch Dokumentarfilmer mit einem Faustschlag neider. Wie kam es dazu? In einem Bericht an seinen ehemaligen Chef schildert der Mann, wie er jahrelang Schulklassen, Soldaten und Touristen durch NS-Gedenkstätten geführt hat und wie unterschiedlich diese mit der Erinnerung an den Holocaust umgehen. Nach und nach zeigt sich, dass seine Arbeit nicht spurlos an dem jungen Familienvater vorübergeht - die Grauen der Geschichte entwickeln einen Sog, gegen den keine akademische Distanz ankommt. Gleichzeitig wächst sein Frust über die eigene familiäre und berufliche Situation. Am Ende wollen alle in erster Linie aus dem Holocaust - und dem Gedenken daran - einen Nutzen für sich selbst ziehen." 

Yishai Sarid schildert in diesem Roman schonungslos,  lebhaft, ungeschönt und sehr eindrücklich die  Gefühle des israelischen Tourguides, die Berg- und Talfahrten während der Zeit seiner Führungen durch die Orte des Grauens machen. Wenn man Sarids Buch "Siegerin" gelesen hat, dann ist man über die schonungslose Art seines Ausdruckes nicht erstaunt. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung nenn Yishai "einen Meister der Andeutungen". Ich würde weiter gehen: Sarid lässt es nicht bei "Andeutungen" sein, sondern kommt immer wieder ganz direkt zur Sache wenn es um Moral und Opferrollen geht. Nichts wird bei ihm beschönigt oder "angedeutet". 

Das Buch hat mich unerwartet konfrontiert mit harten Situationen von damals, als Hunderttausende von Unschuldigen an diesen Orten zu Tode kamen. Und beim Lesen erinnerte ich mich an meine eigenen Empfinden, als ich bei meinem Besuch in Auschwitz-Birkenau ebenfalls diese Orte des unermesslichen Schreckens und Leidens mit meinen Gefühlen erlebte. Dieses Buch hat mich aufgewühlt. Der Klappentext meint, dass...alle  in erster Linie aus dem Holocaust - und dem Gedenken daran - einen Nutzen für sich selbst ziehen wollten. Ich habe ein bisschen Mühe beim Verstehen dieser Aussage. Kann man einen "Nutzen" für sich selbst aus dem Holocaust ziehen? Ich denke jede Konfrontation mit diesem damaligen schrecklichen Geschehen, das so unzählige unschuldige Menschen über sich ergehen lassen mussten, sollte in erster Linie ein Gefühl "des Gedenkens", des Mitleidens an alle diese Unglücklichen auslösen. In der Folge sollte es aber natürlich dann weiter gehen und jeden einzelnen Menschen, der nun weiss, was dort geschehen ist, überall dort, wo er in der Lage, gegen jede Art von Unrecht aufstehen, dagegen ankämpfen und - wenn, wo und wie auch immer möglich - bei sich selber die dafür nötige Sensibilität entwickeln, dass man möglichst nie einem Mitmenschen etwas Böses antut. 

Das weitere Buch von Yishai Sarid: 

LIMASSOL von Yishai Sarid 

Hier beschäftigt sich Sarid auch wieder mit der Thematik "Töten", aber in einem ganz anderen Kontext. Mir scheint, dass für Sarid das Thema Töten ganz wichtig ist. Ist "Limassol" ein Politthriller, ein spannender Krimi oder was auch immer. Lassen wir einmal den vorderen Klappentext beschreiben, um was es hier in diesem Roman geht: 

"Ein auf Selbstmordattentate spezialisierter israelischer Geheimdienstler erhält einen ungewöhnlichen Auftrag: Über eine Schriftstellerin soll er Kontakt zu einem todkranken Dichter aus dem Gazastreifen herstellen, dessen Sohn des Terrorismus verdächtigt wird. Doch schon bald wird der Ermittler selbst in die Ereignisse hineingezogen, bis er schliesslich im zypriotischen Limassol vor der Entscheidung steht, seiner Pflicht ranczukommen oder gar den Schuldigenzu decken.. - Ein packender Roman, der inen in die Abgründe der zerrissenen israelischen Gesellschaft hinabstösst und wagt, die Frage nach Richtig und Falsch, Gut und Böse neu zu stellen."

Ein Geheimdienstler - ob in Israel oder anderswo - wird, wie ein Soldat in Kampfhandlungen -  immer wieder mit "Töten" konfrontiert. Wo fängt "Selbstverteidigung", "Schutz vor möglichen Terrorattentätern" an und muss präventiv "getötet" werden... Solche Entscheidungen sind fürchterlich. Hier werden solche Szenen präsentiert und jeder Leser list sie mit Schaudern. Vermutlich geht es den meisten bei solchen Schilderungen, solchen Konfrontationen, gleich: gottseidank nicht ich. 

Die Schilderungen sind in der Tat brilliant und wirklich spannend bis zur letzten Zeile. Aber durch den ganzen Roman zielt sich auch viel echt Menschliches, Liebes und macht dann das Lesen dieser nicht so schöngeistigen Geschichte erträglicher.

 

18. April 2021

Barack Obama galt (und gilt in gewissen Kreisen nach wie vor) sozusagen als "Sunnyboy" unter den amerikanischen Politikern. Auch ich finde ihn in der Galerie der Staatsmänner von heute als weltoffene, moderne Persönlichkeit in  der sonst eher älteren, muffigen und teilweise auch eher problematischen US Präsidenten-Runde. Die von mir  bereits gelesenen Biographien von ihm bestätigten das Bild eines intellektuellen, menschlichen und modernen Menschen.

Mit grossem Interesse stürzte ich mich nun kürzlich in die 750-seitige Originalausgabe seiner autobiographischen  politischen Rückschau. Seine Autobiographie "A Promised Land" ist im letzten Jahr herausgekommen, und ich habe mir gleich eine Ausgabe in der Originalsprache gesichert: 

A PROMISED LAND von Barack Obama

Die NZZ vom Samstag, 28. November 2020 inspirierte mich zum Lesen dieser seiner Autobiographie. Dieser Artikel in der NZZ von Birgit Schmid mit der Überschrift "Frauen anmachen mit Barack Obama" fokussiert sich auf Barack Obamas in jungen Jahren ausgelebten Versuche, sich bei Frau anzubiedern. Aus meiner Sicht ist dieser Artikel von Birgit Schmid ein Versuch, ihn als übergriffigen Mann zu illustrieren, "unterste Schublade", die ich sogar eher als primitive feministische Verleumdung einstufen würde. Barack Obama ist - nach allem was man wirklich von ihm weiss - alles andere als ein primitiver Macho. Jedenfalls nicht so einer, wie diese Autorin dies darstellt. 

Was schreibt AMAZON über dieses Buch: 

THE #1 SUNDAY TIMES BESTSELLER NAMED ONE OF THE BEST BOOKS OF THE YEAR BY The Times / Guardian / Telegraph / i News / The New York Times / Washington Post / NPR / Marie Claire

A riveting, deeply personal account of history in the making-from the president who inspired us to believe in the power of democracy

'Gorgeously written, humorous, compelling, life affirming' Justin Webb, Mail on Sunday

In the stirring, highly anticipated first volume of his presidential memoirs, Barack Obama tells the story of his improbable odyssey from young man searching for his identity to leader of the free world, describing in strikingly personal detail both his political education and the landmark moments of the first term of his historic presidency-a time of dramatic transformation and turmoil.

Obama takes readers on a compelling journey from his earliest political aspirations to the pivotal Iowa caucus victory that demonstrated the power of grassroots activism to the watershed night of November 4, 2008, when he was elected 44th president of the United States, becoming the first African American to hold the nation's highest office.

Reflecting on the presidency, he offers a unique and thoughtful exploration of both the awesome reach and the limits of presidential power, as well as singular insights into the dynamics of U.S. partisan politics and international diplomacy. Obama brings readers inside the Oval Office and the White House Situation Room, and to Moscow, Cairo, Beijing, and points beyond. We are privy to his thoughts as he assembles his cabinet, wrestles with a global financial crisis, takes the measure of Vladimir Putin, overcomes seemingly insurmountable odds to secure passage of the Affordable Care Act, clashes with generals about U.S. strategy in Afghanistan, tackles Wall Street reform, responds to the devastating Deepwater Horizon blowout, and authorizes Operation Neptune's Spear, which leads to the death of Osama bin Laden.

A Promised Land is extraordinarily intimate and introspective-the story of one man's bet with history, the faith of a community organizer tested on the world stage. Obama is candid about the balancing act of running for office as a Black American, bearing the expectations of a generation buoyed by messages of "hope and change," and meeting the moral challenges of high-stakes decision-making. He is frank about the forces that opposed him at home and abroad, open about how living in the White House affected his wife and daughters, and unafraid to reveal self-doubt and disappointment. Yet he never wavers from his belief that inside the great, ongoing American experiment, progress is always possible.

This beautifully written and powerful book captures Barack Obama's conviction that democracy is not a gift from on high but something founded on empathy and common understanding and built together, day by day.

'What is unexpected in A Promised Land is the former president's candour' David Olusoga, Observer 

Mit diesen Aussagen kann ich mich an und für sich identifieren. Obamas Buch ist aussergewöhnlich, zeigt vor allem seine ganz persönlichen und v.a. warmen Beziehungen zu seiner Familie, seiner Verwandtschaft. Dieses Buch zeigt ihn als wirklichen sympathischen Menschen, der trotz seiner riesigen politische Karriere auf dem Boden verblieb. Obama nimmt in seinen Ausführungen einerseits kein Blatt vor den Mund, wenn er auf Politiker wie zB  Putin zu sprechen kommt. Er nennt - wenn man so will - das "Kind" beim Namen! Putin ist in der Tat ein Despot, und dieser Meinung ist auch Obama! Bezüglich dem israelischen Premier Netanyahu zeigt er sich eher "zurückhaltend", obwohl allgemein bekannt ist, dass die beiden das Heu überhaupt nicht auf der gleichen Bühne hatten. 

Was für mich etwas bemühend und eher langweilig war, das sind die sehr detailierten und umfangreichen Schilderungen der inneramerikanischen Prozesse rund um die Wahlen um den Senatssitz und dann des Präsidentenamtes. Für einen US-Bürger mögen diese Informationen aber sicherlich von Interesse sein. 

Mich interessierte andererseits Barack Obamas Beziehungen zu der jüdischen US Bevölkerung. Mindestens 70% der jüdischen Amerikaner haben für ihn gestimmt und seine Politik auch mehr oder weniger unterstützt. Da höre ich von Seiten Obamas in seinen Ausführungen wenig Positives. Den AIPAC (die jüdische US-Organisation, die sich für Israel stark macht) zeichnet er eher negativ, obwohl diese Dachorganisation einige sehr Israel kritische Bewegungen einschliesst. Auch bezüglich Israels Situation in einer hochproblematischen, blutigen, aggressiven Weltgegend, zeichnet er  - jedenfalls aus meiner Sicht - zu einseitig zu Ungunsten Israels. Dass er nach seinem berühmten Kairo-Besuch und seiner sehr Islam freundlichen Ansprache an der Kairoer Universität sich sträubte, auch Israel einen Besuch abzustatten, ist für mich nicht nachvollziehbar. Er führt dann aus, dass er anstelle des Israelbesuches ein deutsches Konzentrationslager mit Eli Wiesel besucht hätte und damit sein Verständnis für die tragische jüdische Geschichte demonstrieren wollte. Mit dieser Argumentation habe nicht nur ich, sondern wohl die Mehrheit der jüdischen Gemeinschaft Mühe. Ich denke, dass Barack Obama gefühlsmässig die ganze und v.a. sehr heikle (Sicherheits-) Situation des jüdischen Staates nicht nachvollziehen wollte und konnte.

Barack Obama wird generell auch sehr heftig im Zusammenhang mit seiner US-Politik rund um den Syrienkrieg und den Auseinandersetzungen im Vorderen Orient kritisiert. În seiner Biographie versucht er, seine Position darzustellen und zu rechtferigen.  

Nichtdestotrotz finde ich Barack Obama eine starke und positive Persönlichkeit, die gerade in der heutigen Zeit vielen anderen Politikern in Sachen Menschlichkeit überlegen ist. Die Frage darf aber erlaubt sein, ob ein "guter US Staatsmann" nicht vor allem auch ein guter Stratege und Politiker auf allen Ebenen sein sollte, der weltweit die Vormachtstellung der US für friedliche und nachhaltige Prozesse nutzt. Ob dieses Prädikat auf Barack Obama zutrifft, wird die Zukunft und ein Rückblick auf seine Tätigkeit während seiner Amtszeit zeigen. 

"A Promised Land" ist aus meiner Sicht ein "must" zum Lesen. Um Obama einigermassen verstehen zu können, muss dieses Buch gelesen werden! 

6. April 2021

Ich habe soeben ein Buch eines israelischen Autors gelesen, das mich nicht nur extrem gefesselt, sondern richtiggehend aufgewühlt hat: 

Siegerin von Yishai Sarid  

In Israel wird viel "geschrieben"; es tauchen immer wieder ganz neue Autoren auf, die zu reden geben, deren Bücher kurz nach Erscheinen der hebräischen Erstausgabe in alle möglichen Sprachen übersetzt werden.  Aber es gibt nicht nur viele neue Autoren, die ihre Bücher publizieren. Es gibt vor allem viele SEHR GUTE Autoren.

Ein neues Buch von einem Author ist gerade erschienen, von dem ich noch nie etwas gehört habe und das ein hochaktuelles Thema beinhaltet: Yishai Sarids Siegerin (erschienen auf deutsch bei Kein & Aber, Zürich 2021). Es geht in diesem Roman um die Thematik des "Tötens" in Kampfhandlungen. Diese Thematik empfand ich als derart interessant und vor allem aufwühlend, dass ich das Buch gleich bei Amazon bestellt  und nach Erhalt sofort durchgelesen habe.

Um was geht es hier, ganz kurz zusammengefasst: 

(Amazon) Wie lernt man zu töten, ohne daran zu zerbrechen? Als Psychologin berät Abigail seit Jahren erfolgreich das israelische Militär, wie es Soldaten besser auf Einsätze vorbereitet. Doch dann wird ihr einziger Sohn Schauli einberufen, und sie muss sich entscheiden:Was wiegt schwerer, das Wohl ihres Landes oder das ihres Kindes? 

Im TACHLES las ich soeben ein Interview von Valerie Wendenburg mit dem Author Yishai Sarid (dem Sohn des ehemaligen linken israelischen Politikers, dem Meretz Vorsitzenden Sarid), das dieses neueste Buch von Sarid zum Inhalt hat: 

«Es ist eine israelische Tragödie»

Der israelische Autor Yishai Sarid legt in seinem neuen Buch «Siegerin» den Finger auf eine offene Wunde Israels.

In seinem neuen Roman «Siegerin» erzählt Yishai Sarid von der israelischen Armee, die das umkämpfte Land verteidigen muss – den Preis zahlen die jungen Soldatinnen und Soldaten und ihre Familien. 

tachles: Abigail, die Protagonistin in Ihrem Buch «Siegerin», ist Expertin für die Psychologie des Tötens. Sie trainiert Soldatinnen und Soldaten, ihre Feinde ohne moralische Bedenken umzubringen. Ist dies aus Ihrer Sicht überhaupt möglich?

Yishai Sarid: Mir ist wichtig zu betonen, dass Abigail nicht fanatisch ist. Sie möchte erreichen, dass unsere Soldaten ihr feindliches Gegenüber töten – und nicht umgekehrt. Ich spreche natürlich nicht von Kriegsverbrechen oder dem Töten von Zivilsten. Aber wenn Soldaten ihren Feinden gegenüberstehen, sollte Moral eine untergeordnete Rolle spielen. Zahlreiche psychologische Studien zeigen, dass die meisten Menschen grosse Schwierigkeiten damit haben, andere Menschen zu töten, vor allem aus der Nähe. Dies scheint aber noch mehr am Instinkt zu liegen als an Moralvorstellungen. Abigails Aufgabe ist es, die Soldaten auf genau diese herausfordernde Situation vorzubereiten, die in Israel ja leider immer wieder Realität ist. 

Ist es für Israel eine Herausforderung, junge Menschen zu rekrutieren und für das Militär zu gewinnen?

In Israel ist es nach wie vor Usus, dass die jungen Leute in die Armee gehen, um das Land zu verteidigen. Dies ist selbst für Linke wie mich eine Selbstverständlichkeit. Meine Tochter ist zurzeit im Militär. Ich selbst habe sechs Jahre gedient, drei Jahre länger als es Pflicht ist. Die Jahre im Militär waren für mich sehr prägend und wichtig hinsichtlich meiner persönlichen Entwicklung. Ich war allerdings nie in einer Kampfeinheit, sondern im Nachrichtendienst. 

Heute steht Israel aber vor einem Problem: Die jungen Frauen und Männer sind erst 18 Jahre alt und in einer westlichen Welt aufgewachsen. Plötzlich wird von ihnen erwartet, im Ernstfall Menschen zu töten, und das ist für die meisten ein echtes Problem. Es ist nicht leicht, junge Menschen für den Nahkampf zu begeistern. Das Land hat hervorragende Technologien, Hightech-Kampfflugzeuge und erfolgreiche Rakentenabwehrsysteme. Aber wenn es darum geht, Menschen für den Kampf an vorderster Front zu finden, wie damals im Gaza- oder im Libanon-Krieg, so stösst das Militär an seine Grenzen.

Sind viele Menschen in Israel aufgrund ihrer Erfahrungen im Militär traumatisiert?

Ja, das ist ein Fakt. Es wurde nie wirklich darüber gesprochen, aber es gab eine Zeit, in der fast jeder Einwohner Israels irgendwie von den Kriegen betroffen war. Die Situation hat einen signifikanten psychologischen Einfluss auf alle Menschen. Nach den Einsätzen führen die Soldaten ihr Leben zwar meist fort wie bisher, auch wenn es einige Schwierigkeiten geben sollte. Aber eine beachtliche Anzahl von Menschen ist psychologisch oder emotional beeinträchtigt. 

Werden die Betroffenen auch von der Armee unterstützt, ihre Traumata zu verarbeiten?

Ja, sie werden schon behandelt, aber die Ressourcen sind auch begrenzt. Man kann nicht jedem helfen und manche Fälle sind schwerwiegend.

Die Tatsache, dass der Krieg und ein Kampfeinsatz so real sind, hat doch sicher einen grossen Einfluss auf die junge Generation?

Auf jeden Fall. Als ich im Jahr 1983 rekrutiert wurde, war es noch etwas unangenehm, nicht in eine Kampfeinheit zu gehen. Heute ist es anders, es ist viel mehr akzeptiert, seinen Militärdienst zum Beispiel im Nachrichtendienst zu absolvieren. Daher setzen sich viele Eltern natürlich dafür ein, ihre Kinder in Einheiten zu schicken, in denen diese sicherer sind, zumal sie dort ebenso bedeutsame Arbeit leisten können. Was zählt ist, dass sie weder getötet werden noch andere Menschen töten müssen. 

Was tut die Regierung, um wieder mehr Menschen für die Kampftruppen zu begeistern?

Es ist nicht nur ein militärisches Problem, sondern ein gesellschaftliches. Junge Menschen aus der höheren Gesellschaftsschicht gehen nicht mehr in die Kampfeinheiten, sie suchen sich andere Einsatzmöglichkeiten. Ausnahmen gibt es allerdings immer wieder für Ultraorthodoxe – und das ist eine Ungerechtigkeit. Hier handelt es sich um eine der grössten offenen Wunden innerhalb der israelischen Gesellschaft, denn wir fragen uns doch: Weshalb müssen unsere Kinder ins Militär einrücken und andere nicht? 

Zahlt Israel einen hohen Preis für seine Sicherheit?

Heute gehen rund 70 Prozent aller jungen Männer und 50 Prozent der jungen Frauen in die Armee. Sie verbringen dort zwei oder drei Jahre – die besten Jahre ihres jungen Lebens. Statt zu studieren, zu arbeiten oder zu reisen. Hinzu kommt das Risiko, kämpfen zu müssen, entführt oder sogar umgebracht zu werden. Natürlich zahlt Israel einen hohen Preis. 

Im Verlaufe des Romans muss auch Abigails Sohn Schauli ins Militär einrücken. Man hat den Eindruck, dass sie ihn immer mehr verliert. Warum?

Das stimmt. Ihr Sohn Schauli ist nicht schwach, aber sehr sensibel und kultiviert. Er geht nur für seine Mutter in eine Kampfeinheit, ohne sie hätte er sicher einen anderen Weg in der Armee für sich gesucht. Abigail lässt ihm keine andere Chance und er entfernt sich von ihr. 

Als er Probleme hat und während eines Einsatzes zusammenbricht, wird sie gerufen, kann ihm aber nicht helfen. Sie wirkt das erste Mal im Buch hilflos.

Abigail steht in dieser Szene für viele israelische Mütter und auch Väter. Sie schicken ihre Kinder aus Überzeugung ins Militär und verlieren von diesem Moment an die Kontrolle über sie. Die Eltern kooperieren und unterstützen die Armee, sie geben ihre Töchter und Söhne in ihre Hände. Von dem Moment an wissen sie nicht mehr, was mit ihren Kindern im Ernstfall geschieht. Dies ist ein grosser Konflikt. Schauli kann seine Mutter in seiner Not nur rufen lassen, da sie eine Persönlichkeit innerhalb des Militärs ist, aber selbst sie stösst an ihre Grenzen. 

Interessant ist auch die Rolle des Vaters von Schauli, der Generalstabschef und Vertrauter von Abigail ist. Sie denkt, niemand wüsste etwas über ihr gut gehütetes Geheimnis. Ist dies ein Trugschluss?

Abigail denkt an ihre gemeinsame Abmachung und geht davon aus, dass niemand weiss, wer Schaulis Vater ist, nicht einmal ihr Sohn selbst. Aber wir wissen ja aus dem echten Leben, dass Geheimnisse schneller bekannt werden, als man ahnt – dies ist aus meiner Sicht besonders in Israel der Fall. 

Im Buch gibt es eine junge Soldatin, die Hubschrauberpilotin Noga, die Menschen aus der Luft abschiesst.

Noga steht für eine neue Generation von Frauen in Israel und Abigail ist es deshalb extrem wichtig, dass Noga erfolgreich ist. Sie ist eine Feministin, die absolute Gleichberechtigung fordert, auch innerhalb der Armee. Das ist ein neues Phänomen in Israel, denn früher waren die jungen Frauen nicht unbedingt an vorderster Front, sie wurden anders eingesetzt. Heute möchten sie gleichberechtigt dabei sein, zum Beispiel in der Luftwaffe oder der Marine. Noga ist eine echte Kämpferin in einer Eliteeinheit, anders als Abigail, die ja eher im Hintergrund wirkt. Feministinnen wie Noga betonen heutzutage, Frauen könnten ebenso gut kämpfen und auch töten wie Männer. Die Armee ist in Israel von grosser Bedeutung und es ist genauso wichtig für Frauen wie für Männer, dort erfolgreich zu sein, wenn sie Karriere machen wollen. 

Wie kamen Sie auf das Thema des Romans?

Ich stehe politisch links, mein Vater war Vorsitzender der Partei Meretz. Man wundert sich immer wieder, wie ich mit meinem Hintergrund überhaupt dazu komme, einen Charakter wie Abigail zu beschreiben. Zuerst einmal aber handelt es sich um einen Roman und nicht um ein Buch über den Krieg, das ist mir sehr wichtig zu betonen. Abigail möchte ja auch keine Kriege führen, sie tut nur ihre Pflicht in ihrem Beruf, um den Soldatinnen und Soldaten zu helfen. Ich möchte mit meinem Buch die israelische Tragödie aufzeigen: Das Land muss Jahrzehnte nach seiner Gründung noch seinen Kriegsapparat am Laufen halten und Jahr für Jahr junge Menschen rekrutieren mit all den Risiken, die damit verbunden sind. Ihr Leben aufs Spiel setzen. Das ist ein Fakt, den ich wichtig finde, zu thematisieren. Und die Literatur ist für mich der einzige Ort, an dem ich diesen Gedanken Ausdruck verleihen kann. 

Wie wurde Ihr Buch in Israel besprochen?

Dies ist nicht so leicht zu beantworten. Zuerst einmal ist das Buch recht erfolgreich in dem Sinne, dass es eine hohe Auflage und eine grosse Aufmerksamkeit erreicht hat. Erstaunlicherweise wurde es aber sehr wenig politisch diskutiert. Vielmehr steht Abigails Charakter im Vordergrund des Interesses. Einige Leserinnen und Leser respektieren Abigail und schätzen ihre Stärke und auch ihr Pflichtbewusstsein. Andere mögen ihren Charakter gar nicht und kritisieren ihr Verhalten scharf – aus exakt den gleichen Gründen. 

Nächste Woche wird in Israel zum vierten Mal in zwei Jahren gewählt. Was wäre Ihr Wunsch für die israelische Politik?

Ich kann Ihnen ganz sicher sagen, dass meine Hoffnungen nicht erfüllt werden. Ich bin ein linker Zionist. Mein Traum ist ein friedliches Zusammenleben mit unseren Nachbarn, die Einhaltung der Menschenrechte und so weiter. Aber diese Ansicht ist in Israel zurzeit nicht so populär. Israel hat sich in den vergangenen Jahren politisch stark nach rechts bewegt. Der Grund ist das Scheitern des Osloer Friedensprozesses und die zweite Intifada. Der Mörder von Itzhak Rabin war jüdisch, aber hauptsächlich geht der Terrorismus von den Palästinensern aus. Israel war bereit, Kompromisse einzugehen und Territorium abzugeben. Ehud Barak stimmte zu, den Palästinensern Ost-jerusalem zurückzugeben. Die Antwort der Palästinenser war weiterer Terror. Diese Tatsache hat die israelische Linke getötet. Die Menschen in Israel haben kein Vertrauen mehr in die Palästinenser und daher gibt es für viele keine Alternative mehr zur rechten Politik. Obwohl die Wahlen in wenigen Tagen stattfinden, kann ich nicht abschätzen, wie sie ausgehen. Wenn ich raten müsste, dann tippe ich darauf, dass Netanyahu wieder Premierminister wird.

Können Sie sich eine stabile Regierung in Israel vorstellen?

Nur sehr schwer, denn das politische System ist sehr instabil. Genau so wie die israelische Gesellschaft ist auch die Politik aufgesplittert. Es gibt Religiöse und nicht Religiöse, Liberale und Konservative, es gibt Araber und Juden, Linke und Rechte. Viele kleine Parteien erschweren es, eine stabile Regierung zu bilden. Das politische System in Israel ist genauso so gespalten wie seine Gesellschaft. 

Yishai Sarid: Siegerin. Kein & Aber, Zürich 2021. - Valerie Wendenburg

Ich denke, dass das Interview von Valerie Wendenburg mit Yishai Sarid sehr schön darauf eingeht und umschreibt, welcher Hintergrund hier besteht und was der Autor mit diesem Buch aussagen möchte. Israel wurde - das ist eine Tatsache - seit Gründung im Jahr 1948 von den arabischen Nachbarstaaten (heute betrifft dies v.a. den Iran mit seinen Vasallen, und auch Syrien)   in seiner Existenz schwerstens bedroht. Die israelische Armee hatte durch all diese Jahre seiner Existenz bis heute immer wieder die klare Aufgabe der Verteidigung seiner Bürger. Das, was mit "Sicherheit" umschrieben werden kann, ist auch politisch das nach wie vor geltende Gebot der Stunde. 70 Prozent der männlichen Jugend (und 50% der weiblichen)  muss in die Armee eingezogen werden und verbringt dort mindestens 3 Jahre Wehrdienst. Tatsache ist auch, dass die ultra-orthodoxe Bevölkerung sich bis heute an diesen bürgerlichen Pflichten nicht beteiligt, sondern nur vom Staat auf extreme Weise zu profitieren versucht. - Die israelischen Soldaten geraten während der Grundausbildung, aber nicht weniger in den jährlichen Wehreinsätzen (und v.a. während den Verteidigungskriegen) immer wieder in Situationen der direkten Konfrontation mit dem Feind. Es muss "geschossen" und in Selbstverteidigung  "getötet" werden. Nach Untersuchungen weiss man, dass weltweit etwa 20% der Soldaten mit diesem "Töten" keine Mühe haben. Die verbleibenden 80% Mehrheit hat aber in der Regel mit schwerwiegenden seelischen Folgen  zu kämpfen: posttraumatische Belastungssyndrome sind in der Regel die Folgen. Yishai Sarid geht diesem fürchterlichen Problem in seinem Buch nach. Seine Protagonistin Abigail, eine Psychologin und Fachfrau auf diesem Gebiet, versucht in Kursen (und Therapien) den Soldaten und Offizieren diesbezüglich beizustehen. 

Yishai Sarid beschreibt in seinem Buch nicht nur sehr detailliert, sondern auch sehr emphatisch unzählige Situationen rund um Abigails berufliche Tätigkeit. Aber nicht nur das. Er schildert auch enorm eindrücklich das persönliche Leben von Abigail in ihrem sozialen Umfeld. 

Dieses Buch hat mich nicht unberührt gelassen! Ich empfehle es weiter.

14. März 2021 

Ich persönlich bin nicht nur ein "Bücherwurm", sondern ich liebe auch Filme über alles. Vor allem wenn es Filme sind, die mich "packen". 

In der gegenwärtigen Corona-Pandemie-Zeit mit ihren Restriktionen (v.a. dem Kinoverbot) geniesse ich ganz speziell die Fernseh-Serien des Kultursenders ARTE (bilingue), der in der letzten Zeit einige Juvelen an Serien anzubieten hatte. Ich möchte gerade mit einer TV-Serie beginnen, die mich als Psycholog ganz speziell ansprach: 

IN THERAPIE 

Auf der Couch nach den Pariser Anschlägen

Die neue Serie der Erfolgsregisseure Eric Toledano und Olivier Nakache ("Ziemlich beste Freunde").

Hier geht es um Psychotherapie-Sitzungen auf psychoanalytischer Ebene, kurz nach dem schrecklichen Attentat auf die Pariser Konzerthalle Bataclan. Ich persönlich bin von meiner Grundausbildung von Adlers Individualpsychologie beeinflusst, der sich im Jahr 1911 klar vom dominierenden Sigmund Freud und seiner Psychoanalyse absetzte und gerade auf der praktischen Psychotherapie einen eigenen Weg fand und ausbaute. Hier in dieser Fernsehserie - das muss ich betonen - wird die klare Psychoanalyse praktiziert. Die Libido (v.a. alles Sexuelle, es ist immer wieder die Rede von "vögeln") spielt in diesen therapeutischen Situationen eine ausserordentlich grosse Rolle. Für meinen Geschmack wird dabei das "soziale Element" eher etwas vernachlässigt. Gerade bei der Begrüssung und Verabschiedung geht Dr. Dayan (aus meiner Sicht) eher (zu) kühl, fast abweisend, vor. Hier in dieser Fernsehserie kommt es auch zu gewissen Ungereimtheiten, wenn zB der Psychoanalytiker sich ungehemmt in die Patientin verliebt und diese Gefühle auch versucht auszuleben. 

Lesen wir einmal den Text auf ARTE zu dieser Fernsehserie: 

"Nehmen Sie Platz auf der ARTE-Couch. Die Therapie kann beginnen. In Interviews erzählen die Schauspieler und Regisseure der Serie "In Therapie" ihre Erfahrungen während des Drehs ausleben, wie sich der Psychoanalytiker Dr. Philippe Dayan in seiner Praxis im Pariser 11 Arrondissement als Psychoanalytiker verhält:  Weinend sitzt (im ersten Film) die junge Chirurgin Ariane bei ihm auf dem Sofa. Langsam beginnt sie von ihren Erlebnissen der Nacht der Terroranschläge auf die Konzerthalle Bataclan zu erzählen ... - Die Serie (2020) zeichnet ein Bild Frankreichs nach den Terroranschlägen vom 13. November 2015 in Paris. 

Ariane – Montag, der 16. November 2015 um 9 Uhr Der Psychoanalytiker Dr. Philippe Dayan hat seine Praxis im Pariser 11. Arrondissement und betreut seit einem Jahr die 35-jährige Chirurgin Ariane. Heute sitzt sie weinend bei ihm auf dem Sofa. Langsam beginnt sie von ihren Erlebnissen in der Nacht der Terroranschläge auf die Konzerthalle Bataclan zu erzählen. Sie berichtet ihm von ihrer Arbeit im Operationssaal der Klinik Saint-Antoine und von der langen Nacht im Kampf gegen den Tod. Gleichzeitig hat sie das Gefühl, sich ihr Leben zu versauen, da sie und ihr langjähriger Freund Cédric sich vergangene Nacht im Streit getrennt haben. Philippe ahnt, dass Ariane nicht ganz die Wahrheit sagt …" (erster Film der Serie!). Mit weiteren Patienten mit ganz verschiedenen Problemen geht dann die Fernsehserie weiter. 

Regie : Olivier Nakache, Eric Toledano Drehbuch : David Elkaïm, Vincent Poymiro, Pauline Guéna,  Alexandre Manneville, Nacim Mehtar, Olivier Nakache, Eric Toledano

Produktion : Les Films du Poisson, Federation Entertainment, Ten Cinéma

ARTE F, Produzent/-in : Yaël Fogiel, Laetitia Gonzalez, Eric Toledano, Olivier Nakache, Lionel Uzan, Pascal Breton 

Auf der Couch nach den Pariser Anschlägen

Die neue Serie der Erfolgsregisseure Eric Toledano und Olivier Nakache ("Ziemlich beste Freunde"). In Therapie (1/35) - Serie streamen |

Ich habe diese Fernsehserie ganz bequem auf dem Sofa liegend über mein i-Phone verfolgt ... und so richtig genossen. Die hier vorgeführten Lebensgeschichten gingen mir unter die Haut. Aber auch das Vorgehen des Psychoanalytikers Dayan hat mich fasziniert. Und was mich besonders fasziniert hat, war auch der Einbezug der eigenen persönlichen Probleme, Katastrophen des Therapeuten und seiner Supervisorin Esther. Allerdings empfand ich Dayans laufende "Erklärungen" über die erfolgten Prozesse innerhalb der Therapiegespräche etwas zu theoretisch. Für mich als Individualpsychologen kam das "Menschliche", das "eigene Emotionale" etwas zu kurz. - Ich empfehle, diese Fernsehserie zu sehen, mitzuverfolgen und - wenn es geht - mit jemandem zu diskutieren. 

Ich komme zur zweiten Fernsehserie, die ich kürzlich sah und die mich ganz besonders berührte.

Hatufim (Chatufim hebr.: die Verschleppten) - in der Hand des Feindes

Es geht dabei um die israelische Serie über drei israelische Soldaten die während 17 Jahren in syrischer Gefangenschaft das Allerschlimmste in Sachen Demütigungen und physischer Attacken erleben. mussten Nach 17 Jahren wurden sie gegen eine  Anzahl  palästinensischet Terroristen ausgetauscht, die in Israel inhaftiert waren und "Blut an den Händen" hatten (und die in einige ganz besonders brutale Massaker an israelischen Zivilisten verwickelt waren). 

Für mich war es höchst faszinierend, wie in diesen Filmen die Protagonisten, die israelischen Soldaten, nach 17 Jahren in eine völlig veränderte Familiensituation zurückfanden (oder besser: zurückfinden mussten) und versuchten, wieder "Boden" unter den Füssen zu bekommen. 

ARTE berichtet: 

"Zwei im Libanon entführte, israelische Soldaten kehren nach siebzehnjähriger Kriegsgefangenschaft in ihre Heimat zurück. Eine packende und subtile Serie, tief verankert in der israelischen Lebenswirklichkeit.

Folge 1: Die Angehörigen erfahren von der baldigen Rückkehr der beiden Überlebenden und begeben sich zum Flughafen.

 

Verbindungsoffizier Ilan Feldman informiert die Angehörigen von Nimrod und Uri von deren baldiger Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft. Nimrods Frau Talia hat sich zwar stets vorbildlich verhalten, ist nun aber hin- und hergerissen zwischen ihrer Freude und der Angst, der Situation nicht gerecht zu werden. Ihre beiden Kinder versuchen, ihre eigenen Ängste durch zynische Bemerkungen zu überspielen. Nurit, die mit Uri verlobt war und jetzt mit dessen Bruder verheiratet ist, wird von Schuldgefühlen geplagt. Auf Anraten des Militärpsychologen gibt sie vor, Uri treu geblieben zu sein. Amiels Schwester Yael geht entgegen aller Anweisungen mit den anderen zum Flughafen, um den Leichnam ihres Bruders in Empfang zu nehmen. Während sich die Überlebenden zögerlich ihren angespannten Verwandten nähern, hat Yael plötzlich eine Vision: Ihr Bruder, strotzend vor Kraft und Jugend, schließt sie in seine Arme. (diese Beschreibung bezieht sich auf den ersten Film, einem Anfang von unzähligen weiteren sehr happigen Episoden!)

Hatufim - In der Hand des Feindes - Fernsehfilme und Serien | ARTE

Regie : Gideon Raff

Drehbuch : Gideon Raff

Produktion : Keshet TV, Tender Productions, Israel

Produzent/-in : Liat Benasuly

Kamera : Itai Ne'eman

Schnitt : Simon Herman, Ido Mochrik

Musik : Avraham Tal,  Adi Goldstein

Diese Fernsehserie wirkte auf mich sehr authentisch; ich fühlte mich direkt involviert und konfrontiert mit "echten" Schicksalen in diesen unglaublich schwer erträglichen Situationen. Die Schauspieler repräsentierten für mich in diesen Filmen ganz eindrücklich die echten Menschen, die durch diese schreckliche Zeit während 17 Jahren Kerkerhaft, ausgeliefert an sadistische Henkersknechte, ganz extrem traumatisiert waren und es nur mit grosser Mühe schafften, sich wieder in ein "normales", geregeltes Zivilleben mit ihren Angehörigen einzuleben.

Man muss diese Fernseh-Serie selber erlebt haben, um ein bisschen verstehen zu können, was es heisst, während so langer Zeit in einer irrealen, unmenschlichen Welt während so langer Zeit verbracht zu haben und dann wieder in eine reale Welt zurück katapultiert zu werden. Ich empfehle diesen Film wärmstens!  Aber Achtung: es gibt hier manchmal fast unerträgliche Szene aus der Kerkerhaft, die nicht für jedermann geeignet sind. 

Und in der dritten Fernsehreihe, die ich hier vorstellen will, und die ich soeben gesehen habe, geht es um etwas komplett anderes: Um alltägliche Leidenschaften und Sorgen um Bewohner einer englischen Reihenhaussiedlung: 

MUM - eine ganz gewöhnliche Familiengeschichte

In dieser Fernsehreihe geht es in der Tat um ganz hundsgewöhnliche Ereignisse, auch Leidenschaften und täglich auftretende Sorgen. Auf den ersten Blick wirken die Szenen so plump, so "alltäglich" , und dann gerät der Zuschauer  in Versuchung, nicht mehr weiter zu schauen. So erging es jedenfalls mir! Aber je mehr ich die Szenen dieser Alltagsgeschichten in einem englischen Reihenhaus mit ganz "gewöhnlichen" Leute verfolgte, umso mehr fühlte ich mich gefesselt! Am Schluss aller Sequenzen bekam ich sogar fast ein wenig das Gefühl, dort dazu zu gehören, ein Teil von diesen Menschen zu sein! 

ARTE beschreibt diese Film-Serie wie folgt: 

 

Mit fast 60 wird die zarte Cathy mit dem Tod ihres Mannes konfrontiert, inmitten einer liebevollen, aber sehr schamlosen Familie. Eine Sitcom mit bissigem Humor, gesponnen aus den kleinen Dingen des Alltags, gepaart mit einer schönen Romanze.

 

Verfügbar vom 18/12/2020 bis 17/03/2021: Mum - Staffel 1 (1/6) - Januar - Serie streamen | ARTE 

 

Mit fast 60 wird die zarte Cathy mit dem Tod ihres Mannes konfrontiert, inmitten einer liebevollen, aber sehr schamlosen Familie. Eine Sitcom mit bissigem Humor, gesponnen aus den kleinen Dingen des Alltags, gepaart mit einer schönen Romanze. Folge 1: Cathy empfängt ihre Familie zur Beerdigung ihres Mannes.

 

Cathy, 59 Jahre, hat gerade ihren Mann verloren. Am Tag der Beerdigung empfängt sie ihre Familie. Ihr Sohn Jason denkt, er helfe ihr sehr, indem er sein Hemd selbst bügelt. Nervös nimmt Cathy die Spitzen der krankhaft snobistischen Freundin ihres Bruders, Pauline, mit weniger Freundlichkeit auf als sonst. Sie macht auch die Bekanntschaft von Kelly, der Freundin ihres Sohnes, die sich mit entwaffnender Unschuld einen Fauxpas nach dem anderen leistet. Wie immer kommen Maureen und Reg, Cathys verwöhnte, aber sehr schlagfertige Schwiegereltern, zankend an. Währenddessen wartet Michael, ein alter Freund, darauf, seinen schönen Blumenstrauß, den er mitgebracht hat, überreichen zu können.

 

Alltäglich Leidenschaften und Sorgen

 

Einen Dummkopf als Sohn und seine alberne Freundin, von der Realität ebenso weit entfernt wie die Schwiegereltern, die offiziell den Verstand verloren haben, ein liebevoller, aber leicht ungeschickter Bruder und eine unausstehliche Schwägerin: Um der Trauer in ihrem gastfreundlichen Vorstadthaus zu begegnen, ist die zarte Cathy (die reizende Lesley Manville, bei River auf ARTE) nicht gerade von den perfekten Leuten umgeben. Glücklicherweise kann sie auf die Unterstützung ihres Freundes Michael zählen, von dem sie als einzige nicht weiß, dass er wahnsinnig in sie verliebt ist. In dieser bittersüßen Sitcom, in der gezwungenes Lachen oft auf der Tagesordnung steht, entspricht jede Episode einem Monat des Jahres, mit Ausnahme der letzten explosiven Staffel, bei der sich die Ereignisse auf eine Woche konzentrieren. Mum schwelgt in Unbequemlichkeiten, aber auch in der Zärtlichkeit der Familienbeziehungen.

 

Mit kleinen Schritten folgt die Handlung dem Werdegang einer älteren Frau, die ihr neues Leben meistert und ihren Lieben zeigt, dass es mit 60 noch nicht vorbei ist. Verankert in einem äußerst prosaischen Alltag, einschließlich Toilettengängen, versteht es Mum dennoch, wie aus dieser Banalität Leidenschaft, Grausamkeit und Romantik entstehen kann. Peter Mullan (Top of the Lake) verkörpert einen unwiderstehlichen Michael mit verhaltener Inbrunst. Dorothy Atkinson (Pauline), eine versnobte, schlecht gelaunte Plage, die versucht, ihren Partner zu quälen, ist auch nicht schlecht.

 

Regie : Richard Laxton

 

Produzent/-in : Big Talk Productions

 

Mit : Lesley Manville, Peter Mullan,

 

Autor : Stefan Golaszewski

 

Verleiher : Itv Global Entertainment Limited

 

Land : Großbritannien

 

Jahr : 2016

Diese Familienepisoden wirken auf den ersten Blick sehr "alltäglich". Aber sehr bald zeigt es sich dann, dass die verschiedenen Rollen, die die einzelnen Glieder dieser Familiengruppe spielen, überall vertreten sein können! Und der Schluss hat mir dann ganz besonders gefallen: Cathy findet ihren Rank zu Michael, dem "Gutmütigen", aber "verlässlichen" und liebevollen Freund für ihr Alter. - Ich kann diese Fernseh-Serie all denen empfehlen zu schauen, die gerne ein Porträt einer ganz gewöhnlichen Familie geniessen wollen, in der man möglicherweise selber einen Part mitspielt, die vielleicht sogar einige eigene familiäre Situationen spiegeln!  

 

 

24. Februar 2021 

Das folgende Buch ist mir rein zufällig "zugeflogen": 

Die Tochter der Geliebten von A.M. Homes

Es scheint, dass die Autorin, eine Amerikanerin, in diesem Buch ihr eigenes Schicksal als Adoptierte peinlich genau abrollen lässt. Sie wächst als adoptierte Tochter in einer ausgeglichenen, friedlichen, jüdischen Familie auf. Mit 31 Jahren sucht sie - wie viele andere in einer ähnlichen Lage - ihre Wurzeln, ihren biologischen Ursprung. Sie sucht ihre Eltern, zu denen sie bis anhin keinen Bezug hatte, nicht einmal ihre Namen kannte. Diese Suche ist allerdings nicht so einfach, es gibt da Hürden, die fast nicht zu  überwinden sind. Aber nicht nur das: es harren grosse Überraschungen auf sie. Ihre Ausführungen nach dem Ursprung ihrer biologischen Erzeuger und Vorfahren gleichen einer Berg- und Talbahn - in Sachen Gefühlen. Sie findet die Mutter, die als ganz junges Mädchen mit einem wesentlich älteren Mann eine Liaison einging, schwanger wurde, und das Kind, ein Mädchen (die Autorin) unmittelbar nach der Geburt zur Adoption frei gab. Der Kindsvater, verheiratet, hatte offenbar nie im Sinne gehabt, seine Familie mit drei Kindern zu verlassen. Die Autorin lernt ihre leibliche Mutter kennen, die nie verheiratet war und ein sehr bewegtes, unruhiges Leben führte, und dann auch ihren biologischen Vater. Bei diesen Begegnungen kommt es zu vielen Enttäuschungen.  

Lesen wir noch die Buchbeschreibung von Amazon: 

Wer bin ich? Die aufwühlende Reise des Adoptivkinds A.M. Homes zu den eigenen Wurzeln

Die Autorin des Bestsellers »Dieses Buch wird Ihr Leben retten« erzählt ihre eigene Geschichte. Und auch die liest sich wie ein Roman. Als Adoptivkind erfährt A.M. Homes erst mit 31 Jahren, wer ihre leiblichen Eltern sind. Es folgt eine emotionale Detektivgeschichte, bewegend, authentisch, brillant.

»Ihr Päckchen ist angekommen, und es hat eine rosa Schleife.« Mit diesen Worten wird Phyllis und Joe Homes an einem Dezembertag des Jahres 1961 die Geburt ihrer Adoptivtochter angekündigt. Die Familie ist überglücklich, hat sie doch erst sechs Monate zuvor ein eigenes Kind verloren.

Dreißig Jahre später meldet sich völlig unerwartet die leibliche Mutter, und kurz darauf gibt es auch einen Kontakt zum Vater. Der Eindruck dieser beiden Individuen auf die erwachsene A.M. Homes ist zunächst verstörend. Die großen Fragen »Wer bin ich?« und »Wo komme ich her?« drohen sie aus der Bahn zu werfen, lähmen sie, aber machen sie auch wütend. So lange, bis sie sich auf die Suche nach Antworten macht, die sie am Ende dort findet, wo sie sie gar nicht erwartet hätte.

A.M. Homes erzählt ihre eigene tragische, witzige und zum Teil absurde, vor allem aber zu Herzen gehende Geschichte mit einer literarischen Meisterschaft, die ihresgleichen sucht."

Ich musste mich am Anfang dieses Buches ein bisschen durch die Seiten kämpfen. Ich hatte erwartet, dass die Suche dieser jungen Frau etwas harmnischer verlaufen würde, sie auch auf eine etwas liebevollere   Mutter und  Vater stossen würde. Das Gegenteil ist der Fall. A.M. Homes versteht es aber auf eine unendlich sensible Art die Begegnungen mit ihrer sehr komplexen Mutter und auch ihres sehr eigenwilligen biologischen Vaters ganz menschlich ablaufen zu lassen. Immer schimmern bei ihr sehr mitmenschliche Gefühle mit. Zum Schluss kommt sie - so denke ich - zur Erkenntnis, dass ihre Adoptiveltern, inklusive der Grossmutter, deren Tisch sie erbt, ganz wunderbare Menschen waren, die ihr durch diese Adoption ein glückliches eigenes Leben aufbauen und führen ermöglichten. 

Diese Ausführungen haben mich bewegt, sie haben mich  insofern bewegt, dass ich mir ganz persönlich auch eigene Gedanken über meine Familie, meinen eigenen Ursprung, meine Vorfahren machte. - Ich kann dieses anspruchsvolle Buch von Herzen weiterempfehlen. 

13. Februar 2021

Heute herrscht ein eiskalter Wintertag, ein Schabat. Den Schacharit-Gottesdienst verfolgte ich am Morgen (ausnahmsweise) über Streaming. Den Nachmittag vertiefte ich mich in den allerneuesten Krimi von Alfred Bodenheimer, soeben erschienen:

DER BÖSE TRIEB - ein Fall für Rabbi Klein 

Alfred Bodenheimer, 1965 in Basel geboren und Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel, pendelt zwischen Basel und Jerusalem (wo seine Familie lebt) hin und her. Und wie er, so pendelt auch sein Protagonist Rabbi Klein überall herum und steckt und streckt seine Nase in Sachen,  die ihn eigentlich als Rabbiner der Zürcher Cultusgemeinde (bei der ich auch Mitglied bin) nur entfernt etwas angehen. Rabbi Gabriel Klein ist aber ein richtig cleveres Bürschchen, liebt seine Frau Rivka auf eine neckische Art und entdeckt auch in dieser neuesten morbiden Geschichte die verrücktesten Kombinationen von menschlichen Beziehungen und Verhaltensmustern.

Bei seinem neuesten Krimi "Der böse Trieb" geht es um Mord, Karrierekrise, Ehekrach. Und immer wieder gerät der gutmütige aber irgendwie doch schlaue Rabbi in ungemütliche Situationen, die sich dann aber früher oder später auflösen. Bodenheimer versteht es, den Leser so quasi an der Nase herumzuführen und lüftet das Geheimnis des Mörders - wie es für einen guten Krimi gehört - erst fast am Ende. Ganz am Ende gibt es dann noch einen kurzen Rückblick über die Irrungen und Wirrungen Rabbi Kleins rund um diese morbide Geschichte.  

Um was geht es bei diesem neuesten Knüller von Alfred Bodenheimer (hintere Umschlagseite): 

"Eigentlich hat Rabbi Klein in seiner Zürche rGemeinde genug zu tun, doch als in Inzlingen kurz hinter der deutschen Grenze der Zahnarzt Viktor Ehrenreich erschossen wird, fühlt sich Klein zu einem Kondolenzbesuch bei dessen Ehefrau Sonja verpflichtet. Schliesslich kannte er den Toten gut: Jeweils kurz vor dem jüdischen Neujahr hat er eine "Sichat Nefesch", ein Seelengespräch, mit ihm geführt. Steht der Mord mit den Eheproblemen der Ehrenreichs in Verbindung? Oder hat er mit Viktors regelmässigen Reisen in den Kongo zu tun? Und welche Rolle spielt Sonjas Freukndin Anouk Kriesi, die mit ihrem Mann einen dubiosen Youtube-Kanal unterhält? Klein beginnt selbst zu ermitteln - auch, um sich nicht mit seinen eigenen Problemen beschäftigen zu müssen: Er hat sich so mächtige Feinde gemacht, dass ihm ein Berufsverbot droht. Das Schlimmste aber ist, dass seine Frau Rivka wütend auf ihn ist: Denkt Klein zwischen seinen ganzen Verpflichtungen vielleicht auch mal an sie und seine Töchter?"

"Rabbi Gabril Klein ist einer der ungewöhnlichsten Ermittler in der deutschsprachigen Kriminalliteratur." schreibt Axel Knönagel /dpa. 

Ich habe einmal Alfred Bodenheimer an einem Schiur in der ICZ , einer Lesung aus seinen Büchern, kennengelernt und ihn als eher stillen, ruhigen, eher ein bisschen introvertierten Menschen wahrgenommen, fast ein bisschen bieder. Es scheint, dass in seinem Krimi-Gedankengebäude nicht nur Biederes herumwirbelt. In seinen Krimis geht es nicht nur um Mord und Todschlag. Es gibt auch viele nette, erotische Anspielungen. 

Dieser neueste Bodenheimer-Krimi, den ich an diesem heutigen, eiskalten Schabat voll durchgelesen habe, hat mir grosse Freude gemacht. Er entführte mich in die turbulente Welt von Rabbi Gabriel Klein und seine verwickelten Mord- und Todschlaggeschichten.  Ich kann diesen neuesten spannenden Bodenheimer-Krimi jedermann weiterempfehlen. 

5. Januar 2021

Die Zweite Corona-Pandemie Welle hat wieder zugeschlagen, und über das Jahresende bei all den einzuhaltenden Restriktionen bot das Bücherlesen eine wunderbare Alternative. Ich vertiefte mich in Barack Obamas neueste Autobiografie (englische Originalausgabe) und, wieder einmal mehr, in die Lehrbücher von Viktor E. Frankl's Logotherapie/Existenzanalyse.

Eines der für mich wichtigsten Publikationen des dritten Wiener Psychologen (neben Freud und Adler) Viktor E. Frankl ist die Publikation

"... trotzdem ja zum Leben sagen" (Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager) 

Ich habe dieses Buch von Frankl in der Vergangenheit schon einige Male gelesen und jedesmal wieder auf eine ganz neue Art erlebt. So ging es mir auch jetzt! Frankl schrieb kurz nach Befreiung aus der furchtbaren KZ-Gefangenschaft diese Gedanken über das Erlebte. Nichts ist beschönigend, was der Leser hier vorgesetzt bekommt. Aber hier erlebt man von einem Betroffenen während der schlimmen, unmenschlichen Zeit sehr viel sehr Menschliches, das Frankl durchmachen musste, das er erlebte und nur durch seinen selbst erfahrenen und praktizierten "Sinn des Lebens". Das bewegt! 

Amazon beschreibt dieses Werk von Frankl kurz und bündig auf sehr treffende Weise: 

" Mehrere Jahre musste der österreichische Psychologe Viktor E. Frankl in deutschen Konzentrationslagern verbringen. Doch trotz all des Leids, das er dort sah und erlebte, kam er zu dem Schluss, dass es selbst an Orten der größten Unmenschlichkeit möglich ist, einen Sinn im Leben zu sehen. Seine Erinnerungen, die er in diesem Buch festhielt und die über Jahrzehnte Millionen von Menschen bewegten, sollen weder Mitleid erregen noch Anklage erheben. Sie sollen Kraft zum Leben geben."

Man muss dieses Buch gelesen haben, um diese Aussage von Amazon zu verstehen. Man muss es auch gelesen haben, um Frankls dort praktisch erfahrene Lebensweisheit und seine erarbeitete psychologische Richtung der Logotherapie/Existenzanalyse verstehen zu können. 

2020

 25. Dezember 2020

Die "Sinnsuche" ist aus meiner Sicht für jeden Menschen etwas Grundsätzliches, etwas vom Wichtigsten. Viktor E. Frankl hat diese menschliche Sinnsuche in seiner Logotherapie/Existenzanalyse zum Zentrum seines Anliegens gemacht. 

Es gibt viele Bücher von und über Viktor E. Frankl. Er selber hat 31 Bücher selber publiziert. Das 31. Buch trägt den Titel: 

VIKTOR E. FRANKL - Was nicht in meinen Büchern steht. Lebenserinnerungen

Mit seinen 114 Seiten, gespickt mit vielen "Lebenserinnerungen", die mit viel Humor und Lebensweisheit von Viktor E. Frankl vorgetragen werden, wirkt dieses Buch ausserordentlich erfrischend auf mich! 

Auf dem Klappentext lesen wir: 

In seinen Erinnerungen und Reflexionen fasst Viktor E. Frankl assoziativ zusammen, was ihm in seinem Leben wichtig erscheint: seine Kindheit und Jugend in Wien, die Arbeit als Nervenarzt, die Anfänge der Logotherapie, seine Auseinandersetzung mit Freud und Adler und ihren Einfluss auf die Logotherapie. Aber auch seinen Aufenthalt in vier verschiedenen Konzentrationslagern und seine Rückkehr nach Wien, wo er bis zu seinem Tod im Jahr 1997 lebte. 

Ich habe mich mit den Ideen und dem Vorgehen rund um Psychotherapie von Viktor E. Frankl seit Jahren autodidaktisch beschäftigt. Diese Franklschen "Lebenserinnerungen" haben mich  animiert, wieder einmal mehr die Bücher über Logotherpie/Existenzanalyse unter die Lupe zu nehmen. In meinem reifen Alter gibt es nach wie vor "Sinn", meinen "Sinn des Lebens" zu hinterfragen. 

Diese Lebenserinnerungen von Viktor E. Frankl, lebhaft, frisch und eindrücklich geschrieben, kann ich wärmstens weiter empfehlen! 

20. Dezember 2020 

Ich habe soeben drei Bücher über drei sehr unterschiedliche Gebiete gelesen, die mich sehr beeindruckt haben und die ich hier besprechen möchte! 

Hier zum ersten Buch, das ich mit grossem Interesse gelesen habe und das mir auch viele ganz neue Sichtweisen über einen grossen Politiker (mit Schattenseiten) eröffnete: 

Friedenskanzler? Willy Brandt zwischen Krieg und Terror von Michael Wolffsohn

Im NZZ Feuilleton las ich eine Rezension von Michael Wolffsohn über sein 2018 erschienenes Buch über Willy Brandt, die mich neugierig machte. Seine Ausführungen zeigten mir  gewisse Schattenseiten der deutschen "Lichtgestalt" Willy Brandt, die ich bisher nicht kannte.

Wolffsohns Rezension dieses Buches war mit "Brandts Kniefall und die Nahostpolitik" überschrieben.Diese berühmteste Demutsgeste deutscher Nachkriegsgeschichte wirft gerade heute wieder einige Fragen auf! War diese "Demutsgeste" im ehemaligen jüdischen Ghetto in Warschau eine Referenz den jüdischen Opfern gegenüber? War sie so "spontan", wie sie wirkte, oder gab es da vielleicht eine gewisse "Berechnung" dahinter? Was steckte hinter dieser beispiellosen Geste genau? 

Wolffsohn kommt in seinen Ausführungen auf die immer wieder zu beobachtenden "Antisemitismen" bei der Linken zu sprechen. Das jüngste Beispiel mag der Labour-Vorsitzende Jeremy Corbyn sein, der in den letzten Jahren mit seinen antisemitischen und antizionistischen (Israel hasserischen) Statements zu reden gab! Er trat dann zurück. Aber es scheint, dass es in den Sozialdemokratischen Parteien Europas generell eine Tatsache  ist, dass antijüdische, aber v.a. antiisraelische Tendenzen ausgelebt wurden und werden. 

Und in diesem Segment ortet Wolffsohn auch den deutschen "Friedenskanzler" Willy Brandt, der bereits in den Dreissiger Jahren gewisse Anzeichen einer ambivalenten Gesinnung gegenüber "den" Juden zu haben schien. Nachweislich sprach er immer wieder generalisierend von "den jüdischen Kapitalisten". Das tönte so, als ob "die"Juden nur aus Kapitalisten bestehen würden. Sein Wissen der jüdischen Soziologie, v.a. der jüdischen Heterogenität, die für ihn unbekannt war,  schien damit erschöpft zu sein. 

Aber es kam dann während seiner Amtszeit als deutscher Bundeskanzler noch problematischer: Sein Wirken rund um das Olympiamassaker in München im Jahr 1972, aber dann v.a. sein Verhalten rund um den Jom-Kippur-Krieg 1973, dem Angriff Ägyptens und Syriens auf ein ahnungsloses Israel, der wieder einmal mehr die totale Vernichtung des jüdischen Staates erzielen wollte, und der Israel jedenfalls am Anfang fast in den Abgrund stiess, muss mehr als "problematisch" bezeichnet werden. Israel kämpfte damals in der Überraschung nach ersten katastrophalen territorialen Eroberungen der beiden arabischen Staaten mit einem möglichen Untergang! Waffen mussten von aussen an die verzweifelten Israelis nachgeliefert werden, und zwar aus den USA aus Beständen ihrer Armeeeinheiten in Westeuropa! Die Regierung Brandt versuchte eiskalt alles, um diesen Waffennachschub zu unterbinden. Waffenliegerung direkt aus den USA durften nicht über europäische, schon gar nicht deutsche, Flughäfen geschehen.

Wolffsohn wartet in seinem Buch mit den entsprechenden Einzelheiten aus neu eröffneten Quellen auf, die gerade auf die Regierung Brandt ein hochproblematisches Licht werfen. Willy Brandt war, so Wolffsohn, kein Freund der Juden und schon gar kein Freund des jüdischen Staates Israel.

Wolffsohn kommt auf die Rolle des Journalisten Klaus Harpprecht zu sprechen, der als Freund Willy Brandts galt, und der ihm vorschlug, "eine öffentliche Geste" gegenüber der jüdischen Welt zu leisten, die dann eben am 7. Dezember 1970 durch Brandts Kniefall im ehemaligen jüdischen Ghetto in Warschau erfolgte.  

Was sagt die AMAZON-Buchbesprechung kurz und bündig über den Inhalt von Wolffsohns Buch: 

Die Nahostpolitik der Ära Brandt und ihre Folgen

Der Willy Brandt verliehene Friedensnobelpreis und die mit seiner Ostpolitik verbundene Aura wirken bis heute nach. Der Kniefall in Warschau ist legendär. Die bundesdeutsche Nahostpolitik verlief weniger glücklich.

Hier hat die damalige Bundesregierung schwere Fehler begangen und große Risiken in Kauf genommen. Das wird aufgezeigt auf der Basis erstmals zugänglicher Dokumente. Im Fokus stehen das Olympia-Attentat 1972 auf israelische Sportler in München, die Freipressung der Terroristen im Oktober 1972, der Versuch von Israels Ministerpräsidentin Golda Meir, 1973 den Genossen Willy Brandt für die Friedensvermittlung zu gewinnen, und die Krise zwischen Bonn und Washington während des Yom-Kippur-Krieges 1973, als ein atomarer Weltkrieg drohte.

Michael Wolffsohn, Historiker und Publizist, lehrte von 1981  bis 2012 an der Universität der Bundeswehr München. Er schreibt flüssig, witzig, analytisch und immer auch selbstkritisch in seinen Aussagen. Seine Sicht der Dinge überzeugen mich: Willy Brandt war einerseits wohl eine "Lichtgestalt", aber er hatte auch bezüglich Judentum und Israel seine Schattenseiten, die zu bedenken sind. Diesen zwei Seiten Willy Brandts geht Michael Wolffsohn analytisch und fair nach!  

Ich kann diese Publikation jedermann, der Interesse an dieser Thematik hat, wärmstens empfehlen! 

 

Ich komme zum zweiten, soeben gelesenen und genossenen Buch, das ich hier vorstellen will:

 

Was hilf Psychotherapie, Herr Kernberg? (2020) von Manfred Lütz

 

Otto Kernberg wird in diesem Buch von Manfred Lütz als „der berühmteste Psychotherapeut der Welt“ angepriesen. Das ist wohl etwas hoch gegriffen. Aber „berühmt“ und ein Experte ist Otto Kernberg ganz sicher bezüglich seiner Arbeit auf dem Gebiet der Narzissmus-Forschung.

 

Der Psychoanalytiker Otto Kernberg ist ein psychologisches Schwergewicht, ein Urgestein und ein grosser Psychologe aus altem Schrot und Korn, geprägt durch seine Wiener Zeit der Dreissigerjahren. Hier in diesem Buch von Manfred Lütz lernte ich diese Persönlichkeit in Dialogform auf eine sympathische Art kennen. Lütz wird in diesen Gesprächen mit Kernberg jeweils sehr direkt. Er will wissen, was „die Seele“ ist, ob er zB auch den US-Präsidenten Trump behandeln würde, was als  Irrwege der Psychotherapie zu betrachten sei, was einen guten Psychotherapeuten ausmache.

Kernberg erzählt auch sehr detailliert über seine Jugend in Wien als jüdisches Kind, seine Begegnung mit Sigmund Freud, und auch seine Erfahrungen mit Antisemitismus und seine weitere Entwicklung in Chile, wohin er mit seiner Familie noch vor der Machtergreifung der Nazis flüchtet. In diesen Gesprächen wird das ganze Leben dieses in die Jahre gekommenen Psychologen abgerollt und auf sehr menschliche Art hinterfragt.

 

Was hat AMAZONAS Buchbesprechung über dieses Buch zu sagen:

Otto Kernberg (Jahrgang 1928) ist einer der einflussreichsten Vertreter psychotherapeutischer Praxis, Lehre und Forschung und der weltweit prominenteste Wissenschaftler auf dem Gebiet der narzisstischen Persönlichkeitsstörung. Bestseller-Autor Manfred Lütz trifft ihn für dieses Buch zum Gespräch. Erstmals zieht Kernberg darin Bilanz seines privaten und beruflichen Lebens, das ihn auf der Flucht vor den Nazis von Wien über Chile bis in die Akademikerkreise der USA führte. Bei der Beantwortung von Fragen wie „Was sind Irrwege der Psychotherapie?“, „Wer ist ein guter Therapeut?“, „Was ist die Seele?“ schöpft er aus über 65 Jahren Praxiserfahrung – mit höchster Kompetenz ebenso wie mit spannenden Patientengeschichten. In seiner New Yorker Praxis, nur wenige Hundert Meter vom Trump-Tower entfernt, äußert sich der Spezialist für Narzissmus dann auch zum amerikanischen Präsidenten Donald Trump.

Zwischen Manfred Lütz (Psychiater und Theologe) und Otto Kernberg entwickelt sich während ihres drei Tage dauernden Zusammentreffens ein fesselnder und tiefgehender Dialog. Im Austausch über erschütternde Erlebnisse Kernbergs als jüdisches Kind im von den Nazis besetzen Wien, seine Schul- und Studienjahre in Chile, den Missbrauchsskandal der katholischen Kirche, die Frage nach der Existenz Gottes und vieles mehr entsteht ein faszinierendes Porträt Kernbergs, der eine wahre Jahrhundertpersönlichkeit ist.

Im Vorwort beschreibt Lütz seine Begegnung mit Kernberg mit diesen Worten: „Was mich aber wirklich überwältigte, war der Inhalt unseres Gesprächs. Ich wusste, dass es spannend werden würde, aber was ich dann erlebte, übertraf jede Erwartung. Otto Kernberg war rückhaltlos offen, offenbarte mit größter Selbstverständlichkeit höchst Persönliches, was öffentlich bisher niemandem bekannt war, und diese Offenheit ließ das Gespräch immer wieder existenzielle Tiefen erreichen.“

Beim Lesen dieses Buches hatte ich so zwischendurch den Eindruck, dass ich direkt dabei war, mithören konnte und auch eigene Fragen stellen durfte. Das ist ein „schönes“ Buch, das Türen zu einem wirklich grossartigen Menschen öffnet. Ich kann es für alle an Psychologie Interessierten wärmstens empfehlen!

... und damit kommen wir zum dritten Buch, das ich hier vorstellen möchte, das ich gerade gelesen habe: 

In diesem Buch geht es um die Schilderung von Selbsterlebtem, eines «Partisanen» in der französischen Résistance in Frankreich während des Zweiten Weltkrieges:

Als Partisan im französischen Widerstand (2006) Herbert Herz

Wie ich verstehe, wurde dieses Buch vom Verfasser Herbert Herz im reifen Alter zusammen mit seiner Enkelin erarbeitet. Der Autor, wurde 1924 in Augsburg geboren, im damaligen Deutschland als deutsches jüdisches Kind sozialisiert und als Halbwüchsiger mit seiner Familie in die Flucht nach Frankreich gezwungen. Sein Vater starb früh, sein älterer Bruder Manny wurde deportiert und kam in Auschwitz ums Leben. Seine tüchtige und resolute Mutter spielte in dieser Kriegszeit eine wichtige Rolle. Aber Albert Herz wusste sich auch selber recht gut in dieser düsteren Zeit durchzuschlagen, seinen Weg zu finden und landete letzten Endes dann als Partisan im Widerstand gegen die Nazi-Unterdrücker.

Ich kam auf eine sehr spezielle Art zu diesem Buch. Im Dezember 2019 nahm ich als Delegierter der hiesigen Liberalen Jüdischen Gemeinde während einigen Tagen an einem Kongress der französisch sprachigen Liberalen Gemeinden beim GIL in Genf teil. An einem Empfang wurde ich dort von einer Dame kurz angesprochen. Sie übergab mir dieses Buch, eine Ausgabe auf französisch, eine weitere in deutscher Übersetzung. Ich wollte eigentlich dafür bezahlen. Aber im Gewühl der Gäste verlor ich dann diese Dame aus den Augen. Ich konnte nachher nicht mehr eruieren, von wem ich dieses Buch erhielt. Während den vergangenen Monaten lag dieses Buch dann ungelesen in unserem Büchergestell. Als ich nun kürzlich alle Bücher entstaubte und neu ordnete, gelangte es wieder in meine Hände. Und dann vertiefte ich mich in diese Welt des französisch-jüdischen Widerstandes gegen die brutalen, unterdrückenden Nazis, die Frankreich beherrschten. Bereits nach dem Lesen der ersten Seiten war ich vollkommen eingenommen von den Schilderungen. Ich hatte vorher noch nie von Herbert Herz gehört. Erst jetzt schaute ich mich auch im Internet nach diesem Namen um und entdeckte unter WIKIPEDIA den folgenden Eintrag, der mir den Autor dieses bemerkenswerten Buches noch mit weiteren Einzelheiten seines Lebens näherbrachte:

Was sagt WIKIPEDIA über Herbert Herz:

Herbert Herz (known as Georges-Hubert Charnay by false papers) (1924-2016) is a former fighter with the French Resistance in the FTP-MOI, a member of the Carmagnole and Liberté squads of the Lyon region during World War II. His Jewish family emigrated to France in 1934 to escape Nazi persecution. In 1996 he was awarded the Légion d'honneur. He wrote a memoir in 2007 to publicize the role of the many foreigners, mostly Jewish, in the armed Resistance against the Nazis in France.[1]

Early life and education: Herbert Herz was born on May 7, 1924 Augsburg in Bavaria to Simon and Meta Eichenbronner Herz; he had an older brother Emmanuel. His family spent much of his childhood there. After his father and uncle were arrested and held for three weeks in 1933 from being denounced, they decided to leave Germany quickly to escape more persecution under the rise of Nazism. They emigrated to Dijon, France in 1934 when Herbert was 10. He quickly learned the new language and studied in French schools.[2]

World War II: After the Fall of France in 1940, the Herz family evacuated to Bordeaux, where the children continued in school. His father had died in 1939.[2] After its occupation of France, the Nazis continued their actions against the Jews and required French authorities to carry out their orders.

In 1942 the Germans ordered French authorities in the Free Zone to round up all foreign Jews for deportation to Nazi concentration camps. Although Herz was captured by the French Gendarmerie, he escaped with the aid of a professor from his school and avoided internment and deportation.

Going underground at age 18 for a year, Herz rejoined his brother Emmanuel in the South of France, but they went to Grenoble to escape police interest. That area was occupied by the Italians, who did not bother the Jews. In the summer of 1943, they joined the armed Résistance in Grenoble under the aegis of the FTP-MOI (Francs-Tireurs et Partisans – Main-d'Œuvre Immigrée).[3] The FTP-MOI was made up mostly of foreigners, many of them Spanish, Jews from Germany and eastern Europe, and Armenians.

The FTP-MOI in many cases was trained by older fighters who had fought in Spain during its civil war and Italy. The FTP_MOI was present in all the big cities in France, taking armed actions against the Nazi occupation of France, for example, bombing the factories working for the nazis, derailing trains carrying Wehrmacht and SS troops, bombing the Wehrmacht troops, and killing Nazi officers. The Nazis fought back with investigations, roundups, interrogation under torture of prisoners to try to break down the cells. The Germans tried to classify them as foreigners, criminals, terrorists and outsiders, as with the l'Affiche Rouge in Paris, but many of the population embraced the partisans as freedom fighters.

In 1943 Emmanuel Herz tried to make his way into Switzerland, which was neutral. Herz, his mother and sister planned to join him if he was successful. Detained at the border by the Swiss, Emmanuel was turned over to French authorities, who transported him to the intern camp of Drancy. From there he was deported to Auschwitz, where he died. After Grenoble was occupied by the Germans, Herz made his way to Lyon, where he fought more with the Resistance.

In 1996 the French government awarded Herbert Herz the decoration of the Legion d'Honneur for his service.[citation needed]. Herz died in September 2016.

Postwar years: Marriage and family - Herz married and he and his wife had three children together.

Career: After the war, Herz completed his studies in engineering. He went on to work for the Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire (CERN) (European Council for Nuclear Research) in Geneva, Switzerland. Now called Organisation européenne pour la recherche nucléaire, it retains the original acronym. Although he has lived and worked in Switzerland for decades, Herz never became a naturalized Swiss citizen, in memory of the Swiss having turned his brother over to French authorities at the border.

Now retired, Herz lives in Ferney-Voltaire. He works as a delegate of the Yad Vashem Institute in Jerusalem to find people who risked their lives to save Jews during the Holocaust. Such people are candidates for the Institute's award of "Righteous among the Nations".[3]

In 2007, Herz published a memoir, Mon combat dans la Résistance FTP-MOI, Souvenirs d'un jeune Juif allemand (My combat in the FTP-MOI resistance, memories of a young German Jew).[3] He wants to publicize the participation of the many foreigners in the French resistance, and highlight the armed fighting of Jews in the struggle against the Nazis and other supporters of Adolf Hitler. He also maintains a blog, where he writes on the Resistance.

Wenn ich diese Zusammenfassung über das Leben von Herbert Herz lese, dann ergänzen diese Informationen wunderbar all die tragischen Ereignisse des Widerstandes, den er mit seinen Kameraden leistete und die ich in seinem Buch lesen konnte.

In der Einführung betont Herbert Herz auch wie wichtig es ihm ist, mit diesen Schilderungen zu zeigen, dass die verfolgten Juden nicht – wie öfters behauptet – sich wie Lämmer zur Schlachtbank führen liessen. In Frankreich gab es einen entsprechenden Widerstand gegen die Nazis. Und seit längerem weiss man auch, dass dieser jüdische Widerstand auch in den besetzten Ostgebieten existierte. Die Möglichkeiten waren nicht immer gross. Aber ein ganz wichtiges Beispiel des jüdischen Widerstands gegen die mörderischen Nazis ist der Ghetto-Aufstand in Warschau.

Das Buch von Herbert Herz hat mich betroffen gemacht. Es hat mich bewegt und mir wieder einmal mehr gezeigt, dass «Freiheit» nur so viel wert ist, wie der Einzelne, der in dieser Freiheit bedroht ist, bereit ist, sie zu verteidigen. – Herbert Herz starb 2016. Aber seine Botschaft v.a. an uns Juden heisst: sich wenn immer möglich nicht «wie Schafe zur Schlachtbank führen lassen», sondern sich zu wehren. Das aber gleichzeitig bedeutet auch, dass wir (Juden) ganz besonders sensibel sein müssen für alles Unrecht, das auf dieser Erde geschieht und – wo und wie auch immer – Zivilcourage und wenn nötig auch ganz konkreter Aktivismus ausgelebt werden muss.  

Ende November 2020

Wir befinden uns immer noch in der Corona-Pandemie-Zeit, die von einer ganz speziellen Art des Zusammenlebens gekennzeichnet ist: In den Lockdown-Zeiten von März bis Mai 2020 waren zwangsmässig die sozialen Kontakte generell massiv eingeschränkt. Diese Situation  bot ganz besonders viele Möglichkeiten, ins Bücherlesen auszuweichen. Diese "Einschränkung" bedeutete für mich persönlich als Bücherwurm eigentlich keine wirkliche persönliche Einschränkung – im Gegenteil! Wie schon lange nicht mehr, konnte ich mich in viele Bücher vertiefen, die bisher ungelesen waren. Davon möchte ich berichten!  

Da waren einmal einige Biografien, in die ich mich versenkte und über bedeutende Menschen  vieles entdeckte, das ich bis anhin nicht kannte.

Ich beginne mit der Biographie von Alfred Adler. Während fast 7 Jahren absolvierte ich im Zürcher Alfred Adler Institut meine individualpsychologische Ausbildung. Mit meiner Diplomarbeit mit dem Titel „Alfred Adler und Fjodor M. Dostojevskij – Vergleich der Menschenbilder“ beschäftigte ich mich natürlich sehr intensiv mit Adlers Biographie. Die allerneueste Biografie über Alfred Adler (2019) beinhaltet nunmehr derart detaillierte und komplett neue Informationen über Persönliches von Adler, aber auch über die Ereignisse seiner Welt, in der er lebte und wirkte,  die mich überraschen!  

ALFRED ADLER – Die Vermessung der menschlichen Psyche – Biographie. Von Alexander Kluy

AMAZON Buchbesprechung: 

" Die große Biographie des Erfinders der Individualpsychologie

Alfred Adler, neben Sigmund Freud und C. G. Jung einer der Urväter der modernen Psychologie, ist der Begründer der Individualpsychologie. 1911 setzte sich Adler scharf vom Übervater der Psychoanalyse ab. Er wollte eine lebensnahe Psychologie schaffen, die es ermöglicht, den Einzelnen aus seiner individuellen Lebensgeschichte heraus zu verstehen. Seine optimistische positive Lehre wurde rasch sehr populär. In den 1930er Jahren war Adler einer der bekanntesten Psychologen der Welt.

Eingebettet in die Zeitgeschichte und aktuelle Forschungserkenntnisse zeichnet Alexander Kluy das Leben Alfred Adlers nach, der, 1870 in Wien geboren, 1937 auf dem Höhepunkt seines Ruhmes unerwartet in Schottland starb. Diese Biographie mit erstmals veröffentlichten Archivfunden zeigt den Menschen Adler – und die bis heute ungebrochene, hochaktuelle Wirkung seines Werks."

AMAZON übertreibt es nicht: Kluys Adler-Biographie darf man ganz ruhig als "grosse Biographie" bezeichnen, die mit vielen Details über diesen grossen Psychologen aufwartet, die bis anhin nicht bekannt waren. Kluy beschenkt den Leser mit persönlichen Details, die das Leben von Adler,  das Wirken, aber auch seine innerfamiliären Beziehungen, aufzeichnet, die es bis anhin nicht gab. Ich kann diese Adler-Biographie nicht nur für Individualpsychologen, sondern auch jedermann sonst empfehlen, der sich mit der Zeit von damals und mit der Persönlichkeit eines grossen Mannes jener Zeit auseinandersetzen möchte. 

27. September 2020

In den letzten Wochen vertiefte ich mich in die Bücher von Jonathan Sacks, dem weltberühmten Neurologen, der vor fünf Jahren starb. Als Ausgang für das Lesen der Bücher von Oliver Sacks las ich seine Autobiographie «On the Move». Der Mann, v.a. sein Leben, so wie er es in seiner Autobiographie «On the Move» aufzeichnet, faszinierte mich. Bevor ich auf die einzelnen Bücher von Jonathan Sacks eingehe, möchte ich ein Video über den kürzlichen über ihn gedrehten Film präsentieren.

https://www.youtube.com/watch?list=RDCMUCuF-f_kairxTjOyHSItrmtg&v=47ooNWugxRE&feature=emb_rel_end

JEW THE CALL: 'OLIVER IS DYING. WOULD YOU COME AND FILM HIM?'

With months to live, neurologist Oliver Sacks gave a master class on how to die

Documentarian Ric Burns captures celebrated Jewish MD’s final days in a meditation on Sacks’s Orthodox youth, tumultuous career and acceptance of mortality. Film debuts Wednesday

By RICH TENORIO - 23 September 2020, 4:53 am

A photo of Oliver Sacks featured in the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A photo of Oliver Sacks featured in the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A photo of Oliver Sacks as a young man with his motorcycle featured in the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A photo of Oliver Sacks as a young man with his motorcycle featured in the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, 'Oliver Sacks: His Own Life.' (Courtesy)

On a Friday night in February 2015, the legendary British Jewish neurologist and writer Oliver Sacks gathered his inner circle in his New York City apartment. For much of his life, Sacks had penned poignant books about his disabled patients, sharing insights about their lives. On this night, however, Sacks gave his audience a heartfelt message about his own life: He had received a terminal cancer diagnosis.

Over the next six months, Sacks gave what one of his friends, the author Lawrence Weschler, called “a master class in how to die.” He continued to write thoughtful prose, this time meditating on mortality, in the company of family, friends and his partner Bill Hayes.

Sitting for filming sessions with award-winning documentarian Ric Burns, Sacks reflected on an extraordinary, sometimes tumultuous life — running away from an Orthodox upbringing, wrestling with his homosexuality, facing rejection by the scientific community for much of his career and finally winning admiration from academia and the public. The year he died, 70 percent of neurology majors at Columbia University Medical School credited Sacks, at least in part, as the inspiration for their choice of study.

Five years later, filmmaker Burns is ready to release his documentary about Sacks to the public. “Oliver Sacks: His Own Life” debuts September 23, through New York’s Film Forum and the Kino Marquee virtual cinema platform. Over the previous year, it was screened at Telluride and the New York Film Festival. Although the general release was delayed six months by COVID-19, Burns is excited that the public now has a chance to see it.

The winner of two Emmy Awards and a Peabody Award, Burns is part of a celebrated duo of American documentarians. He and his brother, Ken Burns, worked together on the 1990 epic “The Civil War” before going on to make separate ventures. Ric Burns has directed a similarly epic series about the history of New York City, and is working on the latest installment, which will cover the period from 9/11 to the COVID-19 era.

In a phone interview with The Times of Israel on August 30 — the fifth anniversary of Sacks’s death — Ric Burns described the unexpected genesis of his latest-released project.

Early in January 2015, Sacks had just finished what Burns described as “a not-yet-published, remarkably candid autobiography.” Around that time, the filmmaker got a call from Sacks’s longtime editor and chief of staff, Kate Edgar.

“Oliver is dying,” he remembered her saying. “Would you come in and film him?”

He got a mortal diagnosis and very much wanted to share the time he had

“He got a mortal diagnosis and very much wanted to share the time he had,” Burns said. “He was told he would die in six months. Indeed, he died in six months. He wanted to think, reflect, explain himself, not only in print, but also on film.”

Documentarian Ric Burns. (Courtesy)

“It was kind of a very different way of doing a film,” Burns said, adding that usually, “someone brings the idea to you, you talk about it and reflect how to go on — writing, interviewing people, fundraising.”

This film, he said, was a “yes” project from the start, and time was of the essence.

Burns embarked upon marathon filming sessions at Sacks’s apartment on Horatio Street in Greenwich Village. Shooting for a total of 80 hours, sometimes using multiple cameras, he filmed Sacks and the rotating circle of loved ones who checked in on him. Prominent journalists and writers dropped in, including surgeon-writer Atul Gawande, and Temple Grandin, an advocate for animal rights and autism awareness. Also interviewed for the film was the theater and opera director Sir Jonathan Miller, who was a friend of Sacks’s since childhood.

“[Sacks] was always sort of surrounded by, in a sense, the family he created for himself during his lifetime,” Burns reflected. “That itself was really quite unique.”

Sacks’s background was also unique. Burns describes him as an atheist homosexual English Jew, and the film sensitively addresses each of these aspects of his life. Notably, he was the uncle of former British chief rabbi Jonathan Sacks, who was criticized in 2013 for his opposition to civil marriage for gay couples in the UK.

A remarkable life unfolds

Oliver Sacks was born in 1933 to accomplished Orthodox parents Samuel Sacks, a general practitioner, and Muriel (Landau) Sacks, who was among the earliest female surgeons in the UK. Sacks was their fourth child. He was a distant relative of Israeli statesman Abba Eban and Nobel Prize-winning economist Robert John Aumann.

A photo of Oliver Sacks featured in the Ric Burns documentary, ‘Oliver Sacks: His Own Life.’ (Courtesy)

Sacks’s childhood was interrupted not only by the Blitz, but also by his brother Michael Sacks’s struggle with schizophrenia. A few years later, when Oliver Sacks turned 18, he came out as gay to his father, and soon his mother learned as well. According to the film, she called him an abomination and wished he never had been born.

“In a sense, from that moment on, he was on the run,” Burns said. “He was escaping his mom, family, sexuality, himself,” with Sacks “running from madness, trying to hide it, soothe it, exacerbate it.”

After receiving his medical degree at Oxford, Sacks left for the United States, finding an uneasy refuge in San Francisco, where the film shows him setting a weightlifting record, having an unsuccessful relationship with a man, taking recreational drugs and going for risky motorcycle rides — all while undertaking a medical residency at UCLA.

He got a new start when he relocated across the country to Beth Abraham Hospital in the Bronx. There, he treated patients left catatonic by a sleeping sickness epidemic from the 1920s. He took the unorthodox step of prescribing a drug called L-dopa. Initial results seemed promising as patients began to walk and talk, yet they had to contend with side effects of the drug and some reverted to their previous condition, according to an article on the NIH website.

The film shows him setting a weightlifting record… taking recreational drugs and going for risky motorcycle rides

Sacks wrote about these experiences in his book “Awakenings,” which he penned with his mother’s input in the family home on Mapesbury Road in London after mending ties with her.

The film shows Sacks continuing to write about his disabled patients in books and articles. After “Awakenings,” for instance, there was the anthology “The Man Who Mistook His Wife for a Hat.” The media proved receptive to Sacks’s contributions.

A photo of Oliver Sacks as a young man with his motorcycle in Greenwich ViIlage, 1961, featured in the Ric Burns documentary, ‘Oliver Sacks: His Own Life.’ (Courtesy)

“I’d read many of his books, I knew him the way most people did,” Burns said. In addition to Sacks’s books, he frequently wrote contributions to The New York Review of Books and The London Review of Books.

Making disability palatable

Burns characterized Sacks’s writings as a bridge between disabled individuals and the wider world. He embodied a trove of data that colleagues initially misjudged as meaningless.

“The data he collected and summarized in his stories was uniquely qualified data — a narrative of interesting, subjective experience,” Burns said. “To know what [his patients are] like, not what it looks like on an MRI, to be a person with myopathy, autism, a neurological condition, whatever it might be.”

A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, ‘Oliver Sacks: His Own Life.’ (Courtesy)

The film examines Sacks’s detractors, including those who accused him of sensationalizing his patients. Yet, Burns said, by the 1980s and 1990s, things began to change. The 1990 Robin Williams film adaptation of “Awakenings” brought Sacks large-scale fame, while his ideas won acceptance from respected colleagues such as Francis Crick, who won the Nobel Prize for the co-discovery of DNA.

Oliver did not measure in numbers, but in words

“[Sacks’ work] suddenly seemed relevant,” Burns said. “For most of Oliver’s life, it had been meaningless, unqualified, not data at all… not measurable. But Oliver did not measure in numbers, but in words.”

The hidden decades

While reading Sacks’s books and articles, Burns noted that something was missing.

“From the ’80s on, I did not know anything about his life,” Burns said. “He was guarded until the very end. Openness was something he arrived at only at the very end.”

A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, ‘Oliver Sacks: His Own Life.’ (Courtesy)

Sacks had an earlier bout with melanoma in 2005. When it returned a decade later, the diagnosis was terminal.

Burns kept the camera on when Sacks announced the diagnosis to his inner circle.

“Here is a person coming to the end of his life, facing the inevitable, with the people around him who mean the most,” Burns said. “His boyfriend Billy, his longstanding writing partner Kate, his sister-in-law… He was intensely aware of who we were. And, you know, he wanted to talk about what matters in life.”

Here is a person coming to the end of his life, facing the inevitable, with the people around him who mean the most

Weeks before Sacks’s death, he penned an op-ed for The New York Times entitled “Sabbath,” in which he reflected upon his Jewish background, including family Shabbats, living on a kibbutz as a young man and returning to Israel with his partner decades later for the 100th birthday of a relative. He described an unexpectedly welcoming reception for both himself and Hayes, and mused on what might have happened had he stayed observant.

A still of Oliver Sacks from the Ric Burns documentary, ‘Oliver Sacks: His Own Life.’ (Courtesy)

“He lost his faith early on,” Burns said. “He was not going to be himself an Orthodox Jew. But the experience of it — Shabbat, the seder — and also the reverence for what was ultimately a world [where] mysteries could be possible, was never fully conquered and he carried within himself a profound sentiment, sort of a Judaism without the religious belief in a supreme being, but a deep sense of the holiness of existence.”

Calling Sacks’s Judaism “central and shaping,” he added that it was “intrinsically, of course, complex and a journey.”

“He was not a saint, but led a life in which he was always moving toward what he understood as the light,” Burns said. “[This] meant understanding and connection — how do I understand myself, how do I understand another human being, how do I make connection, how do I share that connection, how can I be honest?

18. August 2020

Ich staune immer, wieviele Autoren und noch mehr: wie viele zahlreiche Neuerscheinungen von wirklich lesenswerten Büchern in Israel immer weider erscheinen! Gerade höre ich in einer Buchbesprechung in der BZ von einem neuen Buch von David Grossmann, einem Buch, das ich noch nicht gelesen habe, das ich mir aber sofort (nach dieser Rezension)  bei Amazon bestelle und so rasch wie möglich auch lesen will:

Wie bedingungslose Liebe Leid bringt: David Grossman

Diese BZ-Rezension möchte ich hier publizieren: 

bzbasel.ch – 18. August 2020 05:00 Literatur

Wie bedingungslose Liebe Leid bringt: David Grossman erzählt von drei Generationen Frauen in Israel

In seinem neuen Buch «Was Nina wusste» erzählt David Grossman die reale Lebensgeschichte der kroatischen Kommunistin Eva PanicNahir zwischen Bohème, Armut und israelischem Kibbuz – und erfindet sie doch für sich neu.

von Valeria Heintges - CH Media

Sie haben alle reale Vorbilder: Vera, die Grossmutter, Nina, die Tochter, Gili, die Enkelin. Am Ende seines Buches «Was Nina wusste» dankt David Grossman Eva Panic-Nahir, der realen Vera. Mit ihr verband den preisgekrönten israelischen Schriftsteller eine jahrelange Freundschaft. Auch Evas Tochter Tiana Wages lernte der Autor kennen und bekam von beiden Frauen die Erlaubnis, ihre Lebensgeschichte in einem Roman zu verarbeiten. Doch legt Grossman grössten Wert darauf, dass er ihre Geschichte so erzählt, «wie sie niemals gewesen ist. Ich muss das, was existiert, selbst erfinden», sagte Grossman in einem Interview zu seinem neuen Buch.

In ihrem langen Leben liegt ein ganzes Jahrhundert

Panic-Nahirs langes Leben zwischen Reichtum und Armut, zwischen Bohème, Kommunismus, Gefangeneninsel und sozialistischem Leben im israelischen Kibbuz, zwischen Freiheit des Geistes und Gefangenschaft des Körpers ist so aussergewöhnlich, dass bereits mehrere Filme darüber gedreht und Biografien geschrieben wurden. Panic-Nahirs Handeln zeigt, wie Gewalt und Güte das Leben zeichnen, wie sehr aber auch bedingungslose, überwältigende Liebe Leid bringen kann.

Um zu vermeiden, dass ihr erster Mann Rade Panic als stalinistischer Spion und Verräter in Titos Jugoslawien denunziert wird, geht Eva Panic-Nahir ins Gefängnis und lässt dabei ihre sechsjährige Tochter zurück. Ihre Liebe zu ihrem Mann sei grösser als die zu ihrer Tochter, erklärte die reale Eva Panic-Nahir noch kurz vor ihrem Tod 2015. Tochter Tiana kämpft ein Leben lang mit sich, ihrer Mutter und der Vergangenheit, ehe sie diese Entscheidung akzeptieren und in Frieden mit ihrer Mutter leben kann.

Ein Roman wie ein Tanz, ein Tango vielleicht

In «Was Nina wusste» konzentriert sich Grossman ganz auf den innersten Kreis: Grossmutter Vera, Mutter Nina, Enkelin Gili. Und dazu erfindet er Raffael, den Sohn von Veras zweitem Ehemann. Raffael verliebt sich bereits im Alter von 16 Jahren unsterblich in die fast gleich alte Nina und wird ihr ein Leben lang zum sicheren Hafen, in den sie – nach langer Odyssee um die Welt – immer wieder zurückkehren kann. Gleichzeitig macht Grossman Enkelin Gili und Raffael zu Dokumentarfilmern. Aus der gemeinsamen Reise der vier in Evas Geburtsstadt Cakovec und auf die Gefangeneninsel Goli otok wollen sie einen Dokumentarfilm machen. Als Vorbereitung schaut Erzählerin Gili, deren Notizen als Skriptgirl letztlich den Roman ausmachen, alte Familienfilme an. Mit diesen kann sie auch ihren Notizen-Roman wie einen Film schneiden und vor und zurück durch Zeiten-, aber auch durch Gefühlsebenen springen.

Das Ergebnis ist ein Roman wie ein Tanz, ein Tango vielleicht. Mal unendlich langsam, mal rasend schnell bewegen sich die vier aufeinander zu und voneinander wieder weg. Formieren sich in wechselnden Formationen zu Dialogen, drehen aber auch in langen Monologen solo ihre Pirouetten. Sie haben viel zu bereden, sie haben viel zu lange geschwiegen. Nina kennt nur Schlaglichter aus der Vergangenheit ihrer Mutter, weiss fast nichts von der gemeinsamen Zeit ihrer Eltern. Sie erfährt erst jetzt, warum sie als Sechsjährige an einem Tag gleichzeitig Mutter und Vater verlor, bei der missgünstigen Schwester der Mutter aufwachsen musste und letztlich zum Strassenkind wurde.

Grossman zoomt auf die Gesichter der drei Frauen

Grossman erzählt das komplizierte Geschehen aus Vergangenheit und Gegenwart, aus grosser Welt- und kleiner Individualgeschichte, aus Gewalt und Liebe mit zuweilen minutiöser, auch filmischer Genauigkeit; immer wieder zoomt er sozusagen auf die Gesichter, zieht ihre Mimik und Gestik als Frontale in die Grösse. Dann wiederum fasst er zusammen und rafft das Geschehen von Jahren kurz zusammen, um später wieder seine Erzähler-Kamera schweifen zu lassen und das grosse Ganze einzufangen.

Das bildet die Spannung, die zwischen und jeweils in den vier Menschen steckt, perfekt ab und ergibt auch in der hervorragenden Übersetzung von Anne Birkenhauer eine Lesespannung, die den Leser schon bald atemlos weiterblättern lässt. «Was Nina wusste» ist nicht so komisch-brutal und so doppelbödig wie «Kommt ein Pferd in die Bar», nicht so berührend wie «Aus der Zeit fallen» und auch nicht mit Grossmans faszinierend-fulminantem Grosswerk «Eine Frau flieht vor einer Nachricht» zu vergleichen. Aber das zeigt nur einmal mehr, wie sehr es diesem Autor gelingt, sich und sein Schreiben mit jedem Buch neu zu erfinden.

David Grossman: Was Nina wusste. Roman. Übersetzt von Anna Birkenhauer. Hanser, 350 S.

25. Juni 2020

Deborah Feldmans Bücher über ihre Flucht aus der ultraorthodoxen Satmarer Sekte wurden berühmt und nun auch zu einer NetflixSerie verarbeitet. Ich habe ihre beiden Bücher mit Interesse gelesen, siehe unten. – Jetzt ist gerade ein Text von Pierre Heuman in der WELTWOCHE erschienen, den ich hier anfügen möchte:  

Die Weltwoche – 25. Juni 2020 Ausgaben-Nr. 26, Seite: 10 Anfang Kopf der Woche

Die erstaunliche Geschichte der Deborah Feldman  Von Pierre Heumann

Sie wagte die Flucht aus der Schwarzweiss-Welt der Ultraorthodoxen. Sex, Romantik, Israel und ihr säkulares Leben in Berlin: Die NetflixSerie über die Aussteigerin Deborah Feldman ist auch im arabischen Raum ein Hit.

Als sie 23 Jahre alt war, flüchtete sie aus der beklemmenden Enge ihrer ultraorthodoxen Welt in Brooklyn, New York. Ihre Familie wünschte ihr für den «Verrat» den Tod. Heute lebt die 33-jährige Deborah Feldman mit ihrem Sohn als säkulare Jüdin in Berlin und hat seit ihrem Teenager-Dasein in Brooklyn so viel erreicht, dass sie sagt: «Meine verbleibenden Wünsche sind jetzt relativ bescheiden, sehr bescheiden.»

Das klingt für eine Frau ihres Alters reichlich vermessen – wäre da nicht ihre erstaunliche und mutige Metamorphose von einer ultraorthodoxen New Yorkerin zur säkularen Berlinerin. In kurzer Zeit ist es ihr nicht nur gelungen, ihre Identität abzulegen, ohne sich dabei zu verleugnen. Sie publizierte auch zwei Welt-Bestseller, die jetzt Grundlage für eine erfolgreiche Netflix-Verfilmung geworden sind. Und sie hat sich in ihrer neuen Heimat Berlin im Nu so gut akklimatisiert, dass der jiddische Akzent ihrer Muttersprache nicht mehr zu hören ist.

Feldmans erstaunliche Befreiungsgeschichte aus der gesellschaftlichen, mentalen und religiösen Enge der Orthodoxie hat universelle Relevanz in einer Zeit, da Identitäten im Fluss sind, Menschen auf der Flucht und Frauen weltweit Wege aus der Unterdrückung suchen. Kein Wunder, ist die Netflix-Serie über die ultraorthodoxe Aussteigerin auch im arabischen Raum ein Hit.

Doch Feldman mahnt: «Man kann», so ihre Überzeugung, «die Identität nur bis zu einem bestimmten Ausmass ablegen. Am Ende des Tages ist man immer eine Mischung aus Gestern und Heute, trägt Vergangenheit und Gegenwart in sich.» Die Kunst bestehe darin, die Spannung zwischen den beiden Polen so zu kalibrieren, dass sie tragbar wird: «Nur so gelingt es, den Frieden mit sich selber zu finden.»

Werk des Teufels

Routiniert gibt sie Interviews im Dreissig-Minuten-Takt. Journalisten aus aller Welt rufen sie in diesen Tagen an, da ihr Buch in den nächsten Wochen in zwei Dutzend neuen Übersetzungen publiziert wird; nachdem es bereits in acht verschiedenen Sprachen, nicht nur auf Deutsch, erschienen ist, wird es demnächst auch auf Japanisch, Spanisch, Griechisch oder Rumänisch herausgegeben.

Ohne Scham spricht die Frau über Sex und Erotik, als ob sie nie in einer Gesellschaft gelebt hätte, in der das Individuum seine Träume nicht ausleben darf, spricht über ihre Sehnsucht nach Freiheit und, als wären ihr nie Rituale und Verhaltensweisen eingetrichtert worden, über den Stellenwert des Glaubens in ihrem neuen Leben. Sie sei nicht religiös, aber gläubig. «Die Religion ist für mich ähnlich wie die Politik», sagt sie: «Man kann sich entscheiden, wo man hingehört. Mit Glauben hat das aber wenig zu tun.»

Feldman wuchs in der Satmar-Gemeinde von Brooklyn auf, die zur Gruppe der Chassidim gehört, einem mystischen Zweig der Ultraorthodoxie, der aus rund einem Dutzend Sekten besteht, die ihren jeweiligen Rabbi verehren und auf ihn – nur auf ihn – hören. Die Welt ihrer Kindheit bestand aus Männern, die schwarze Hüte trugen, schwarze Kaftane und weisse Hemden, die die alten Schriften studierten, aus schwarzweissen Büchern beteten und überzeugt waren, dass grelle Farben wie Rot das Werk des Teufels seien.

Die Satmar-Gemeinde – sie ist nach ihrem Entstehungsort benannt, der damals im Königreich Ungarn liegenden Stadt Szatmárnémeti, die heute Satu Mare heisst und zu Rumänien gehört – wurde im Holocaust weitgehend vernichtet und nach dem Zweiten Weltkrieg in Brooklyn neu aufgebaut.

Israel: Ankunft des «falschen Messias»

Der Schatten der Apokalypse war Teil ihrer Jugend. Die Grosseltern, die sie erzogen, glaubten an das Ende der Welt und bereiteten ihre Enkelin darauf vor. Die Satmar-Gründer seien überzeugt gewesen, dass die Shoah eine Strafe Gottes für die Assimilation der Juden und für den Zionismus war, sagt Feldman. Wer sich assimiliere, setze sich über das Gebot der Religion hinweg, warnen die Satmar-Rabbis bis heute, die in New York rund 350 000 Anhänger haben. Den Zionismus und damit die Gründung des Staates Israel vergleichen sie mit der Ankunft des «falschen Messias», der wie auch Israel abzulehnen sei. Die Satmar-Gemeinde, eine der radikalsten überhaupt, habe jüdische Gebetsrituale und Traditionen neu interpretiert und radikal ausgelegt. «Wenn man Gott zeigt, dass man sich für ihn anstrengt, wird er sich auch für uns sehr anstrengen, seinen Zorn zu zügeln», resümiert Feldman die Überzeugung ihrer ehemaligen Sekte. Der Holocaust habe gezeigt, dass man ohne Engagement für Gott «keine Chance hat zu überleben – so wird das von Satmar ausgelegt».

Weil Juden, fasst Feldman die Motive der Ultraorthodoxen zusammen, ersetzen müssten, was sie während des Zweiten Weltkriegs verloren hätten, seien die Familien verpflichtet, möglichst viele Kinder zu haben. Frauen sollen deshalb früh heiraten. «Ich war siebzehnjährig, als mir mein Grossvater Eli vorstellte, meinen künftigen Ehemann, einen jungen Religionsschüler mit goldenen Schläfenlocken und den Ansätzen eines Bartes.»

Das erste Treffen dauerte dreissig Minuten. Nach dem zweiten war die Hochzeit beschlossene Sache. Eine «Eheberaterin» zeigte ihr «den heiligen Platz der Frau». Feldman, der es zuvor nicht erlaubt gewesen war, sich unten zu betrachten, hatte keine Ahnung gehabt, dass sie eine Vagina hatte. «Und dann machte ich plötzlich die schockierende Erfahrung, dass sie zum Gebären bestimmt war.» Chassidische Frauen haben wenig Freiheit beim Entscheid, wann und wie viele Kinder sie bekommen wollen. Sie haben bereit zu sein für die Fortpflanzung und die Erziehung. Die ersten Sexerlebnisse seien «traumatische Erlebnisse» gewesen, ebenso wie sowohl von ihrer Familie als auch von den Gemeindemitgliedern mit Kritik und Klatsch konfrontiert zu sein, als sie nach neun Monaten noch nicht schwanger war.

Gespräche über Sex seien im ultraorthodoxen Judentum aus mehreren Gründen ein Tabu, sagt Feldman. «Sex fördert Individualität und Intimität. Das kann die Gemeinde nicht tolerieren, weil das den Zusammenhalt des Kollektivs gefährde. Sex wird von den Radikalfrommen mit allem assoziiert, was bei ihnen verpönt ist: Zuneigung, Liebe und Intimität. Ich bin deshalb nicht mit Umarmungen und Küsschen aufgewachsen, das gab es nicht.»

Entgegen allen Klischees will Feldman die Satmar-Gemeinde nicht als «patriarchalisch» bezeichnen: «Männer sind zwar für das Narrativ zuständig, aber Frauen füllen das Narrativ mit Leben und realisieren es.» Ihre Beweisführung ist stringent: «Weshalb waren die Männer immer über ihre Bücher gebeugt, während die Menschen, die mich unterdrückten, Frauen waren? Weshalb waren die Menschen, die mich am tiefsten verletzten, meine Tante, meine Schwiegermutter, meine Lehrerinnen und die Sextherapeutin?»

Nach ihrer Hochzeit habe sich ihr Männerbild bestätigt: «Eli war vollkommen im Griff seiner Mutter und erzählte ihr alle Details unseres Ehelebens, auch die intimen. Er brauchte ziemlich viel Zeit, um sich von seiner Mutter zu lösen.»

Als ihr Sohn schliesslich auf der Welt war, reifte in Feldman der Entschluss des Befreiungsschlags. «Wäre ich in der Gemeinde geblieben, hätte er täglich von neun bis fünf in die Religionsschule gehen müssen und hätte später keine Chance gehabt, seinen Weg frei zu bestimmen.»

Ein schwerer Verkehrsunfall, in den sie verwickelt war, gab ihr den letzten Ruck, um zusammen mit ihrem Sohn ein neues Leben zu beginnen. «Ich war nach dem Aufprall überzeugt, dass ich sterben würde», sagt sie, und sie schwor sich, fortan keine Minute ihres Lebens zu verschwenden. Tags darauf verkaufte sie ihren Schmuck, mietete ein Auto – und begann ein neues Dasein.

Faszination Berlin

Sie trennte sich von ihrer Gemeinde, später auch von ihrem Ehemann. Von der Familie erhielt sie Hass-Mails. Diese legte ihr nahe, Selbstmord zu begehen. Ihre Familie hatte, so Feldman in einem Interview, bereits ein Grab reserviert.

Die neue Existenz begann sie in Manhattan: ohne Familie, ohne Freunde, einsam und verarmt. Wie man sich in der modernen Welt zurechtfindet und seinen Lebensunterhalt verdient, musste sie erst lernen. Aber sie wusste: «Es gibt kein Zurück.» Feldman studierte Literatur an einem College und nahm Fahrstunden. Ihre Gedanken über die für sie neue Welt vertraute sie einem Tagebuch an, das den Weg in einen Verlag fand – und die junge Frau weltweit zur erfolgreichen Schriftstellerin machte.

Ob sie denn Israel als Ausgangspunkt ihres neuen Lebens nie in Betracht gezogen habe, frage ich sie. «Nie würde ich nach Israel auswandern», gibt sie dezidiert zurück. Sie sei ein paarmal als Touristin in Tel Aviv gewesen. «Dort stiess ich auf eine Realität, in der die Religiösen sehr viel Macht haben. Man kann ihrem Einfluss kaum entkommen. Ich will aber nicht in einem Land leben, in dem mich die Vergangenheit, der ich entflohen bin, wieder einholt.» Seit sechs Jahren lebt sie in Berlin, spricht so gut Deutsch, als wäre das immer schon ihre Muttersprache gewesen. Berlin, schwärmt sie, sei für sie ideal, weil hier jeder irgendwie ohne Wurzeln sei: «Es gibt keine festgefahrenen Strukturen, die man durchbrechen muss, um dazuzugehören.» Und der Antisemitismus? «Klar gibt es den. Aber für jedes negative Erlebnis habe ich deren zehn mit einer solidarischen Erfahrung.»

Derzeit arbeitet sie an einem Roman über eine moderne Prophetin, die alte Strukturen in ihrer ultraorthodoxen Gemeinde aufbrechen und einem neuen Denken zum Durchbruch verhelfen will. Die Hauptfigur könnte ihre Doppelgängerin sein. «Die kämpferische Richterin Debora aus der Bibel», sagt sie einmal fast beiläufig im Verlauf des Gesprächs, «trägt ja denselben Namen wie ich.»

Deborah Feldman: Unorthodox. BTB. 400 S., Fr. 15.90

«Der heilige Platz der Frau»: Bestseller-Autorin Feldman.

4. Mai 2020

Das folgende Buch, das mir von unseren Freunden E. und P. empfohlen wurde, hat mir «gut» getan. Es ist ein Buch, das etwas anders ist, als durchschnittliche Bücher, geschrieben von einer Ärztin, die selber mit einer Krankheit zu kämpfen hatte und sich als Psychotherapeutin auf eine sehr sensible Art bei Ihren Patienten eingab.

«Aus Liebe zum Leben» - Geschichten, die der Seele gut tun.

Von Rachel Naomi Remen

Diese Geschichten von Rachel Naomi Remen sind Spiegelbilder ihrer ärztlichen und psychotherapeutischen Arbeit mit Menschen v.a. in sehr ausweglosen Situationen, teilweise am Ende ihres Lebens, die an einer unheilbaren Krankheit leidend.

Amazon beschreibt den Inhalt folgendermassen:

Durch ihre vitale, heilende Kraft offenbaren uns die Geschichten von "Aus Liebe zum Leben" Rachel Naomi Remen nicht nur als eine der großen Geschichtenerzählerinnen unserer Zeit, sondern vor allem als eine Heilerin des Herzens.

Was auch immer Rachel Naomi Remen am "Küchentisch des Lebens" ausbreitet, es gebietet uns, innezuhalten, nachzudenken und zu staunen. Es sind die alltäglichen, oftmals sogar unbemerkten Segnungen, um die sich Remens Erzählungen ranken - jene Wohltaten, die in einer Geste, einem Wort oder einer unvermuteten Tat ins Leben treten können.

Remen erinnert uns daran, daß hinter allen Geschichten eine Geschichte steht. Diese eine große Geschichte handelt von unserer wahren Identität, davon, wer wir sind, warum wir hier sind und was uns trägt.

So ist jede Geschichte ein überzeugendes Plädoyer für das Leben." (Amazon)

Die Autorin kommt immer wieder auf ihre Begegnungen mit ihrem Grossvater, einem Rabbiner, zurück, der in ihrer Frühkindheit eine grosse Rolle spielte und sie immer wieder liebevoll in Gesprächen auf die wirklich wichtigen Punkte in diesem Leben anleitete (er nannte sie «Neshume-le», mein Seelchen). Ich empfand diese «Geschichten», Lebensgeschichten, beim Lesen auf eine Art von Meditation.  Ich fühlte mich jeweils direkt involviert in die beschriebenen Situationen, hatte sogar den Eindruck, miteinbezogen zu sein. Die Autorin benutzt in ihren Ausführungen wiederholend die Tätigkeit des «segnen», eine Bezeichnung, die ich immer wieder für mich neu übersetzen musste. Es mag sein, dass das englische Original «to bless» im Amerikanischen eine etwas andere Aussage beinhaltet, als das «segnen» im Deutschen hat. Ich konnte mich aber im Laufe des Lesens mit diesem Ausdruck, der anfangs für mich etwas frömmlerisch wirkte, aussöhnen!

Rachel Naomi Remen teilt ihre «Lebensgeschichten» in sechs Kapiteln mit den folgenden Überschriften ein: Gesegnet werden/Zum Segen werden/Stärke finden, Zuflucht nehmen/Das Gewebe der Segnungen/Sich mit dem leben anfreunden/Die Wiederherstellung der Welt.

Ich kann dieses Buch jedermann, der sich für die Feinheiten und den Sensibilitäten des Lebens und den zwischenmenschlichen Beziehungen offen zeigt, wärmstens empfehlen. Remens Ausführungen tun … der Seele wirklich gut (wie der Nachsatz im Titel sagt)!

10. April 2020

Ich mache hier etwas, was ich bisher noch nicht getan habe: eine Buchbesprechung über ein Buch, das ich noch nicht gelesen habe. Diese Buchbesprechung lese ich in der WOZ, einer linken Zürcher Zeitung, die eigentlich nichts übrig hat für Israel, die ich als antizionistisch (=antisemitisch) bezeichne, und mit der ich generell grosse Mühe habe! Aber die Rezensorin, Ulrike Baureithel, schreibt über das neueste Buch von Nir Baram (Wunder aus der Asche der Kindheit) derart begeistert, engagiert und – so wirkt es auf mich – derart betroffen und differenziert, dass ich dieses Buch einfach auch lesen muss. Ich habe es soeben bei Amazon bestellt! Hier die Buchbesprechung von Ulrike Baureithel:

Nir Baram: «Erwachen». Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch. Hanser Verlag. München 2020.

Die Wochenzeitung – 09. April 2020 Ausgaben-Nr. 15, Seite: 18 Kultur / Wissen Nir Baram Wunder aus der Asche der Kindheit

Pubertätsrituale, Rassismus und Verrat: Nir Baram erzählt in «Erwachen» vom Israel der achtziger Jahre. In seinem persönlichsten Buch wirft der politische Autor einmal mehr einen scharfen Blick auf die innerisraelischen Verhältnisse. Ulrike Baureithel

Von Ulrike Baureithel

Das Trockental, ein Wadi, verläuft östlich von Jerusalem durch die Wüste bis nach Jericho. Davon getrennt wird das gelbe Haus, in dem der zwölfjährige Jonathan lebt, nur durch eine Strasse. Ende der achtziger Jahre ist es noch ein düsterer, geheimnisvoller Ort, begrenzt vom Wald, der Militärfabrik und den «Hohen Türmen», wo die Kinder wohnen, mit denen die Halbwüchsigen von Beit Hakerem verfeindet sind. In diesem Quartier haben sich Beamte, Dozenten, Politiker und andere, damals noch sozialistisch gestimmte Intellektuelle niedergelassen, deren Macht «nichts mit Geld zu tun» hat und die sorgsam darauf achten, dass keines der Kinder «aussergewöhnlich» ist.

Doch Jonathan und sein Freund Joël, die sich durch ihre älteren Brüder von der ersten Klasse an kennen, sind aussergewöhnlich, auch wenn sie nicht wirklich wissen, was sie zusammenhält. Aber was immer Jonathan «allein tut, es existiert nicht, bis Joël mitmacht». Eingesponnen in eine Welt der Abenteuerbücher, eines erfundenen «Königreichs», dessen Schicksal sie auf Zetteln choreografieren, und der Kämpfe mit den Altersgenossen von den «Hohen Türmen», haben sie sich im Wadi einen exterritorialen Ort geschaffen – ein geheimes Rückzugsgebiet.

Massvolle Freundlichkeit

Mit «Erwachen» legt der 1976 in Jerusalem geborene Schriftsteller Nir Baram sein persönlichstes Buch vor, auch wenn er betont, dass man seinen neuen Roman nicht allzu autobiografisch lesen solle. Doch immerhin verweist nicht nur dessen Schauplatz auf Biografisches, auch der Krebstod der Mutter, das schwierige Brüderverhältnis oder der Suizid des besten Freundes sind darin verarbeitet. Im Vergleich zum Roman «Gute Leute» (2012), in dem es um den Opportunismus zweier Intellektueller geht, die für die Nazis beziehungsweise für Stalins Geheimpolizei arbeiten, oder zu «Weltschatten» (2016), einer weltumspannend angelegten Geschichte über die Folgen der Globalisierung, kommt «Erwachen» viel intimer und psychologisch tiefschürfender daher.

Jonathans Stellung in der Familie ist kompliziert: Zu Schaul, dem älteren Bruder, fühlt er sich zwar hingezogen, doch der Ältere verfügt über unteilbare Erinnerungen an eine glücklichere Zeit, als er mit den Eltern noch alleine in New York gelebt hat. So ist Schaul auch ein Stachel im Fleisch von Jonathan, der sich von seiner Mutter abgelehnt fühlt und sich als Jugendlicher dem Vater entfremdet, nachdem die Mutter Mitte der neunziger Jahre unheilbar erkrankt. Unter ihrer «massvollen Freundlichkeit» verbirgt sie «unterdrückten Groll» gegenüber dem jüngeren Sohn, der sich an keine Regeln hält: «Papa ist enttäuscht, weil kein guter Wille bei dir anschlägt», wirft sie ihm vor. Neid und jugendliche Eifersucht, unterdrückte oder verkannte Gefühle, Kränkungen und vor allem Scham und Schuld: Das Karussell der Gefühle, die den Heranwachsenden umtreiben, ist so undurchdringlich wie die Dornen und der gelbe Nebel im Wadi, durch den Joël von den Kindern aus den «Hohen Türmen» geschleift wird, alleingelassen von seinem Freund.

Erzählt wird die Geschichte aus der Perspektive des erwachsenen, verheirateten Schriftstellers Jonathan, der sich weit weg von Jerusalem auf einer Literaturtagung in Mexiko befindet und seine Kindheit und Jugend im Rückblick und auf mehreren, ziemlich verschachtelten Zeitebenen entrollt. Zu Hause sitzen seine Frau Schani, eine Gespielin aus seiner Kindheit, und sein kleiner Sohn, doch er «konnte denen, die er liebte, nicht helfen». Erst nach und nach entfaltet sich das Drama einer symbiotischen Freundschaft und des Verrats: «Wie konntest du mich nur damals in dem gelben Nebel ins Gras beissen lassen?», fragt Joël, fast erwachsen, seinen Freund.

So wie sie sich selbst verändern, die Pubertätsrituale hinter sich lassen und sich allmählich entgleiten, verändert sich auch das Gesicht Beit Hakerems, selbst das furchterregende Wadi verliert Reiz und Schrecken. Durch die einstige Wildnis fahren inzwischen Autos über Betonpisten, unter denen auch die sozialistische Grundhaltung der BewohnerInnen verschwindet.

Die Luft abgedreht

Nir Baram, Sohn eines Ministers im Kabinett von Jitzhak Rabin und einer Mutter, die für Schimon Peres gearbeitet hat, ist ein viel zu politischer Autor, als dass er seinen Roman auf persönliche Konflikte beschränken würde. Wenn vielleicht auch nicht so thesenhaft wie in «Weltschatten» oder unmittelbar Stellung nehmend wie in «Land der Verzweiflung» (2016), wo er über seine Reisen in die besetzten Gebiete berichtet, ist auch in diesem neuen Roman sein scharfer Blick auf die innerisraelischen Verhältnisse gerichtet, meist eher beiläufig, aber kaum zu überlesen.

Das betrifft keineswegs nur die feinen Unterschiede, mittels derer sich die BewohnerInnen in Beit Hakerem voneinander abgrenzen, die älteren mit ihren Autos, Jonathan, indem er sich vom Bruder die Schuhe der angesagten Marke aus New York mitbringen lässt. Hofften die Jugendlichen anfangs noch auf eine Lockerung, die die politische Entspannungspolitik in der Rabin-Ära hätte mit sich bringen können, wird ihnen im Verlauf der Jahre bewusst, dass nicht nur die «Zeit ihrer Welt, hier am Ende der Strasse abgelaufen» ist, sie nehmen auch wahr, wie man «ihnen die Luft abgedreht hat», wie Joël sagt, «wie klein und abgeriegelt alles war und dass wir überhaupt nichts machen konnten».

Die «moralische Überlegenheit der sozialistischen Werte ihrer Eltern» wirkt so verblichen wie deren Kleidung von der israelischen Modekette Bagir: «weite geblümte Blusen in Winterfarben und bunte Kleider (…) keiner wollte die Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Gegenstand des Klatsches werden». In der noch halb spielerischen Hatz der Jugendlichen auf «die Araber» kündigt sich der Rassismus an, den Baram heute so beklagt. Er werde befördert durch die Art und Weise, «wie die israelische Regierung über die jüdische Erfahrung spricht und wie das Erziehungssystem sie vermittelt – grundsätzlich isoliert von allen universellen Erfahrungen», erklärte er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk 2016. Solange Israel ein jüdischer Staat sei und keiner, in dem alle, die Israelis sein wollten, friedlich leben könnten, gebe es keine Lösung.

Lügengeschichten

Dieses Thema blitzt im Roman nur hie und da auf, pointierter sind die Stellen, die das Verhältnis von Erinnerung und erinnerndem Schreiben betreffen. «Du bringst aus der Asche unserer Kindheit Wunder hervor», bewundert Joël den Freund, um gleichzeitig zu ätzen, dass sich Kindheitserinnerungen gut verkauften. «Wenn du eine Geschichte erfunden hast», hat Jonathan bei seinen Lügengeschichten aber schon früh gelernt, «musst du sie auch verteidigen und zu Ende führen.»

Oft ruft Nir Baram dabei suggestive Bilder zur Beschreibung des kindlichen Gefühlsapparats auf, und auch wenn er die Maskenmetapher, die als Zeichen der Fremdheitserfahrung immer wieder herhalten muss, etwas zu Tode reitet: Am Ende findet er ein versöhnliches Bild, das Frieden schliesst mit den Erinnerungen, deren Gefangener Jonathan bleibt.

Nir Baram: «Erwachen». Aus dem Hebräischen von Ulrike Harnisch. Hanser Verlag. München 2020. 346 Seiten. 39 Franken.

März/April 2020 - Die Corona-Virus-Pandemie-Zeit gibt viel Raum fürs Lesen!

Es ist in der Tat so, dass auch ich während der gegenwärtigen CORONA-VIRUS-PANDEMIE-Zeit mir sehr viel Zeit zum Lesen nehme. Der Berg der noch nicht gelesenen Bücher auf meinem Pult ist hoch. Und diesen (Pendenzen-) Berg möchte ich in dieser aussergewöhnlichen Zeit des „Eingesperrtseins“ tüchtig abbauen.

Ein besonders liebenswürdiges Buch, das ich bereits schon mehrmals in der Vergangenheit gelesen habe, und das mich immer wieder von neuem packt, ist die Geschichte zweiter alter Frauen in Alaska, die während einer schrecklichen Hungersnot von ihrem Stamm aus Überlebensgründen „zurückgelassen“ werden mussten und somit dem Tod ausgeliefert wurden.

Zwei alte Frauen.

Eine Legende von Verrat und Tapferkeit, von Velma Wallis (1993)

Am Anfang dieses Buches geht die Verfasserin auf den Inhalt dieser aussergewöhnlichen Geschichte ein:

„In einem strengen Winter hoch oben im Norden Alaskas wird ein Nomadenstamm der Athabasken von einer Hungersnot heimgesucht. Das Verlassen des Winterlagers und die Suche nach neuer Nahrung soll einen Ausweg bieten. Wie es das Stammesgesetz vorsieht, beschliesst der Häuptling, zwei alte Frauen als unnütze Esser zurückzulassen. Keiner wagt es, dagegen aufzubegehren. Nicht einmal die Tochter der einen, auch sie muss sich bestürzt dem Beschluss beugen.

Als die beiden Frauen allein und verlassen in der Wildnis auf sich gestellt sind, geschieht das Erstaunliche: Statt aufzugeben, finden sie den Willen und den Mut, sich der Herausforderung zu stellen. Der anfängliche Zorn weicht dem puren Willen zu überleben. Nach und nach erinnern sie sich der Fähigkeiten, die sie früher einmal besessen hatten, die sie aber im Laufe der Jahre vergassen, da die Jüngeren die Nahrungsbeschaffung übernahmen.

Diese Legende von Verrat und Mut wurde von Generation zu Generation (mündlich) überliefert, und auch Velma Wallis hat sie von ihrer Mutter erzählt bekommen.“

Diese „alte Frauen“ nahmen ihr Schicksal in die eigene Hand, rafften sich – allein gelassen – auf und kämpften gegen jede Unbill. Die Autorin Velma Wallis versteht es sehr gut, die Gefühle der riesigen Enttäuschung, dem Schrecken und der Angst vor dem Tod in Worte zu kleiden, zurückgelassen und dem sicheren Tod preisgegeben zu werden. Und was geschieht: diese beiden alten zähen Frauen schaffen es letzten Endes zu überleben. Aber nicht nur das: sie sind in der Lage sogar mit viel List und hartem Kampf gegen die harte Natur einen Vorrat an überlebensnötigen Lebensmitteln (getrocknete Fische, erlegte Hasen, Eichhörnchen und Bisamratten) anzulegen. Und nach mehr als einem Jahr begegnen sie wieder ihrem Stamm, der total ausgehungert und praktisch am Ende des Überlebens angelangt war. Jetzt wurden die Karten neu gemischt: die „alten Frauen“ konnten die Jüngeren ihrer Sippe mit diesen erbeuteten Lebensmitteln vor dem Tod retten.

Diese knorrigen alten Ladies sind mir während des Lesens so richtig ans Herz gewachsen. Ich habe mit ihnen während ihres Überlebenskampfes mitgefiebert, mitgelitten, mich aber auch bei der Überwindung aller Hindernisse riesig gefreut! Dieses Buch hat mir eine riesige Freude gemacht!

Noch etwas über die Autorin:

„Velma Wallis, 1960 als eines von dreizehn Kindern in Fort Yukon, Alaska, geboren wurde in den traditionellen Werten ihres athabaskischen Volkes erzogen. Nach dem Besuch der High-School zog sie in eine Trapperhütte und lebt dort sei zwölf Jahren allein mit ihrer Tochter wie ihre indianischen Vorfahren. Zwei alte Frauen ist ihr erstes Buch, das gleich nach seinem Erscheinen 1003 den „Western States Book Award“ erhielt. Eine Verfilmung soll noch folgen.“

Das Schicksal dieser zwei von ihrer Sippe abgeschriebenen „zwei alten Frauen“ hat mich zutiefst berührt. Wenn ich richtig verstanden habe, waren diese zwei alten Frauen damals in meinem heutigen Alter. Sind Menschen in diesem „reifen Alter“ wirklich „alt“, müssen sie wirklich abgeschrieben werden in Zeiten der Not und den Jüngeren Platz machen? Diese zwei alten Frauen haben eine klare Antwort gegeben, die auch für mich gilt. Alt ist man erst, wenn man sich selber „abschreibt“ und sich nicht mehr als nützliches Glied der Gesellschaft empfindet.

Dieses Buch muss gerade in der heutigen CORONA-VIRUS-PANDEMIE-Zeit gelesen werden!

Ein zweites Buch, das ich vor vielen Jahren einmal gelesen habe und den Inhalt in der Zwischenzeit fast gänzlich vergessen habe, nahm ich mir wieder vor und konnte damit in eine mir völlig fremde Welt des Untergrundes, der (jüdischen)  Partisanen und der Banden in Osteuropa zur Zeit des Zweiten Weltkrieges eintauchen:

Wann, wenn nicht jetzt? Von Primo Levi. (Roman)

In Osteuropa tobt der Zweite Weltkrieg. Und Primo Levi zeichnet verfolgte Menschen, die nach allen schrecklichen Erlebnissen und fürchterlichen Verfolgungen in den Untergrund tauchen.

Amazon beschreibt diese Geschichte wie folgt:

Auf der Suche nach einer neuen Heimat

»Daß wir Juden sind, versteht sich von selbst. Daß wir bewaffnet waren, können wir nicht leugnen ... Sagt, daß wir Partisanen sind.«

Irgendwo in den Wäldern von Weißrußland begegnen sich 1943 zwei versprengte Soldaten der Roten Armee. Beide haben ihre Einheit verloren, beide sind Juden, und so ziehen sie gemeinsam weiter. Eines Tages stoßen sie auf Blockhütten, in denen sich weitere Juden inmitten der verschneiten Sümpfe versteckt halten. Doch das Quartier wird von Deutschen entdeckt, und nur wenigen Männern und Frauen gelingt die Flucht.

Sie wandern weiter nach Westen, ein schlecht ausgerüsteter Haufen zwischen allen Fronten, eine jüdische Partisaneneinheit, die aussieht wie eine vagabundierende Banditenbande, von den Deutschen verfolgt, von Russen wie Polen beargwöhnt, geduldet, gemieden. »Wann, wenn nicht jetzt«, singen die Partisanen den Talmud zitierend, »sollen wir den Stein schleudern gegen Goliaths Stirn?«

Wer ist der Verfasser dieses aussergewöhnlichen Buches (in Wikipedia nachzulesen):

Primo Michele[1] Levi (* 31. Juli 1919 in Turin; † 11. April 1987 ebenda) war ein italienischer Schriftsteller und Chemiker. Er ist vor allem bekannt für sein Werk als Zeuge und Überlebender des Holocaust. In seinem autobiographischen Bericht Ist das ein Mensch? hat er seine Erfahrungen im KZ Auschwitz festgehalten. Er schrieb außerdem auch unter dem Pseudonym Damiano Malabaila.[2] Primo Levi selbst war nicht religiös, obwohl er großes Interesse an jüdischer Kultur und Tradition zeigte. Nach seinen grausamen Erfahrungen glaubte er nicht mehr an die Existenz eines Gottes.[1]

Frühe Jahre

Primo Levi wuchs in einer liberalen jüdischen Familie in Turin auf. Ab 1934 besuchte er das Liceo classico Massimo d’Azeglio, ein humanistisches Gymnasium, das zwar bekannt war für die antifaschistische Einstellung vieler seiner Lehrer, von denen die meisten jedoch bereits aus dem Schuldienst entfernt worden waren. 1937 schrieb sich Levi an der Universität Turin für das Fach Chemie ein. 1938 erließ die faschistische Regierung Italiens ein Rassengesetz, das es jüdischen Bürgern verbot, staatliche Schulen und Hochschulen zu besuchen. Dennoch schaffte es Levi 1941, sein Studium mit Auszeichnung zu beenden. Auf dem Abschlusszeugnis war jedoch der Vermerk „von jüdischer Rasse“ zu finden.

Zweiter Weltkrieg und Auschwitz

Im Herbst 1943, nach dem Waffenstillstand der Regierung Badoglio, der Befreiung des abgesetzten Mussolini durch die SS und der Errichtung eines faschistischen Reststaates in Norditalien, schloss sich Levi dem antifaschistischen Widerstand, der Resistenza, an. Mit einigen Kameraden versuchte er im Oktober, sich in den Bergen des Aosta-Tals einer Partisanengruppe der liberalen Bewegung „Giustizia e Libertà“ (Gerechtigkeit und Freiheit) anzuschließen. Dem italienischen Historiker Sergio Luzzatto zufolge war Levi während dieser Zeit an der Erschießung anderer Partisanen beteiligt, was Levi selbst in seiner Autobiografie als „hässliches Geheimnis“ erwähnt.[3] Aufgrund ihrer militärischen Unerfahrenheit wurden sie jedoch am 13. Dezember 1943 von faschistischen Milizen gefasst. Vor die Alternative gestellt, entweder als Partisan auf der Stelle erschossen oder als Jude deportiert zu werden, gab Levi seine jüdische Abstammung zu und wurde daraufhin in das speziell für Juden eingerichtete KZ Fossoli bei Modena verbracht. Am 22. Februar 1944 wurde Levi in einem Transport des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) nach Auschwitz deportiert. Von den 650 Frauen, Männern und Kindern dieses Zuges, die am 26. Februar 1944 in Auschwitz ankamen, wurden nach der Selektion 95 Männer und 29 Frauen als Häftlinge registriert und ins Lager eingewiesen. Die übrigen 526 Menschen wurden in den Gaskammern von Auschwitz-Birkenau ermordet.[4] Bei seiner Befreiung waren 630 Männer und Frauen, die mit ihm dorthin deportiert wurden, nicht mehr am Leben.[1]

Levi verbrachte als 24-jähriger Zwangsarbeiter für eine Fabrik der I. G. Farben, die synthetisches Gummi herstellte,[1] elf Monate in Auschwitz-Monowitz bis zur Befreiung durch die Rote Armee. Da er als Chemiker in den Buna-Werken eingesetzt war, konnte er den schlimmsten Arbeitsbedingungen im Winter 1944/45 entgehen. Dennoch erkrankte er wenige Tage vor der Befreiung des Lagers an Scharlach und wurde in den sogenannten „Krankenbau“ verlegt, wo es allerdings zu dieser Zeit kaum noch ärztliche Pflege gab, so dass seine Überlebenschancen sehr gering waren.

Durch Glück – Teil dieses Glücks scheint die tiefe Freundschaft zu seinem Freund Lorenzo gewesen zu sein, den er in Gefangenschaft kennenlernte und dem er zeitlebens dankbar blieb[1] – und Zufall überstand er jedoch die Krankheit und entging durch sie den Todesmärschen der vor der Roten Armee flüchtenden SS-Schergen. Am 27. Januar 1945 wurde Auschwitz befreit. Trotzdem konnte Levi erst am 19. Oktober nach Turin zurückkehren, nachdem er von seinen Befreiern auf eine wirre Reise in Zügen quer durch Mittel- und Osteuropa bis fast nach Minsk in Weißrussland geschickt worden war. Sofort nach seiner Rückkehr begann er, seine Erfahrungen in Auschwitz niederzuschreiben und ihnen literarisch Ausdruck zu verleihen. Der erste seiner beiden autobiographischen Berichte, Ist das ein Mensch?, erschien 1947, und 1963 folgte Die Atempause.

Über Lorenzo hielt Levi fest: „Lorenzo aber war ein Mensch. Seine Menschlichkeit war rein und unangetastet. Dank Lorenzo war es mir vergönnt, dass auch ich nicht vergaß, selbst noch Mensch zu sein... Ich glaube, dass ich es Lorenzo zu danken habe, wenn ich heute noch unter den Lebenden bin. Nicht so sehr wegen des materiellen Beistands, sondern weil er mich mit seiner Gegenwart, mit seiner stillen und einfachen Art, gut zu sein, dauernd daran erinnerte, dass noch eine gerechte Welt außerhalb der unseren existierte: Dinge und Menschen, die noch rein sind und intakt, nicht korrumpiert und nicht verroht, fern von Hass und Angst; etwas sehr schwer zu Definierendes, eine entfernte Möglichkeit des Guten, für die es sich immerhin lohnt, sein Leben zu bewahren.“[1][5]

Zurück in Italien, begann Primo Levi zunächst nur nebenbei als Schriftsteller tätig zu werden. Bis 1977 arbeitete er hauptberuflich wieder als Chemiker. Nach seinem Ausscheiden aus dem naturwissenschaftlichen Arbeitsleben widmete er sich ganz dem Schreiben. Noch während er lebte, erhielt er verschiedene Literaturpreise wie den Premio Strega und den Premio Campiello.[1] Am 11. April 1987 starb er durch einen Sturz in den Treppenschacht seines Wohnhauses. Auf Grund fehlender Beweise ist unklar, wie es zu diesem Sturz gekommen war. Einerseits wird vermutet, dass Levi den Freitod gewählt hat. Auf der anderen Seite legen Zeugenaussagen und Umstände nahe, dass es ein Unfall war, der durch Medikamente begünstigt wurde.[6]

Literarisches Schaffen

Sein autobiographischer Bericht Se questo è un uomo (1947, Ist das ein Mensch?), in dem er seine Erfahrungen in Auschwitz beschreibt und dem Zivilisationsbruch der gezielten Entmenschlichung der Opfer nachzuspüren versucht, wurde seit der Zweitausgabe 1958 weltweit bekannt.[7] In dem direkt anschließenden, ebenfalls autobiographischen Bericht La Tregua. (Die Atempause) schildert er die Odyssee seiner monatelangen Reise durch die Ukraine und Weißrussland bis zur Rückkehr nach Italien und seine Sicht auf ein vom Krieg zerstörtes Europa, das er auf dieser Reise durchquert hat.

Primo Levi bei der Lektüre (1960)

Autobiographisch ist auch die Sammlung von Kurzgeschichten Das periodische System, in dem er kunstvoll Episoden aus seinem Leben erzählt: Jedes der 21 Kapitel ist nach einem der chemischen Elemente benannt, dessen Eigenschaft er in Bezug zu einer Episode aus seinem Leben setzt. Das 1975 erschienene Buch wurde im Oktober 2006 vom Londoner Imperial College im Rahmen einer Publikumsabstimmung zum „besten populären Wissenschaftsbuch aller Zeiten“ gewählt.[8]

Eine Reihe von Erzählungen scheinen dagegen reine Fiktion zu sein, desgleichen die eher pikareske Geschichte eines weitgereisten Technikers in Der Ringschlüssel. Im umfangreichen Partisanenroman Wann, wenn nicht jetzt? werden historische Überlieferungen sehr frei adaptiert, aber auch diese Werke spiegeln mehr oder minder deutlich Erfahrungen und Episoden aus dem Leben des Autors.

In seinem letzten Buch, Die Untergegangenen und die Geretteten, das 1986 ein halbes Jahr vor seinem Tod erschienen ist, kehrt Primo Levi nach 40 Jahren noch einmal zu seiner prägenden Auschwitz-Erfahrung zurück und reflektiert in eindringlicher Weise über die Verdrängungen und Verzerrungen im Gedächtnis der Zeitzeugen, der Mörder wie auch der Inhaftierten, über die beklemmende „Grauzone“ zwischen Tätern und Opfern, über die „Scham“ derer, die das KZ durch Zufall und Glück überlebt haben, über den vielgestaltigen Terror im Lageralltag, über die besondere Situation der Intellektuellen in Auschwitz und insgesamt über die Notwendigkeit eines nicht erlahmenden Zeugnisablegens und Erinnerns an „das größte Verbrechen in der Geschichte der Menschheit“.

Dabei betont er ausdrücklich (und hierauf bezieht sich die Unterscheidung zwischen den „Untergegangenen“ und den „Geretteten“ im Titel): „Nicht wir, die Überlebenden, sind die wirklichen Zeugen. Das ist eine unbequeme Einsicht, die mir langsam bewußt geworden ist, während ich die Erinnerungen anderer las und meine eigenen nach einem Abstand von Jahren wiedergelesen habe. Wir Überlebenden sind nicht nur eine verschwindend kleine, sondern auch eine anomale Minderheit; wir sind die, die aufgrund von Pflichtverletzung, aufgrund ihrer Geschicklichkeit oder ihres Glücks den tiefsten Punkt des Abgrunds nicht berührt haben. Wer ihn berührt hat, konnte nicht mehr zurückkehren, um zu berichten, oder er ist stumm geworden.“ Das Buch gilt als Primo Levis Vermächtnis, in dem er die Themen seines Lebens noch einmal bündig zusammenfasst. Am Ende zitiert und kommentiert er eine Reihe von Briefen, die er in den 60er-Jahren von deutschen Lesern seines Auschwitz-Buches erhalten hat: mehrheitlich Dokumente des verdrängten oder gespaltenen Schuldbewusstseins von Zeitgenossen des Holocaust.

(Wikipedia)

Es ging mir beim Lesen dieses mehr als spannenden Buches wie immer: Ich begann in der Welt dieser untergetauchten Partisanen zu leben, so zu fühlen, wie diese Menschen es taten und von Primo Levi so grossartig geschildert werden. Ich entwickelte beim lesen nicht nur eine völlige Identifikation, sondern ich fühlte auch eine Art Stolz und Bewunderung für diese jüdischen Menschen, die trotz aller Widrigkeiten sich nicht niederkriegen liessen und alles versuchten, um dem grausamen Feind Paroli zu bieten. Diese verschiedenen Menschen mit all ihren menschlichen Eigenheiten verhielten sich auch innerhalb ihrer Gruppe ganz individuell. Primo Levi zeigt uns hier in diesem Buch eine breite Fazette des Menschseins in aussergewöhnlichen Situationen.

Dieses Buch muss gelesen werden!

Anfang März 2020

Es gibt zwei Bücher, die ich soeben gelesen habe, die mich bewegt haben und die ich weiterempfehlen möchte:

Unsere Freunde Edith und Peter haben uns kürzlich besucht und als Geschenk mit Blumen ein ganz spezielles Buch geschenkt:

Ein Bild von Lydia

Von Lukas Hartmann

Dieses Buch wird (von einer Freundin, München) als „eine wahre Geschichte, erzählt aus der Sicht eines Dienstmädchens…“.

Beim Lesen dieses Buches über das tragische Leben von Lydia Welti-Escher fühlte ich mich in die Welt der schweizerischen Hocharistokratie des vorletzten Jahrhunderts versetzt, einer Welt, die mir eigentlich bis jetzt fremd war! Lydia Escher, die hier im Mittelpunkt steht, galt zu ihrer Zeit als „reichste Schweizerin“. Vermutlich gehörte sie auch in die Kategorie der „ganz traurigen Schweizerinnen“. Das Buch beginnt mit der Beerdigung von Lydia im Genfer Friedhof von Plainpalais. Lydia hat ihrem Leben selber ein Ende gesetzt!

 

Lydia, ich habe es erwähnt, wird aus der Sicht ihres Dienstmädchens Luise wahrgenommen und geschildert. Dieses von Lukas Hartmann erzählte „Bild von Lydia“ zeigt eine kluge, kunstbegeisterte, sensible, offenbar auch hübsche junge Frau. Sie ist die begüterte Tochter des „Eisenbahnkönigs“ Alfred Escher. Aber auch hier machte das viele (geerbte) Geld ihres Vaters sie nicht glücklich. Ihre arrangierte Ehe mit dem Bundesratssohn Welti ersetzte nicht ihre leidenschaftliche Liebe zu einem Künstler, mit dem sie durchbrannte. In jener patriarchalischen Zeit war so etwas nicht tragbar, es war ein Fanal. Diese Affäre wurde im damaligen Zürich zum Stadtgespräch. Der gehornte Ehemann, Bundesratssohn Welti, reagierte auch entsprechend wütend darauf: Der Geliebte, der Künstler Stauffer,  wurde zuerst in ein Irrenhaus gesteckt. Auch seine durchgebrannte Ehefrau, Lydia, wurde zur Scheidung gezwungen. Ihr Vermögen wurde grösstenteils dem Ehemann zugesprochen. Lydia lebte dann zurückgezogen in einer Villa in Genf, umsorgt von ihrem Dienstmädchen Luise. 

Um was geht es genau in diesem von Lukas Hartmann in Worte gekleideten Leben Lydia Escher? 

Buchbesprechung Uni Zürich, Schweizer Buchjahr: 

Ein Roman, der nur hält, was er verspricht

16. April 2018 / Olivia Meier

Die Escher-Festspiele im kommenden Jahr nähern sich: Lukas Hartmann widmet seinen jüngsten Roman der anderen Tochter Alfred Eschers.

Zürich im Sommer 1887. In der flirrenden Sommerhitze lässt sich die Frau porträtieren, die Lukas Hartmanns neuem Roman seinen Namen gibt: Lydia Welti-Escher, Tochter des berühmten Alfred Escher und Ehefrau von Bundesratssohn Emil Welti. Der Maler ist Karl Stauffer, ein alter Schulfreund Weltis, ein Künstler und Frauenheld. Ein Bild von Lydia beschreibt die letzten Jahre einer der reichsten Frauen der Schweiz im 19. Jahrhundert. Erzählt wird dies aus der Sicht des Dienstmädchens Luise, die sich im Verlauf des Romans zur Gesellschafterin und Vertrauten Lydias entwickelt. Über die Empfehlung einer Tante kommt Luise als Kammerjungfer zu Lydia und wird fortan Teil der Hausgesellschaft im Zürcher Anwesen Belvoir. Wie auch der Künstler Karl Stauffer malt uns Luise ein Bild von Lydia, während sie selbst erwachsen wird. Sie verfolgt, wie sich zwischen Lydia und Stauffer mehr als nur Freundschaft entwickelt, und hält loyal zu ihrer Dienstherrin, wohin es diese auch zieht.

Zum Autor

Lukas Hartmann, geboren 1944 in Bern, studierte Germanistik und Psychologie. Er war Lehrer, Journalist und Medienberater. Heute lebt er als freier Schriftsteller in Spiegel bei Bern.

Escher ist nicht der erste «grosse Mann», der Hartmann Stoff für ein Buch geliefert hat. In «Pestalozzis Berg» schreibt er vom Leben des berühmten Schweizer Pädagogen Johann Pestalozzi. «Bis ans Ende der Meere» beruht auf dem Leben des britischen Seefahrers James Cook. Das literarische Aufarbeiten grosser Geschichtsmomente ist Hartmanns Spezialgebiet. Die Pest im 14. Jahrhundert in «Die Seuche», für das die Stadt Bern Hartmann 1993 den Buchpreis verlieh, die Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs im Roman «Der Konvoi» oder der Kalte Krieg im Roman «Auf beiden Seiten»; kaum ein Bulletpoint der Weltgeschichte, den Hartmann nicht verarbeitet.

Dass sich leicht Parallelen ziehen lassen zu früheren Werken, verwundert nicht. Es war Felix Stephan, der Hartmann in der Zeit einst vorwarf, seit Jahren denselben Roman zu schreiben. But why change a winning team? Hartmann hat mit seinen Büchern anhaltenden Erfolg, steht regelmässig auf der Schweizer Bestsellerliste und wird sogar, meist etwas spöttisch, als Schweizer Nationalschriftsteller gehandelt. Undenkbar also, dass sich ein anderer als Hartmann des Skandals um Lydia Escher annimmt – und dies pünktlich zum 200-Jahr-Jubiläum des «Eisenbahnkönigs» im nächsten Jahr.

Im Roman geht es aber weder um Escher, noch kommt seine Tochter direkt zu Wort. Hartmann verleiht seine Stimme der einfachen Luise. Einerseits gelingt es Hartmann so, Lydia zur Geheimnisvollen zu stilisieren, deren Beweggründe uns Aussenstehenden oft verborgen bleiben. Das erzeugt Spannung und entspricht ganz dem Titel: Es ist eben nur ein Bild von Lydia, das Luise uns präsentiert. Andererseits wird Lydia so auf einen goldenen Sockel gestellt und bleibt dem Leser fern. In ihrer Loyalität lässt Luise keine Kritik zu, diese wird nur von unbedeutenden Nebenfiguren geäussert, denen sofort über den Mund gefahren wird. Das Schicksal Lydias ist zwar tragisch, vermag aber auf diese Weise nicht aufzuwühlen. Ebenso unscharf bleibt Lydias Geliebter Stauffer. Seine Entwicklung vom selbstbewussten Lebemann zum depressiven Verlassenen erfolgt zu rasch, scheint widersprüchlich. Seine wahren Gefühle und Motive bleiben ungewiss.

Die Art und Weise, in der die Lebensgeschichten beider Frauen verwoben werden und sich gegenseitig beeinflussen, überzeugt dennoch. Auf der einen Seite Luise, die sich zu Beginn von ihrer neuen Dienstherrin beeindruckt zeigt und so das Bild einer typischen Grande Dame des 19. Jahrhunderts entwirft. Auf der anderen Seite Lydia, die, von ihrem Mann verlassen, von der Zürcher Gesellschaft ausgegrenzt, in ihrem Schicksal immer abhängiger wird von ihrer Kammerzofe und diese zu einer starken jungen Frau heranwachsen lässt.

Mit dem Schluss des Romans tut sich Hartmann sichtlich schwer. Lydias Schicksal ist historisch Interessierten bekannt und für Uninteressierte nimmt Hartmann es vorweg. Und für die, die es dann noch nicht begriffen haben, erwähnt Luise noch Lydias Vorliebe für Gottfried Kellers «Romeo und Julia auf dem Dorfe». Das Ende lässt dann aber zu lange auf sich warten. So lange, dass die aufgebaute Spannung und das kurzweilige Lesevergnügen, das bisher geboten wurde, etwas verlorengehen. Da hat Hartmann den richtigen Moment zum Aufhören verpasst.

Fazit: Hartmann tut das, was er kann – er schreibt einen gut recherchierten unterhaltenden Roman, der in anschaulicher Sprache flüssig zu lesen ist und Einblick gewährt in eine vergangene Zeit. Mehr aber auch nicht. Zu einseitig wird das Schicksal der unnahbaren Lydia Escher geschildert, zu wenig pointiert ist das voraussehbare Ende gestaltet.

Mich hat diese Geschichte von „Lydia“ persönlich sehr bewegt, Die Sicht, die Wahrnehmung ihres Dienstmmädchens Luise, die hier wiedergegeben wird, hat mich eingeholt. Beim Lesen hatte ich den Eindruck, dass ich Lydia persönlich begegnete und direkt mit ihrem traurigen Schicksal konfrontiert wurde.

Ich kann dieses Buch zum Lesen empfehlen.

 

Ein anderes Buch, das ich soeben fertiggelesen habe, ist ein Wälzer von mehr als 700 Seiten und entführte mich in die Zeit vor und während des Ersten Weltkrieges. Es ist das erste Buch einer Trilogie von Ken Follet mit dem Titel

FALL OF GIANTS.

Der Autor bringt in diesen 750 Seiten langen Wälzer fünf Familien zusammen und führt den Leser durch die erschütternde und dramatische Zeit des Ersten Weltkrieges, der Russischen Revolution und des Kampfes für die Stimmberechtigung der Frauen in England.

Dieses Buch darf man ganz ruhig als „Geschichtsbuch“ bezeichnen. Allerdings versetzt uns der Autor Ken Follet in die Zeit der grossen politischen Ereignisse und verwebt die echten politischen Figuren mit fiktiven Personen wild auf einem Schachbrett der menschlichen Emotionen. Wir erfahren beim Lesen  alle Ebenen des ganz persönlichen sinnlichen Erlebens der Zeitgenossen:

Da ist einmal die Familie Williams in Wales, in ärmsten Verhältnissen lebend, im Bergwerk schuftend. Die Willams Familie wird verbunden in eine Romanze, aber auch Feindschaft,  mit den aristokratischen Fitzherberts, den Besitzern der Kohlenminen. Aber nicht nur das. Lady Maud Fitzherbert verliebt sich in den Deutschen Walter von Ulrich, einem Spion an der Deutschen Botschaft. Ihr Schicksal ist auch noch verwickelt in die Persönlichkeit Gus Dewar, einem ehrgeizigen jungen Mitarbeiter des US Präsidenten.

Dazu kommt noch die aufwühlende Geschichte von zwei elternlosen Brüdern in Russland: Grigori und Lev Peshkov. Der jüngere der beiden,, ein Frauenheld, kann noch kurz vor Beginn der russischen Revolution  auf einem Schiff nach Amerika entschwinden und sich dort eine Existenz aufbauen. Der andere, der ältere bleibt in Russland und bringt sich aktiv in die revolutionären Aufstände ein. Er heiratet die  verlassene, schwangere Partnerin seines jüngeren Bruders.

So, wie die politischen Ereignisse in dieser Zeit abliefen, so gestalten sich die menschlichen Schicksale. Ken Follet geht in zahlreiche Details auf das menschlich-allzu-menschliche Verhaltens seiner Protagonisten ein. Auch ihre sexuellen Eskapaden schildert er in vielen Farben.

Die Schilderungen in diesem Buch beleuchten das Menschsein der Protagonisten manchmal ganz schrill, kunterbunt. Der Leser wird in all die individuellen Situationen hineingerissen. Die Spannung zieht sich durch alle 750 Seiten und entlädt sich eigentlich nicht einmal am Ende. Eine Fortsetzung kommt dann im zweiten Buch dieser Triologie. Diesen zweiten Band habe ich soeben in Angriff genommen. Alle Personen vom ersten Band werden hier wieder aufgenommen und in einer neuen Zeit - nicht weniger dramatisch - weiter geschildert, nun in einer Periode der Zwischenkriegsperiode und – das ist der Mittelpunkt – während der schrecklichen Zeit des unmenschlichen Zweiten Weltkrieges.

Ich habe dieses Buch in englischer Originalsprache gelesen. Es wurde mir von M. empfohlen, und ich habe es nicht bereut, zu lesen. Ich kann es wärmstens weiterempfehlen.  

8. Januar 2020

Kürzlich verstarb in Tel Aviv Carlo Strenger, Professor, Publizist und Psychoanalytiker. Seit Jahren publizierte er in der NZZ Kolumnen, die sehr beachtet wurden.

Ich habe soeben eines seiner Bücher gelesen:

Diese verdammten liberalen Eliten – Wer sie sind und warum wir sie brauchen

Hier geht es um Strengers Vorstellung der «liberalen Kosmopoliten», zu denen er sich selber auch zählt. Ich muss gestehen, dass ich diese Bezeichnung «liberale Kosmompoliten» bis anhin eigentlich nicht kannte. Im hinteren Klappentext des Buches lese ich:

Wenn wir liberalen Kosmopoliten nicht den Mut und das Stehvermögen aufbringen, unseren Beitrag zur Verteidigung unserer freiheitlichen Werte zu leisten und auf eine erneute Wende der Geschichte hinzuarbeiten, werden wir auf lange Zeit überhaupt nicht mehr daran arbeiten können, die Welt zu einem besseren Ort zu machen.

Gustav Seibt schreibt über «Abenteuer Freiheit»:

«Es hilf nicht, die Schuld immer bei den anderen zu suchen. Das ist die kühle pädagogische Auskunft Carlo Strengers. Sie verdiente durchaus ausführlichere Behandlung."

Amazon schreibt über dieses Buch das Folgende, das aus meiner Sicht recht gut den Inhalt widergibt:

„In der Debatte über den Aufstieg nationalistischer und illiberaler Parteien ist ein altes Gespenst wieder aufgetaucht – das Gespenst der liberalen Kosmopoliten: gut ausgebildete, international vernetzte Wissenschaftlerinnen, Journalisten oder Politikerinnen, die sich gegenseitig ihrer moralischen Überlegenheit versichern. Die Kluft zwischen Kosmopolitinnen und heimatverbundenen Kommunitaristen gilt als einer der zentralen Konflikte unserer Zeit.

Eine zutreffende Diagnose? Oder ist die Vorstellung von entwurzelten liberalen Eliten bloß ein Zerrbild? Der Psychoanalytiker und Publizist Carlo Strenger kennt diese Gruppe nur allzu gut: weil er selbst zu ihr gehört – und aus dem Alltag seiner therapeutischen Praxis. Anhand einschlägiger soziologischer Literatur verallgemeinert er seine Befunde. Ja, so die selbstkritische Einsicht, die liberalen Eliten sind oft zu arrogant. Und dennoch brauchen wir ihre Expertise. Strenger schließt mit einem doppelten Plädoyer: für mehr Bodenständigkeit unter den liberalen Kosmopolitinnen und eine liberal-kosmopolitische Grundausbildung für alle.“

 

Carlo Strenger votiert für eine liberale, freiheitliche, kosmopolitische Welt. Seine Voten sind nicht immer leicht verständlich aber letzten Endes klar in der Aussage. Ich habe dieses Buch einerseits eher mit Mühe aufgenommen, andererseits aber durch mehrmaliges Lesen der einzelnen Kapitel mehr und mehr verstanden, was er meint - so glaube ich mindestens! Und diese Sicht der Dinge kann ich auch akzezptieren.

Ich kann das Lesen dieses Buches (erschienen 2019) wärmstens empfehlen. Vor allem aber scheint es mir wichtig zu sein, sich mit Strengers Weltsicht auseinanderzusetzen.   

5. Januar 2020

Filme: Marriage Story – Joker – Als Hitler das Rosa Kaninchen stahl

Ich liebe seit meiner Jugendtage, Kinofilme anzusehen und mich während der Vorführung richtig kindlich in das Filmgeschehen hinein zu versetzen. Das Filmerlebnis wirkt auf mich (gerade auch im heutigen Zeitalter des Fernsehens) ganz besonders stark, emotionell. Ich geniesse die Stimmung, das Rascheln des nachbarlichen Popcorns, die Reklamen. Die grosse Leinwand und die hervorragende Akustik usw. entführen mich jeweils bei den Filmgenüssen in eine ganz andere Welt.

Und in so eine Welt wurde ich kürzlich in Genf verführt. Zusammen mit dem lieben Marcio erlebte ich in einem Genfer Kino den Film

„Marriage Story“.

Rein zufällig gerieten wir in diesen Film, wir wollten uns einen anderen ansehen, der ausgebucht war. Und das war ein Glück. Dieser  Zufall war gut, den Film genossen wir zu zweit, und anschliessend in einem Altstadtrestaurant konnten wir darüber heiss diskutieren.

Um was geht es bei diesem Film, der sich um eine sozusagen Alltags-Scheidungs-Situation dreht:

Ich übernehme den Text aus Wikipedia, der klar und deutlich umschreibt, was sich hier in dieser Sache abspielt.

Marriage Story ist eine Tragikomödie von Noah Baumbach, die am 29. August 2019 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig ihre Weltpremiere feierte und im gleichen Monat beim Toronto International Film Festival gezeigt wurde. Am 6. Dezember 2019 wurde der Film in das Programm von Netflix aufgenommen.

Die Handlung: Der Film beginnt in einer Eheberatung. Charlie ist ein erfolgreicher Off-Broadway-Theaterregisseur mit einer eigenen Theaterkompanie, seine Frau Nicole spielt in seiner aktuellen Inszenierung von 'Elektra die Hauptrolle. Sie haben einen gemeinsamen Sohn, den 8-jährigen Henry. Obwohl das gemeinsame Theaterstück an den Broadway wechseln soll, zieht es Nicole mit Henry zurück in ihre Heimatstadt Los Angeles, Sie will dort an einem TV-Piloten arbeiten. Charlie hofft, dass die Trennung nur temporär ist, aber Nicole möchte endlich einen eigenen Karriereweg verfolgen, wieder in der Nähe ihrer Mutter Sandra und ihrer Schwester Cassie wohnen und sich von Charlie scheiden lassen. Auf die Mediation kann sich Nicole nicht einlassen: sie weigert sich, die auf Wunsch des Mediators erstellte Liste der Dinge, die sie an ihrem Mann schätzt, laut vorzulesen.

Obwohl sie und Charlie vereinbart hatten, kooperativ und ohne Anwälte vorzugehen, konsultiert Nicole nach ihrer Ankunft in L.A. die hochkarätige Scheidungsanwältin Nora Fanshaw. Sie erzählt ihr, wie sie sich in Ihrer Ehe immer "kleiner" vorgekommen sei, weil sie ihre Bedürfnisse verdrängt und sich Charlie untergeordnet habe. Dies sei ihr beim Schauen einer George Harrison-Dokumentation aufgegangen – sie habe sich wie Georges Frau gefühlt, deren Namen kaum jemand kenne. Zwar habe Charlie auch viel Familienarbeit geleistet, sei aber letztlich ein Egomane und taub für ihre Bedürfnisse gewesen, vor allem für ihren Wunsch, den Wohnort New York zumindest für eine zeitlang gegen Los Angeles einzutauschen. Zudem habe sie den Verdacht, dass Charlie sie mit der Inspizientin des Theaters betrogen habe.

Als sich Charlie von der Arbeit an einer neuen Inszenierung freimacht und zu Halloween nach L.A. fliegt, überreicht ihm Nora mit Hilfe ihrer Schwester die Scheidungspapiere. Das Erstgespräch mit dem Erfolgsanwalt Jay Marotta, der ihm eine schmutzige und vor allem ungeheuer teure Schlacht voraussagt, ist desillusionierend. Auch im Verhältnis zu Henry tritt eine Entfremdung ein, der gemeinsame Halloween-Ausflug ist enttäuschend. Henry sagt zudem deutlich, dass er nicht nach New York zurückkehren will.

Charlie verdrängt die Scheidung und stürzt sich in New York in die Arbeit mit seiner Kompanie, die durch den Gewinn der MacArthur-Fellowship enormen Auftrieb bekommt. Von Nora ermahnt, dass er sich einen Anwalt suchen müsse, entscheidet er sich für den großväterlichen, aber etwas laschen Familienanwalt Bert Spitz, der ihm verspricht, das Verfahren möglichst human zu halten. Weil er sich davon bessere Chancen auf das Sorgerecht verspricht, sucht sich Charlie eine Wohnung in L.A., will aber den Plan von einer gemeinsamen Zukunft in New York nicht aufgeben. Bei einer abendlichen Übergabe von Henry scheint es eine zaghafte Wiederannäherung zu geben: Nicole schneidet Charlie wie gewohnt die Haare, zu dritt mühen sich Kind und Eltern ab, das defekte Gartentor zu schließen.

Obwohl Bert zu einem außergerichtlichen Vergleich und einem weitgehenden Sorgerechtsverzicht rät und auch schon fast alles ausgehandelt ist, entschließt sich Charlie, die erste Tranche seines MacArthur-Preisgelds in den Staranwalt Marotta zu investieren und mit ihm vor das Familiengericht zu ziehen. Dort versuchen die beiden Anwaltsteams, die Gegenseite mit Hilfe intimster Details in den Dreck zu ziehen. Unterdessen lassen Henrys Schulleistungen nach, er liest schlecht. Nicole besucht Charlie in seiner neuen Wohnung um gütlich nach Lösungen zu suchen, aber der Gesprächsversuch endet in Geschrei und Wut. Charlie schlägt ein Loch in die Zimmerwand, wünscht Nicole den Tod und bricht wimmernd vor ihr zusammen, woraufhin sie ihn tröstet. Flüsternd entschuldigen sie sich bei einander.

Nora brieft Nicole genau für den Inspektionsbesuch der Sorgerechtsgutachterin und stachelt sie zum Kampf an, indem sie Charlie als typischen Vertreter des Patriarchats zeichnet. Währenddessen hübscht Charlie die neue Wohnung für den Besuch der Gutachterin auf. Sein Versuch, sich als perfekter Vater zu präsentieren, geht aber auf groteske Weise schief. Am Arm blutend und halb ohnmächtig, liegt er danach auf dem Küchenboden.

Einige Zeit später ist die Scheidung ausgehandelt. Charlie hat die Forderung nach einem New Yorker Wohnsitz für die Familie fallengelassen. Nora hat aus Ehrgeiz seine Besuchszeit noch einmal etwas einschränken lassen, obwohl Nicole das gar nicht wollte. Auf einer Familienparty performt Nicole (zusammen mit Ihrer Mutter und ihrer Schwester) den Song "You Could Drive a Person Crazy". Danach sieht man Charlie, wie er vor seinen Kollegen in einer New Yorker Bar den Song "Being Alive" singt (beide Lieder stammen aus dem selben Musical: "Company" von Stephen Sondheim, das – scheiternde – Partnerschaft zum Thema hat).

Beim nächsten Halloween trifft Charlie in L.A. auf eine rundum zufriedene Nicole: Sie konnte bei Ihrer TV-Serie selbst Regie führen und ist für einen Emmy nominiert, zudem hat sie einen Freund. Charlie kündigt an, dass er für ein Jahr an der UCLA lehren und am CalArts inszenieren wird, also dauerhaft in der Stadt sein wird. Während sich alle für die Feier umziehen, beobachtet er Henry, wie er laut und relativ flüssig die handschriftliche Liste, die Nicole in der gescheiterten Ehetherapie über Charlie geschrieben hat, vorliest. Henry bittet Charlie, laut weiterzulesen, was dieser unter Tränen tut, im Hintergrund beobachtet von Nicole. Auf der Halloweenparty geht die Familie in Beatles-Kostümen (Nicole als John Lennon, Henry als George Harrison), Charlie hat ein Laken übergeworfen und stellt einen Geist dar. Am Abend erlaubt es Nicole, dass Charlie Henry mitnimmt, obwohl er als Betreuer gar nicht an der Reihe ist.

Scheidungen kommen heutzutage sehr öfters vor, schweizweit scheinen mehr als ein Drittel der Ehen früher oder später auseinander zu brechen. Leider ist es auch so, dass sich  viele der Scheidungen auf ganz schlimme Art abspielen, dass sehr öfters vor allem die darin involvierten Kinder viel zu leiden haben. Mir scheint, dass in dieser Scheidungs-Filmkomödie so ziemlich alle möglichen Scheidungsvarianten präsentiert werden. Was mich persönlich beim Erleben dieser Szenen betroffen gemacht hat, ist die Emotionalität, die die Schauspieler Scarlett Johansson und Adam Driver auslebten. – Diesen Film erlebte ich mit vollen, eigenen Emotionen und ich kann ihn wärmstens weiterempfehlen.

Der zweite Film, den ich zu Gemüte führte, lag Welten entfernt von Marriage Story. Auf diesen Film verwies mich ebenfalls "der liebe Marcio", allerdings auf eine eher zynische Art (der wird bei dir ein "Trauma" auslösen):

The Joker.

Diesen Film erlebte ich auf quälende Art, ich empfand die Handlung als abscheulich, abstossend, brutal. Und genauso scheint es gewollt zu sein. Um was geht es bei diesem Film (ich lasse Wikipedia ihn beschreiben):

Joker ist eine US-amerikanische Comicverfilmung von Todd Phillips aus dem Jahr 2019, basierend auf Figuren aus dem DC-Universum. Der Film erzählt die Ursprungsgeschichte von Arthur Fleck, dargestellt von Joaquin Phoenix, der unter dem Namen Joker später der notorische Gegenspieler von Batman wird.

Der Film feierte am 31. August 2019 im Rahmen der Filmfestspiele von Venedig seine Weltpremiere, wo er mit dem Goldenen Löwen, dem Hauptpreis des Festivals, ausgezeichnet wurde. Joker wurde im September 2019 beim Toronto International Film Festival gezeigt und kam am 4. Oktober 2019 in die US-Kinos. Der deutsche Kinostart war am 10. Oktober 2019.

Handlung: Im Jahr 1981 in Gotham City: Der sensible Außenseiter Arthur Fleck lebt zusammen mit seiner Mutter Penny in einem schäbigen Apartment. Arthur, der seit seiner Kindheit selbst in unpassendsten Situationen aufgrund einer Krankheit anfängt, laut zu lachen, arbeitet als Partyclown, träumt aber von einer Karriere als Stand-up-Comedian. Sein großes Vorbild ist der Talkmaster Murray Franklin, der eine Late-Night-Show moderiert, in der Fleck gerne auftreten würde. In ihm sieht er eine Art Vaterfigur. Schon zu Beginn des Films wird angedeutet, dass Arthur schon des Öfteren Opfer von Spott und gewaltsamen Übergriffen gegen ihn wurde, weswegen sein Arbeitskollege Randall ihm, dem Waffenbesitz eigentlich verboten ist, unvermittelt einen Revolver und Patronen zusteckt, um sich zukünftig verteidigen zu können. Arthurs Mutter Penny schreibt immer wieder Briefe mit Hilfsgesuchen an den superreichen Investor Thomas Wayne, bei dem sie vor Jahrzehnten angestellt war, erhält jedoch nie eine Antwort.

Nach und nach verschlimmert sich Arthurs ohnehin verzwickte Lage. Zunächst verliert er seinen Job, weil er den Revolver zu einem Clownauftritt in einem Kinderkrankenhaus mitbringt. Der Sozialarbeiterin, über die er seine Medikamente bezieht, werden alle städtischen Mittel gestrichen. Als er in der U-Bahn sitzt, belästigen drei betrunkene Anzugträger eine Mitreisende. Arthur, noch im Clownskostüm, bekommt daraufhin einen zwanghaften Lachanfall, und die drei fangen an, ihn zu verspotten und zu verprügeln. Doch diesmal zieht Arthur seinen Revolver und erschießt die drei Männer. Nach der Flucht vom Tatort genießt Arthur die durch die Morde gewonnene Aufmerksamkeit und Beachtung. Als Thomas Wayne, bei dem die drei Erschossenen angestellt waren, sich in einem Fernsehinterview zu den Morden abfällig über „nicht-reiche“ Menschen äußert, deren Neid für die Morde verantwortlich sei, und diese missverständlich als Clowns bezeichnet, entsteht auf den Straßen eine Protestbewegung gegen das Establishment, deren Teilnehmer – als Tribut an den der Öffentlichkeit unbekannten Mörder und Verursacher der Proteste – Clownskostüme und -masken tragen.

In Gotham City regieren schon lange Rücksichtslosigkeit und Gewalt, durch einen Streik der Müllabfuhr versinkt die Stadt im Dreck. Thomas Wayne erklärt nun seine lange erwartete Kandidatur für das Bürgermeisteramt der Stadt und präsentiert sich als der Einzige, der Gotham aus dem Chaos retten kann.  

Als Arthur einen Brief seiner Mutter an Wayne öffnet, erfährt er, dass er selbst der Spross einer Liebesaffäre seiner Mutter mit ihrem damaligen Arbeitgeber Wayne ist. Er geht daraufhin zu Waynes Privatanwesen und trifft dort zunächst auf Waynes noch jungen Sohn Bruce. Wenig später kommt ein Wachmann – Alfred Pennyworth – dazu, dem er mitteilt, er sei der Sohn von Penny Fleck und wolle Thomas Wayne sprechen. Pennyworth erwidert ihm daraufhin, ob er denn nicht wisse, dass er von seiner Mutter adoptiert worden sei, Mrs. Fleck habe damals „eine Menge Papiere unterschrieben“.

Über seinen ehemaligen Arbeitgeber kommt Arthur ins Blickfeld der Polizei. Als zwei Ermittler Arthurs Wohnung aufsuchen und dort nur seine Mutter Penny vorfinden, kommt es zu einer Auseinandersetzung, an deren Ende Penny mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus kommt und in der Folge im Koma liegt. Parallel versucht sich Arthur weiter als Stand-Up-Comedian, doch ein Auftritt bei einer Talentschau wird zur Blamage. Zudem wird eine Aufnahme dieses Auftritts der Sendung von Murray Franklin zugespielt, wo er als erfolgloser „Joker“ der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Die Redaktion erhält jedoch viele positive Zuschauerreaktionen auf Arthur, so dass er für eine der nächsten Shows eingeladen wird. Arthur schleicht sich bei einer Wohltätigkeitsgala ein und stellt auf der Besuchertoilette Thomas Wayne zur Rede, er sei sein Sohn. Wayne wahrt zunächst die Fassung und geht nicht auf Arthur ein, entledigt sich seiner aber dann mit einem Faustschlag, nachdem Arthur wieder einen Lachanfall bekommt.

Arthur entwendet nun aus der Anstalt, in der seine Mutter während seiner Kindheit einsaß, deren Akte, welche die Version des Wachmanns offiziell belegt. Demnach sei sie in der Psychiatrie gelandet, nachdem sie zugelassen habe, dass ihr Lebensgefährte ihren Adoptivsohn misshandelt habe.

Arthur verliert zunehmend den Verstand. Er erstickt seine Mutter im Krankenhausbett mit einem Kissen und probt im Wohnzimmer seinen Auftritt bei Murray Franklin, einschließlich Selbstmord vor Live-Publikum. Er erhält Besuch von seinen Ex-Kollegen Gary und Randall, die ihm zum Tod seiner Mutter kondolieren. Randall möchte dabei aber auch dafür sorgen, dass Arthur bei der Befragung durch die Polizei nicht seine eigene Aussage konterkariert. Daraufhin ersticht Arthur Randall, während er Gary, der immer nett zu ihm gewesen ist, laufen lässt. Arthur macht sich anschließend auf den Weg zum Auftritt. Auf dem Weg versuchen ihn die beiden Ermittler aufzuhalten. Arthur flieht vor ihnen. Bei der Flucht treffen sie in einer U-Bahn auf eine größere Gruppe als Clowns kostümierter Demonstranten. Einer von ihnen wird von einem der Polizisten versehentlich erschossen. Beide werden im daraufhin beginnenden Aufruhr schwer verletzt, während Arthur entkommen kann. Beim Auftritt in Murray Franklins Show trägt Arthur seine fortan typische Erscheinung: rötlicher Anzug, grün gefärbtes Haar, Clownschminke im Gesicht. Er lässt sich als „Joker“ vorstellen, verhält sich affektiert und unangepasst und gibt zum Besten, er habe die drei Männer in der U-Bahn getötet und dass die Morde aus seiner Sicht niemanden interessiert hätten, wenn Leute wie er selbst dabei umgekommen wären. Franklin weiß nicht, ob er das für einen sehr schlechten Witz oder die Wahrheit halten soll und reagiert mit professionell höflicher Empörung. Daraufhin erschießt der Joker den Moderator.

In Gotham City ist dies das Signal für gewalttätige Aufstände der Clownmasken-Bewegung, was der Joker auf seinem Gefangenentransport durch die Stadt sichtlich genießt. Er kann von den Protestierenden aus dem Streifenwagen befreit werden, die ihn nun als ihren Helden feiern. Im Laufe der Unruhen werden auch Thomas und Martha Wayne in einer Seitenstraße von einem Protestierenden ermordet, ihr Sohn Bruce bleibt jedoch verschont.

Der Film endet mit einer Szene in einer Psychiatrie, wo Arthur seiner Psychiaterin erklärt, sie würde den Witz, der ihn gerade zum Lachen bringt, sowieso nicht verstehen. Anschließend verlässt er das Behandlungszimmer mit blutigen Schuhabdrücken und wird daraufhin von einem Pfleger gejagt.

Dieser Film hinterliess bei mir nicht gerade ein "Trauma", aber während gewissen Szenen musste ich schon ein bisschen auf meine Zähne beissen. Der Joker ist kein charmanter, kein liebenswürdiger Wellness-Film. Er ist brutal, zeigt äusserst scheussliche und blutige Handlungen. Manchmal empfand ich einzelne Szenen fast unerträglich. Und trotzdem muss ich sagen, dass es ein interessanter, diskussionswürdiger Film ist: Es ist die Darstellung eines Menschen mit schwersten psychischen Problemen, eines Menschen, der als schlimme Bedrohung seiner Mitmenschen lebt und eigentlich in Verwahrung gehörte. Die „Fachpersonen“, von der Sozialarbeiterin bis zum Psychiater, verhalten sich in diesem Film so, wie es eigentlich schlimmer, falscher gar nicht sein könnte. Der Film hinterliess bei mir noch längere Zeit eine Gänsehaut.

Ich kann diesen Film nur für Leute empfehlen, die sehr starke Nerven haben.

Und einen dritten Film sah ich mir mit Chedva an, an den ich eigentlich sehr grosse Erwartungen geknüpft hatte. Diese hohen Erwartungen wurden nicht ganz erfüllt:

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl.

Auch hier möchte ich inhaltlich Wikipedia zu Wort kommen lassen.

Als Hitler das rosa Kaninchen stahl ist ein Roman von Judith Kerr, der 1971 in englischer Sprache veröffentlicht wurde (Originaltitel: When Hitler Stole Pink Rabbit). Die deutsche Übersetzung von Annemarie Böll erschien 1973. Das Kinder- und Jugendbuch mit autobiografischen Zügen galt lange Zeit als Standardwerk für den Schulunterricht zur Einführung in das Thema Anfänge des Dritten Reiches und Flüchtlingsproblematik. 1974 wurde der Roman mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis als „herausragendes Kinderbuch“ ausgezeichnet. Bis 2013 wurden in Deutschland 1,3 Millionen Exemplare des Buches verkauft.

Der Roman bildet den Auftakt einer Trilogie, in deren Verlauf Anna, aus deren Perspektive die Geschichte erzählt wird, zu einer erwachsenen Frau heranwächst. Die Trilogie beginnt im Jahr 1933 und endet in den 1950er-Jahren. Die Titel der Fortsetzungen lauten: Warten bis der Frieden kommt und Eine Art Familientreffen

When Hitler Stole Pink Rabbit (Ausgabe 2002, ohne die urheberrechtlich geschützte Titelzeichnung von J.K.)

Von Berlin nach Zürich. Der Roman beginnt in der Zeit vor der Reichstagswahl im März 1933. Anna ist neun Jahre alt und lebt mit ihrer jüdischen Familie in Berlin. Annas Vater ist ein bekannter Schriftsteller, der auch Artikel gegen Hitler und die NSDAP in Zeitungen und Magazinen veröffentlicht. Aus Sorge vor einer Machtübernahme Hitlers und einer damit einhergehenden Verhaftung flüchtet er, gewarnt durch einen Polizisten, nach Prag. Im Gegensatz dazu bleibt Onkel Julius, ein Freund der Familie, in Berlin.

Wenige Tage später, am Wochenende der Wahl, reisen Anna, ihre Mutter und ihr zwölfjähriger Bruder Max in die Schweiz, wo sie in Zürich auf Annas Vater treffen. Notgedrungen bleiben sie nach Hitlers Wahlsieg und der Konfiszierung ihres Eigentums – darunter auch Annas rosa Plüschkaninchen, das sie in Berlin zurückgelassen hat – in der Schweiz. Sie wohnen erst in einem der besten Hotels Zürichs; als das Geld knapp wird, ziehen sie um in einen Gasthof bei der Familie Zwirn, die drei Kinder hat: Franz, Trudi und Vreneli. Hier bekommen Anna und Max zum ersten Mal die antisemitische Einstellung von Landsleuten zu spüren: Den Kindern einer Urlauberfamilie aus München wird verboten, mit ihnen zu spielen oder zu sprechen, woraufhin auch die Kinder des Wirtes Partei ergreifen müssen.

Infolge der Bücherverbrennung, von der auch die Bücher des Vaters betroffen sind, und auf Grund des Umstands, dass die Schweizer Zeitungen vor allem an ihrer Neutralität interessiert sind, wird es für Annas Vater immer schwieriger, seine Artikel zu veröffentlichen und damit Geld zu verdienen. Auch die Tatsache, dass die Nazis einen Preis auf die Ergreifung von Annas Vater ausgesetzt haben, macht das Leben der Familie nicht einfacher. Aus Geldnot zieht die Familie weiter nach Paris, wo der Vater bessere Chancen für sich und die Familie sieht.

Weiter nach Paris und London. In Frankreich angekommen, muss sich die Familie den Problemen einer Flüchtlingsfamilie stellen: Sprachprobleme, Integrationsprobleme und auch hier das Problem des knappen Geldes. Artikel des Vaters in der Pariser Zeitung sorgen nur für ein mageres Einkommen. Mit Antisemitismus ist die Familie in Frankreich nicht konfrontiert; dafür aber werden die finanziellen Sorgen immer größer, zumal auch das Gastland von einer Wirtschaftskrise bedrängt ist. Wichtiger als die finanzielle Lage ist dem Vater allerdings die Freiheit – in Paris erfährt er, dass sein alter Freund Julius sich in Berlin nach zahlreichen Schikanen das Leben genommen hat –, und für Anna zählt nur, dass die Familie nicht getrennt wird.

Die Mutter allerdings, auf der die wirtschaftlichen Sorgen vor allem lasten, drängt zu einem Umzug nach England. Nach einer demütigenden Szene, in der die Concierge sich verächtlich über die Familie äußert, die ihre möblierte Mietwohnung nicht ganz pünktlich bezahlen kann, fordert sie eine Entscheidung. Zu Annas Entsetzen beschließen die Eltern, ihre Kinder für die Zeit des Übergangs bei den ebenfalls emigrierten Großeltern in Südfrankreich unterzubringen. Aber bevor diese Entscheidung in die Tat umgesetzt werden kann, trifft die Nachricht ein, dass eine englische Firma ein Filmmanuskript des Vaters kaufen will und ihm dafür 1.000 Pfund zahlt. Daraufhin kann die ganze Familie gemeinsam nach London fahren. In London angekommen, begrüßt Cousin Otto Anna und die anderen Familienmitglieder auf der Victoria Station.

Verfilmungen: Als Hitler das rosa Kaninchen stahl wurde 1978 vom WDR für die ARD unter der Regie von Ilse Hofmann – zum Teil an Originalschauplätzen – verfilmt. Die Erstausstrahlung erfolgte am 25. Dezember 1978. In den Hauptrollen spielten Martin Benrath und Elisabeth Trissenaar die Eltern sowie Ariane Jeßulat und Alexander Rosenberg die Kinder Anna und Max, ferner Miriam Spoerri in einer weiteren Rolle.

2019 kam mit eine von der Sommerhaus Filmproduktion GmbH produzierte Neuproduktion in die Kinos. Regie führte Caroline Link, die mit Anna Brüggemann auch das Drehbuch verfasste. Die Rolle der Anna übernahm Riva Krymalowski.

Biographische Bezüge: Judith Kerr hat ihre eigene Familienkonstellation recht genau übernommen; aus ihrem Bruder Michael wurde Max, hinter dem berühmten Vater verbirgt sich Alfred Kerr und die in Berlin noch musizierende und von Haushalts- und Geldsorgen unberührte Mutter hat deutliche Ähnlichkeit mit ihrem Urbild Julia Weismann. Als Randfiguren treten eine Großtante Sarah, die in Paris als Witwe lebt, und die Großmutter mütterlicherseits auf. Über den Großvater wird nur gesagt, dass er im Gegensatz zum Vater der Familie nicht berühmt ist und deswegen ungehindert mit seinem ganzen Besitz emigrieren konnte. Die Realität dürfte für Robert Weismann anders ausgesehen haben. Hinter dem ungarischen Regisseur, der in England den Ankauf des Drehbuchs über Napoleons Mutter vorantreibt, verbirgt sich Alexander Korda. Das Urbild des Onkel Julius ist der Oscar-Wilde-Übersetzer Max Meyerfeld.[1]

Zwischen dem Brutalofilm The Joker und diesem Film liegen auch gewissermassen „Welten“. Dieser Film ist nett, liebenswürdig und beinhaltet auch einige interessante Passagen. Aber trotzdem riss mich dieser Film nicht vom Hocker. Es fehlte mir eindeutig an „echten Emotionen“, an mehr Bezug zur damaligen politischen Situation während des Zweiten Weltkrieges, des Nazi-Regimes. Der Film enttäuschte mich, ich hatte wesentlich mehr erwartet.

Diesen Film kann ich jedoch Jugendlichen empfehlen, die eine „schöne, liebe „ Geschichte“ aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges sehen und hören möchten.

2019 

18. Dezember 2019

Ich habe soeben eine Biografie gelesen,  die vor einigen Monaten frisch gedruckt wurde: 

JITZCHAK RABIN – Als Frieden noch möglich schien (eine Biografie)

Von Itamar Rabinovich 

Im Klappentext lese ich: "Rabins Leben und Wirken steht in der Geschichte Israels für weit mehr als die Oslo-Prozesse: Als Untergrundkämpfer in der vorstaatlichen Zeit, ranghoher Militär in der israelischen Armee, im diplomatischen Dienst sowie als Verteidigungsminister und zweifacher Ministerpräsident war er in allen Phasen des jungen Staates massgeblicher Akteur." 

Rabin galt eigentlich – jedenfalls aus meiner Sicht – nicht als (politische) Taube – eher ein realistischer Falke. Aber gerade nach dem Lesen von vielen weiteren Details über seine Persönlichkeit und v.a. sein politisches Handeln würde ich ihn als echten Realisten, politischen Pragmatiker charakterisieren. Und gerade weil er ganz pragmatisch mit den Palästinensern für eine friedliche gemeinsame Zukunft rund um die OSLO-Verträge arbeitete, musste er sein Leben lassen. Er wurde von einem fanatischen orthodoxen jungen Juden meuchlings ermordet. Bibi Netanyahu war – so denke ich nach dem Lesen dieser neuesten Rabin-Biografie – rund um diesen Meuchelmord nicht ganz unschulig!

Ich lese in dieser Rabin-Biografie von Itamar Rabinovich vor allem auch sehr viele ganz persönliche Fazetten dieses einzigartigen israelischen Politikers kennen: Rabin war kein Showman, er war schüchtern, nicht selten recht schwierig im Umgang mit seinen Mitmenschen. Eine bissige Feindschaft und Konkurrenz mit seinem politischen Zwilling Shimon Peres zieht sich auch durch die ganze politische Laufbahn Rabins.

Itamar Rabinovich, der mit Rabin teilweise sehr eng zusammenarbeitete, produzierte mit dieser neuerschienenen Biografie ein Buch, das gelesen werden muss. Jedermann, der sich mit der Geschichte und v.a. der Politik Israels beschäftigt, erhält hier Insiderinformationen, die wichtig sind. Ich empfehle, dieses Buch unbedingt zu lesen.

Zu dieser Bucherscheinung über Jzchak Rabin berichtet nun auch Alexandra Föderl-Schmid aus Tel Aviv:

Tages-Anzeiger – 07. März 2020 Seite: 42 Wochenende

Handschlag für ein wenig Hoffnung

Sachbuch Eine neue Biografie beschreibt Yitzhak Rabin als einen Politiker, für den ein Friede mit den Palästinensernnicht bloss eine Vision war. Seit seiner Ermordung haben sich die Fronten verhärtet.

Alexandra Föderl-Schmid

Vieles von dem, was Israel in diesen Tagen beschäftigt, war schon für Yitzhak Rabin ein zentrales Thema: die Siedler und die Schaffung eines palästinensischen Staates. Aber zu Lebzeiten Rabins war das, was im Untertitel der Biografie über Israels früheren Ministerpräsidenten angekündigt wird, tatsächlich eine Option: «als Frieden noch möglich schien».

Nach der Ermordung des Politikers Rabin durch den israelischen Extremisten Jigal Amir am 4. November 1995 gewann Benjamin Netanyahu die darauffolgende Wahl und wurde zum ersten Mal Regierungschef – ein Amt, das der Politiker des rechtsnationalen Likud mit Unterbrechungen inzwischen zwölf Jahre lang innehat. Nach der Ermordung Rabins und der Wahl Netanyahus «begann Israel, sich mit grossen Schritten von Rabins Weg zu entfernen», schreibt der Biograf Itamar Rabinovich.

Anekdoten und Analysen

Der Autor war unter Rabin israelischer Botschafter in Washington und an Friedensverhandlungen mit Syrien beteiligt, die Israel und die USA damals als vielversprechender einschätzten als den parallel begonnenen Oslo-Friedensprozess, der 1993 zu einem aufsehenerregenden Abkommen, aber nie zu einem Abschluss führte.

Diese persönliche Beteiligung des Autors an Verhandlungen ermöglicht interessante Einblicke. Rabinovich, der Präsident der Universität Tel Aviv war, Nahostgeschichte lehrte und nun das renommierte Israel Institute leitet, gelingt es, Anekdoten aus Rabins Leben mit nüchternen Analysen eines Wissenschaftlers zu vereinen.

Er verklärt Rabin nicht, sondern beschreibt anschaulich dessen Wandlung vom radikalen Untergrundkämpfer in Palästina zumSoldaten und schliesslich vom Diplomaten zum Politiker. Der Autor zeichnet nicht nur ein sympathisches Bild und schildert die negativen Seiten seiner Persönlichkeit, wie Rabins jähzornige Ausfälle und seine über Jahrzehnte sehr persönlich ausgetragenen Kämpfe mit Shimon Peres, seinem Rivalen in der Arbeitspartei.

«Das prägendste Erlebnis in Rabins Leben» war nach Einschätzung seines Biografen der Kampf um die Unabhängigkeit des 1948 ausgerufenen Staates Israel, die Rabin als Anführer der paramilitärischen Palmach erlebte. Danach war Rabin, trotz Differenzen mit Staatsgründer David Ben-Gurion, am Aufbau der Armee beteiligt. 1967 war Rabin als Generalstabschef der Armee für einen präventiven Krieg und setzte sich gegen den zögerlichen Ministerpräsidenten Levi Eshkol durch.

Im Sechstagekrieg eroberte Israel unter anderem die Golanhöhen, das Westjordanland und Ostjerusalem – Gebiete, die noch heute im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen stehen. «Aus dem Rückblick erscheint der Triumph als sehr zweifelhafter Segen», schreibt Rabinovich.

Die israelischen Siedler, die damals begannen, sich im besetzten Westjordanland festzusetzen, bezeichnete Rabin 1976 als «eine der grössten Bedrohungen für den Staat Israel. Das ist keine Siedlerbewegung, das ist ein Krebsgeschwür im sozialen und demokratischen Gewebe Israels, eine Gruppierung, die das Gesetz in die eigenen Hände nimmt.» Diese Einschätzung erwies sich als richtig, die Siedlerbewegung errichtete illegal Aussenposten im besetzten Westjordanland, die aber nach und nach legalisiert wurden.

«Er war kein Blumenkind»

Inzwischen leben rund 500000 Israelis in 120 Siedlungen und zwei Millionen Palästinenser im Westjordanland. Es dauerte bis in die 90erJahre, ehe Rabin die PLO und damit Yassir Arafat offiziell als Gesprächspartner anerkannte. Als Verteidigungsminister liess er den 1987 ausgebrochenen Aufstand der Palästinenser, die erste Intifada, brutal niederschlagen. Der frühere amerikanische Aussenminister Henry Kissinger beschrieb Rabin nüchtern: «Yitzhak war kein Blumenkind».

Aber schliesslich reifte in Rabin die Einsicht, dass Israel aus strategischen Gründen Frieden mit den Palästinensern suchen müsse. Ihm sei es immer um Israels Sicherheitsinteressen gegangen, schreibt sein Biograf, diese seien «untrennbar verknüpft mit dem Streben nach Frieden». Rabin war zu schmerzhaften Zugeständnissen an die Araber bereit, auch um internationale Legitimität zu erlangen und die Staatsgrenzen Israels abzustecken, was bis heute nicht endgültig geschehen ist. Er führte auch 1994 den Friedensvertrag mit Jordanien herbei. Rabinovich weist darauf hin, dass in dessen erster Amtszeit als Ministerpräsident die Vorarbeiten für den 1979 unter Menachem Begin mit Ägypten abgeschlossenen Friedensvertrag geleistet worden seien.

Sein militärischer Hintergrund verschaffte Rabin in Israel Glaubwürdigkeit und Autorität. Er war kein charismatischer Anführer, aber er hat sich zum Staatsmann entwickelt durch seine Fähigkeit, eine Vision zu entwerfen und zu verfolgen.

Der Biograf gibt Netanyahu indirekt eine Mitschuld am Tod Rabins. Er habe sich von Mordaufrufen und Hetze nicht offen distanziert und diese salonfähig gemacht. Den Unterschied zwischen Rabin und Netanyahu beschreibt Rabinovich so: Rabin habe eine Politik gemacht, damit Israel nicht für immer mit dem Schwert leben müsse. Netanyahu dagegen habe am 20. Jahrestag der Ermordung Rabins erklärt: «Wir werden für immer mit dem Schwert leben.» Das Buch ist so ein Schlüssel zum besseren Verständnis von Israels Politik.

Itamar Rabinovich Jitzchak Rabin. Als Frieden noch möglich schien. Eine Biografie.

Aus dem Englischen von Heide Lutosch. Wallstein-Verlag, Göttingen 2019. 307 S., ca. 35 Fr.

17. Dezember 2019

Kürzlich wurde mir von einem Freund ein Buch (wohl eher ein "Büchlein" mit 66 Seiten Umfang) geschenkt, das mir ganz besondere Freude bereitete:

DANKBARKEIT - Oliver Sachs 

Die hier gesammelten Essays zu Dankbarkeit, Abschied und auch Verzeihen erstellte der bekannte Psychiater Oliver Sachs kurz vor seinem Tod, sozusagen im Angesichte seines baldigen physischen Endes.

Diese niedergeschriebenen "Gedanken" haben mich berührt aber auch ein sehr eindrückliches Gefühls des Verstehens eines Menschen, der das nahe Ende erwartet und gewissermassen einen Rückblick auf die gelebten Jahre seines verflossenen Lebens in Worte fasst.

Ich möchte Oliver Sachs selber das Wort zu diesen "Gedanken" geben, das im hinteren Klappentext zu lesen ist:

"Ich kann nicht behaupten, ohne Furcht zu sein. Doch mein vorherrschendes Gefühl ist das der Dankbarkeit. Ich habe geliebt und wurde geliebt, ich habe viel bekommen und ein wennig zurückgegeben; ich habe gelesen und ferne Länder bereist und gedacht und geschrieben... Vor allem aber war ich ein fühlendes Wesen, ein denkendes Tier auf diesem schönen Planeten, und schon das allein war ein wunderbares Privileg und Abenteuer."

Das, was Oliver Sachs kurz vor seinem Tod ausführte, nämlich die tiefe Dankbarkeit über sein gelebtes Leben, das wünsche ich all denen, die hier mitlesen. Ich wünsche es nicht zuletzt auch mir selber! 

25. November 2019

Ich muss es gestehen: Obwohl ich in den letzten Monaten recht viele Bücher gelesen habe, habe ich es unterlassen, sie hier auf dieser Seite vorzustellen. Ich will dies nachholen, denn ich denke, dass das eine oder andere Buch auch für die Leser meiner Homepage von Interesse sein kann. Vielleicht kann ich durch die Präsentation des Gelesenen auch den/die einen oder anderen dazu motivieren, dieses  Buch auch zu lesen.

Wolkenbruchs waghalsiges Stelldichein mit der Spionin – von Thomas Meyer. 2019.

Der erste „Wolkenbruch“ von Thomas Meyer (Wolkenbruchs wunderliche Reise in die Arme einer Schickse) war durchwegs ein Beststeller. Auch die Verfilmung stiess auf grossen, positiven Widerhall. Ich muss gestehen, dass der Film dieses etwas schrägen Wolkenbruch-Buches mir wesentlich besser gefallen hat als das Buch selber. Es schüttelte mich manchmal bei gewissen Szenen so richtig durch!

Bevor ich auf Thomas Meyers zweites Buch zu sprechen komme, möchte ich eine Zusammenfassung des ersten präsentieren – dies praktisch als Einführung zum zweiten Wolkenbruch-Buch!

"Der junger orthodoxe Jude Mordechai Wolkenbruch, kurz Motti, hat ein Problem: Die Frauen, die ihm seine MAME als Heiratskandidatinnen vorsetzt, sehen alle so aus wie sie. Ganz im Gegensatz zu Laura, seiner hübschen Mitstudentin an der Universität Zürich – doch die ist leider eine SCHIKSE: Sie trägt Hosen, hat einen wohlgeformten TUCHES, trinkt Gin Tonic und benutzt ungehörige Ausdrücke.

Zweifel befallen Motti: ist sein vorgezeichneter Weg wirklich der richtige für ihn? Sein Gehorsam gegenüber der MAME mit ihren verstörenden Methoden schwindet. Dafür wächst seine Leidenschaft für Laura. Die Dinge nehmen ihren Lauf. Und Motti kann schon bald einen vorläufigen Schluss ziehen: Auch SCHIKSEN haben nicht alle Tassen im Schrank. „thomas Meyers Entwicklungsroman im Stile Woody Allens ist eine religiöse Emanzipationsgeschichte – mit zuverlässig witzigen Pointen“ Beate Tröger /Frankfurter Allgemeine Zeitung".

Ich sehe das erste „Wolkenbruch-Buch“ inhaltlich als ein Beispiel einer „religiösen und auch sozialen Emanzipation eines jungen, sehr orthodoxen Mannes von seiner ultrareligiösen Umgebung".

Beim zweiten Buch scheint mir – neben Mottis bewegten weiteren schrägen  Abenteuern das Hauptthema der "existierende Antisemitismus" zu sein, der von Thomas Meyer auf eine originelle Weise aufs Korn genommen wird. Meyer sagt diesem üblen Antijudaismus auf seine ganz spezielle Art mit viel Witz und eingestreuter Erotik  den Kampf an. In seinen Ausführungen geht es nicht selten sehr derb und direkt zur Sache. Es gibt in Sachen Sexualität eigentlich kein Tabu! 

Amazon beschreibt den Inhalt dieses Buches wie folgt:

Nach dem Bruch mit seiner frommen jüdischen Familie wird Motti Wolkenbruch von Schicksalsgenossen (in Israel) aufgenommen. Wie sich bald zeigt, haben die aber weit mehr als nur gegenseitige Unterstützung im Sinn: Sie trachten nach der Weltherrschaft. Bisher allerdings völlig erfolglos. Erst als Motti das Steuer übernimmt, geht es vorwärts. Doch eine Gruppe von Nazis hat das gleiche Ziel – und eine gefährlich attraktive Agentin in petto.

Ich habe dieses Wolkenbruch-Buch mit Freude gelesen und dabei  auchviel gelacht!  Allerdings wird dieses neue Wolkenbruch-Buch bei mir nicht allzugrosse Spuren hinterlassen!

8. Mai 2019

Ich bin nach wie vor ein passionierter Bücherleser, tagtäglich! In den letzten Monaten kam ich aus Zeitgründen leider nie dazu,  über die gelesenen Bücher hier in diesem Forum zu berichten. Ich möchte es nachholen.

„Das Verschwinden der Stephanie Mailer“ von Joel Dicker.

Dieses Buch wurde uns zum Mutter-/Vatertag geschenkt. Über Joel Dicker las ich kürzlich ein Interview im TACHLES. Dieser junge Autor, der viel von sich reden macht und seine Bücher zu Bestsellern wurden, fasziniert mich als Mensch.

Dieses Buch habe ich mit grossen Erwartungen in Angriff genommen … und praktisch innerhalb weniger Tage durchgelesen. Die 666 Seiten beherbergen eine ganze Reihe von scheusslichen Mordfällen. Rund um diese Gewalttaten versteht es Dicker aber, die damit verwickelten Persönlichkeiten auf der Täter- und Opferseite sehr plastisch zu schildern. Obwohl die vielen immer wieder auftauchenden Mordtaten etwas inflationär sind, bleibt die Spannung – wer jeweils der Täter sein könnte – bis zuletzt. Allerdings bewegt sich dann der letzte Mord auf sehr oberflächlicher Ebene. Der Mörder, der sich schriftlich seiner Frau mit seiner Tat outen möchte, wird zum Krimiautor. Seine Frau sieht ihren Mann als Autor eines Krimis, der dann veröffentlicht wird und Millionenauflagen erschwingt. Das ist – aus meiner Sicht – etwas billig. Vermutlich wollte Dicker nach mehr als 600 Seiten sein Buch (endlich) zu einem Abschluss bringen. – Aber nichtsdestotrotz machten mir diese turbulenten Schilderungen rund um einen mehr als 20 Jahre zurückliegenden Mordfall im Staat New York in der kleinen Stadt Orphea  grossen Spass. 

Zum Inhalt schreibt die AMAZON Empfehlung das Folgende:  Joël Dicker ist zurück – so intensiv, stimmungsvoll und packend wie »Die Wahrheit über den Fall Harry Quebert«.--- Es ist der 30. Juli 1994 in Orphea, ein warmer Sommerabend an der amerikanischen Ostküste: An diesem Tag wird der Badeort durch ein schreckliches Verbrechen erschüttert, denn in einem Mehrfachmord sterben der Bürgermeister und seine Familie sowie eine zufällige Passantin. Zwei jungen Polizisten, Jesse Rosenberg und Derek Scott, werden die Ermittlungen übertragen, und sie gehen ihrer Arbeit mit größter Sorgfalt nach, bis ein Schuldiger gefunden ist. Doch zwanzig Jahre später behauptet die Journalistin Stephanie Mailer, dass Rosenberg und Scott sich geirrt haben. Kurz darauf verschwindet die junge Frau ... - Die idyllischen Hamptons sind Schauplatz einer fatalen Intrige, die Joël Dicker mit einzigartigem Gespür für Tempo und erzählerische Raffinesse entfaltet. --- »Macht süchtig!« Elle

Ein weiteres Buch, das ich soeben las und das mich vor allem emotionell sehr bewegte, fand ich im Auschwitz-Museums-Laden (Ich bsuchte mit meiner Frau das Konzentrations-/Vernichtungslager Auschwitz anfangs Mai 2019. 

“Und Sie hatten nie Gewissensbisse?“ von Manfred Deselaers.

Der Autor Manfred Deselaers ist ein katholischer Priester, in Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, lebt seit 1990 in der Stadt Auschwitz. Im ersten Teil seiner Ausführungen geht er anhand sehr ausführlichen Quellenmaterials (Tagebücher, Selbstaussagen von Rudolf Höss, dem Kommandanten von Auschwitz, und vielen weiteren Berichten über ihn) auf die Persönlichkeit und seines Wirkens von Höss in dieser fürchterlichen Mordmaschinerie von Auschwitz ein. Das sind eigentlich historische Fakten, die da exakt abgerollt werden. 

Ich muss all diesen Schilderungen mit genauer Quellenangabe grosses Lob aussprechen. Der Mensch Höss bekommt dadurch für mich „ein Gesicht“, allerdings ein fürchterliches!

Im weiten Teil, der dann sehr philosophisch und v.a. theologisch wird, leuchtet der Autor dann in einer antropologisch-theologischen Analyse die Biografie von Höss aus. Mit den Folgerungen habe ich dann recht grosse Mühe. Eine Bestie, die für die systematische und brutale Ermordung von Hunderttausenden unschuldiger v.a. von jüdischen Menschen, verantwortlich ist (und teilweise direkt, aber v.a. indirekt Hand anlegte), gibt es aus meiner Sicht eigentlich keine grosse „Analyse“. So ein Mensch (und er ist natürlich nicht der einzige, der während der Shoa Unmenschliches verbrach) verdient eigentlich nur eines: Verurteilung durch den Strang. Ich lese aus diesem Buch eigentlich von Seiten von Höss kein Gefühl von Mitleid, von eigener Schuld, gegenüber den Opfern. Am Schluss, in der Folge seiner Inhaftierung, höre ich dann, dass er erstaunt war über das (polnische) Bewachungspersonal , dass ihm mit „Menschlichkeit“ begegnete! Aber in diesem Buch lese ich nirgends ein Bedauern über die Ideologie der Judenvernichtung. Rein gar nichts.

Man redet ungerne über diesen Aspekt: aber ich empfand beim Lesen dieses Buches dieser schrecklichen Bestie gegenüber nicht nur Abscheu und Hass, sondern bei mir kamen ganz konkret Gefühle der Rache herauf. So ein „Mensch“, der eigentlich während seiner Tätigkeiten immer an den „Endsieg“ glaubte, ist in meinem Augen kein „Mensch“ mehr und verdient es auch nicht, als Mensch wahrgenommen und empfunden zu werden. 

Dieser ehemalige Kommandant von Auschwitz  schrieb am Schluss seiner Autobiografie das folgende, das eigentlich – für mich jedenfalls – alles aussagte über ihn: „Mag die Öffentlichkeit ruhig weiter in mir die blutrünstige Bestie, den grausamen Sadisten, den Millionenmörder sehen – denn anders kann sich die breite Masse den Kommandanten von Auschwitz gar nicht vorstellen. Sie würde doch nie verstehen, dass der auch ein herz hatte, dass er nicht schlecht war.“ – Das „Herz“ spreche ich diesem Mann ab!  

Für mich war es eine Qual, alle diese Einzelheiten über so einen Mann zu lesen. Nur mit Mühe konnte ich mich durch diese Seiten mit allen Schilderungen über Person Höss und seine Taten  kämpfen. Meine Eindrücke von meinem Auschwitz-Besuch – mein persönliches Erleben und Empfinden auf dem Gang (physisch und psychisch) durch diese schreckliche Hölle von Auschwitz im Mai 2019 – waren noch klar genug. Aber ich musste es tun, praktisch aus Solidarität mit meinen Glaubensgenossen, die dieses millionenfache Leid als Shoa-Opfer über sich ergehen mussten.

2018 

12. Juli 2018

"Juden und Christen - 2000 Jahre tragische Geschichte" (Bullinger u. Klaiber)

Die vergangenen 2000 Jahre gemeinsamer Geschichte von Christen und Juden war sozusagen eine Berg- und Talbahn: es hat Höhepunkte im Zusammenleben (auch in theologischer Zusammenarbeit) gegeben, die aber immer wieder durch fürchterliche Unterdrückung auf allen Ebenen der jüdischen Minderheit abgelöst wurden.

Der christlich-jüdische Dialog hat nach dem Gräueltaten der Shoa jedoch ein Revival erhalten. Überall in Europa wirkten jüdisch-christliche Arbeitsgemeinschaften und arbeiteten seriös in einem ehrlichen Dialog.

Mir scheint aber, dass dieser Dialog heute sehr stark erlahmte. Viele der christlichen Kirchen nehmen im israelisch-palästinensischen Konflikt klar Stellung für - aus ihrer Sicht - palästinensischen Opfer und des israelischen Täters. In der Schweiz beobachte ich dies immer wieder in Stellungnahmen von v.a. reformierten (links-orientierten) Pfarrern, die teilweise Israel in den einseitigen, nicht selten anit-zionistischen Fokus einer bissigen Kritik stellen. Aus meiner Sichtgeschieht diese "Einseitigkeit" nicht selten auf der Ebene eines neuen Antisemitismus, mit dem der jüdische Staat Israel gesehen und "kritisiert" wird.

Die Broschüre "Juden und Christen - 2000 Jahre tragische Geschichte" ist aus meiner Sicht eine gute Grundlage für einen heutigen christlich-jüdischen Dialog. Im ersten Teil wird auf die "2000 Jahre tragische Geschichte von Juden und Christen" eingegangen. Im zweiten Teil gehen die Verfasser dann "antijüdischen Vorurteilen und Missverständnissen" nach, angefangen mit der angeblich biblischen (=jüdischen) Vorstellung eines alttestamentlichen Rachgebots von "Auge um Auge..." aus, das nach wie vor belegen soll, dass es ein sogenannt biblisch-jüdisches Racheprinzip geben sollte. Diese "Auge-um-Auge-Vorstellung" ist in der Tat nicht auszumerzen!

Ich kann dieses Buch zum Lesen empfehlen!

 27. Juni 2018

Die Pentagon-Papiere. Die geheime Geschichte des Vietnamkrieges Taschenbuch – 1971  

von Neil Sheehan (Autor), Klaus Budzinski (Übersetzer) 

Nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Konfrontation zwischen dem sozialistischen Osten (der Sowjetunion) und dem kapitalistischen Westen (unter der Protektion der USA) zu heftigen Auseinandersetzungen führte, spielte sich im Indochinesischen Raum der sogenannte Vietnam-Krieg ab. Im Jahr 1954 zogen sich die Franzosen nach der Niederlage in Dien Bien Phu aus ihren dortigen Kolonien zurück. 

Die Franzosen wurden durch die Amerikaner abgelöst. Unter der Vorstellung der Dominotheorie, unter der man ein Zusammenbrechen der nicht-kommunistischen Länder im asiatischen Raum eine völlige Dominanz des Kommunismus von Seiten der USA (und auch der westlichen Welt verstand, entwickelte sich dann der unglückliche Vietnam-Krieg, der erst in den 70 Jahren beendet werden konnte. Fazit: mehr als 45‘000 tote US-Soldaten und Millionen von Toten auf der vietnamesischen Seite! – In den USA selber, aber auch in der gesamten westlichen Welt wurde es immer klarer, dass dieser „Vietnam-Krieg“ nicht gewonnen werden konnte. Vor allem an den Universitäten kam es zu massiven Protesten mit der Forderung, sofort alle US-Truppen aus Indochina zurückzurufen! 

Am 13. Juni 1971, einem Sonntag, begann die NEW YORK TIMES mit dem teilweisen Abdruck eines Geheimberichtes, der zeigte, wie die USA über mehr als zwei Jahrzente hin immer tiefer in den indochinesischen (Vietnam-) Krieg verwickelt wurden. Dieser (von Verteidigungsminister McNamara veranlasste) Bericht, konnte auch beweisen, dass vier US-Präsidenten die Öffentlichkeit über die wahren Hintergründe und das Ausmass des US Engagements getäuscht hatten. Die NEW YORK TIMES und auch die WASHINGTON POST publizierten diesen Report (die Pentagon-Papiere) zuerst gegen den Widerstand der amerikanischen Regierung, der aber dann vom höchsten amerikanischen Gericht freigegeben wurde. Ich war zur Zeit dieses unglücklichen Vietnam-Krieges ein junger Mann, der sich mit diesem Krieg auseinandersetzte. Ich hielt Mitte der 60er Jahre in unserer Jugendbewegung darüber ein Referat, für das ich mich dann auch mit dieser Thematik vertiefter informierte. Als ich dann 1965 in England weilte, später dann in Paris, nahm ich an Anti-Vietnam-Demos teil.

Kürzlich kam ich mit einem Freund über diese Thematik dieses Indochina-Krieges ins Gespräch. In der Folge besorgte ich mir dann die Publikation „Die Pentagon-Papier“, die ich damals auszugsweise bereits kannte aber in den Details wieder vergass.  

Diese „Pentagon-Papers“ lass ich nun aus der zeitlichen Distanz mit grossem Interesse. Und die Gräuel dieses furchtbaren Krieges wurden mir heute wieder ins Bewusstsein katapultiert. Diese Publikation in der damaligen NEW YORK TIMES und Washington Post illustrieren mir einerseits das grosse Versagen der damaligen US-Politik mit ihrem Verschweigen der wirklichen Tatsachen und andererseits zeigen sie mir die positive Dynamik einer echten Demokratie auf. Ich realisiere erst heute so richtig den echten Mut der beiden grossen US-Zeitungen, die diese unbequemen Tatsachen, die die Pentagon Papiere dokumentieren, ohne Wenn und Aber publizierten! 

Um die damalige Geschichte des Vietnamkrieges ein bisschen verstehen zu können, möchte ich auf die folgenden Texte aus WIKIPEDIA hinweisen!  

Ich empfehle all jenen, die sich für die US-Politik interessieren, diese Pentagon-Papiere zu lesen! 

21. Mai 2018 

Ich bin in der Tat ein "Bücherwurm" und lese neben Tageszeitungen (auch Online-Ausgaben im Internet) auch viele lBücher, sozusagen alles, was mir vor die Nase kommt!

Zwei Bücher, die ich kürzlich las, möchte ich hier vorstellen! Wolf Biermanns "Warte nicht auf bessre Zeiten" und "Islamische Zuwanderung und ihre Folgen - der neue Antisemitismus, Sicherheit und die 'neuen Deutschen'". 

Wolf Biermanns Autobiographie hat mir die Welt eines für mich überzeugenden echten Sozialisten und einzigartigen Kämpfers für Gerechtigkeit und gegen jede Art von Willkür, wie sie in der ehemaligen DDR unter der kommunistischen Knute herrschte, gezeigt. Ich kannte bisher nur Oberflächliches über ihn. Ich wusste nicht, dass sein Vater einerseits als feuriger Kommunist und andererseits als Jude in die Fänge der Nazis geriet und in Auschwitz dann auch zu Tode kam. Wolf Biermann wuchs während des Krieges als „Halbjude“ in Hamburg auf und erlebte alle mit dieser Zeit verbundenen Gräuel. Seine starke Mutter, und im Hintergrund die ebenfalls starke Grossmutter, beschützte und führte den damals kleinen Jungen durch die schweren Zeiten der Naziherrschaft. Als junger Mann und als überzeugter Sozialist übersiedelte er dann in die sozialistische DDR, studierte dort und entwickelte seinen Gesang und seine Poesie. Aber sehr bald musste er entdecken, dass auch unter dieser vordergründigen „heilen Welt“ sehr viel Brutalität, Missgunst und staatliche Willkür herrschte. Dagegen kämpfte er mit seinen Mitteln. Er wurde dann in den „Westen“ ausgewiesen. – Bemerkenswert in seiner Biografie ist auch der Umstand, dass er 10 Kinder mit mehreren Frauen zeugte und offenbar zu ihnen eine gute Beziehung aufbaute. 

Mehr will ich von meiner Seite nicht verraten. Das Buch ist flüssig, witzig und sehr anschaulich geschrieben und macht grosse Freude! Ich kann es nur empfehlen. 

Zum Buch von Wolf Biermann: „Warte nicht auf bessre Zeiten!“

AMAZON-Buchbesprechung:

Selten sind persönliches Schicksal und deutsche Geschichte so eng verwoben wie bei Wolf Biermann. Ein Leben zwischen West und Ost, ein Widerspruchsgeist zwischen allen Fronten. Bei aller Heftigkeit des Erlebten lesen sich Biermanns Erinnerungen wie ein großer Schelmenroman. Zugleich sind sie eine authentische Lebenserzählung über den schicksalsschweren kommunistischen Jahrhunderttraum, der sich als Illusion erweist. Seine eindringlich erzählte, bewegende Autobiographie ist ein Zeitzeugnis ersten Ranges.

Zu Bassam Tibis Buch „Islamische Zuwanderung und ihre Folgen – der neue Antisemitismus, Sicherheit und die ‚neuen Deutschen‘“:

Auf mehr als 500 Seiten Inhalt breitet Bassam Tibi seine Sicht der Dinge aus, nämlich das hochaktuelle Thema der islamischen Zuwanderung… nach Westeuropa, das v.a. in Deutschland als grosses aktuelles soziales Problem seit einigen Jahren besteht. Bassam Tibi, selber Moslem (er definiert sich als Reformmoslem) zeigt mit einer Schärfe und beissenden Kritik ohnegleichen auf, wie islamistische Kreise versuchen, in ihrem Sinn die naive Bevölkerung und v.a. die Politiker zu „verändern“: mit dem Ziel, nach und nach die totalitäre Scharia durch islamische Bevölkerungsinvasion durchzuboxen. Er zeigt auch gleissend auf, dass in diesen Kreisen ein extremer Antisemitismus herrscht. Und  er wiederholt immer wieder, dass die gutgläubigen und v.a. naiven Politiker – v.a. des linken Spektrums – alle diese negativen und demokratiefeindlichen Bewegungen entweder nicht wahrnehmen wollen oder Kritiker bekämpfen. Nach Tibi wird die liberale Gesellschaftsstruktur der freien europäischen Demokratien durch die aggressive Ausbreitung dieses Scharia-Islamismus verschwinden, wenn nicht eine Europakonforme liberale Form des Islams sich entwickeln kann.

Bassam Tibis Buch ist aus meiner Sicht ein seriöses Lehrbuch über den Islam in Europa und seine Auswirkung auf die europäischen Gesellschaft. Er betont es immer wieder: nur er als Moslem ist in der Lage, all diese Fakten auf den Tisch zu legen. Die „Gutmenschen“, die den Ton angeben, wollen – aus seiner Sicht – all diese Fakten nicht wahrnehmen.

Ich empfehle Bassam Tibis Buch dirngendst zu beachten und wenn irgend möglich sich die Zeit zu nehmen, es zu lesen und sich mit den offengelegten Fakten auseinander zu setzen!  

AMAZON Buchbesprechung:

Die Zuwanderung nach Deutschland hat seit der Grenzöffnung im September 2015 eine neue Dimension erreicht. Aus in Auflösung begriffenen Staaten kommen überwiegend muslimische Migranten als "neue Deutsche" in die Gesellschaft derer, "die schon länger hier leben" (Angela Merkel). Die Politik bietet Rhetorik und Durchhalteparolen – von der "Willkommenskultur" über "Wir schaffen das" bis zu "Fluchtursachen bekämpfen" –, hat aber weder ein schlüssiges Konzept für den Umgang mit den Flüchtlingsströmen noch für eine echte Integration der Zuwanderer.

Bassam Tibi, selbst syrischer Migrant, analysiert sachorientiert und kundig die Faktenlage. Integration, so zeigt er auf, ist etwas anderes als ein Zurschaustellen von Fremdenliebe, verbunden mit Unterbringung, Alimentierung und Sprachkursen. Integration erfordert vor allem das Angebot einer inklusiven Bürgeridentität des Aufnahmelandes und einer Annahme dieses Angebots durch Neuankömmlinge – nur so kann sich ein sense of belonging einstellen, ein Zugehörigkeitsgefühl und eine Identifizierung mit der Aufnahmegesellschaft und ihren Werten. Doch spätestens an diesem essentiellen Punkt versagt die deutsche Migrationspolitik vollständig und mit katastrophalen Konsequenzen, und das nicht erst seit 2015.

Viele hier lebende Muslime haben ein akutes Identitätsproblem – eine der Hauptursachen für religiöse Radikalisierung und Ablehnung der Aufnahmegesellschaft bis hin zu einer offen feindseligen Haltung ihr gegenüber. Tibi arbeitet eindringlich die Gefahren und Folgen heraus, die mit einem Scheitern des aktuell stattfindenden Großexperiments Zuwanderung verbunden sind, und bietet gleichzeitig eine scharfsinnige Analyse der Situation in den derzeit besonders problematischen Herkunftsstaaten

15. Januar 2018 

Im Jahr 2016 wurde erstmals  die Autobiografie von Adolf Eichmann, die er während der Haft in Jerusalem erstellt hat mit Kommentaren von Raphael Ben Nescher herausgegeben.

Ich kann bis heute nicht nachvollziehen, wie ein Mensch, der so unglaublich Grauenhaftes in seinem Leben vurursacht hat, sich bei seinem Prozess als "unschuldig im Sinne der Anklage" zu erklären. Dieser Prozess war aus seiner Sicht nicht statthaft, da der Staat Israel kein Recht hätte, ihn überhaupt aus Argentinien zu entführen und dann anzuklagen und zu verurteilen.

Mich persönlich interessiert so eine Persönlichkeit, deren Verhalten ich auf keine Art nachvollziehen kann. Mein Lesen von Eichmanns "Götzen" versprach ich mir etwas mehr, v.a. etwas Erklärendes, über seinen Charakter zu erfahren. Am Schluss wusste ich allerdings nicht mehr als am Anfang! Der "Mensch Eichmann" ist nach wie vor für mich ein Rätsel.

Raphael Ben Nescher, der Heruasgeber und Kommentator der Aussagen von Eichmann, vergleicht die Aussagen von Eichmann immer wieder mit dem bekannten "Sassen-Interview", dass E. einige Jahre früher in Argentinien dem SS-Offizier Sassen gab. Ben Nescher kann belegen, wie widersprüchlich und wie lügnerisch Eichmann vor dem Jerusalemer Tribunal bis zu seiner Hinrichtung war.  

Buchbeschrieb von AMAZON:

Als Adolf Eichmann 1960 vom israelischen Geheimdienst in Argentinien entführt, nach Israel gebracht und dort vor Gericht gestellt wird, gerät der Organisator der nationalsozialistischen Judenvernichtung erstmals ins Blickfeld der Weltöffentlichkeit. Seine Rolle bei der Organisation des Holocaust und der Prozess in Israel entfachen eine Diskussion über persönliche Verantwortung im Holocaust. Eichmann trägt durch seinen Auftritt im Prozess zu diesen Debatten bei. In der Gefängniszelle verfasst er seine Memoiren „Götzen“, die hier zum ersten Mal ausführlich kommentiert herausgegeben werden. Eichmanns Manuskript ist ein umfassendes Täterzeugnis, in dem der millionenfache Mord unumwunden zugegeben, gerechtfertigt und beschrieben wird. Es gibt Einblick in das Denken einer Person, die eifrig und pflichtbewusst eine zentrale Rolle bei der Durchführung des größten Völkermordes in der Geschichte einnahm.

Nach dem Lesen von Eichmanns "Götzen"wollte ich auch noch Harry Mulischs "Strafsache 40/61" unter die Lupe nehmen, die unmittelbar nach dem Eichmann-Prozess in Jerusalem erschienen ist. Hier kann man noch einiges mehr über die Biografie Eichmanns, v.a. seine Kindheit und Jugend, erfahren. Für mich eindrücklich ist, dass ich hier ein Bild eines sehr durchschnittlichen Menschen lese, der eigentlich auf keiner Ebene besonders hervorstechende Eigenschaften aufwies. Gerade dieser Umstand finde ich jedoch als besonders schrecklich, heisst dies doch, dass eigentlich viele Menschen, sofern sie in entsprechende Situationen kommen, in denen sie "Macht" ausüben können, sich zu einem Massenmörder-Monster entwickeln können! Dieses Buch zeigt - ergänzend zu "Götzen" - viele weitere Details dieses Massenmörders Eichmann! Es erklärt hingegen sein wirkliches Wesen noch lange nicht!

Ich habe noch weitere Biografien über Eichmann anschliessend gelesen. Ich kann aber bei weitem nicht behaupten, dass ich diesen Menschen in seinem nicht nachvollziehbaren Verhalten verstehen könnte! Ganz und gar nicht!

Aber nach dem Lesen von Eichmanns "Götzen" hatte ich das Bedürfnis, mich in Menschenbilder zu vertiefen, die in der gleichen Zeit wie Eichmann gelebt hatten, aber sich komplett anders verhalten hatten. Ein Lebensbild, das mich seit Jugendzeiten in dieser Beziehung beschäftigt, ist der Fall "Kurt Gerstein".  Dieser Mann, er war aktives Mitglied einer evangelischen Jugendbewegung (wie ich in meiner Jugend), versuchte auf seine Art und mit den Mitteln, die er als richtig empfand, gegen die Nazi-Unmenschlichkeit zu kämpfen. In den Dreissigerjahren landete er selber in einem Konzentrationslager. Später wollte er das Unrechtssystem „von innen“ kennenlernen und bekämpfen. Das tat er dann auch. Er war einer der ersten Zeugen von „Vergasungen“. Mit seinen Möglichkeiten versuchte er das Gesehene und selber Erlebte auf diplomatischen Kanälen an die Weltöffentlichkeit zu bringen (durch Schweden, die Schweiz usw.). – Am Ende der Nazi-Gewaltherrschaft versuchte er dann sich zu erklären. Er landete zuletzt in einem Gefängnis in Paris und wurde juristisch zur Rechenschaft gezogen. Aber bevor es zur Gerichtsverhandlung kam, man ihn tot in der Gefängniszelle. Ob die offizielle Version vom Selbstmord zutrifft oder nicht, kann bis heute nicht bewiesen werden. –

Es gibt einige neue Veröffentlichungen über Kurt Gerstein, die ich ebenfalls gelesen habe. Ich möchte in diesem Zusammenhang auf die Buchbeschreibung weiter unten des Buches "Kurt Gerstein oder die Zwiespältigkeit des Guten", von Saul Friedländer, hinweisen

18. April 2018 

Ein ganz neues, soeben (in deutsch) publiziertes Buch muss ich hier vorstellen: Irvin D. Yaloms "Wie man wird, was man ist".

Yalom ist für mich bezüglich Gruppentherapie (auf der ich ausgebildet wurde), aber nicht weniger als weltweit einer der aktuell berühmtesten Psychiater aber auch Author von (psychologisch angehauchten) Romanen, ein wichtig Persönlichkeit.

Der Mann ist inzwischen 87 Jahre alt geworden. Und nun ist seine Autobiografie soeben erschienen, die packt, fesselt und herausfordert! Rollo May (auch Psychiater) schrieb einmal über Yalom: "Yalom  schreibtwie ein Engel über die Teufel, von denen wir besessen sind."

Der hintere Klappentext umschreibt kurz und bündig und treffend über Yalom: "Irvin D. Yalom wurde 1931 als Sohn russischer Einwanderer in Washington, D.C. geboren. Er gilt als einer der einflussreichsten Psychotherapeuten in den USA und ist vielfach ausgezeichnet. Seine Fachbücher gelten als Klassiker. Seine Romane wurden international zu Bestsellern und zeigen, dass die Psychoanalyse Stoff für die s chönsten und aufregendsten Geschichten bietet, wenn man sie nur zu erzählen weiss."

Und Yalom weiss auch ebenso packend die aufregende Geschichte seines Lebens zu erzählen. Es ist nachvollziehbar, dass man in diesem hohen Alter, in dem Yalom steht, sich auch Gedanken macht über das Ende seiner Existenz. Diese Gedanken spiegeln sehr viele eigene Ängste. Beim Lesen vor allem der letzten Kapitel scheinen sich diese Lebensende-Ängste gewissermassen auf mich ein wenig übertragne zu haben!

Amazon-Buchbesprechung:

Sehr persönliche Erinnerungen, geschrieben mit der Offenheit, die ihn als Psychotherapeuten so besonders und letztlich weltberühmt machten. Irvin D. Yalom widmete sein Leben dem seelischen Leid anderer, in diesem Buch erzählt er von sich und den Umbrüchen, die ihn und seine Arbeit geprägt haben. Er berichtet von der Kindheit in prekären sozialen Verhältnissen, dem Minderwertigkeitsgefühl in jungen Jahren, der frühen Eigenwilligkeit, aber auch von den Kämpfen der verschiedenen psychotherapeutischen Schulen in den 1960er Jahren, den Anfängen der Studentenrevolte, der Menschenrechts- und Frauenbewegung, Drogen und Esoterik, und auch Berühmtheiten wie Viktor Frankl oder Rollo May kommen zu Wort. Entstanden ist so das Portrait eines Mannes, der sein Leben in Gänze ausgekostet und gleichzeitig mit extremen Sinn gefüllt hat – von ausgelassenen Flitterwochen auf dem Motorrad durch Frankreich bis zur therapeutischen Arbeit mit Krebspatienten und dem Reflektieren über den eigenen Tod.

Wer Yaloms Romane, wie „Die rote Couch“, „Die Liebe und ihr Henker und andere Geschichten aus der Psychiatrie“, „Und Nietzsche weinte“ und „Das Spinoza-Problem“ etc. mit  Begeisterung gelesen hat, der MUSS auch Yaloms Autobiografie lesen, die er frisch von der Leber weg auf 443 Seiten schrieb! 

30. Dezember 2017

 Ich bin wohl ein leidenschaftlicher "Bücherwurm" und lese seit Jugendtagen fast alles, was mir vor die Nase kommt. Ich bin allerdings nicht ein Spezialist in Krimis. Eine grosse Ausnahme macht da allerdings die grosse Dame der englischen Kriminalliteratur: Agatha Christie.  In jugendlichem Übermut verschlang ich diese Bücher und v.a. konnte ich mich an denVerfilmungen dieser Krimis  nicht sattsehen! In diesen Filmen spielt die berühmt-berüchtigte Miss Marple immer die Hauptrolle, eine sehr spezielle Figur, die zudem eine frappante Ähnlichkeit mit meiner Grossmutter mütterlicherseits hat - äusserlich, aber auch in ihrem Verhalten.

Und nun tauchte (für mich) auf einmal ein ganz neuer Krimi-Author auf, der mich in seinen Bann zog: Alfred Bodenheimer! Hier ist nicht eine schrullige alte Lady in der Hauptrolle, sondern der pfiffige Rabbi Gabriel Klein! Bis jetzt gibt es von Alfred Bodenheimer vier Krimis, die ich so richtiggehend verschlungen habe!

Alfred Bodenheimer kenne ich entfernt, und ich muss ehrlichg sein, dass dieser Mann mich wirklich überrascht mit diesen Mord- und Totschlaggeschichten.

Wer ist Alfred Bodenheimer:

(Hinterer Klappentext): Alfred Bodenheimer, geboren 1965 in Basel, studierte Germanistik und Geschichte. Seit 2003 ist er Professor für Jüdische Literatur- und Religionsgeschichte an der Universität Basel.

Bodenheimers Krimis sind leicht lesbar, witzig und spritzig, und von Zeit zu Zeit hatte ich den Eindruck, die eine oder andere Person sogar persönlich zu kennen.

Ich empfehle diese Krimis!

Hier im Detail die bis jetzt von Bodenheimer herausgekommenen Bücher:

Amazon Buchbesprechung:

Ein Fall für Rabbi Klein

Als ein Mitglied seiner Gemeinde ermordet wird, ist Rabbi Klein bestürzt. Bald darauf bittet Kommissarin Bänziger von der Stadtpolizei Zürich ihn um die Übersetzung einiger hebräischer E-Mails des Toten, ohne zu ahnen, dass es mit dem eigenwilligen Rabbi Klein nicht ganz einfach wird. Denn der macht sich Sorgen um seine Gemeinde, und als Klein die Rede zur Trauerfeier vorbereitet und über den Brudermord Kains nachdenkt, wird ihm klar, dass er wichtigen Hinweisen zum Verbrechen auf der Spur ist. Heimlich beginnt der sympathisch unperfekte Rabbi zu ermitteln ...

Amazon Buchbesprechung:

Rabbi Klein ist Gast in einer Fernsehshow. Ausgerechnet in seinen Armen stirbt wenig später der Moderator. Lejser Morgenroth, der eifersüchtige Freund des Toten, war am Tatort und hat ein Motiv. Verzweifelt bittet er Klein um Hilfe. Gegen den Rat seiner Frau Rivka will der Rabbiner das Verbrechen aufklären und trifft dabei auf eine junge Muslimin, einen katholischen Priester, einen Jungunternehmer und dessen atemberaubend schöne Frau. Dazwischen streitet er mit seinen Schabbatgästen, die drastische Ideen zur Bekämpfung der Feindschaft gegen Juden vertreten. In seinem vierten Krimi bringt Alfred Bodenheimer den gelehrten und beharrlichen Rabbi an seine Grenzen.

 Amazon Buchbesprechung:   

Als im Bahnhof Zürich-Enge eine Frau vom Zug überfahren wird, ahnt Rabbi Klein, dass es weder Selbstmord noch ein Unfall war. Er hat die Tote gut gekannt. Carmen Singer war ein aktives Mitglied der Cultusgemeinde, aber auch eine mehr als anstrengende Frau. Nach ihrem gewaltsamen Tod gerät Rabbi Kleins engstes Umfeld ins Visier der ermittelnden Kommissarin Bänziger. Doch auch Klein ist dem Verbrechen auf der Spur: Hat der langjährige Präsident der Gemeinde etwas zu verbergen? Und was hat die wohlhabende Julia Scheurer mit der Sache zu tun, deren Vater Liebesbriefe an eine Tote .

 ... und eine weitere Buchbesprechung vom Amazon:  

Amazon-Buchbesprechung: 

Was als Sabbatical Gabriel Kleins an der Universität Basel harmlos beginnt, wird zur Ermittlung in einem rätselhaften Mordfall. Das Opfer, ein erfolgreicher Anwalt, Jude und zudem Vorstandsmitglied der Gemeinde, wurde erschossen. Klein lässt sich von einem jungen Kommissar einspannen, um Nachforschungen in der jüdischen Gemeinde anzustellen. Dabei wird der Zürcher Rabbi mit unterschiedlichsten Formen abgrundtiefen Hasses konfrontiert. Während seiner Ermittlungen tritt sein eigentliches Ziel, die Übersetzung eines Buches über den jüdischen Messias aus dem 16. Jahrhundert, in den Hintergrund. Zu unrecht. Der dritte packende Krimi mit dem beliebten Ermittler aus der Schweiz.

5. Dezember 2017

Das ist ein Buch, das man lesen muss, eine Granate (Elke Heidenreich). Dieses Buch ist eine Granate, und vielleicht geht es anderen wie mir: man wird gepackt  und hat Mühe, mit Lesen aufzuhören!

Als ich vor Lesebeginn das eher ein bisschen naive  Bild der jungen Autorin anschaute, hätte ich nie erwartet, dass diese Dame so viel recht Deftiges und Erotisches anzubieten hätte!

Mein kleiner Enkel, Etan (gleichen Namens wie der Protagonist) war erstaunt, als ich ihm kurz über den Verlauf dieser Geschichte erzählte: "Warum machte dieser Etan Führerflucht?" Genau diese Frage stellte ich mir auch. Es folgte dann, was zu erwarten war: Erpressungen, Missverstände und zum Teil ganz gefährliche Situationen, die das gutbürgerliche Familienleben der Familie Grien durcheinandnerwirbelte!  

Amazon-Buchbeschrieb:

Ein Neurochirurg überfährt einen illegalen Einwanderer. Es gibt keine Zeugen, und der Mann wird ohnehin sterben - warum also die Karriere gefährden und den Unfall melden? Doch tags darauf steht die Frau des Opfers vor der Haustür des Arztes und macht ihm einen Vorschlag, der sein geordnetes Leben komplett aus der Bahn wirft.

Wie hätte man selbst in einer solchen Situation gehandelt? Diese Frage schwebt über dem Roman, der die Grenzen zwischen Liebe und Hass, Schuld und Vergebung und Gut und Böse meisterhaft auslotet.

23. November 2017

Ich habe soeben zwei bemerkenswerte Bücher von Deborah Feldmann gelesen, die eng miteinander verknüpft sind: "Unorthodox" und "Überbitten".

Diese beiden Bücher waren kurz nach ihrem Erscheinen Bestsellers in den USA und wurden es dann auch (deutsch übersetzt) in Europa!

Deborah Feldmann wuchs in der ultra-orthodoxen charedischen Gemeinschaft der Satmarer in Williamsburgh (New York) auf. Sie verliess nach einer arrangierten Ehe, wie das dort üblich ist, diese Gemeinschaft und suchte sich - nun sozusagen emanzipiert - ausserhalb, in der "freien Welt" ihren eigenen, ganz persönlichen Weg und Lebensstil. Ein Abfall von der (jüdischen) Sekte der Satmarer bedeutet nach wie vor - wie dies mit anderen Sekten (christlichen oder jüdischen) in der Regel immer der Fall ist - ein totaler Bruch mit der Kernfamilie und dem gesamten religiösen Umfeld. Es ist bekannt, dass meistens junge Menschen, die diesen Schritt vollziehen, in ein totales "Loch", eine totale Isolation fallen. Depressionen und eine extrem hohe Suizidrate sind öfters die Folge.

Deborah Feldmann beschreibt mit einer aussergewöhnlichen Eloquenz im ersten Buch "Unorthodox" ihre Kindheit und ihr Leben bis zur arrangierten Heirat mit einem Mann, den sie nur oberflächlich kennenlernen, aber nicht wirklich lieben konnte.

Im zweiten Buch "überbitten" vollzieht sie dann den totalen Ausbruch, ihren existentiellen Kampf und ihre Suche, sich selbständig zu machen, als Alleinerzieherin mit einem kleinen Sohn. Sie absolviert ein Studium in Literatur und fasst dann ihre bisherigen Lebenserfahrungen, ausserhalb der restriktiven religiösen Umgebung, ganz subtil zusammen.

Ich empfehle, die nachfolgenden Buchbesprechungen von Amazon dieser beiden Bücher. Im Anschluss finden Sie dann zu dieser hochbrisanten Thematik (der Situation in restriktiven charedischen Kreisen) einen aktuellen Artikel, der soeben in der israelischen HAARETZ erschienen ist.

Die Ausführungen von Deborah Feldmann haben mich zutiefst berührt. Während des Lesens ihrer Bücher fühlte ich mich in ihre Haut und in ihr Leben versetzt! Ich empfehle Deborah Feldmanns Ausführungen jedermann, der sich für diese Thematik interessiert!

 Amazon-Buchbesprechung:  

„Am Tag seines Erscheinens führte »Unorthodox« schlagartig die Bestsellerliste der New York Times an und war sofort ausverkauft. Wenige Monate später durchbrach die Auflage die Millionengrenze. In der chassidischen Satmar-Gemeinde in Williamsburg, New York, herrschen die strengsten Regeln einer ultraorthodoxen jüdischen Gruppe weltweit. Deborah Feldman führt uns bis an die Grenzen des Erträglichen, wenn sie von der strikten Unterwerfung unter die strengen Lebensgesetze erzählt, von Ausgrenzung, Armut, von der Unterdrückung der Frau, von ihrer Zwangsehe. Und von der alltäglichen Angst, bei Verbotenem entdeckt und bestraft zu werden. Sie erzählt, wie sie den beispiellosen Mut und die ungeheure Kraft zum Verlassen der Gemeinde findet – um ihrem Sohn ein Leben in Freiheit zu ermöglichen. Noch nie hat eine Autorin ihre Befreiung aus den Fesseln religiöser Extremisten so lebensnah, so ehrlich, so analytisch klug und dabei literarisch so anspruchsvoll erzählt.“

Amazon-Buchbesprechung:

„Kurz nach ihrem 23. Geburtstag verlässt Deborah Feldman die ultraorthodoxe chassidische Gemeinde der Satmarer Juden in Williamsburg, New York, und damit das Leben, das sie in Unorthodox ebenso packend wie anschaulich beschrieben hat. Eine Möglichkeit zurückzukehren gibt es für sie nicht. Sie folgt allein ihrem Traum, gemeinsam mit ihrem Sohn ein freies selbstbestimmtes Leben zu führen.
Ihr Alltag wird aber zum Überlebenskampf, und trotz existentiell bedrohlicher Armut und andauernder Einsamkeit gelingt ihr das Unvorstellbare: Mit der Publikation ihres Bestsellers Unorthodox 2012 wird sie über Nacht zum Medien-Star.
Doch spätestens da wird ihr klar, dass es nicht diese Art von Erfolg ist, die sie sucht, dass es ihr vielmehr seit jeher um eine innere Klarheit, die Integrität ihrer Persönlichkeit geht, die in ihrer religiösen Gemeinschaft mit ihren strengen Regeln immer wieder verletzt wurde. Sie verlässt New York, um auf dem Land die Werke der europäischen Literatur zu lesen, und beginnt zu ahnen, dass ihre Wurzeln in Europa liegen. Instinktiv begibt sie sich auf die Spurensuche ihrer geliebten Großmutter, die den Holocaust überlebt hat und die für sie in Williamsburg die einzige Person war, bei der sie sich sicher und angenommen fühlte.
Als sie zum ersten Mal nach Europa reist, ist sie noch hin- und hergerissen zwischen Ängsten, Vorurteilen und Zweifeln und dem ersten Gefühl eines Ankommens, wird sie schließlich in Berlin in genau jenem Land Wurzeln schlagen, das sie bei den Satmarer Chassidim als das Übel schlechthin kennengelernt hatte.
Bildstark und eindringlich erzählt Deborah Feldman diese Geschichte, in der die äußeren Stationen zugleich eine innere Entwicklung spiegeln. Sie ist das Zeugnis einer Frau, der es nach langem, erkenntnisreichem Weg gelungen ist, ihren Traum zu verwirklichen. Mit Überbitten stellt sie sich in einer verblüffend aktuellen Weise in die Tradition der Aufklärung des europäischen jüdischen Humanismus.
Dieses Buch ist ein faszinierendes Dokument der Versöhnung. Deborah Feldman schreibt dazu: »Der Begriff Iberbetn war in unserer Gemeinschaft so geprägt, dass er zu einem allgemeinen Ausdruck für unwahrscheinliche Eintracht wurde.«“

Ein Artikel in der israelischen HAARETZ vom 24. Oktober 2017 geht  detailliert auf diese Situation der ultra-orthodoxen charedischen Gemeinden ein, die nichtkonforme „Abtrünnige“ so praktisch mit Pech und Schwefel verfolgt. Dieser Artikel von Debra Nussbaum Cohen (New York) zeigt auch die fast unüberwindbaren Probleme, mit denen Menschen, die diese Gesellschaft verlassen haben, zu kämpfen haben. Dieser Artikel schildert auch sehr eindrücklich die Situation, in der Deborah Feldmann lebte und die sie mit ihren beiden Büchern auch beschreibt. 

The Harsh Reality Awaiting Hasidic Jews Who Leave Their Community Behind  

The new Netflix documentary 'One of Us' follows three Americans who leave their ultra-Orthodox past behind. Haaretz meets two of them to discover the challenges they faced in their efforts to forge new lives 

Debra Nussbaum Cohen (New York)  Oct 24, 2017 11:09 PM 

 ...und ein weiterer Artikel von HAARETZ (Januar 2018), der auf ein ähnliches Schicksal einer Frau aus charedischen (ultra-orthodoxen) Kreisen aufzeigt:

'It Felt Like Rape': A Hasidic Woman's Journey Out of an Arranged Marriage – and the Closet

Chavie Weisberger married a man she’d barely met and suffered for years until she realized she was a lesbian. But her greatest battle was yet to come

By Tzach Yoked Jan 18, 2018  

15. Oktober 2017

Während den soeben zu Ende gegangenen Herbstferien in Istrien habe ich zwei Bücher gelesen, die mir einerseits wichtige Informationen über das islamistische Geschehen in der Schweiz boten (von Saida Keller-Messahli) und andererseits ein Buch, das ein Leben eines "einfachen Mannes" schildert!

"Islamistische Drehscheibe Schweiz" von Saida Keller-Messahli

Die Verfasserin dieses  Buches, Saida Keller-Messahli, wirkte für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) von 1997 bis 2001 als internationale Beobachterin in Hebron (Westbank) und betätigte sich dann - zurückgekehrt in die Schweiz - innerhalb der Gesellschaft Schweiz-Palästina sehr militant rund um die Auseinandersetzungen über den Palästinakonflikt. Ich geriet mit ihr einmal direkt und persönlich in die Haare bei einer Palästina-Veranstaltung in der Zürcher "Helferei" an einer Palästina-Veranstaltung, als sie von "einem Massaker" von israelischen Soldaten in Jenin (im Westjordanland) faselte. Dieses "Massaker" gab es nachweislich nicht.

Es scheint aber, dass sich Keller-Messahli in der Zwischenzeit auf die Thematik des militanten Islamismus fokussiert hat. Saida Keller-Messahli tritt sehr öfters in den Medien auf und vermittelt ein Bild einer seriösen, aufgeklärten und sehr liberalen Muslima. Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Problematik der Islamverbände und deren Moscheen in der Schweiz und in Europa aufzudecken. Ihr Buch "Islamistische Drehscheibe Schweiz" - ein Blick hinter die Kulissen der Moscheen, vermittelt Keller-Messahlis breites Wissen über die militante Islamismus-Szene.

Amazon-Buchbesprechung:

"Die Angst vor Terroranschlägen greift um sich und beginnt das Leben vieler Menschen zu dominieren. Dennoch versäumt  es die Politik, den Organisationen und Financiers, die den Nährboden zur Radikalisierung junger Muslime bereiten, das Handwerk zu legen. Saïda Keller-Messahli befasst sich seit Jahren mit den Islamverbänden und deren Moscheen in der Schweiz und in Europa und hat beunruhigende Entwicklungen aufgedeckt. Salafistische Wanderprediger und radikale Imame versuchen in Moscheen, mittels Lies!-Ständen und sogenannter Seelsorge in Gefängnissen, Flüchtlingsunterkünften und an Schulen Einfluss zu nehmen. Sie verbreiten eine erzkonservative Auslegung des Islams, die jede Erneuerung verhindert. Drahtzieher sind die reichen Golfstaaten, allen voran Saudi-Arabien und die dort gegründete Islamische Weltliga. Die Politik ist angesichts dieser globalen Netzwerke ratlos, die Behörden naiv – doch nur eine konsequente Politik der Nulltoleranz kann dem Treiben der Islamisten Einhalt gebieten."

Dieses Buch spiegelt eine seriöse (und auch harte) Arbeit einer sehr schwierigen Thematik, die uns alle betrifft: den menschenverachtenden Islamismus, der durch blutige Attentate seit Jahren Angst und Schrecken verbreitet.

Dieses Buch muss gelesen werden, denn die detaillierten Ausführungen von Keller-Messahli bieten eine fundierte Grundlage der aktuellen und bedrohlichen Situation rund um die Problematik des Islamismus!

Im 6. Kapitel bietet sie dann auch interessante Lösungsansätze für einen liberalen und säkularen Islam an. Ich bin begeistert von ihren Ausführungen und kann dieses Buch wärmstens empfehlen!

Nun zu etwas ganz anderem:

Robert Seethalers Buch "Ein ganzes Leben" bewegt sich auf einer ganz anderen Ebene, einer Ebene, die mich beim Lesen menschlich zutiefst gerührt hat!  

In den letzten Jahren wurde vor allem in der Schweiz die Tragödie der "Verdingkinder" auf den Tisch gebracht. Das Schicksal der Kinder, die wie Sklaven gehalten und ausgebeutet  wurden, erreichte sogar die politische Bühne. Und es kam sogar so weit, dass von der offiziellen Schweiz nachträglich an diese Opfer der Gewalt Zahlungen angeboten wurden. Diese Schicksale gehen in die Tausende, und diese Kinder - schutz- und elternlos - wurden bei Bauern herumgereicht.

Das Buch von Robert Seethaler - Ein ganzes Leben - beschreibt in Romanform so ein Schicksal in Österreich.

Amazon-Buchbesprechung:

"Als Andreas Egger in das Tal kommt, in dem er sein Leben verbringen wird, ist er vier Jahre alt, ungefähr – so genau weiß das keiner. Er wächst zu einem gestandenen Hilfsknecht heran und schließt sich als junger Mann einem Arbeitstrupp an, der eine der ersten Bergbahnen baut und mit der Elektrizität auch das Licht und den Lärm in das Tal bringt. Dann kommt der Tag, an dem Egger zum ersten Mal vor Marie steht, der Liebe seines Lebens, die er jedoch wieder verlieren wird. Erst viele Jahre später, als Egger seinen letzten Weg antritt, ist sie noch einmal bei ihm. Und er, über den die Zeit längst hinweggegangen ist, blickt mit Staunen auf die Jahre, die hinter ihm liegen."

Im Klappentext dieses Paperbacks lese ich einige Bemerkungen, die meine eigenen Gefühle rund um diesen Menschen, der hier im Fokus dieses wunderbaren Buches steht, widerspiegeln:

"Ein Dorf in den Alpen, ein Alltag voller Entbehrungen, das Staunen über die Momente des Glücks- die Geschichte eines Lebens."

"Was für ein wunderbarer Autor, der uns so tief bewegen kann mit einem unvergesslichen Buch." (Elke Heidenreich)

"Wer seiner Seele eine Freude machen will, der lese dieses Buch." (Christine Westermann.

Dieses Buch, resp. die Lebensgeschichte dieses Menschen, hat mich zutiefst bewegt, und es klingt noch nach!

26. September 2017

Leonard Cohen war für mich eigentlich bis zu seinem Tod vor ca. 2 Jahren eine unbekannte Persönlichkeit. Wohl hörte ich von Zeit zu Zeit Songs von ihm. Aber ich wusste zB. überhaupt nicht, dass er nicht nur Sänger war, sondern auch als Poet von sich reden liess.

Das Buch von Sylvie Simmons mit fast 750 Seiten, öffnete mir einige Türen zum Menschen Leonard Cohen, dem Enkel eines Rabbiners, der bis zu seinem Tod dem Judentum eng verbunden blieb.

Ich überlasse es Amazon, kurz über Sylvie Simmons Biografie zu berichten:

Buchbeschreibung von Amazon:

„Er ist der letzte Poet der Popkultur, der Womanzier mit der tiefen Stimme, der melancholische Songwriter, der ganze Generationen beeinflusst hat, rastlose Seele und schillernde Persönlichkeit zugleich. Leonard Cohen gilt als Jahrhunderttalent. Die renommierte Musikjournalistin Sylvie Simmons ist der lebenden Legende auf den Grund gegangen. Für ihre einzigartige Biographie über das Leben von Leonard Cohen hat sie mit mehr als 100 von Cohens Wegbegleitern gesprochen – seinen Musen, Musiker- Kollegen wie Nick Cave, seinen Produzenten, seinen engsten Freunden aus Kindertagen – und nicht zuletzt mit dem öffentlichkeitsscheuen Leonard Cohen selbst. Herausgekommen ist eine umfassende, sorgfältig recherchierte Biographie, die faszinierende Details offenbart und eine neue Perspektive auf das Leben einer der ungewöhnlichsten Lichtgestalten der Musikgeschichte wirft.“

Leonard Cohen hat nach dem Lesen dieser Biografie für mich ein "Gesicht" bekommen. Ich höre nach und nach seine Songs, die sich so praktisch durch sein Leben ziehen. Seine melancholische Art, seine Gedanken in Melodien umzusetzen, packen mich. Besonders die Songs "Halleluja" (aus dem Hallel der synagogalen Liturgie) und sein "Hineini, I'm ready, my Lord" sind für mich "Ohrwürmer geworden.

Leonard Cohen hat offenbar ein sehr lebhaftes und sehr bewegtes Leben mit vielen Ups and Downs abgezogen. In diesem Leben spielte ganz klar einerseits seine sehr problematische psychische Situation, aber andererseits auch eine recht lebhafte Sexualität eine grosse Rolle.

Sein Buch "Beautiful Losers" sorgte im Jahr 1966 für Furore. In der Biografie von Sylvie Simmons wird immer wieder besonders darauf hingewiesen. Um Leonard Cohen noch etwas mehr verstehen zu können, kaufte ich mir dieses Buch ebenfalls und liess es auf mich wirken!

Amazon schreibt darüber das Folgende:

"Wild, respektlos und schräg – Leonard Cohens zweiter Roman verursachte bereits bei seiner Veröffentlichung im Jahr 1966 eine literarische Kontroverse. In Windeseile wurde »Beautiful Losers« zu einem internationalen Bestseller und avancierte zum Kultbuch einer ganzen Ära. Endlich ist der Roman nun zurück und hat nichts von seiner Sprengkraft eingebüßt. »Beautiful Losers« legt nahe, warum Cohen von Millionen Fans nicht nur als Sänger und Songwriter, sondern auch als Lyriker und Autor vereehrt wird."

Als "wild, respektlos und schräg..." habe ich Cohens Roman ebenfalls empfunden. Vielleicht bin ich schon etwas zu alt, um all diese Eskapaden und Verrücktheiten, die Cohen hier zu Papier gebracht hat, nachzuvollziehen. Aber ich denke, dass es sich trotzdem lohnt, dieses verrückte Buch einmal zu lesen. Man kann dann sicher diese "Flower-Power-Generation" der damaligen 60er Jahre besser verstehen!

26. September 2017

Das neueste Buch der israelischen Autorin Lizzi Doron "Sweet Occupation" ist ein ganz besonderes Buch, das auf ganz spezielle Art die heikle Situation zwischen Israelis und Palästinensern aufzeigt.

Dieses Buch von Lizzi Doron ist frisch aufgelegt worden, auf deutsch. Wie ich lese, hätte Doron in Israel selber keinen Verleger gefunden, der den Mut gehabt hätte, es auf Hebräisch herauszugeben. Nach dem Lesen dieses Buches, frage ich mich, warum dieses Buch der israelischen Leserschaft nicht zugetraut wurde!

Wie auch immer: Das hier Geschilderte, die von der Israelin in Worte gekleideten Begegnungen mit Palästinensern, die teilweise "Blut an den Händen" aufzuweisen haben, ist nicht nur lesenwert, es ist aufwühlend. Der Konflikt rund um Palästina ist in der Tat eine schmerzliche Angelegenheit und dauert nun mehr als 100 Jahre. Eine wirkliche, nachhaltige Lösung dafür scheint nach wie vor nicht in Sicht zu sein.

Lizzie Doron schildert in ihrem neuesten Buch auf ganz subtile Art ihre Begegnungen mit Palästinensern, mit fünf Männern, verurteilten ehemaligen Terroristen, aber auch mit israelischen Refuseniks (Chen und Emil) die sich als israelische Soldaten weigerten, den Dienst an der Waffe in den besetzten Gebieten weiter zu verrichten.

Ich gebe das Wort der Amazon-Buchbesprechung:

"Fünf Männer in der Mitte ihres Lebens: Die verurteilten ehemaligen Terroristen Muhammad, Suleiman und Jamil aus den besetzten Gebieten sowie die Israelis Chen und Amil, die den Dienst an der Waffe verweigert haben. Männer, die im Gefängnis saßen und, nachdem sie wieder freikamen, die »Friedenskämpfer-Bewegung« gründeten, entschlossen, ihrem Leben eine entschieden andere Richtung zu geben. Muhammad nahm Kontakt zu Lizzie Doron auf, und so traf sie diese Männer: Feinde, Widersacher. Palästinenser, die die Juden töten wollten, und Israelis, die sich geweigert hatten, ihr Land zu verteidigen.

Ein Jahr lang hörte sie ihren Kindheitserinnerungen zu, lernte ihre Gefühle kennen, ihre Träume und Ängste, erfuhr von dem Moment, als sie anderen das Leben nahmen. Entstanden ist ein ergreifendes Dokument über einst Radikale, die dem sinnlosen Hass eine Perspektive entgegensetzen: Worte sind stärker als Molotowcocktails, Handgranaten oder Steine. Und Rettung bringen oft diejenigen, die nicht mit dem Strom schwimmen."

Für einen Menschen wie mich, der sich ernsthaft bemüht, beide Seiten in diesem tragischen, existentiellen Konflikt zu verstehen, ist das Lesen dieser Begegnungen und Aufzeichnungen von Lizzi Doron ein Must!

12. September 2017

Ein Buch, das ich vor vielen, vielen Jahren gelesen habe (und den Inhalt inzwischen fast vollständig vergessen habe) nahm ich mir wieder vor: Die vierzig Tage des Musa Dagh von Franz Werfel.

Während des Lesens dieser rund 1'000 Buchseiten lebte ich gedanklich in der Zeit vor rund 100 Jahren, als die armenische Bevölkerung in der Türkei blutig verfolgt, ermordet und in den Tod getrieben wurde. Bekanntlich leugnet ja die offizielle Türkei bis heute diesen Genozid.

Hundertausende von unschuldigen Menschen wurden verfolgt, man spricht von mehr als 1 1/2 Millionen von ermordeten Armeniern. Diese tragische Geschichte ist in ihren schrecklichen Einzelheiten für Europäer eher unbekannt. Und noch weniger bekannt ist auch die Geschichte des Widerstands von etwa 5000 Armeniern von Dorfgemeinden, die sich auf den Berg Mosis, dem Musa Dagh, zurückzogen und verschanzten. Von dort wurde ein Widerstand gegen die anrückenden türkischen Truppen organisiert.

Franz Werfel wurde Ende der Zwanziger Jahre mit dem Schicksal von überlebenden Armeniern konfrontiert. Und aus dieser Betroffenheit heraus recherchierte er und schrieb dann dieses beispiellose Buch über das armenische Schicksal.

Hinterer Klapentext: " Das Jammerbild verstümmelter und verhungerter Flüchtlingskinder, die in einer Teppichfabrik arbeiteten, gab den entscheidenden Anstoss, das unfassbare Schicksal des armenischen Volkes dem Totelreich alles Geschehene zu entreissen.."

Franz Werfels Roman "Die vierzig Tage des Musa Dagh" beschreibt das Leben der geflohenen Bewohner von sechs aremnischen Dörfern, ca. 5'000 Seelen, die sich in der Bergregion des Mosesbergs (des Musa Dagh) verschanzten und - so gut es ging - gegen die türkischen Invasoren zur Wehr setzten. Fünftausend Menschen ganz verschiedener Natur hatten es natürlich gerade in dieser tragischen Zeit nicht so leicht, miteinander auszukommen - wie könnte es anders sein! Franz Werfel beschreibt die vielen kleineren und auch grösseren Konflikte, die zwischen diesen geflüchteten Menschen,  das Leben noch zusätzlich schwer machten.

Diese tausend Buchseiten sind happig, sind bewegend und provozieren beim Leser ein Auf und Ab von Gefühlen. So erging es mir jedenfalls. Am Schluss passierte mir dann das, was ich schon in frühen Jugendjahren jeweils am Ende eines Buches erlebte: der Abschied von diesen hier beschriebenen Menschen fiel mir schwer!

Die vierzig Tage des Musag Dagh ist ein Buch, das gelesen werden muss. Auch wenn es eine Tragödie beschreibt, die vor mehr als 100 Jahren geschah!  

Der Spiegel-Online brachte im Jahr 2007 einen Artikel über dieses schreckliche Genozid und traf eine noch überlebende Person aus jener Zeit:

Im Spiegel Online 21.5.2007 :

... und ein weiteres Buch von Franz Werfel, das ich kürzlich gelesen habe, und das ich empfehlen kann:

Jeder, der einmal eine "Klassenzusammenkunft" mit Schulkameraden und -kameradinnen erlebt hat weiss, dass bei solchen Gelgenheiten jeweils recht viel Emotionales aus fernen Schultagen auf den Tisch kommt.

Und um so eine Klassenzusammenkunft, eines Abituriententages, geht es in diesem Buch, das auch noch überschrieben ist mit "Geschichte einer Jugendschuld". Es ist eine spannende Geschichte, die einiges an Unverarbeitetem anzubieten hat, und eine Geschichte, die von Franz Werfel mit sehr viel Feingefühl aufgetischt wird.

Handlung

Werfels Roman spielt in einer Großstadt zwischen den beiden Weltkriegen. Wenngleich der Name der Stadt nicht genannt wird, deuten mehrere urbane und politische Hinweise darauf hin, dass es sich um die Hauptstadt der neuen Tschechoslowakei, um Prag handelt. Dort hat der dreiundvierzigjährige, aus Wien stammende Untersuchungsrichter Landesgerichtsrat Dr. Ernst Sebastian von Portorosso im Jahr 1927, an dem Tag, an dem ein Klassentreffen ansteht, einen Festgenommenen zu verhören, der verdächtigt wird, die Prostituierte Klementine Feichtinger in deren Wohnung erschossen zu haben.

Das Buch (144 Seiten) ist sehr spannend und gibt, vor allem am Anfang, viel Stoff für Mutmassungen. Ich habe jede Seite genossen, und beim Lesen kamen bei mir selber auch die eine und andere Erinnerung aus meiner Schulzeit.

 23. Mai 2017

"Der Koran - Botschaft der Liebe, Botschaft des Hasses"

von Hamed Abdel-Samad

"Der Islam", und v.a. sein heiliges Buch, "Der Koran" sind schon seit einigen Jahren ein Thema, das diskutiert wird. In der Schweiz leben fast eine halbe Million Moslems. In Westeuropa sind es einige Millionen. Kopftücher, Vollbärte und weitere religiöse Symbole des Islams begegnen uns auf Schritt und Tritt. In der UNO hören wir von zahlreichen Resolutionen, die eindeutig von denjenigen Ländern, die eine islamische Mehrheitsbevölkerung haben, eingebracht werden. Diese UNO-Resolutionen zielen in der Regel auf den jüdischen Staat Israel und versuchen ihn zu diskreditieren. Untersuchungen ergaben, dass gegen 75% der Moslems antisemitische Gefühle hegen.

Auf der Zürcher Bahnhofstrasse verteilt die salafistische Organisation "Lies" Gratis-Koran-Exemplare. Weltweit hören wir regelmässig von Attentaten, die von Fanatikern des IS, des Dschihads brutal und blutig ausgeführt werden, die sich auf den Koran berufen.

Hamed Abdel-Samad, aus Ägypten aus einem religiösen Hause stammend, hat 2016 ein Buch publiziert mit dem Titel "Der Koran - Botschaft der Liebe, Botschaft des Hasses".

Ich persönlich habe schon einige Bücher über diese Thematik gelesen. In unserem Büchergestell liegt auch eine Ausgabe des Korans. Aber bis anhin kam ich damit noch nicht so richtig klar. Abdel-Samads Koran-Besprechung half mir nun erstmals so richtig auf die Beine, zeigte mir übersichtlich, um was es beim "Koran" geht.

Wer ist Hamed Abdel-Samad? (Hinterer Klappentext) Hamed Abdel-Samad, geboren 1972 bei Kairo, zählt zu den profiliertesten islamischen Intellektuellen im deutschsprachigen Raum. Seine Bücher, darunter "Der Untergang der islamischen Welt" und seine Autobiographie "Mein Abschied vom Himmel" sorgten nicht nur in Deutschland für Aufsehen. Die Thesen seines Buches "Der Islamische Faschismus" führten dazu, dass eine Todes-Fatwa gegen ihn ausgesprochen wurde und er seither unter permanentem Polizeischutz lebt. Sein zuletzt erschienenes Buch "Mohamed. Eine Abrechnung" stand wochenlang auf Platz 1 der Spiegel-Bestsellerliste."

Die Süddeutsche Zeitung sagt über ihn: "Hamed Abdel-Samad war einst ein Islamist. Inzwischen bekämpft der Publizist jedoch mit heiligem Furor das, wofür er einst stand. Er ist ein ägyptischer Salman Rusdhie."

Im vorderen Klappentext des Buches steht eine Zusammenfassung, die ich hier einblenden möchte:

"Der Koran ist ein sehr vielschichtiges und in sich widersprüchliches Buch. Es ist ein bisschen wie in einem grossen Supermarkt, man findet in diesem heiligen Text der Muslime fast alles: Mitgefühl und Hass; Frieden und Gewalt; Toleranz und Intoleranz; Vergebung und Rache; Zusammenleben mit und Vertreibung von Andersgläubigen. Jeder, der den Koran genauer liest, wird die klaren Widersprüche erkennen zwischen den Versen, die zu Vergebung und Mitgefühl aufrufen, und jenen, die Gräueltaten und Kriegszüge gegen die Ungläubigen fordern. Nur: An welchen Versen soll man sich orientieren?

Hamed Abdel-Samad versucht, diese Widersprüche zu beleuchten und sie ein Stück weit aufzulösen. Das gelingt nur, wenn man den Koran als Werkt begreift, das untrennbar mit Mohamed, dem Propheten Gottes, und der Zeit seines Lebens und Wirkens verbunden ist. Der Koran schildert in weiten Teilen die Geschichte eines Mannes und seiner Gemeinde; viele Verse hatten ihre Berechtigung zu einer bestimmten Zeit und in einem bestimmten Kontext. Daher haben manche Waren aus diesem "koranischen Supermarkt" auch ein Verfalldatum.

Die Lösung für viele Konflikte liebt nicht in erster Linie in einer zeitgemässen Interpretation des Korans, sondern in einer Emanzipation von der Göttlichkeit des Textes. Wenn man den Koran vom Sockel des Unangastbaren herunterholt, werden vielleicht nicht mehr radikale Gotteskrieger das Bild des Islam prägen, sondern jene, die der Botschaft der Liebe, der Toleranz und des Mitgefühls folgen."

Ich empfehle,. Abdel-Samads "Koran" unbedingt zu lesen!

16. Mai 2017

Chedva und ich weilten kürzlich in Andalusien (Südspanien). Ich habe mich mit der Geschichte Andalusiens im Mittelalter bis 1492, dem Jahr der Vertreibung (oder Massen-Konversion) der damaligen jüdischen Bevölkerung, jahrelang mit grossem Interesse beschäftigt. Aus diesem Grund war es für mich eine besondere Freude, auch endlich einmal physisch das Land, in dem es eine 800jährige islamische Herrschaft gab, einem Land, in dem es - wenn auch nur ansatzweise - so etwas wie "Goldene Zeiten" zwischen den monotheistischen Bevölkerungen (Moslems, Christen und Juden) gab. In der Folge der Reconquista und unter der Fuchtel der fanatischen und blutrünstigen Inquisition wurde dann aber 1492 eine ganz andere Saite von der katholischen Isabella, der Herrscherin Andalusiens, angeschlagen, die für viele dort lebenden Menschen eine reine Katastrophe bedeutete.

Menschen, die sich nicht zum katholischen Glauben bekehren wollten, mussten das Land verlassen. Das taten dann in der Folge auch Abertausende von Juden (und Moslems), die sich dem Katholizismus nicht unterwarfen. Es gab damals aber auch einen Teil v.a. unter der jüdischen Bevölkerung, der sich nur zum Schein "katholisch" gab und - mindestens im Untergrund noch den alten (jüdischen) Traditionen anhing. Mit der Tätigkeit der Inquisition folgte nun eine fürchterliche Zeit der Überwachung, der Denunziation und letzten Endes auch der brutalen Vernichtung von wirklichen, aber auch nur verdächtigten, Juden. Das Zeitalter der Conversos, der Marranos ist durch tragische Schicksale gezeichnet.

Das Buch "Cordoba" von Waltraut Lewin beinhaltet so ein Familienschicksal im damaligen Cordoba. Es ist ein Roman mit einer historischen Wurzel!

Buchbesprechung von Amazon:

Spanien, irgendwann im 16. oder 17. Jahrhundert. Überall im Land flüchten Conversos, «Neuchristen», vor dem blinden Hass ihrer Mitbürger. Nur in Cordoba regieren noch Vernunft und Toleranz - hier herrscht Marias Vater, ein Mann des Ausgleichs. Unter den Schutz des Bürgermeisters gestellt finden Flüchtlinge aus ganz Spanien Zuflucht in der Stadt.
Doch der Frieden ist trügerisch. Der neue Bischof wiegelt mit Hasspredigten die Bevölkerung auf und holt die Inquisition in die Stadt. Als Marias Vater stirbt, ist die Stadt der Kirchenmacht ausgeliefert. Die Situation eskaliert, als Marias beste Freundin während der Prozession zu Ehren des heiligen Jakob ein Glas Limonade über den Mantel der Marien-Statue verschüttet - Gotteslästerung wirft die aufgebrachte Menge ihr vor. Reina und ihre Familie schweben in Lebensgefahr - und damit auch Diego, der Mann, in den Maria sich unsterblich verliebt."

"Cordoba" ist - wie oben beschrieben - nicht nur ein historischer Roman, es ist auch ein Liebesroman, ein ganz zärtlicher, romantischer. Ich genoss dieses Buch, und ich kann es jedermann weiter empfehlen, der gerne romantische Geschichten liest, aber auch historische Romane schätzt!

5. April 2017

Zum Film: "Staatenlos - Klaus Rozsa, Fotograf", Vorpremiere im Kino Arthouse le Paris, organisiert durch SERET (Kino aus der jüdischen Welt).

Dieser Film, ich betrachte ihn als einen Film der besonderen Art, wird als Dokumentarfilm angepriesen. Im Kino Arthouse Le Paris sprach Klaus Rozsa, der Hauptdarsteller, am 5. April 2017, persönlich. Und im Anschluss an die Vorstellung wurde darüber unter der Moderation von Daniela Lager mit Doris Fiala, Zürcher FDP-Nationalrätin, Marcel Alexander Niggli, Strafrechtsprofessor an der Universität Freiburg und Jacques Picard, Professor für jüdische Geschichte diskutiert.

Klaus Rozsa kam als 2-jähriger Ungarn-Flüchtling 1956 in die Schweiz und machte als Fotograf von unzähligen Demos, politischen Aufständen gegen das Establishment von sich reden. Er stammt aus einer jüdischen Familie, die Überlebende der Shoa sind.

Der Film geht auf das Schicksal seiner Eltern im Ungarn zur Zeit der Deutschen Besetzung in Budapest. Er zeigt den heranwachsenden Menschen, wie er bereits in der Primarschule antisemitisch drangsaliert wurde, wie er in einem katholischen Internat in Deutschland schickaniert wurde und wie er sich nachher durch all die Jahre hindurch in der linken Szene für jede Art von Unterdrückung und Ausgrenzung wehrte, vor allem mit seiner Kamera aktiv wurde. Es scheint, dass es damals (und heute auch?) im Zürcher Polizeicorps an brutalen, primitiven und auch antisemitischen Figure nicht fehlte. Dreimal wurde Klaus Rozsa eine Einbürgerung verwehrt, unter meistens fadenscheinigen Begründungen.

Ich lasse den Text auf der Seret-Einladung hier einfliessen, der detailliert über Klaus Rosza und seinen Film berichtet:

""Weil er Polizeiübergriffe festhält, behindert er die Arbeit der Polizei", so der Staatsschutz über Klaus Rozsa, den Protagonisten des Films. Erich Schmid, ein Regisseur der sich schon immer dem gesellschaftspolitisch relevanten Film verschrieben hat ("Meier 19", "Er nannte sich Surava"), portrâitiert Klaus Rozsa als den unbeugsamen Kämpfer, der seit seiner Jugend mit der Kamera Polizeigewalt dokumentiert, für die Freiheit der Berichterstattung einsteht und sich auch unter widrigsten Umständen davon nicht abbringen lässt."

und weiter:

"Zum Film: Klaus Rozsa kommt 1956 als Zweijähriger mit seinen aus Ungarn geflüchteten Eltern und seiner Schwester in die Schweiz. Sein Vater hat Auschwitz überlebt und bleibt ein Gezeichneter. Klaus, geprägt von der Vergangenheit der Eltern entwickelt ein ausgeprägtes Bewusstsein für Unrecht. In den 1970er und insbesondere in den 1980er Jahren, während der Zürcher Unruhen, als die Jugend sich ein autonomes Jugendzentrum erstreiten will, dokumentiert Klaus Rozsa die Auseinersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei und zeigt die Übergriffe der letzteren. ER wird mehrmals festgenommen und angekklagt, sein Einbürgerungsgesuch mehrfach abgelehnt."

Ich denke, dass man diesen Film sehen muss, und dass man sich mit dieser Geschichte, mit diesem Menschen Klaus Rozsa auseinandersetzen muss. Ich bin sicher, dass es den meisten Kinobesuchern so geht wie mir: der Mensch Klaus Rozsa geht unter die Haut. Sein Streben nach Gerechtigkeit wirkt überzeugend. Die Willkür der brutalen Polizisten, die in Originalaufnahmen ins Spiel gebracht werden, ist augenfällig!  

Lesen Sie einige entsprechende Artikel darüber in der NZZ (eine Auswahl):

 

https://www.nzz.ch/feuilleton/der-portraetfilm-staatenlos-die-causa-rozsa-ld.209095 

 

https://www.nzz.ch/zuerich/freispruch-fuer-pressefotografen-1.18139436

 

https://www.nzz.ch/zuerich/stadtpolizisten-vor-gericht-1.18466889

 

https://www.nzz.ch/freispruch-fuer-zwei-stadtpolizisten-oberrichter-schenkt-klaus-rozsa-keinen-glauben-ld.11125

 

 

28. März 2017

Jeder Mensch ist ein Unikat, das ist wohl eine Binsenwahrheit. Ich denke aber auch, dass jede Familie, jede Familiengeschichte etwas ganz Einmaliges ist. Bekanntlich sind ja gerade diejenigen "Geschichten" einer Familie, über die macht nicht spricht, ganz besonders interessant, manchmal auch auf unheimliche Art! Schwarze Schafe gibt es bekanntlich in jeder Familie. Aber das "schwarze Schaf" in der adeligen Familie Batthyany mag wohl mehr als nur "schwarz" sein!

Sacha Batthyany (mit ungarischen Wurzeln) musste entdecken, dass eine Grosstante - angeheiratet aus sehr reichem Thyssen-Haus - ganz Schlimmes auf dem Kerbholz hatte. Als er von dieser schrecklichen Geschichte hörte, musste er sich mit seiner Herkunft auseinandersetzen. Er reiste an die Orte des Geschehens und schrieb über das, was er herausfand, ein Buch. Es scheint, dass der Buchtitel klar umschreibt, mit was er sich auseinander zu setzen hatte: "Und was hat das mit mir zu tun?" -

Hier geht es um "Tante Margit" aus der reichen Thyssen-Familie. Am Ende des Zweiten Weltkrieges geschah an der ungarischen Grenze, in Rechnitz, ein fürchterliches Massaker an 180 jüdischen Menschen, in das diese Tante verwickelt war und über das innerhalb der Familie geschwiegen wurde - bis heute.

Martin Doerry schreibt im Spiegel: "Ein glänzend geschriebenes Buch über Rechnitz und andere familiäre Abgründe, ein historisches Panorama, in dem sich die Geschichte seiner Familie mit der Geschichte Mitteleuropas verbindet - und nicht zuletzt ein grosser Essay über die Gegenwart."

Wer ist Sacha Batthyany: (hinterer Klappentext) "... geboren 1973, studierte Soziologie in Zürich und Madrid, war Redakteur bei der Neuen Zürcher Zeitung und arbeitet seit 2010 beim Magazin des Tages-Anzeigers. Er ist Dozent an der Schweizer Journalistenschule und lebt seit 2015 in Washington D.C., wo er für den Tages-Anzeiger und die Süddeutsche Zeitung als Korrespondent über Politik und Gesellschaft berichtet."  

Um was geht es in diesem Buch genau:

(Buchbeschreibung von Amazon)

"Sacha Batthyanys Großtante war in eines der schrecklichsten Nazi-Verbrechen am Ende des Zweiten Weltkriegs verwickelt. Als er ihre Geschichte aufschreibt, stößt er auf ein altes Familiengeheimnis.
Wenige Wochen vor Kriegsende gibt Gräfin Margit Thyssen-Batthyány im österreichischen Rechnitz ein rauschendes Fest. Gegen Mitternacht verlassen die Gäste das Schloss und erschießen 180 Juden, die am Bahnhof auf den Weitertransport warten. Was genau in dieser Nacht geschieht, ist bis heute unklar. »Und was«, fragt der Schriftsteller Maxim Biller den Autor, »hat das mit dir zu tun?«
Sacha Batthyany beginnt, nach Antworten zu suchen. Seine Reise führt ihn ins alte Ungarn, ins Österreich der Nachkriegszeit, in die Schweiz der Gegenwart, in die Lager des Gulag nach Sibirien, auf die Couch eines Pfeife rauchenden Psychoanalytikers und bis ins Wohnzimmer einer Auschwitz-Überlebenden in Buenos Aires. Dabei entdeckt er ein Geheimnis, das seinen Blick auf seine Familie und sich selbst verändert.
Prägen vorangegangene Generationen die Art, wie wir leben? Dabei dachten wir doch, wir seien so aufgeklärt und modern und selbstbestimmt? Sacha Batthyanys Buch ist eine ungewöhnliche, gegenwärtig erzählte Familiengeschichte, ein Panorama Mitteleuropas, das nur vermeintlich verschwunden ist, und zugleich Psychogramm einer Generation."

 

Schloss Rechnitz (Wikipedia)

 

 

Im Mittelpunkt dieser sehr komplexen Familiengeschichte, mit der sich Sacha Batthyany auseinander zu setzen hatte, steht die Tante Margit. Es mag informativ sein, ihre Lebensgeschichte zu kennen (aus Wikipedia):

 

"Margareta von Thyssen-Bornemisza heiratete 1933 den ungarischen Grafen Ivan von Batthyány (1910−1985), dessen Familie historisch über Jahrhunderte mit der Stadt Rechnitz und dem Schloss verbunden war, das Margit Thyssens Vater 1906 erworben hatte und wo sie geboren wurde. Im Zweiten Weltkrieg unterhielt sie in ihrem Schloss einen Erholungsort für die Waffen-SS.

In der Nacht vom 24. auf den 25. März 1945, dem Abend vor Palmsonntag, kurz vor dem Einmarsch der Roten Armee, veranstaltete sie ein Fest für die lokale NSDAP und die SS. Gemäß der Prozessakten des Landgerichts Wien aus der Nachkriegszeit waren auch die Besitzer des Schlosses, Graf und Gräfin Batthyány, beim Fest anwesend. Während dieses Festes wurden in der nahe gelegenen Scheune Kreuzstadl beim Massaker von Rechnitz etwa 180 ungarisch-jüdischeZwangsarbeiter ermordet.

In den folgenden zweiundsechzig Jahren gelang es der Familie Thyssen, nie mit dieser Gräueltat in Verbindung gebracht zu werden; in keiner Darstellung der Familie Thyssen fand dieses Verbrechen eine Erwähnung.

Margareta von Batthyány erlebte noch den Einmarsch der Roten Armee, es gelang ihr jedoch die Flucht in die Schweiz. Sie wurde nach dem Krieg der Mittäterschaft und der Unterstützung der Haupttäter bei ihrer Flucht verdächtigt. Trotz entsprechender Mitteilungen an das österreichische Justizministerium wurde nie eine Anklage erhoben.

Sie ließ sich nach dem Krieg im schweizerischen Sitz der Familie Thyssen, der Villa Favorita in Castagnola bei Lugano nieder und widmete sich der Zucht von Rennpferden. Aus ihrer Zucht stammen unter anderem Nebos und die Sieger des Deutschen Derbys Fanfar und Marduk. Mit der in den USA gekauften Stute San San gewann sie 1972 das bedeutendste Galopprennen der Welt, den Prix de l’Arc de Triomphe. Darüber hinaus besaß sie Gestüte in Deutschland (Bad Homburger Gestüt Erlenhof), Frankreich und den USA. Mit dem von ihr selbst gezogenen Hengst Caro hinterließ sie bleibende Spuren in der Vollblutzucht. Ihr Bruder Hans Heinrich Thyssen-Bornemisza war ein berühmter Kunstsammler, seine Sammlung befindet sich im Museo Thyssen-Bornemisza, einem der wichtigsten Museen Madrids."

Und hier noch ein Artikel aus der israelischen HAARETZ, die auf dieses Buch von israelischer Seite eingeht:

 

Countess Margit Batthyany in Hamburg in the 1960s. Agencja Fotograficzna Caro / Ala

 

My Aunt Had a Dinner Party, and Then She Took Her Guests to Kill 180 Jews

 

Swiss journalist Sacha Batthyany knew he belonged to an aristocratic family, centered around his respected aunt. He didn’t know about the murderous ball held in 1945, that led to a personal quest, threats from relatives and a book    

 

By  Gili Izikovich HAARETZ  Jul 13, 2017

https://www.haaretz.com/world-news/europe/MAGAZINE-my-aunt-had-a-dinner-party-and-then-took-her-guests-to-kill-180-jews-1.5489527

 

Ich denke, dass die Frage, die sich Sacha Batthyany stellt:  "Prägen vorangegangene Generationen die Art, wie wir leben?" jedermann von uns stellen und nach einer Antwort suchen sollte. Selbstverständlich kommen solche Familienkonstellationen wie hier geschildert in einer durchschnittlichen Familie eher selten vor. Aber ich glaube, dass wir Lebenden im weitesten Sinne durch all die Erzählungen (oder natürlich auch Verdrängungen) rund um das Leben und die Taten unserer Vorfahren eine gewisse "Prägung" erfahren.

Beim Lesen dieses Buches erlebte ich eine Berg- und Talbahnfahrt der Gefühle durch die beschriebenen Zeitperioden mit ihren menschenverachtenden Vorkommen. Und am Schluss muss ich mir sagen: Gottseidank gibt es in unserer Familie keine Tante Margit, die sich an der Erschiessung von unschuldigen jüdischen Menschen erfreut und auch keinen Grossvater, der im russischen Gulag derart Schreckliches erleben musste!

Ende März 2017

Samuel P. Huntington schrieb 1996 den Bestseller "The Clash of Civilizations", der kurz darauf in der deutschen Fassung als "Kampf der Kulturen" herauskam.

Ich persönlich bin mit der Übersetzung "Kampf der Kulturen" nicht so glücklich und würde den Originaltitel von "Clash" als "Zusammenstoss" übersetzen!

Ich las damals mit grossem Interesse die Ausführungen von Huntington, die an und für sich für mich bis heute sehr viel über unsere aktuelle politische Situation nach dem Ende des Kalten Krieges aussagen. Kurz nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums und dem Fall der Berliner Mauer und des Eisernen Vorhanges kamen viele Leute ins Schwärmen und waren überzeugt, dass nun der wirkliche Weltfrieden ausgebrochen sei. Huntington war da nicht so dieser Meinung und sprach von einer Verlagerung der (militärischen und ideologischen) Konflikte weltweit auf andere Ebenen. Die Ost-West-Konfrontation zwischen der USA und dem Sowjetimperium war wohl beendet, aber es zeigten sich neue, andere Gewitterwolken am Himmel!

Heute, im Jahr 2017, wissen wir sehr genau, dass es überall auf der Welt weiter brodelt und ein "Weltfriede" nirgends in Sicht ist.

Huntington wies bereits in den Neunzigerjahren auf den militanten Islam hin, der - neben anderen Hotspots - von sich reden lassen werde. Und so war es dann auch. Das Problem des militanten Islams und die schlimmen, menschenverachtenden Auseinandersetzungen zB zwischen Syrien und dem IS, aber auch in anderen islamischen Ländern ist allgegenwärtig. Auch die weiteren von Huntington skizzierten Welt-Problemzonen kennen wir ebenfalls!

Und das Problem des "militanten Islam" (es wird in der Regel mit "Islamismus" umschrieben) ist schon seit einiger Zeit auch in (west-) europäischen Ländern allgegenwärtig.   Durch die starke Immigration von islamischen Menschen nahm der Islam in Europa zahlenmässig massiv zu. Aber nicht nur das: militante Gruppierungen wie zB der "Islamische Staat" und einige weitere islamistische Bewegungen erschütterten durch gnadenlose und blutige Attentate europaweit die Menschen und machten Angst. Moscheen, die sich sehr gerne als "friedlich" ausgaben, entpuppten sich manchmal auf einmal als Brutstätten von militantem Islamismus. Die Angst vor militantem Islamismus machte europaweit  die Runde, verunsicherte die Menschen und trieben nicht wenige politisch zu Rechtsparteien. Fanatiker auf der islamistischen Seite machten auch kein Hehl, dass sie das Heil in der Scharia, dem islamischen Gesetz für alle sehen.

Und Michel Houellebecq nahm diese bestehenden Ängste auf und schrieb in seinem Buch "Die Unterwerfung" Szenen einer Islam-Herrschaft in Frankreich.

Um was geht es bei Houellebecqs "Unterwerfung": (Buchbeschreibung)

"Es ist vielleicht der umstrittenste Roman des letzten Jahres: ›Unterwerfung‹ handelt vom Zusammenprall der Kulturen und stellt Fragen zum Verhältnis von Orient und Okzident, von Judentum, Islam und Christentum – Fragen, die heute so relevant sind wie nie. Goncourt--Preisträger Michel Houellebecq präsentiert sich als furchtloser Gesellschaftsdenker, der die bestimmenden Spannungsverhältnisse unserer Epoche mit großer Ernsthaftigkeit – und zugleich mit virtuoser Ironie – ausdeutet.
Er erzählt in ›Unterwerfung‹ die Geschichte des Literaturwissenschaftlers François. Der Akademiker forscht im Frankreich einer sehr nahen Zukunft zu dem dekadenten Schriftsteller Huysmans, der ihn sein Leben lang fasziniert. Zugleich verfolgt er die Ereignisse um die anstehende Präsidentschaftswahl: Während es dem charismatischen Kandidaten der Bruderschaft der Muslime gelingt, immer mehr Stimmen auf sich zu vereinigen, kommt es in der Hauptstadt zu tumultartigen Ausschreitungen. Als schließlich ein Bürgerkrieg unabwendbar scheint, verlässt François Paris ohne ein bestimmtes Ziel. Es ist der Beginn einer Reise in sein Inneres."

Was hier in dieser Buchbesprechung nicht erwähnt wurde: Houellebecq würzt seine Ausführungen in "Unterwerfung" mit einer Prise Erotik, die man ganz gut auch mit "Pornografie" umschreiben kann. Das tut er bekanntlich in all seinen Büchern!

In diesem Zusammenhang kann ich Ihnen gleich auch noch Carlo Strengers NZZ-Kolumnenbeitrag vom 9. Februar empfehlen zu lesen:

Unterwerfung – Michel Houellebecqs Requiem auf Europa

...und weiter den NZZ-Artikel:  

Houellebecqs Vision eines islamischen Frankreich - Im Spiegel der Dekadenz 

von Jürgen Ritte7.1.2015, 16:18 Uhr

Ich empfehle beide Bücher - Huntingtons "Clash of Civilisations" und Michel Houellebecqs "Unterwerfung" -  wärmstens, dringendst zu lesen!

Ende Februar 2017

Es ergab sich bei mir, dass ich in den vergangenen Wochen etwas mehr Zeit fürs Lesen hatte. Und in dieser Zeit kamen bei mir auch wieder Bücher zum Zuge, die ich bereits vor Jahrzehnten gelesen hatte aber in den vergangenen Jahrzehnten im Büchergestell ungelesen dahinschlummerten. Die Bücher von Stefan Zweig, die ich als Teenager richtiggehend verschlang, liefen mir kürzlich wieder über den Weg. Stefan Zweigs Bücher, die sich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts bewegen, haben heute anscheinend nicht mehr die Aktualität der damaligen Zeit. Dies absolut zu Unrecht! Ich jedenfalls bin wieder dran, sie  für mich zum Leben zu erwecken. Und ich tue es mit grosser Leidenschaft!

Die Novelle "Angst" von Stefan Zweig, fesselte mich erneut. Sie beschreibt das Schicksal einer Frau aus bester Gesellschaft, die nach einer Affäre mit einem jungen Musiker  richtige Höllenqualen von Schuldgefühlen durchlebt. In der damaligen Gesellschaft war so eine "eheliche Untreue" ein Nogo. Diese unglückliche wurde zudem von einer primitiven Erpresserin verfolgt und wurde praktisch in den Freitod getrieben! 

v

Um was geht es in dieser Kurzgeschichte, die in ihrer Subtilität so aufwühlend wirkt:

"Als Stefan Zweigs ›Angst‹ 1928 zum erstenmal verfilmt wurde, hielt ein französischer Kritiker die Vorlage für eine Novelle von Arthur Schnitzler. Das psychologische Raffinement von Zweigs bereits 1912 geschriebener Erzählung erinnert tatsächlich an Schnitzlers erst acht Jahre später entstandene ›Fräulein Else‹. Stefan Zweig spannt die bewußte Auslosung und Intensivierung der Angst bis zur Krise um eines Eingeständnisses willen in eine Erzählbericht, Dialog und inneren Monolog verbindende Form. Die gedankenlose Müdigkeit ihrer Ehe läßt Irene Wagner trotz ihrer beiden Kinder ein Verhältnis mit einem jungen Musiker eingehen. Sie empfindet vor jedem Rendezvous, indem sie sich »über den Rand ihrer täglichen Gefühle« beugt, »diese erste Angst, in der doch auch Ungeduld« brennt; als aber eine Frau »mit massigem Körper», die ihre heimlichen Wege beobachtet hat, sie zu erpressen beginnt, verliert diese Angst den Reiz des angenehm Vibrierenden. Sie fühlt sich mehr und mehr bedrängt. Ihr Mann versucht ihr zu helfen und gibt ihr ein Beispiel: er veranlaßt in ihrer Gegenwart ihre Tochter zum Geständnis eines kleinen Vergehens, um Nachsicht üben zu können. Irene Wagner entzieht sich diesem Weg; statt sich zu erklären, versucht sie sich Gift zu verschaffen – ihr Mann weiß sie zu hindern und klärt die Situation auf: die »Erpressung als Zwang des Gestehens« war seine Idee, um sie wiederzugewinnen." (Text aus Amazon Buchempfehlung).

Vor vielen Jahren sah ich den Film "Die Gärten der Finzi-Contini" im Kino. Erst jetzt kam ich dazu, auch das Buch von Giorgio Bassani mit dem gleichen Titel zu lesen.

Schon von Anfang an fühlte ich mich in eine andere Welt versetzt, in die Welt der adeligen jüdischen Familien in Ferrara in den Zwanziger- und Dreissiger Jahre des 20. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen junge, aufstrebende, lebenslustige Menschen, denen es materiell an nichts fehlte. Sie kommen aus gut situierten Familien, studieren und ... spielen in der Freizeit Tennis! Das gute Leben nimmt seinen Fortgang, bis die schlimmen Übergriffe der italienischen Faschisten das friedliche Leben der jüdischen Bewohner bedrohen. Am Schluss werden diese Menschen deportiert und die meisten von ihnen kehren nicht mehr zurück. Am Ende des Zweiten Weltkrieges ist die (jüdische) Welt in Ferrara inexistent.

Aber im Mittelpunkt dieser Geschichte steht eine unerfüllte Liebe, die Liebe zu Micol, die unerfüllt bleibt. Das ganze Buch dreht sich um diese unerfüllte Liebe!

Lesen wir eine Zusammenfassung aus dem Klappentext:

Es ist die Geschichte von Micól, dem geheimnisvollen Mädchen mit den blonden Haaren aus vornehmer jüdischer Familie, in die der Ich-Erzähler von Anfang an vergeblich verliebt ist. Die leidenschaftlich gern Tennis spielt, die alten Bäume im ummauerten Park der Eltern liebt und es nicht ertragen kann, wenn jemand sich gewöhnlich benimmt; die später, als Studentin, lieber flirtet als studiert, und die junge Männer, die am liebsten für sie sterben möchten, am Telephon zur Vernunft ermahnt.
Erst als der Tennisclub wegen der Rassengesetze die jüdischen Mitglieder ausschließt, öffnet sich der Garten der Finzi-Contini für die jüdische Jugend Ferraras und wird zu ihrem Treffpunkt – bis zu einem Tag im Herbst 1943, an dem Micól mit ihrer ganzen Familie deportiert wird »und keiner weiß, ob sie ein Grab gefunden haben«.


Giorgio Bassani hat ihnen in diesem Buch ein Denkmal gesetzt, Der Romancier Bassani gilt als bedeutender Historiker der neueren italienischen Literatur. Bei ihm verschmelzen Kunst und historischer Stoff vollkommen, so wird er geschildert. Ich möchte noch hinzufügen, dass es ihm in diesem Buch auch meisterhaft gelingt, die vielfältigsten Gefühle der hier geschilderten Menschen auf sehr eindrückliche Weise darzustellen und aufleben zu lassen. Als Leser fühlt man die Hochs und Tiefs mit.

Während des Lesens dieses Buches fühlte ich mich in eine andere Zeit und in eine andere Gesellschaft versetzt. Ich hatte nach Beendigung Mühe, davon wieder zu lösen! - Die "Gärten der Finzi Contini" ist ein sensibles Buch, das betroffen macht!  

Ende Januar 2017 

Ich habe in den vergangenen Monaten einige (für mich) recht beachtliche Bücher gelesen, die mich bewegten. Einige davon möchte ich hier ganz kurz besprechen.

Über das Schicksal von deutschen Soldaten während des Zweiten Weltkrieges gibt es wohl einige Veröffentlichungen. Aber mir scheint, dass gerade diese Schicksale, die veröffentlich wurden, zB in der Schweiz eher am Rande erwähnt und vermutlich auch eher weniger gelesen werden. Ich wurde kürzlich auf ein ganz besonderes Buch hingewiesen, das ich nun eben gerade gelesen habe und das mich extrem betroffen gemacht hat: 

"Mir selber seltsam fremd" von Willy Peter Reese.

(Erstauflage 2004)

Willy Peter Reese hat als Soldat an der russischen Front Schreckliches erlebt. Er hat den Krieg nicht überlebt. Niemand weiss, wann, wo und auf welche Art er an der Front starb. Es gibt auch kein Grab. Aber nichtsdestotrotz wurden seine in Schützengräben erstellten persönlichen Beobachtungen, seine eigenen, subjektiv erlebten Erfahrungen, mit allen dabei empfundenen Gefühlen, aufgeschrieben. Diese Notizen haben die Zeit überlebt und Stefan Schmitz, geb. 1964, Reporter beim stern (früher als Bonner Korrespondent des Focus und Redakteur bei Reuters) hat Tagebücher, Korrespondenzen, Gedichte usw. von Willy Peter Reese gesichtet und als Publikation unter dem Titel "Mir selber seltsam fremd . Russland 1941-44" zusammengefasst. Das Buch ist mit "Die Unmenschlichkeit des Krieges" überschrieben  und lässt einen jungen Deutschen, der eigentlich nach dem Abitur Schriftsteller werden wollte, aber von seinem Vater zu einer Banklehre gezwungen wurde, zu Wort kommen und seine fürchterlichen Kriegserlebnisse an der deutschen Ostfront aufleben.

Willy Peter Reese geht mit einer unglaublichen Subtilität vor und erlebt eigenes Entsetzen nicht nur über all das Erlebte, sondern vor allem auch über sich selber, wie er sich den grausamen Spielregeln eines fürchterlichen, mörderischen Krieges unterwirft. Mit einer eiskalten Selbstkritik spiegelt er sich immer wieder von neuem und muss erkennen, dass all diese Erlebnisse seine eigene Seele zertrümmern und bei sich selber ganz schlimme "Verheerungen" anrichten.

Während ich diese 282 Seiten las war ich nicht nur erschüttert über all die grauenhaften Kriegserlebnisse, die die Wehrmachtssoldaten ihren Feinden und nicht weniger der Zivilbevölkerung antaten. Es erschütterte mich aber ebenfalls, was so ein durchschnittlicher $oldat, der ins Räderwerk eines unmenschlichen Krieges gerät, erlebt. Was mich aber ganz besonders betroffen gemacht hat, das ist die Offenheit, wie Reese über sich selber schreibt, seine "verschüttete Seele" gnadenlos reflektiert, seine eigenen Grausamkeiten, die er beging und wahrnehmen kann.

Stefan Schmitz hat es grossartig verstanden, die Texte von Reese in ein erklärendes Vorwort und einem ganz wichtigen Epilog am Schluss einzubinden. Das letzte Kapitel überschreibt Stefan Schmitz mit "Wir wohnten im Verfall der Seele" - im Umgang mit Leid und Schuld.

Mir erging es auch hier so, wie immer beim Lesen von solcher persönlicher Dokumentation: es stellte sich mir die Frage "wie hätte ich mich in ähnlichen Situationen selber verhalten?".

Ich kann dieses Buch jedermann wärmstens empfehlen zu lesen, der einerseits starke Nerven hat und andererseits bereit ist, die nötige Sensibilität und Empathie aufzubringen, um in die Gedanken- und Gefühlswelt von Willy Peter Reese einzutauchen! 

19. Januar 2017

Der Zufall wollte es, dass ich kürzlich auf eine Buchbesprechung über ein Buch von Saul Friedländer, dem auf den Holocaust fokussierten Historiker, stolperte. Saul Friedländer schrieb unter dem Titel "Kurt Gestein ou l'ambiguité du bien" im Jahre 1967 eine Abhandlung über einen ganz speziellen Menschen, der im Gefolge der Naziherrschaft sich direkt in die Höhle des Löwen wagte, um dort gegen dieses Unrechtssystem zu kämpften versuchte. Der Verlag C.H. Beck, München, veröffentlichte im Jahr 2007 die deutsche Übersetzung.

Als ich  kürzlich von diesem Buch über Kurt Gerstein hörte, erinnerte ich mich an die Zeit, als ich etwa 17/18 Jahre alt und aktives Mitglied der reformierten Jugendbewegung "Junge Kirche" in Zofingen war. Seit der Pubertät beschäftigte ich mich sehr eingehend mit der Zeit der Shoa, des Holocausts und auch mit Judentum generell.

Damals stiess ich bereits auf ein Taschenbuch des Evangelischen Verlags über die Geschichte von Kurt Gerstein, einem jungen Mann, der - wie ich - auch Mitglied einer protestantischen Jugendbewegung war und zu seiner Zeit ganz aktiv versuchte, auf seine Art und Weise gegen das Nazi-Unrechtssystem vorzugehen. - Diese Geschichte erschütterte mich, und ich konnte mich sogar mit diesem Kurt Gerstein gewissermassen identifieren. - Damals hielt ich darüber ein Referat.

In der Zwischenzeit sind einige Jahrzehnte vergangen. Ich bin heute ein Mann im reifen Alter und habe den Weg ins Judentum gefunden. Den Bezug zum Naziregime und dem Holocaust, der Shoa, habe ich immer noch. Dieser Bezug bewegt sich für mich natürlich heute auf einer ganz anderen Ebene als damals, als ich ein junger und noch unreifer Mann war.

Über Kurt Gerstein und sein Handeln wurde viel geschrieben, auch viel sehr Kritisches. War er wirklich ein "überzeugter Christ", der aus religiösen oder rein menschlichen Gründen sich in die Reihen der SS begab und sich einfach nachträglich dann dafür rechtfertigen wollte.

Ich überlasse einmal dem Klappentext  dieses Buches eine Kurzbeschreibung:

"Kurt Gerstein, dieser überzeugte Christ, anscheinend bedingungsloser Gegner des Nationalsozialismus, war in die SS, die 'Schwarze Garde' des Hitlerregimes, eingetreten. Er blieb bis zum Ende darin, hatte teil an der Lieferung von Giften, die zur Ausrottung der Juden bestimmt waren, und wurde zu einem der entscheidenden Zeugen für die abscheulichen Massenhinrichtungen. Und dennoch war er für viele jener Menschen, die ihn gekannt haben, durch das Schicksal, das er frei wählte, eine einzigartige Persönlichkeit, ein Mann der in die Hölle vorgedrungen war, allein in der Absich, vor der Welt Zeugnis abzulegen und den Opfern zu helben."

Kurt Gerstein hat als einer der ersten versucht, die Tatsachen des Völkermordes an den Juden mit allen Details, die sich in den Vernichtungslagern abspielten und die ihm persönlich bekannt waren, direkt schwedischen und auch schweizerischen Diplomaten weiter zu kommunizieren. Er erhoffte sich dadurch ein weltweites Vorgehen gegen das Nazi-Unrechtssystem und einen Einhalt der Morde.

Nach Ende des schrecklichen Zweiten Weltkrieges versuchte er sich vor einem Militärgericht in Frankreich zu erklären. Seine Aussagen wurden aber nicht ernst genommen. Noch im Jahr 1945 wurde er dann im Gefängnis tot aufgefunden, und es wurde davon ausgegangen, dass er Selbstmord beging.

Saul Friedländers Ausführungen überzeugen mich nach wie vor, dass Kurt Gerstein nicht nur ein aussergewöhnlich humaner Mensch mit besten Absichten war. Er gehört für mich wie viele andere grossartige Menschen während dieser grauenhaften Zeit zu den sogenannten "Gerechten dieser Welt".

Ich kann allen, die sich für diese Thematik interessieren, empfehlen, dieses Buch über Kurt Gerstein zu lesen.

24. Juli 2016

Sommerzeit bedeutet für mich - neben sommerlichem Sport und Ferien - auch viel und ausgiebiges Lesen. Und es gibt in der Tat mehr als genug lesenswerte Neuerscheinungen, die man gelesen haben sollte. 

Ich habe kürzlich zwei ganz spezielle Bücher so richtig genossen, die ich hier ganz kurz vorstellen möchte und die ich mit Überzeugung weiterempfehlen kann:

Jonathan Sacks, der während 22 Jahren als britischer (orthodoxer)  Oberrabiner wirkte, war mir bisher bekannt als brillanter Theologe und auch Author von religiösen Schriften. Dass sich Rabbiner Sacks auch auf hochaktuelle politische Themen einlässt, wusste ich bis anhin nicht und hat mich erstaunt. Durch die Empfehlung eines christlichen Bekannten  stiess ich auf dieses höchst brisante Buch: "Not in God's Name" von Sacks ("Das muss du unbedingt lesen!"). Sacks gilt offenbar als "Britain's deepest and most interesting thinker on faith and extremism", wie ich auf dem Klappentext dieses Paperbacks lese. Und diese Erscheinung landete, wie ich höre, auf "The Sunday Times Top 10 Bestsellers"!

Wir leben aktuell  auf einem brodelnden Vulkan und werden fast täglich mit fürchterlichen Ereignissen von Kriegen und tausendfältigem Elend von Flucht und Verfolgung konfrontiert! Diese Tragödien, die wir täglich via Massenmedien serviert bekommen, sind inflationär. Ich befürchte, dass viele Menschen in unserem Lande bereits abgestumpft sind und vermutlich nicht mehr realisieren können, was all diese Kriegsgräuel jeweils für den einzelnen betroffenen Menschen zu bedeuten haben. Abertausende von Menschen, Familien mit teilweise kleinen Kindern, alte Menschen, Behinderte und viele (alleinstehende) Jugendliche strömen zu Abertausenden auf gefährlichen Wegen nach Europa, das sie als "sicheren Hafen" für eine friedliche Zukunft vermuten.

Samuel Huntington schrieb in den 90er Jahren das aufsehenerregende Buch "The Clash of Civilisations". Mir scheint, dass das, was er damals zur Diskussion stellte und an das viele nicht glauben wollten, in gewissem Sinne nun eingetreten ist: Es gibt heute einen Zusammenstoss der Kulturen, ob wir dies wahrhaben wollen oder nicht!

Attentate und Amokläufe gehören praktisch in diesem Sommer 2016 zum "guten Ton", fast sogar zur Normalität,  erschüttern die (v.a. europäische) Welt und versetzen die Menschen in Angst und Schrecken. Urheber sind islamistische Fanatiker, die meistens im Namen Allahs Dutzende von Unschuldigen wahllos, hinterhältig und brutal massakrieren. Das Thema des religiösen Wahnsinnes liegt in der Luft. Jonathan Sacks hat es mit seiner Veröffentlichung "Not in God's Name" (2015 erschienen) aufgenommen. Und er macht es auf faire Weise, analytisch und versucht auf biblischer Grundlage nach Lösungsmöglichkeiten. Diese Konfrontation von aktuellem religiösem (islamistischem) Wahn und Gewalt bringt er auf die Ebene der biblischen "Geschwisterrivalität" (sibling rivalry) der drei monotheistischen Religionen Judentum, Christemtum und Islam. Er betrachtet - so empfinde ich es - diese drei monotheistischen Religionen als "gleichwertig" (in ihren Visionen und Zielen) und appeliert an die verantwortlichen Führer dieser Religionen, ihre Verantwortung wahrzunehmen und dann auch entsprechend die immer wieder zitierten Friedensziele auf der zwischenmenschlichen Ebene, aber auch im kollektiven Sinne, durchzusetzen.

Im ersten Kapitel- überschrieben mit "Bad Faith" -  geht er auf die Themen Altruistic Evil, Violence und Identity, Dualism, The Scapegoat und Sibling Rivalry ein.

Im zweiten Kapitel, überschrieben mit "Siblings" (Geschwister), bezieht er sich auf die biblischen "Geschwister", kommt er auf die Halb-Brüder (Isaak und Ishmael), Wrestling with the Angel, Role Reversal und The Rejection of Rejection zu sprechen.

Im dritten Kapitel (The Open Heart) spricht Sacks dann eingehend über das (menschliche Gefühl des) Fremdseins, der Universalität der Besonderheit der (religiösen) Gerechtigkeit, speziell über den Verzicht von Macht und Hass und die Entscheidung nicht zum Willen der Macht sondern für einen klaren Willen zum Leben.

Einerseits kann gerade in Europa ein Trend zu Säkularismus und einer Abkehr von den klassischen Religionen beobachtet werden. Aber gleichzeitig ist es unübersehbar, dass in gewissen Weltgegenden, vor allem in den Ländern des Islams, ein extremer Extremismus und eine fürchterliche Gewalt im Namen Gottes (Allahs) praktiziert wird. Jonathan Sacks appelliert in seinem Essay immer wieder an die drei monotheistischen Religionen, sich auf die Ziele, die vielfältigsten Visionen zu einer friedlichen Welt, zu einem friedlichen Zusammenleben aller Menschen zu besinnen, sie klar und deutlich zu lehren und weiterzugeben.

Er kommt auf etwas (aus meiner Sicht) sehr Wichtigem zu sprechen: die Verantwortung der religiösen Prediger und Führer dieser Religionen bei der Auslegung, der Exegese der religiösen Texte entsprechend verantwortungsvoll umzugehen. Sogenannte "wörtliche Auslegungen", ohne den Kontext der Text zu berücksichtigen, sind für Jonathan Sacks unverantwortlich, ja sogar kriminell! Aus meiner Sicht gilt diese Aussage vor allem für die islamischen "Hassprediger", die sehr umstrittene Suren aus dem Koran, wörtlich weitergeben und dadurch unerhörten Hass alimentieren! Sacks spricht Klarsprache und nennt das Kind beim Namen! Schön wäre es, wenn die entsprechenden Ansprechpartner dies auch beherzigen würden.

Ich möchte diese Buchbesprechung mit den Worten von Jonathan Sacks schliessen: „Today God is calling us, Jew, Chrstian and Muslim, to let go of hate and the preaching of hate, and live at last as brothers and sisters, true to our faith and a blessing to others regardless of their faith, honouring God’s name by honouring his image, humankind.“

Ich bin mir bewusst, dass diese „Buchbesprechung“ nur ungenügend die Gedanken von Jonathan Sacks umschreiben kann. Umsomehr empfehle ich wärmstens, dieses Buch gerade in dieser menschenverachtenden Zeit, in der wir nun gerade leben, zu lesen! Seine Ausführungen empfinde ich als pragmatisch analytisch und konfrontativ. Er spricht klar und deutlich die Übel und die Menschenverachtung des gegenwärtigen Wahnsinns von Fanatikern des IS, des Dschihads usw. an. Und trotzdem wirkt Sacks  fair und appelliert an einen echten, aufbauenden Dialog der drei monotheistischen abrahamitischen Religionen, der die Vision des echten Friedens zum Zentrum zu haben hat.

Lesen Sie dieses Buch. Sie werden mit vielen (vermutlich neuen) Gedankengängen konfrontiert und damit auch alimentiert werden!

Und zu einer ganz anderen Thematik gehört das folgende Buch: "Start-Up Nation - the Story of Israel's Economic Miracle".

Dieser Paperback „Start-Up Nation“ wird als "The New York Times Bestseller" angepriesen, und Jeffrey Goldberg, im Atlantic,  nennt die Ausführungen von Dan Senor und Saul Singer „fascinating and illuminating .. indispensable“.

Shimon Peres, der ehemalige israelische Staatspräsident und Politiker alter Schule schrieb das Vorwort zu diesem Buch, das als „…Story of Israel’s Economic Miracle“ auf der Frontseite angepriesen wird.

Die Ausführungen von Dan Senor und Saul Singer beinhalten in der Tat die Geschichte von Israels ökonomischem Wunder! Gerade in einer Zeit, da im arabischen Raum Krieg, Tod und Verwüstung herrscht, erscheint die einzige Demokratie Israel wie eine Oase in einer brodelnden Weltgegend! Erstaunlicherweise herrscht in Bezug auf gerade diesen Staat ein extremes Vorurteil: man kritisiert Israel auf allen Ebenen - nicht selten zu Unrecht! Es stellt sich dann aber die Frage: warum hat es dieser Staat geschafft, seine Wirtschaft trotz aller Anfeindungen der direkten Nachbarn, trotz aller Boykotte (die übrigens schon vor Israels Staatsgründung von arabischer Seite ausgelebt und von vielen Ländern auch unterstützt wurden) ein solches wirtschaftliche Phänomen zu entwickeln!

Dan Senior und Saul Singer belegen, dass das heutige Israel als eine "Start-Up-Nation" erster Güte ausmacht. In Details legen sie vor, auf welchem Gebiet diese Start-Ups tätig sind. Und sie belegen auch, dass gerade wegen all der Boykotte, mit denen die arabischen Länder Israel aus dem Verkehr zu ziehen versuchten, sich diese explosive Mischung von Kreativität, wirtschaftlicher Phantasie und Unternehmungsfähigkeit  entwickelte.

Schauen wir uns einmal in Kürze den Inhalt dieses Elaborates an:

Teil I: "The little Nation that could". In diesem ersten Kapitel gehen die Verfasser auf die Themen "Persistence" und "Battlefield Entrepreneurs" ein. Sie zeigen auf, dass für die israelischen Unternehmer die Zeit, aber vor allem die Erfahrung, die sie in der obligatorischen Militärzeit (der israelischen Armee) nutzbringend umsetzten. Das dort Gelernte, aber auch die Beziehungen, nutzten sie als  Plattform ihrer wirtschaftlichen Entwicklung und Tätigkeit. Die unzähligen Start-Ups, so, wie sie in Israel existieren, waren praktisch die Folge des Erlernten.

Teil II: "Seeding a Culture of Innovation". Senor und Singer gehen in diesem Teil auf tiefere Schichten der israelischen Unternehmer ein. Die Juden gelten nach wie vor als das "Volk des Buches". Eine saubere Bildung und zielgerichtete Ausbildung bildete schon seit jeher im Judentum eine starke Komponente der Existenz. Das Lernen, das immer und immer wieder geistige und intellektuelle Enteickeln hat seit vielen Jahrhunderten in der jüdischen Seele eine wichtige Tradition. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Initianten der israelischen Start-Ups auch an den US Universitäten Harvard, Princeton und Yale gefragte Leute waren und auch heute noch sind.

Teil III: "Beginnings". In diesem Teil (An Industrial Policy that worked/Immigration: The google Guys' Challenge/The Diaspora:Stealing Airplanes/The Buffet Test/Yazma: The Match) gehen die beiden Autoren auf den Ursprung dieser heutigen erfolgreichen israelischen Wirtschaft ein. Sie kommen zum Schluss, dass gerade die harte Wirklichkeit der Ausgrenzung durch die arabischen Nachbarn, die immer wiederkehrenden und schmerzhaften Kriege, die Boykotte weltweit usw. die Gewissheit entwickeln liess, "selber" etwas unternehmen zu müssen, selber innovativ und hochstehend aktiv zu werden, diese kreativen Prozesse auslösten.

Teil IV: Country with a Motive. In den Kapiteln Betrayal and Opportunit/From Nose Cones to Geysers/The Sheikh's Dilemma/Threats to the Economic Miracle analysieren Senor und Singer die gegenwärtige Situation der israelischen Wirtschaft. Sie beleuchten auch kritisch die kommende Zukunft.

Dieses Buch ist einerseits in einem sehr lebhaften, unterhaltsamen Englisch geschrieben und macht einfach Spass, gelesen zu werden. Andererseits beinhaltet es auch wichtige Informationen, die das wirtschaftliche Wunder Israel zu erklären versuchen.

Ich denke, dass dieses Paperback für all diejenigen Leser, die Israel vorbehaltslos begegnen und ehrlich daran interessiert sind, das Land vor allem auf wirtschaftlicher Ebene kennen zu lernen, eine echte Bereicherung ist. Ich denke aber auch, dass es für diejenigen Leser, die den jüdischen Staat Israel nicht mögen, oder sogar hassen, oder noch mehr: den Staat Israel von der Landkarte verschwinden lassen möchten, nicht das Richtige ist!   

10. Mai 2016: (Filmbesprechung)

"Brooklyn - eine Liebe zwischen zwei Welten"

(Originaltitel "Brooklyn)... ist ein irisch-kanadisches Filmdrama des irischen Regisseurs John Crowley, mit Weltpremieure am 26. Januar 2015 auf dem Sundance Film Festival. Der Schweizer Kinostart begann im Frühling 2016. Die Hauptrolle in diesem Film spielt Saoirse Ronan und basiert auf dem gleichnamigen Roman von Colm Toibin. Das Drehbuch stammt von Nick Hornby.

Ich habe diesen Film kürzlich im Filmpodium in Pfäffikon gesehen, ein Geburtstagsgeschenk meiner Tochter M. Und ich muss sagen, dieser Film, resp. diese Geschichte, die hier abrollt, hat mich echt berührt und auch begeistert, wie selten ein Film in der letzten Zeit. Noch Tage später rollten einige besonders eindrückliche Szenen vor meinem inneren Auge ab! 

Um was geht es in diesem Film?

Ich möchte den Text über den Inhalt dieses Filmes, den ich im Internet gefunden habe, hier einspielen. Dieser Text beschreibt klar und deutlich diese herzzerreissende Geschichte einer jungen Irin, die nach Amerika auswandert:

Der Film  erzählt die Geschichte von Eilis Lacey, einer jungen Irin, die 1952 in die Vereinigten Staaten emigriert. Eilis lebt bei ihrer verwitweten Mutter und Schwester Rose in einem irischen Dorf und arbeitet jeweils am Wochenende als Aushilfe in einemn kleinen Laden. Rose vermittelt ihr mit kirchlicher Hilfe eine Stelle in Brooklyn. Während der teilweise stürmischen Überfahrt nach New York leidet Eilis an der Seekrankheit. Ihre Kajütennachbarin nimmt sich ihrer an und hilft ihr bei der weiteren Überfahrt.

In Brooklyn angekommen, lebt Eilis in einem Boardinghouse und arbeitet als Verkäuferin in einem Kaufhaus. In Briefen an ihre Schwester beschreibt Eilis ihr starkes Heimweh. Father Flood, der ihr bereits die Arbeit und die Unterkunft vermittelt hatte, bezahlt ihr einen Buchhaltungskurs. An einem irischen Tanzabend lernt Eilis Tony kennen, der einer italienischen Familie entstammt. Die beiden werden ein Paar. Unerwartet stirbt jedoch Rose und nach einem Telefongespräch mit ihrer verzweifelten Mutter beschliesst Eilis, die Mutter zu besuchen. Tony befürchtet, Eilis zu verlieren und überredet sie, ihn vor ihrer Heimreise heimlich standesamtlich zu heiraten. Zurück in Irland lebt sich Eilis schnell wieder ein, verheimlicht jedoch ihre Hochzeit.

Sie verschiebt ihre Rückfahrt, um an der Hochzeit ihrer Jugendfreundin teilzunehmen. Sie freundet sich mit Jim an, einem jungen Mann aus gutem Haus und übernimmt die Arbeitsstelle ihrer verstorbenen Schwester. Sie fängt an, die Briefe Tonys nicht mehr zu öffnen. Als Mrs. Kelly, die Besitzerin des kleinen Ladens, ihr zu verstehen gibt, sie habe über Bekannte in Brooklyn von ihrer Hochzeit erfahren, bekennt sich Eilis zu Tony und reist zurück nach Brooklyn.

Wenn man diese Kurzbeschreibung so liest, wirkt er eher ein bisschen als banal! Er ist aber alles andere als "banal"! Die Hauptdarstellering Saoirse Ronan gibt ihr Äusserstes, und ich hatte manchmal das Gefühl, dass sie hier nicht "schauspielert", sondern dass ich Zeuge einer echten, dokumentierten Geschichte, Tragödie sogar, war!

Ich denke, dass man den Film ganz ruhig als  "herzerwärmendes wie intelligentes Gefühlskino mit einer Prise Melancholie und einer herausragenden Hauptstellerin" beschreiben kann, wie ich dies in einer Filmkritik las! Der Film lebt von "Emotionen". Der Abschied von Eilis von ihrer geliebten Schwester Rose und ihrer Mutter wirkt melodramatisch. Die Gefühle von "Heimweh", am Anfang des Aufenthaltes in Brooklyn übertragen sich auf den Zuschauer (jedenfalls bei mir war dies der Fall!). Ich konnte auch sehr gut die Liebesbeziehung zu Tony, dem etwas schüchternen und sensiblen jungen Mann nachempfinden. So schüchtern und so sensibel war ich auch in jungen Jahren! - Der Film spielt in den 50er Jahren, und das ist eine Zeit, da ich ein Primarschüler war und mich heute sehr gut an die Art und Weise des Lebens, der Kleidung, der Umgangsformen erinnern kann. Und die habe ich hier in diesem Film wieder miterlebt.  

Dieser Film - so würde ich abschliessend meinen - tanzt ein wenig aus der Reihe der heute gezeigten "Filmprodukte"! Für viele mag er zu emotionell, vielleicht gewissermassen als zu "altmodisch" wirken! Aber gerade das habe ich geschätzt und hat mir Freude gemacht!

10. Mai 2016:

Shlomo Sands Buch "Die Erfindung des jüdischen Volkes" - Israels Gündungsmythos auf dem Prüfstand, erschien im Jahr 2008 im Original in Hebräisch unter dem Titel  "Matai ve'eikh humtza ha'am hajehudi?" und wurde vom israelischen Historiker Tom Segev als "Eines der faszinierendsten und provozierendsten Bücher seit langem..." beschrieben.

Zuerst einmal zu Shlomo Sand, wer ist dieser Mann, von dem man eigentlich bis anhin fast nichts gehört hat?  (Ich zitiere aus dem Buch: "Shlomo Sand, geboren 1946 als Kind polnischer Juden in Linz. 1949 Übersiedlung der Familie nach Israel. Nach dem Studium der Sozialwissenschaften in Paris lehrt Sand Geschichte an der Universität Tel Aviv. Er zählt zu den führenden Intellektuellen Israel und zu den schärfsten Kritikern der israelischen Politik gegenüber den Palästinensern."

Für Shlomo Sand gibt es so etwas wie ein "jüdisches Volk"  n i c h t! Für ihn ist das "Judentum" eine Religion aber keine Volksgemeinschaft. Und er kritisiert lautstark den Gründungsmythos Israels, stellt ihn radikal in Frage. Eine Vertreibung durch die Römer im Jahr 70 nZ hat es nicht gegeben. Ein Rückkehr nach 2000 Jahren der Juden ins Volk ihrer Väter ist für ihn ein blühender Unsinn. Die Gründungsmythen der Zionisten betrachtet Sand als reine Erfindung europäischer Zionisten im 19. Jahrhundert!

Hingegen stellt Sand das Existenzrecht des modernen Staates Israels nicht in Frage, vielmehr nur den Alleinanspruch auf das Gelobte Land, Eretz Israel! Er stellt die These auf, dass einerseits das "Judentum" nur eine religiöse und keine ethnische Gemeinschaft ausmache. Wenn überhaupt, wären eher die Palästinenser als die aus Europa eingewanderten Juden ethnische Nachkommen der biblischen Israeliten.

Seine Thesen, die er in diesem Buch ausbreitet wirken auf mich nicht selten in den detaillierten Schilderungen als enorm widersprüchlich, (für mich) nicht überzeugend. Ich habe den Verdacht, dass er mit all diesen Behauptungen und Thesen vor allem provozieren will. Will er damit auch provozieren, dass er als Person in den Mittelpunkt gerät, dass man v.a. auch von ihm spricht, der bis anhin ein recht unbedeutender israelischer Historiker war? Ich würde es nicht ausschliessen!

Und trotzdem möchte ich behaupten, dass Shlomom Sands Buch "Die Erfindung des jüdischen Volkes", bei aller Widersprüchlichkeit, viel Informatives, und - für mich jedenfalls - viel komplett Neues enthält:  über die mehr als 3000-jährige Geschichte des Judentums findet man in diesem Buch viele Aufzeichnungen, die ich in dieser Vielfältigkeit bis jetzt noch nicht zu lesen bekam. Ich lese hier enorm viel Wissenswertes über kollektive Konversionen zum Judentum unter römischer Herrschaft, der Zwangsbekehrung der Hasmonäer, das jüdische Königreich Himjar, die Geschichte der geheimnisvollen jüdischen Königin Kahina, die jüdischen Grosskhane, der Chasaren usw. Das sind (für mich jedenfalls) alles Aufzeichnungen, die wertvoll sind zu hören!

Shlomo Sands Behauptung, die Juden seien kein "Volk" und seine entsprechende Definition, was ein "Volk" zu sein habe, ist für mich nicht überzeugend! Gerade wenn Sand dann gleichzeitig von den Palästinenser als vom "palästinensischen VOLK",  spricht, ist für mich nicht nur provozierend sondern blühender Unsinn! Und auch viele weitere Thesen wirken auf mich als "leere Behauptungen", mit denen ich - und offenbar viele andere Leute auch - grosse Mühe habe zu goutieren!

Und trotzdem empfehle ich dieses Buch von Shlomo Sand (auch seine weiteren Erscheinungen wie "Die Erfindung des Landes Israel" und "Warum ich aufhöre, Jude zu sein", die teilweise noch provokanter sind) zu lesen und sich Gedanken darüber zu machen!

Januar bis März 2016: 

 

"Schweizer Terror-Jahre" - das geheime Abkommen mit der PLO 

von Marcel Gyr, 2016

 

 

 

Der NZZ-Journaliste Marcel Gyr hat anfangs 2016 praktisch eine "Bombe" platzen lassen und mit seinen Ausführungen über das (vermutlich) geheime Abkommen des Schweizer (SP) Bundesrates Pierre Garber in den 70er Jahren mit der PLO eine alte Leiche im Keller der Schweizer Regierung heraufgeholt! Was passierte damals, als 1970 eine terroristische PLO-Crew ein israelisches EL AL Flugzeug beschoss und den Piloten tödlich verletzte? Was passierte nachher, als eine SWISSAIR-Maschine mit einer Bombe im Gepäck über dem aargauischen Würenlingen zur Strecke brachte und alle Flugpassagiere und die Mannschaft ins Jenseits beförderte? 

Marcel Gyr versucht, Licht ins Dunkel dieser unklaren Geschichte zu bringen. Als Folge dieses Buches musste dann die Schweizer Regierung eine Untersuchungskommission mit dieser schmierigen Geschichte betrauen. 

Obwohl noch nicht alles geklärt ist, bietet das Buch von Marcel Gyr mit dem Titel "Schweizer Terror-Jahre"  - das geheime Abkommen mit der PLO, viel Sprengstoff. Es ist eine Lektüre, die man gelesen haben muss! 

 

"Der Aleppo Codex", von Matti Friedmann (2012), Gabriele Stein Übersetzung.  

"Das Wenige, das ich über die Geschichte der Handschrift (des Aleppo Codexes) wusste, und die seltsame Diskrepanz zwischen ihrer Bedeutung und ihrer Anonymität faszinierten mich, und so fand ich einige Monate nach jenem ersten Besuch Zeit für einen ersten Versuch, darüber zu schreiben...",

Matti Friedmann führt dann wie in einem Krimi durch die spannende Welt des "Aleppo Codexes", von seiner Entstehung in Tiberias im 10. Jahrhundert, seinem Weg über Jerusalem nach Alexandria, wieder zurück nach Jerusalem, und dann nach Aleppo. Von dort fanden die Textblätter dann auf verschlungenen Pfaden den Weg nnach Israel! Aber nicht alle ca. 600 Textblätter erreichten das Ziel, oder jedenfalls befinden sie sich heute nicht mehr dort! Etwa 200 Seiten sind bis heute verschwunden, und kein Mensch weiss, wo sie stecken! Allerdings dürfen die etwa 400 Seiten, die physisch vorhanden sind, im Israelmuseum in Jerusalem besichtigt werden!

"Die Krone", wie sie liebevoll genannt wird, ist nicht irgend eine Fassung des Tenachs, der hebräischen Bibel, sondern  "d i e "  Fassung, mit der bereits MAIMONIDES arbeitete, und die mit ihrer Punktation (Massoreta) und der Angabe der Kantilation eigentlich der Ursprung der synagogalen Lesung bis heute bildet. - 

Ich möchte nicht mehr verraten als das, sondern dieses Buch einfach so zum Lesen empfehlen. Dabei werden Sie bei grösster Spannung nicht nur viel über "die Krone" erfahren, sondern auch noch viel Spass bei dieser abenteuerlichen Geschichte erfahren!

 

________________________________________________________________________

21. Dezember 2015

"Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", von Oliver Sacks, 1985.

 "Der in New York praktizierende Neuropsychologe Oliver Sacks erzählt zwanzig Geschichten von Menschen, die aus der "Normalität" gefallen sind...", so lese ich auf dem hinteren Umschlag dieses Buches, das Ende der 80er Jahre als Bestseller um die Welt ging. Schon der Titel lässt erahnen, dass es sich hier um nicht alltägliche schöne und brave Geschichten geht, sondern dass sich zwischen diesen zwei Buchdeckeln etwas "Besonderes", etwas Skuriles, etwas Ungewohntes verstecken mag.

Oliver Sacks, 1933 in London geboren, war Professor für Klinische Neurologie am Albert Einstein College of Medicine, New York. Nach einem Medizinstudium in Oxford und neurophysiologischen Forschungen übersiedelte er in die USA, wo er als Neurologe in verschiedenen Kliniken gearbeitet hat. Seit den 80er Jahren machte Sacks Schlagzeilen mit Publikationen aus seinem Arbeitsgebiet als Psychiater. Und diese Publikationen trugen recht auffällige Titel, die weltweit viele zum Lesen provozierten: Zum Beispiel publizierte er 1989 "Der Tag, an dem mein Bein fortging" und dann u.a. das Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte", "Die körperlose Frau".  

Ich las vor vielen Jahres dieses Buch, das eigentlich eine Sammlung von skurilen Fallstudien aus der Praxis von Oliver Sacks enthält. Ich staunte damals darüber, was für merkwürdige Ausdrucksformen die menschliche Seele finden kann. Als ich kürzlich vom Tod von Oliver Sacks hörte, holte ich dieses Buch wieder aus dem Büchergestell. Und von neuem fesselten mich diese realen Geschichten von Menschen, die den Boden unter den Füssen verloren hatten.

Oliver Sacks meint in seinem Vorwort: "Klassische Sagen und Legenden sind von archetypischen Figuren, von Helden, Opfern, Märtyrern und Kriegern bevölkert. Die Patienten eines Neurologen sind Verkörperungen dieser Figuren - und die, von denen in diesen sonderbaren Geschichten die Rede sein wird, sind sogar noch mehr als das!"

Hier in diesen (Fall-) Geschichten geht es um Fälle von "visueller Agnosie", von "Ausfällen", einer Bezeichnung für die Beeinträchtigung oder Aufhebung einer neurologischen Funktion, der Sprechfähigkeit, den Verlust der Sprache, des Gedächtnisses, des Sehvermögens, der Geschicklichkeit, der Identität und noch weiterer  anderer Mängel und Verluste spezifischer Funktionen (oder Fähigkeiten).  Sacks erklärt in der Einleitung auch, dass es für jede dieser Funktionsstörungen eine privative, das Fehlen hervorhebender Bezeichnung gibt: Aphonie, Aphasie, Alexie, Apraxis, Agnosie, Amnesie, Ataxie. Das sind Begriffe, die - wenn man sie so hört - nicht viel aussagen. Wenn man aber die Geschichten in diesem Buch liest, dann treten diese theoretischen Bezeichnungen in den Hintergrund und das menschliche Leiden dieser hier porträtierten Patienten tritt in den Vordergrund und bewegt den Leser aufs Tiefste. Beim Lesen dieser Fall-Geschichten befiel mich zum Beispiel auch ein echtes Schaudern, denn es wurde mir bewusst, dass wir Menschen uns während unseres Lebens sozusagen auf einer seelischen Gratwanderung befinden und sehr leicht bei Krankheit, einer (Gehirn-) Verletzung oder durch Entwicklungsstörungen aus dem Gleichgewicht gestossen werden und in der Folge in die Galerie von Sacks skurilen Geschichten geraten könnten.

Ich empfehle  Oliver Sacks Buch "Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte" zum Lesen!        

1. November 2015

Brillant, brisant und bissig wird Tuvia Tenenboms Grossreportage über Israel beschrieben!

Tuvia Tenenbom: "Allein unter Juden" - eine Entdeckungsreise durch Israel und die Westbank.

suhrkamp nova 2014

Tuvia Tennenbom, 1957 in Tel Aviv auf die Welt gekommen, wurde in eine ultra-orthodoxe Familie deutsch-jüdisch-polnischer Herkunft hineingeboren. Mit 24 Jahren verliess er dieses streng religiöse Umfeld und lebt seit 1981 in New York. Seine Studien in englischer Literatur ergänzte er (so beschrieben auf dem hinteren Buchdeckel!) durch Theaterwissenschaften, Mathematik und Computerwissenschaften sowie rabbinischen Studien und Islamwissenschaften. Wenn man von diesen zahlreichen Studienabschlüssen hört, dann stellt man sich vielleicht einen mageren, bleichen, in sich gekehrten Gelehrtentyp vor. Tuvia Tenenbom ist aber alles andere als das: er ist rundlich (oder sogar übergewichtig!), wirkt jovial und sehr lebensfreudig, und wenn man sein Buch liest, in dem es nur so wimmel von Fotografien seiner Person, erlebt man einen sehr lebenslustigen, manchmal sogar im Ausdruck deftigen Menschen mit fast keinen Tabus! - Auch seine praktischen beruflichen Tätigkeiten, die er bis jetzt ausgeübt hat, zeigen weiter eine sehr lebhafte und extrem vielseitige Persönlichkeit: er arbeitet (bis heute) als Journalist, Essayist und Dramatiker und schreibt für zahlreiche Zeitungen in den USA, Europa und Israel (darunter für "Die Zeit" und "The Jewish Daily Forward"). Dass er auch noch das "Jewish Theater of New York" im Jahre 1994 gründete und zweimal im Monat die Kolumne "Fett wie ein Turnschuh" schreibt, ist noch ein zusätzliches Detail zu dieser quirligen Persönlichkeit.

Tenenbom ist als Mensch (so, wie man ihn in diesem Buch erlebt)  ein richtiges Feuerwerk, und ich würde denken, dass auch das neueste Buch von ihm mit dem Titel "Allein unter Juden" sogar noch mehr als ein Feuerwerk ist! Kreuz und quer reist er in diesem Buch durch Israel und die Westbank und dem Gazastreifen. Er bedient sich für seine Eskapaden eines Tricks: er gibt sich v.a. seinen palästinensischen Gesprächspartnern in der Regel  als Tobi Tenenbom, einem nichtjüdischen Deutschen Journalisten (Tobi der Deutsche) aus! Nicht wenige dieser Leute gehen ihm auf den Leim! Und gerade diese (falsche) Identität öffnet ihm auf der palästinensischen Seite Tür und Tor und lässt die Leute sprechen und sprechen, ohne Selbstkontrolle!

Ich will über Tuvia Tenenboms sehr spezielles Buch das Wort dem Buchumschlag überlassen, der in Kürze beschreibt, was den Leser erwartet:

"Ende 2012 erschien Tuvia Tenenboms furioser Reisebericht "Allein unter Deutschen", der heftig diskutiert wurde und monatelang auf der Bestsellerliste stand. Nach seiner Deutschland-Tour hat sich Tennenbom 2013 auf Entdeckungsreise durch israel begeben. Dreissig Jahre nach dem er seine Heimat in Richtung USA verlassen hat, kehrte er, der Sohn eines Rabbiners, zurück, um sich ein eigenes Bild von der veränderten kulturellen und politischen identität Israels zu machen.

Dafür ist er  wieder kreuz und quer durchs Land gereist: vom Gazastreifen bis zu den Golanhöhen, von Eilat bis zu den Hisbollah-Stellungen im Norden. Und schon bald erkennt er, dass man, um dieses Land wirklich zu verstehen mit allen sprechen muss: mit Ultraorthodoxen und Atheisten, mit Fundamentalisten jeglicher Couleur, mit Kibbuzniks und Siedlern, Rabbis und Imamen, mit Mystikern und Intellektuellen, Militärs und Geheimagenten; mit israelischen Prominenten und palästinensischen Politikern, mit Journalisten und NGO-Aktivisten u.v.m. Es treten unter anderem auf: Schimon Peres und Guido Westerwelle, Amos Oz und Fania Oz-Salzberger, PLO-Spionagechef Dschibril ar-Radschub und Ex-Botschafter Aviv Primomr und viele, viele mehr.

Das Ergebnis dieser nicht immer ganz konfliktfrei verlaufenen Begegnungen ist eine ebenso unterhaltsame wie erhellende Erkundung eines Landes der Extreme, wie man sie so noch nie gelesen hat."

Dieser Zusammenfassung möchte ich noch hinzufügen, dass Tuvia Tenenbom sich in den vielfältigsten Gesprächen mit bekannten und auch eher unbekannten Persönlichkeiten der israelischen und palästinensischen Seite einerseits professionell neutral eingibt, aber durch seine gekonnten Fragestellungen seine Gesprächspartner bis aufs Äusserste reizt, sich als das zu outen, was sie wirklich sind, was sie empfinden und was sie wirklich in ihrem tiefsten Herz denken! Bei seinen Begegnungen und Gesprächen, Debatten kommen Israelis der extremen Rechten und auch der extremen Linken zur Sprache und nehmen kein Blatt in ihren extremen Vorstellungen vor den Mund. Wir erleben hier andererseits palästinensische Israelhasser, selbsternannte und heuchlerische "Gutmenschen" der europäischen Linksszene und auch jüdische Selbsthasser, die für die zahlreichen (meistens klar antiisraelischen) NGOs und auf einer angeblichen Ebene von Menschenrechtsbeobachtung tätig sind, die unverblümt nicht nur antiisraelisch denken und empfinden,  sondern sich als klare Antisemiten zeigen. Tenenbom macht aus seiner Einstellung diesen Figuren gegenüber in der jeweils nachfolgenden Analyse kein Geheimnis: nichts Neues unter dem Himmel! - Damit man Tuvia Tenenbom  die fast unglaublichsten Begegnungen und die ebenso fast unglaublichsten Äusserungen seiner Gesprächspartner auch wirklich glaubt, illustriert er sie jeweils sehr ausgiebig mit Fotos, auf denen er jovial und gutmütig wirkend in Gesellschaft dieser Leute posiert!

Ich habe dieses Buch soeben während meiner Ibiza-Ferien genossen, fast ohne Unterbruch "durchgelesen" und dabei sehr viel und manchmal auch laut gelacht! Ich kann dieses Buch für jedermann bestens empfehlen, der sich mit dem Palästinakonflikt beschäftigt. Hier hört man Aussagen von Exponenten beider Seiten, die nicht immer zur "political correctness" gehören aber sehr ehrlich sind, und die ich zB noch nie so klar und deutlich gehört habe! Tuvia Tenenbom verfasst seine Reiseeindrücke mit allen sehr persönlichen Begegnungen von Eilath bis zu den Golanhöhen immer wieder mit einer explosiven Mischung einer an und für sich traurigen Realität mit extremem Witz, Situationskomik und Satire! Eben: brillant, brisant und bissig! Nochmals: das Buch muss gelesen werden!

___________________________________________________________________________________ 

Ein Film der besonderen Art - von Senioren für Senioren und Junge...

Schon seit langem habe ich keinen Film gesehen, der mir derart nahe gegangen ist, wie: "Mita tova" - ein guter Tod (engl. a Farewell Party), ein 2014 in Israel gedrehter und im Herbst 2015 am Zürcher Filmfestival gezeigter Film. 

"Nahaufnahme eines Rollators. Schlurfende Schritte zu einem klingelnden Telefon, ein Anruf von GOTT: im Himmel sei gerade kein Platz frei, die Angesprochene möge bitte durchhalten unten auf der Erde. Perplex lauscht die Besitzerin der Gehhilfe den aus dem Hörer dröhnenden Worten Gottes.

Der Allmächtigen (Elohim) Stimme gehört dem 75jährigen Yehezkel (Ze'ev Revach). Er hat einen Stimmverzerrer gebastelt und will so seine krebskranke Nachbarin telefonisch aufmuntern. Schauplatz von "Mita tova" ist eine Seniorenresidenz in Jerusalem, seine Protagonisten sind eine gute Handvoll Bewohner, neben Yehezkel und seiner Frau Levana (Levana Finkelshtein) zwei weitere Paare. Faustdick haben es die Freunde hinter den Ohren, Levana bemerkt während einer durchzechten Nacht im Gewächshaus treffend: 'Im Innern sind sie Kinder, nur ihre Körper sind gealtert.' Doch was tun, wenn diese Körper nicht mehr mitmachen? Wie reagieren, wenn ein unheilbar kranker Freund um Sterbehilfe bittet? Ein kurzer Kampf mit dem Gewissen - in Israel ist Euthanasie verboten-, dann hilft die Gruppe dem Freund mit einer von Yehezkel konstruierten Maschine heimlich dabei sein Leben zu beenden.

Dieser Film schafft das Kunststück, dass wir unerwartet und herzhaft heraus-lachen, wenn uns zum Weinen zumute ist. Gekonnt stellen die Co-Regisseure Sharon Maymon und Tal Granit in ihrem Langfilmdebüt den ersten Szenen Situationskomik und morbid-absurde Elemente gegenüber. Einmal etwa versammeln sich die Freunde im Zimmer einer weiteren Sterbewilligen, um ihr aus dem Leben zu helfen. Deren Ehemann erzählt, wie er sich einst in sie verliebt hat. Sie lächelt ihn zärtlich an, sagt: 'Das war nicht ich, sondern deine erste Frau', und drückt den Knopf mit dem tödlichen Gift.

Angesichts der Schwere des Themas überrascht der leichtfüssige Tonfall. Komik und Tragik halten sich wie selbstverständlich die Waage, feinfühlig wird erzählt, mit Respekt vor den Figuren. Und diese Senioren wachsen einem ans Herz - dank dem sorgfältig konzipierten Drehbuch und den grossartigen, in Israel preisgekrönten Schauspielern. Nur einmal tappt das Regieduo in die Falle der Rührseligkeit: Als die Figuren im Auto zu singen beginnen, wird daraus eine Musicalszene, in der selbst die Verstorbenen zu neuem Leben erwachen. Das ist so unpassend wie unnötig. Von diesem Stilbruch abgesehen aber gilt: mehr solche Senioren auf die Leinwand".

Dieser Zusammenfassung des TA-Journalisten kann ich nichts entgegenhalten. Allerdings finde ich die "Musicalszene" im Auto - die er als Stilbruch sieht - nicht unbedingt als störend! Und - was mir im Kino eher selten passiert: ich musste dabei öfters von Herzen schmunzeln, ja sogar laut lachen - und gleichzeitig hatte ich auch Mühe, meine Tränen zurückzuhalten!

Ich kann diesen Film wärmstens empfehlen, vor allem allen Senioren! Und ich kann ebenfalls meinen, dass ... solche Senioren vermehrter auf die Leinwand gehören!

___________________________________________________________________________ 

"Heilung oder Hindernis"

- Religion bei Freud, Adler, Fromm, Jung und Frankl

Nun zu einer ganz anderen Thematik!

"Nicht irgendein anonymer Verein..."

Die grösste jüdische Gemeinde der Schweiz, die ICZ (bei der ich Mitglied bin (ich bin gleichzeitig auch Mitglied der JLG, der Jüdischen Liberalen Gemeinde OR CHADASCH)  feiert in diesem Jahr 150 Jahre ihres Bestehens.

Dieses Jubiläum war Grund, ein "historisches Buch" über die vergangenen 150 Jahre des Bestehens der Israelitischen Cultusgemeinde herauszugeben.

Als Herausgeber fungiert Prof. Dr. Alfred Bodenheimer unter Mitarbeit des Basler Historikerteams Sabina Bossert, Daniel Gerson, Stefanie Mahrer und Erik Petry.

Alfred Bodenheimer sagt es im Vorwort: "Heute weiss man wer und was die ICZ ist. Sie ist nicht irgendein anonymer Verein, sondern sie ist sozusagen der Repräsentant der Juden von Zürich." Ich würde sogar noch beifügen, dass die Geschichte der ICZ auch gleichzeitig die Geschichte der Zürcher (und im weitesten Sinne auch der) Schweizer Juden spiegelt!

Ich bin sicher, dass dieses Buch innerhalb der jüdischen Gesellschaft einiges an Sprengstoff zu bieten hat. Die Herausgeber be- und verarbeiteten als Quellenmaterial v.a. die vielen Protokolle des ICZ-Vorstandes und der Gemeindeversammmlungen. Das Auf und Ab durch die vergangenen 150 Jahre kann ich förmlich emotionell miterleben! Die Frage, inwieweit diese Protokolle allein (resp. der hauptsächliche Fokus darauf) aussagekräftig sind, mag jedoch erlaubt sein. Ich habe selber in einigen Vereinsvorständen mitgearbeitet und auch selber Protokolle über die Sitzungen erstellt! Jeder Protokollführer weiss es: ein Protokoll beinhaltet in jedem Fall eine subjektive Sicht des Protokollanten!  Dazu kommt noch, dass eine nachträgliche Interpretation dieser Protokolle, wie hier zum Teil nach 150 Jahren geschehen, eine zusätzliche (subjektive) Interpretationsebene erschafft! Interessant wäre gewesen, wenn zusätzlich zu diesem verarbeiteten Quellenmaterial auch noch persönliche Schriftstücke, zB Tagebuchaufzeichnungen oder persönliche Notizen (welcher Art auch immer) und vermehrter noch persönliche Aussagen von Nachfahren beigezogen worden wären!

Das Buch ist aber trotzdem aus meiner Sicht insofern interessant und informativ, als es das Auf und Ab dieser jüdischen Gemeinde während dieser Zeitspanne von 150 Jahren sehr gut illustriert! Hier kann jeder Leser die Ambivalenz  der Verantwortlichen gegenüber der jüdischen Religion und Kultur, aber auch die vielfältigsten (unter den Beteiligten) ausgelebten Emotionen  in verschiedensten heiklen Situationen herauslesen und gefühlsmässig  nachvollziehen. Die ICZ als "Einheitsgemeinde" mit jüdischen Mitgliedern aller (religiösen) Ausrichtungen unter einem Dach, war während den 150 Jahren nie eine einfache Sache. Umso mehr erstaunt es, dass diese Gemeinde durch all die internen Wirren und mit den Problemen von "Anpassung und Widerstand" an die nicht jüdische Umgebung die Stürme der Zeit so gut überlebt hat. Die Gemeinde hat diese stürmische Zeit nicht nur überlebt, sondern sie steht heute als eine buntscheckige aber blühende und dynamische (jüdische) Gemeinde mit einer hervorragenden Infrastruktur da!

Die ICZ hat Zeiten einer reformerischen Ausrichtung mit Orgel (Harmonium) und gemischtem Chor, mit heftigen Auseinandersetzungen über Bestattungsarten (zB Kremationen), mit Abspaltungen von rechts und links und vielen internen grossen und kleinen Konflikten relativ gut und fast unbeschadet überlebt und präsentiert sich heute als eine lebhafte, quirlige Einheitsgemeinde mit "orthodoxem Rabinat", obwohl die meisten ihrer Glieder alles andere als "orthoprax" leben! Dass die altehrwürdige Löwenstrassen-Synagoge, die im Jahr 1884 erbaut wurde, heute immer noch steht und benutzt wird, hat sie allerdings eher dem  Zürcher Denkmalschutz, als den eigenen - nicht verwirklichten -  Wünschen nach einem Jewish Center (Gemeindehaus und Synagoge im Engequartier) zu verdanken!

Das Buch schildert manchmal sehr schrill und akzentuiert die vielfältigsten Konflikte, die es in Sachen Rabbiner- und Lehreranstellung, Glaubensdifferenzen und allen Varianten der Assimilation in die (nicht jüdische) Gesellschaft immer wieder gegeben hat. Es fallen auch einige sehr gleissende Lichter auf ICZ-Persönlichkeiten mit Namensnennung, die möglicherweise von lebenden Nachkommen nicht so ohne weiteres goutiert werden! Es wird - so denke ich - innerhalb und auch ausserhalb  der ICZ noch viel über dieses Buch zu diskutieren geben. Und das ist eigentlich auch gut so!

Ich habe dieses Buch über die vergangenen 150 ICZ-Jahre mit Genuss gelesen und dabei viele Einzelheiten erfahren, die bis anhin für mich nicht bekannt waren. Diese Darstellung ist allerdings die Sicht der Herausgeber, die aus heutiger Zeit und auf der Ebene der vielen Protokolle und wenigen direkten Gesprächen von Angehörigen und meistens ohne direkte Gespräche mit den Verantwortlichen der vergangenen Jahre - ich habe dies bereits erwähnt -  geführt haben!

___________________________________________________________________________________

"Lexikon der Gerechten unter den Völkern - Deutsche und Österreicher"

Diese Publikation wurde unter dem Motto (hinterer Klappentext) "Wer ein Leben zerstört, zerstört eine ganze Welt, und wer ein Leben rettet, rettet die ganze Welt" (Mischna Traktat Sanhedrin 4,5) herausgegeben.

Und dies sagt eigentlich sehr eindrücklich, um was es hier geht! Der Fokus bezüglich des fürchterlichen und unmenschlichen Holocausts, der Shoa, wird hier nicht auf die Täter gelegt, sondern auf diejenigen Menschen, die in dieser unmenschlichen Zeit wirkliche "Menschen" waren - und zwar überdurchschnittliche Menschen! Es geht hier um die "Gerechten unter den Völkern", die in der Gedenkstätte Yad Vashem nach gewissen Kriterien ausgezeichnet wurden! Und zwar geht es hier in diesem Buch um "Gerechte aus Deutschland und Österreich".

Interessanterweise zählt Deutschland und Österreich - im Verhältnis der damaligen jüdischen Bevölkerung zur nicht jüdischen Mehrheit - zu den Ländern, die am wenigsten "Gerechte" aufzuweisen haben! Polen, zum Beispiel, das bis heute als sehr antisemitisch empfunden wird, hat - im Vergleich zu allen anderen europäischen Ländern - verhältnismässig am meisten "gerechte Menschen" in jener Zeit aufzuweisen!

Für mich persönlich ist der Aspekt der "Gerechten unter den Völkern" im Zusammenhang mit meiner persönlichen Bewältigung der Shoa sehr wichtig! Diese Menschen, die in dieser unmenschlichen Zeit spontan ihr eigenes Leben eingesetzt haben um andere Menschen zu retten, sind für mich  d i e   grosse Hoffnung, der wichtige Beweis, dass "der Mensch" doch letzten Endes auch diese Fazzette des Menschseins aufweist, und sich - auch in einer totalitären Umwelt - gutmenschlich verhält. Es kommt mir in diesem Zusammenhang Erich Fromms Essay in den Sinn: "Die menschliche Seele - ihre Fähigkeit zum Guten und zum Bösen!".

Dieses "Lexikon der Gerechten unter den Völkern" beginnt mit einem Vorwort (von Avner Shalev), einer Einführung (Daniel Fraenkel und Jakob Borut) und dann folgen die vielen Lebensgeschichten der einzelnen (nicht jüdischen)  Retter, die ohne Bezahlung für ihre Taten und unter Einsatz ihres eigenen Lebens (oder dasjenige ihrer Nächsten) selbstlos - manchmal zudem noch mit grosser Phantasie - jüdische Menschen retteten!

Jedes hier geschilderte Lebensbild ist so unterschiedlich, wie jedes menschliche Leben als solches ganz einzigartig und einmalig ist. Aber jede einzelne Lebensgeschichte, die hier vorzufinden ist, ist einfach grossartig und gewissermassen auch umwerfend in ihrer echten Gutmenschlichkeit. Und es tut einfach gut, allen diesen Menschen - nicht selten posthum - in diesem Buch zu begegnen. Diese echten Menschengeschichten machen dem Leser ganz simpel Mut, in dieser Welt  von heute zu leben, in der es - wie in der Vergangenheit - nach wie vor viel Schreckliches gibt! Es gibt - diese Geschichten beweisen es - immer und überall, auch in den finstersten Perioden - gute und liebe Menschen! Von vielen dieser hier porträtierten Menschen gibt es auch ein Bild, und somit kann der Leser sogar einen fast persönlichen direkten Bezug herstellen!

Das Nachwort zu diesem "Lexikon" stammt vom ehemaligen Bundespräsidenten Horst Köhler!

Man könnte (oder müsste!) dieses Buch eigentlich all denjenigen Menschen zum Lesen empfehlen, die ein nur negatives Bild ihrer Mitmenschen im Herzen tragen, die bewusst oder nicht den Eindruck haben, die Welt, in der wir leben, sei nur mit düsteren, aggressiven Menschen bevölkert! Gott sei es gedankt, dass dem nicht so ist! Dieses Buch bestätigt dies.

"Eichmann and the Holocaust",

Dieses Penguin-Taschenbuch wurde vor langer Zeit herausgegeben und dreht sich eigentlich rund um die Person "Adolf Eichmann", so, wie er sich und seine schlimmen Taten im Jerusalemer Prozess im Jahr 1961 präsentierte. Es besteht aus Auschnitten von Hannah Arendts Buch "Eichmannn in Jerusalem...." von 1961 und einigen Essays, die Hannah Arendt in US-Zeitungen anschliessend über diese Thematik veröffentlichte.

Ich habe dieses Buch deshalb gekauft und gelesen, weil gleichzeitig im Herbst 2011, als wir in Israel weilten,  in einigen israelischen Zeitungen (und auch in Fernsehsendungen) Hannah Arendt im Fokus lebhafter Diskussionen stand. Aus meiner Sicht kenne ich Arendt vor allem im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess. Bei allen Diskussionen über Arendt vergisst man aber immer wieder, dass sie sich nicht nur mit der Thematik "Eichmann" beschäftigt hat, sondern viele andere, v.a. philosophische Bücher veröffentlichte.

Ich muss gestehen, dass ich diese weiteren Publikationen von Hannah Arendt mehr oder weniger nur vom Hörensagen her kenne und mir darüber eigentlich keine Meinung zu bilden wage. Aber mich interessiert vor allem Hannah Arendt im Zusammenhang mit dem Eichmann-Prozess und ihren Folgerungen daraus. Deshalb habe ich dieses Penguinbuch auch mit sehr grossem Interesse gelesen.

Hanna Arendt ist aber eine höchst umstrittene Persönlichkeit, und deshalb möchte ich nun auf zwei Artikel in israelischen Zeitungen (in der Jerusalem Post und in der Haaretz), die Ende November 2011 in Israel erschienen und sehr heftig diskutiert wurden, eingehen und hier zur Diskussion stellen:

.

Hannah Arendt wohnte bekanntlich dem Eichmann-Prozess in Jerusalem 1961 persönlich bei und schrieb dann in der Folge das Bestsellerbuch "Eichmann in Jerusalem: a Banality of Evil". Hannah Arendts Gedanken waren von Anfang an sehr umstritten und werden bis heute heftig debattiert und hinterfragt. Hannah Arendt wird aber gerade auch in israelischen (und nicht zuletzt jüdischen) Kreisen sehr kritisiert.

"The Jerusalem Post" vom 23. November 2011 nimmt Hannah Arendt mit dem Titel "Terra Incognita: Confronting Hannah Arendt" (Seth J. Frantzman: PhD from the Hebrew University of Jerusalem, fellow at the Jerusalem Institute of Market Studies) ganz brutal ins Fadenkreuz der Kritik! Sie wird als deutsche Nationalistin, als eine echte Antisemitin..." usw. brutal  gebrandmarkt:

"What has often been missed is that Arendt was a German nationalist and a raving anti-Semite who only escaped being called such by being Jewish. []

In Eichmann she argued that had it not been for the Jews who worked with the Nazi administration, in the ghettos and camps, the death toll in the Holocaust would have been lower. This anti-Semitic tripe and Holocaust marginalization has passed for pseudo-intellectualism at the finest universities.

Arendt also hated Israel and Zionism. In 1948 she wrote that Menachem Begin's Herut Party was one of the 'most disturbing political phenomena of our times is the emergence in the newly created state of Israel of a political party closely akin in its organization, methods, political philosophy and social appeal to the Nazi and Fascist parties'. She also compared the Eichmann trial was a show trial. []

But it is her racism for which she must be finally taken to account. Those who love Arendt often ignore this fact or bury it in a footnote, as Steven Aschheim did in his book, Arendt in Jerusalem. []

When she was in Jerusalem, she wrote to her German philosopher friend Karl Jaspers: "On top, the judges, the best of German Jewry. Below them, the prosecuting attorneys, Galicians, but still Europeans. Everything is organized by a police force that gives me the creeps, speaks only Hebrew, and looks Arabic... []

Her racism against Arabs and her Eurocentric views all should be made known before anyone opens her books. Just as Henry Ford's racism has harmed his long-term reputation and the fascicm of Ezra Pound destroyed respect for him, it is time to overcome Hannah Arendt, and to leave her in den dustbin of history where she belongs."

Das sind sehr harte Worte, mit denen Hannah Arendt gezeichnet wird!  -

Fast gleichzeitig zu diesem Artikel in der Jerusalem Post erschien in Haaretz am 28. November 2011 ein Artikel von Nirit Anderman mit dem Titel "Fifty years after the Eichmann trial, Hannah Arendt returns to Israel". Dieser Zeitungsartikel geht auf den kürzlich gedrehten Film der deutschen Filmemacherin Margarethe von Trotta über Hannah Arendt ein. Das Bild, das hier von Hannah Arendt gezeichnet wird, sieht ganz anders aus!

Ich möchte nicht allzu detailliert darauf eingehen. Nur in Kürze: Hannah Arendt wird in diesem Film von Margarethe von Trotta als eine der wichtigsten Denker des letzten Jahrhunderts gesehen und porträtiert, so berichtet Haaretz im November 2011! 

Dieser Film von Margarethe von Trotta und  Pam Katz wurde von Dudi Zilber und United King Films produziert und wird 2012 zu sehen sein. Der Film wurde in Deutschland, Israel und Luxembourg gedreht und ist eine israelisch-deutsch-französische Ko-Produktion.  mit der deutschen Schauspielerin Barbara Suzkowa in der Rolle von Hannah Arendt. Man darf also auf diesen Film gespannt sein!  Ich bin sicher, dass auch dieser Film eine entsprechende Resonanz bezüglich Hannah Arendt - auf beide Seiten - hervorrufen wird!

Noch abschliessend zu Hannah Arendt: "jüdische" Diskussionen über Mitjuden fallen nicht selten recht ungnädig und extrem aus! Hannah Arendt aber (wie von Seth J. Frantzman ins Feld geführt) in dieser abwertenden Art generell als eine "Antisemitin" und "Antizionistin" zu brandmarken, geht mir persönlich wesentlich zu weit. Es mag sein - und das empfinde ich beim Lesen dieses Penguin-Taschenbuchs mitunter manchmal auch! -, dass Hannah Arendt eine sehr spitze Feder benutzt und nicht selten in ihren Ausführungen und ihrer "jüdischen" Selbstkritik übers Ziel hinausschiesst! Aber dabei darf nicht vergessen gehen, dass sie sich auf einem sehr "jüdischen" Boden bewegt. auf dem bissige Selbstkritik  gang und gäbe ist. Und diese an und für sich gesunde Selbstkritik hat es zu jeder Zeit und überall gegeben!

 

 

 

 

 

 

Diese Seite teilen