Ist Antisemitismus mit (normalem) Rassismus gleichzusetzen? Ich denke nein, da er eher eine eigene Geschichte aufweist, eine Entwicklung durch die Jahrhunderte hindurch gemacht hat und sich ausschliesslich auf alles "Jüdische"! fokussiert, die nun einmal nicht mit allgemeinem Rassismus zu vergleichen ist. Ich denke, dass man ihn als eine (von vielen) Spielarten von speziellem Rassismus sehen kann.
Antisemitismus gibt es, solange es jüdische Menschen, ein jüdisches Volk, gibt. Sogar in der Antike, bevor sich das Christentum (oder später der Islam) etablierte, ist historisch belegter Antisemitismus nachweisbar. Flavius Josephus, der jüdische Historiker, beschreibt in seiner Apologetik "Gegen Apion" einen wüsten Antisemiten in Ägypten, den Arzt Apion, dem er mit pragmatischen Gegenargumenten begegnet - siehe WIKIPEDIA:
Ich denke, dass rund um die Messserattacke auf einen jüdischen Mitbürger vom Samstag, 2. März 2024, wieder einmal haarscharf gezeigt hat, woher der sogenannte "eliminatorische Antisemitismus" heutzutag wirklich kommt: aus der islamistischen Community mit Unterstützung gewisser linker Gruppen.
Es ist eine Tatsache, dass antisemitische Attacken mehrheitlich aus muslimischer Seite erfolgen. Ich kann aus eigener Erfahrung dies bestätigen.
In letzter Zeit erlebten wir drei direkte Attacken, die von muslimischer Seite erfolgte. Darunter wurde unsere Jüngste in der Schule von einem muslimischen
Mitschüler attackiert: "Du bist Jüdin, sogar Israelin. Ich hasse dich... und dabei machte er mit der Hand Schiessbewegung.
Die Wochenzeitung – 07. März 2024 Ausgaben-Nr. 10, Seite: 5 Schweiz Messerattacke in Zürich «Der Antisemit ist immer der andere» Raphael Albisser
In Zürich wurde am Samstagabend ein Mann aus judenfeindlichen Motiven lebensbedrohlich verletzt. Antisemitismusforscherin Christina Späti zur historischen Tragweite der Attacke, zum gesellschaftlichen Kontext – und zur verhaltenen Reaktion vieler Linker. Interview: Raphael Albisser
WOZ: Frau Späti, wann fühlten sich Jüd:innen in der Schweiz zuletzt so unsicher wie heute? Christina Späti: Das Sicherheitsempfinden ist unter den 18 000 Jüd:innen in der Schweiz natürlich sehr individuell. Grundsätzlich lässt sich aber durchaus sagen, dass die Unsicherheit schon lange nicht mehr so gross war wie jetzt. Judenfeindliche Schmierereien und verbale Anfeindungen gab es hierzulande bereits seit den fünfziger Jahren wieder, aber die Situation hat sich zuletzt nochmals spürbar verschlechtert. Für ein vergleichbares, explizit antisemitisches Gewaltverbrechen müssen wir bis 1942 zurückgehen, als in Payerne der Viehhändler Arthur Bloch ermordet wurde, weil er Jude war. Die Tragweite der Messerattacke vom Samstag in Zürich ist enorm – vor allem auch wegen des gesellschaftlichen Klimas, in dem sie verübt wurde.
Wie meinen Sie das? Dieser Fall lässt sich nicht isoliert von gegenwärtigen Tendenzen betrachten. In den letzten Jahren, und insbesondere seit den Terrorattacken der Hamas vom 7. Oktober und dem darauffolgenden Angriff der israelischen Streitkräfte auf Gaza, verzeichnen jüdische Organisationen in der Schweiz einen deutlichen Anstieg antisemitischer Vorfälle: verbale Anfeindungen – im öffentlichen Raum, online oder in Form von Sprayereien – sowie physische Tätlichkeiten. Leider war damit zu rechnen, dass gewaltsame Angriffe, wie sie etwa in Frankreich schon länger zu beobachten sind, eines Tages auch hierzulande verübt werden. Es ist die Kombination aus antisemitischen Tendenzen in der breiten Gesellschaft und einem gezielten Hassverbrechen, die diesen Moment so beängstigend macht. Dazu trägt auch bei, wenn an propalästinensischen Demos teilweise wenig reflektiert antisemitische Parolen zirkulieren.
Besteht in der historischen Analyse eine Korrelation zwischen antisemitischen Vorfällen hierzulande und der Situation im Nahen Osten? Gibt es mehr Angriffe, wenn sich der Konflikt in einer kriegerischen Phase befindet? Es korreliert tatsächlich. Einerseits lässt sich dies ganz einfach darauf zurückführen, dass Jüd:innen in der Schweiz im Alltag viel stärker wahrgenommen werden, sobald Israel, Palästina und der Nahostkonflikt medial Thema sind. Dann äussern sich tendenziell auch Leute, die sonst gar keine starke Meinung dazu haben. Andererseits verstehen manche die Kriegssituation als vermeintliche Erlaubnis, tief gehegte antisemitische Ressentiments nach aussen zu kehren. Das heisst: Weil Israel jetzt Gaza bombardiert, fühlen sie sich ermutigt, Jüd:innen in der Schweiz unverhohlen zu diskriminieren.
Antisemitismus ist immer da, hat aber mehr oder weniger Konjunktur? Ja, das kann man so sagen. Alle wissen, dass Antisemitismus nach 1945 zu einem Tabu geworden ist. Dass also nicht immer und in jedem Kontext alles gesagt werden darf. In manchen Momenten kommt in der Mehrheitsgesellschaft dann aber das Gefühl auf, dass gewisse Dinge über Jüd:innen nun eben doch gesagt werden dürfen – dann brechen altbekannte Vorurteile hervor, und es zirkulieren antisemitische Verschwörungstheorien. In Ihrer Forschung unterscheiden Sie verschiedene Ausprägungen des Antisemitismus: «traditionellen» und «israelbezogenen» Antisemitismus sowie einen relativierenden Umgang mit dem Holocaust. Lässt sich das sauber trennen?
Nein, so einfach ist es nicht. Die traditionellen antisemitischen Stereotype – also etwa die Darstellung des Juden als reich, mächtig und hinterhältig – stammen aus den Jahrhunderten vor dem Holocaust, und sie waren für das Welt- und Selbstbild europäischer Gesellschaften wesentlich. Nach 1945, also nach dem Nationalsozialismus und der Shoah, wurde der Antisemitismus zwar tabuisiert – verschwand aber nicht. Er geistert weiterhin herum, und wenn er hervortritt, dann oft in Form derselben traditionellen Stereotypisierungen. Manche Ereignisse wirken als Auslöser. Und dann vermischen sich die Formen. Wenn zum Beispiel aus Mitgefühl mit den Palästinenser:innen, die derzeit den Horror der israelischen Bombardements erleben, Ressentiments gegen Jüd:innen in der Schweiz geäussert werden, dann offenbart sich ein israelbezogener Antisemitismus – der aber oft in Form traditioneller Stereotypisierungen daherkommt. Oder wenn die Situation der Menschen in Gaza mit dem Warschauer Ghetto verglichen wird, dann spielt auch Holocaustrelativierung hinein. Angesichts des Angriffs vom Samstag: Mancherorts wird suggeriert, dass es eine weitere spezielle Form....
Die Zuschreibung ergibt schon deshalb keinen Sinn, weil die Muslim:innen auf der Welt eine sehr grosse, überhaupt nicht homogene Gruppe sind. Ich sage nicht, dass es keine Muslime gibt, die antisemitisch denken und handeln, auch in der Schweiz. Manche begründen ihre Haltung sogar mit ihrer Religion. Aber dieser Antisemitismus hat keine völlig eigenen Charakteristiken. Vielmehr könnte man sagen, dass er auf Versatzstücken eines traditionellen europäischen Antisemitismus aufbaut. Es liesse sich argumentieren, dass manche Ressentiments derzeit einem aufrichtig empfundenen Mitgefühl mit den Menschen in Gaza entspringen. Offenbar nahmen die Übergriffe aber bereits unmittelbar nach dem Terrorakt der Hamas vom 7. Oktober zu, noch vor dem flächendeckenden Vergeltungskrieg der israelischen Streitkräfte. Was sagt dies aus?
Es zeugt von dem, was ich bereits gesagt habe: Sobald der Nahostkonflikt Thema ist, nehmen die Vorfälle zu. In diesem Fall also noch bevor Israel irgendetwas unternommen hat. Nicht, dass wir uns falsch verstehen: Ich verurteile das Vorgehen des israelischen Militärs. Geht es allerdings um die Situation der Jüd:innen in Europa, kann Israel letztlich machen, was es will – sobald es hier Thema wird, tritt der Antisemitismus hervor. Seit Samstag hat es sehr viele Reaktionen auf die Messerattacke gegeben. Es scheint, dass Antisemitismus als ernstes Problem anerkannt wird? Das stimmt, aber jetzt muss mehr kommen: Die Antisemitismusbekämpfung sollte endlich überall als öffentliche Aufgabe anerkannt werden. Es ist doch speziell, dass die jüdischen Gemeinden antisemitische Vorfälle selbst registrieren und auswerten müssen. Wäre es nicht Aufgabe von Bund oder Kantonen, Melde- und Anlaufstellen einzurichten? Entsprechende Vorstösse hat es zuletzt gegeben, aber wie ernst es den Akteur:innen damit ist, wird sich zeigen, wenn es um die Finanzierung geht.
Am Montag kam es im Zürcher Kantonsparlament zum Eklat: Als der SVP-Fraktionschef den Antisemitismus in der Schweiz in der «antikapitalistischen Linken» und den «oftmals muslimisch geprägten Migrantenmilieus» verortete, verliess die Ratslinke den Saal. Was offenbart die Szene über den Stand der Antisemitismusdebatte in der Schweiz? Ich sehe darin ein Muster, das schon seit den dreissiger Jahren auftaucht: Der Antisemit ist immer der andere. Damals hiess es, Antisemitismus gebe es nicht bei uns – zumindest nicht, solange noch nicht zu viele Juden in der Schweiz seien. Wenn die SVP nun auf Linke und Muslim:innen zeigt, dann auch, um vom Antisemitismus in den eigenen Reihen abzulenken. Erwiesenermassen hat die Partei wenig Berührungsängste gegenüber rechtsextremen, antisemitischen Milieus.
Und mit Blick auf die Linke? Wir wissen, dass der Antisemitismus auch in Teilen der Linken eine lange Tradition hat. Zwar hat diesbezüglich mittlerweile vielerorts ein Lernprozess stattgefunden. Was ich allerdings noch immer wahrnehme, ist das weitverbreitete Selbstverständnis, wonach Antisemitismus in den eigenen Reihen gar kein Thema sein kann – weil man ja links ist. Zudem empfinde ich die Reaktionen auf antisemitische Vorfälle oft als irritierend: Diese werden von links zwar entschieden verurteilt, aber oft reflexartig in einen grösseren Kontext mit anderen Diskriminierungsformen gesetzt und damit ein Stück weit relativiert. Als wäre Antisemitismus kein eigenständiges Problem, das als solches zu bekämpfen ist. Es stimmt sicher, dass rechte Akteure antisemitische Vorfälle für ihre eigenen Zwecke instrumentalisieren. Teilweise wirkt es aber so, als wollten die Linken nun vor allem über diese Instrumentalisierung reden – und nicht über den Antisemitismus selbst.
Hassverbrechen in Zürich Unweit des Zürcher Bahnhofs Selnau wurde am Samstagabend ein fünfzigjähriger orthodoxer Jude auf offener Strasse durch einen Messerangriff lebensgefährlich verletzt. Der fünfzehnjährige Täter konnte umgehend gefasst werden, das Opfer ist mittlerweile ausser Lebensgefahr. Schon am Sonntag war klar, dass der Angriff explizit antisemitisch motiviert war. Der Täter hatte seinen Angriff mit Verweis auf einen Aufruf der Terrororganisation Islamischer Staat online angekündigt. Der Schweizerische Israelitische Gemeindebund (SIG) sprach von einer «neuen erschreckenden Eskalationsstufe», die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) von einer «Zäsur». Am Sonntagabend gab es in Zürich eine Mahnwache mit Hunderten Teilnehmer:innen. Die Vereinigung der Islamischen Organisationen Zürich verurteilte die Attacke unter dem Titel «Nicht in unserem Namen!».
Antisemitismusforscherin Die Historikerin Christina Späti (53) ist Professorin für Zeitgeschichte an der Universität Freiburg. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören Antisemitismus, Antizionismus und Orientalismus in der Schweiz sowie der Holocaust und seine Nachgeschichte. In ihrer Dissertation hat Späti das Verhältnis der schweizerischen Linken zum Nahostkonflikt untersucht
JUDENHASS im Schulzimmer
Das HAMAS-Massaker vom 7. Oktober 2023 an der israelischen Bevölkerung und der darauf folgende Reaktionskrieg der israelischen Armee polarisieren die Leute. Dies passiert
auch in den Schulzimmern. Der folgende BEOBACHTER Artikel geht darauf ein und zeigt, dass v.a. moslemische Schüler einseitig informiert und beeinflusst auf die täglichen
News nicht nur antiisraelisch sondern auch antisemitisch reagieren.
Beobachter – 19. Januar 2024 Ausgaben-Nr. 2, Seite: 14 Nahostdebatte
Der Krieg im Klassenzimmer
Jugendliche werden mit ungefilterten Bildern vom Gazakrieg konfrontiert. Lehrkräfte helfen, einzuordnen – und aufzufangen.
Text: Peter Johannes Meier Fotos: Elisabeth Real
Diese Frage stellten Schülerinnen und Schüler der Kanti Baden gleich mehrmals: «Beginnt jetzt der dritte Weltkrieg?» Für Geschichtslehrerin Ariane Knüsel war kurz nach dem Ausbruch des Israel-Gaza-Kriegs klar, dass sie im Unterricht dafür Raum schaffen musste. «Was seit dem 7. Oktober geschehen ist, wühlt die Jugendlichen auf.» Zuerst das Massaker der Hamas mit rund 1200 Opfern, die Geiselnahmen, dann die Bombardierung von Gaza durch die israelische Armee mit über 20000 Toten. «Die Jugendlichen wollen darüber reden. Sie sehen schreckliche Videos auf Social-Media-Kanälen wie Tiktok oder Telegram. Und suchen nach Erklärungen, warum das alles geschieht.»
Die Jugendlichen sind einem Druck ausgesetzt, der sozialen Medien eigen ist: Die Videos drängen dazu, sofort Position zu beziehen. Für Israel, weil die Gräueltaten an der Zivilbevölkerung so abscheulich sind. Für die Palästinenser, weil tote Kinder und zerbombte Städte die Vorstellung von Selbstverteidigung sprengen. Eine Einbettung der Geschehnisse findet kaum statt, Leid und Schrecken stehen für sich.
«Es sind deutlich mehr Videos im Umlauf, die Solidaritätsgefühle mit den Palästinensern wecken», sagt Knüsel. Das habe auch mit der Entwicklung des Kriegs zu tun, der immer neues Bildmaterial aus dem Gazastreifen hervorbringe. Der Überfall der Hamas dauerte dagegen einen Tag. Es gab nur wenige Bilder. «Ich habe auch den Eindruck, dass das Verständnis für die Situation Israels in einem akademischen Umfeld etwas ausgeprägter ist als bei denen, die sich primär über soziale Medien informieren», so Knüsel.
Im Unterricht versuchte sie, die Jugendlichen bei ihren Emotionen abzuholen. «Ich setzte dann aber auf einen eher nüchternen und sachlichen Unterricht, der anhand von Quellen die Geschichte der Juden, der Palästinenser, des Staates Israel, aber auch die Sprengkraft des Konflikts thematisiert. Der reicht ja weit über die Region hinaus.» Dazu gehöre auch der zunehmende Antisemitismus in der Schweiz. Der Unterricht sei erfreulich gewesen, alle Klassen hätten sich auf das Thema eingelassen. Es habe weder Streitereien noch antisemitische oder islamfeindliche Provokationen gegeben, die den Unterricht blockierten. Etwas anderes stimmt Knüsel nachdenklich: «Viele wussten kaum etwas über die Hintergründe des Konflikts. Besonders diejenigen nicht, die in einem traditionell schweizerischen Milieu aufgewachsen sind.» Im Unterricht sei der Nahostkonflikt oft erst vor der Matura eingeplant gewesen.
Anders die Jugendlichen mit arabischem oder islamischem Migrationshintergrund. Sie wüssten viel mehr über die Geschichte und hätten eine sehr klare Meinung dazu. «Sie beruht allerdings oft auf einseitigen Erzählungen. Darin ist Israel Besatzungsmacht und eine Bedrohung für den ganzen Nahen Osten, ein klares Feindbild.» In einzelnen Klassen sei es darum vorgekommen, dass jemand das Zimmer kurz verlassen wollte, weil das Thema zu sehr aufwühlte und zu viele Emotionen schürte. Der Nahostkonflikt kann sehr nah sein.
Wie bildet man sich eine Meinung? Rémy Kauffmann, auch er Geschichtslehrer an der Kanti Baden, hat die Meinungsbildung in der Klasse thematisiert. Anhand einer Karikatur reflektierten die Jugendlichen, wie schnell man Stereotypen anheimfällt, wenn man sich über soziale Medien eine Meinung bildet. Die Karikatur zeigt einen dümmlichen Menschen, der auf dem Smartphone zwischen den Knöpfen Antisemitismus und Islamophobie entscheiden soll. «Wir haben uns mit Algorithmen auseinandergesetzt, die schnell in eine Bubble leiten, wo Vorurteile bestätigt, aber kaum reflektiert werden», sagt Kauffmann.
Die Jugendlichen haben auch Wikipedia-Einträge aus verschiedenen Ländern verglichen. Es zeigte sich, wie unterschiedlich die Einordnungen je nach Region sind – und dass auf ganz andere Quellen verwiesen wird. «Wir konnten so aufzeigen, wie wichtig es ist, die eigenen Wahrnehmungen und Meinungen immer wieder zu hinterfragen und die Quellen dafür zu erkennen», sagt Kauffmann. «Ich war überrascht, mit welchem Enthusiasmus die Jugendlichen sich auf das so komplexe Thema eingelassen haben.»
In einem Experiment suchten die Schülerinnen mit künstlicher Intelligenz nach Lösungen für den Konflikt. «Ziel war es, unterschiedlichste Perspektiven auf das Thema zu erkennen und nachzuvollziehen.» Was nicht bedeute, dass Ansichten auch geteilt werden müssten. Das Bedürfnis, Lösungen für Konflikte zu erkennen, sei bei Jugendlichen besonders stark ausgeprägt, stärker als in zuweilen desillusionierten älteren Generationen. Die Geschichtslehrer beschäftigten sich darum auch mit der Rolle internationaler Organisationen und Vereinbarungen, mit der Uno und dem Völkerrecht.
Eine harte Botschaft «Die Jugendlichen mussten erkennen, dass der Einfluss der Uno auf Konflikte beschränkt ist, gar an Bedeutung verloren hat», sagt Knüsel. Tatsächlich dauerte es Wochen, bis der Sicherheitsrat eine Resolution verabschieden konnte. Und die Kriegsparteien berufen sich meist nur dann auf das Völkerrecht, wenn es ihnen gerade dienlich ist. Die Uno ist oft zerstritten, ihre Erlasse werden als parteiisch diskreditiert oder ignoriert.
«Für die Jugend ist das eine harte Botschaft. Der Nahostkonflikt ist ja nur ein Beispiel für das Versagen internationaler Bemühungen, existenzielle Probleme zu lösen», sagt Kauffmann. In grossen Fragen sei die Welt gespalten. Ein Ende des Ukrainekriegs ist nicht in Sicht, und der Welt droht auch noch eine Klimakatastrophe. Probleme, die ohne internationales Handeln unlösbar sind. Das beschäftigte die Jugendlichen enorm. «Es sind Lasten, die jüngere Generationen mittragen müssen. Es kann nur gut sein, wenn sie sich früh und intensiv damit befassen. Die Schule kann hoffentlich dazu motivieren», sagt Knüsel. «Über die Hintergründe des Konflikts wussten viele kaum etwas»: Ariane Knüsel, Lehrerin Sachlicher Geschichtsunterricht hilft, den Nahostkonflikt zu verstehen.
Politische Debatte in den Schulen Es ist den Lehrkräften überlassen, ob sie den Ukrainekrieg, den Nahostkonflikt oder eine historische Begebenheit im Unterricht behandeln. Ganz frei sind sie dabei allerdings nicht. Der Beutelsbacher Konsens aus den 1970ern gibt drei Richtlinien vor, die im Unterricht eingehalten werden sollen: Das Indoktrinationsverbot untersagt es, den Jugendlichen eine bestimmte Meinung aufzuzwingen. Lehrpersonen dürfen zwar ihre persönliche Meinung kundtun, diese aber nicht als Lehrmeinung darstellen. Das Kontroversprinzip soll den Schülerinnen und Schülern eine freie Meinungsbildung ermöglichen. Lehrpersonen müssen ein Thema kontrovers darstellen und diskutieren, wenn das in Politik oder Wissenschaft ebenfalls der Fall ist. Das Gebot der Schülerorientierung soll die Jugendlichen altersgerecht in die Lage versetzen, eine politische Situation und eigene Interessenlagen zu analysieren.
JUDENHASS im Mittelalter
Im alten Basel (im 14. Jahrhundert) geschah mit der jüdischen Bevölkerung bereits so etwas, was sich am 7. Oktober 2023 rund um den Gazastreifen durch die mörderische
HAMAS-Terrorbande wiederholte: Ein Pogrom der ganz brutalen Art. Jetzt erinnert man sich an die Basler Geschehnisse:
BASEL 16. Jan 2024 (TACHLES)
Gedenken an das Pogrom von 1349
Erik Petry, stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, führte durch den Gedenkanlass.
Heute wurde im gut besuchten Grossratsaal im Basler Rathaus der Gedenkanlass zum 675. Jahrestag des Basler Judenprogroms von 1349 begangen.
Vor 675 Jahren wurden Mitglieder der ersten jüdischen Gemeinde Basels von einem Mob zusammengetrieben und in ein Haus auf einer heute nicht mehr existierenden Rheininsel hineingepfercht und bei lebendigem Leib verbrannt. Als Auslöser für den Massenmord gilt die herannahende Pest, deren Verbreitung man den Juden anlastete. (vgl.https://www.tachles.ch/artikel/schweiz/erstes-gedenken-nach-675-jahren). Im Grossratssaal des Basler Rathaus wurde den Opfern dieses Pogroms nun gedacht. Durch den Gedenkanlass führte Erik Petry, stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien der Universität Basel, das den Anlass gemeinsam mit dem Präsidialdepartement des Kantons Basel Stadt, dem Jüdischen Museum der Schweiz, der liberalen jüdischen Gemeinde Migwan und der Israelitischen Gemeinde Basel (IGB) realisiert hat. Neben Regierungsrat Lukas Engelberger, der in seiner Rede Antisemitismus und andere menschenfeindliche Haltungen aufs Schärfste verurteilte, war die Basler Politik im Publikum durch drei weitere Regierungsrätinnen und -räte sowie durch Mitglieder aus Grossem Rat und Baselbieter Landrat vertreten. Nach einer historischen Einordnung der Ereignisse von 1349 durch die Historiker Simon Erlanger und Barbara Häne wendeten sich Stefanie Bollag, Vizepräsidentin der IGB, und Migwan-Präsident Peter Jossi an die Anwesenden. Darauf folgten die Grussworte von Pfarrer und Kirchenratspräsident der Evangelischen Kirche Basel Lukas Kundert und des Bischofs des Bistums Basel Felix Gmür. Anschliessend trug Anne-Sophie Grosz, ein junges Mitglied von Migwan, eine eigens für den Anlass verfasste Kurzgeschichte vor. Mit dieser Geschichte machte Grosz deutlich, was auch andere Rednerinnen und Redner am Anlass in ihren Beiträgen betonten: Dass nicht nur an die Geschichte erinnert werden muss, sondern auch gezeigt werden muss, wie jüdisches Leben gelebt wird. Dass Gedenken nicht nur zurückschauen, sondern auch nach vorne blicken heisst. Oder wie Grosz die jüdische Protagonistin Rahel in der Geschichte zu ihrer nicht jüdischen Freundin Emma sagen lässt: «Weil das Judentum zwar zurecht in vielen Geschichtsbüchern ist, aber nicht nur Geschichte ist.» Abgeschlossen wurde der Anlass durch den Vortrag eines Gedenkgebets für die Opfer des Pogroms durch IGB-Oberkantor Rav Issachar Helman und Dan Dunkelblum von Migwan.
Sarah Leonie Durrer
Dezember 2023
Man kann es überall lesen, hören und auch sehen: ein giftiger "Antisemitismus" weht weltweit und macht das Leben von Jüdinnen und Juden, aber auch
jüdischer Gemeinden, zur Qual, die täglich mit den vielfältigsten Ängsten und Befürchtigungen belastet ist. Dass "Antisemitismus" (nicht selten mit Israelhass verschmolzen) sich auch ganz ungehindert an Universitäten breitmacht, ist eigentlich doch eher ein neues Phänomen:
INTERVIEW NZZ vom 15. Dezember 2023
Präsidentin der jüdischen Studenten in Deutschland: «Studierende, die sich antisemitisch äussern, müssen exmatrikuliert werden»
An der Freien Universität Berlin haben israelfeindliche Demonstranten einen Hörsaal besetzt, die Polizei musste zur Räumung anrücken. Hanna Veiler von der Jüdischen Studierendenunion Deutschland ist wütend – auch auf die Hochschulleitung.
Ferdinand Knapp, Berlin15.12.2023, 17.00 Uhr4 min
Die «Rostlaube», ein Gebäude der Freien Universität Berlin. Hier besetzten propalästinensische Studenten diese Woche einen Hörsaal.
Imago
Am Donnerstag haben Aktivisten der Gruppe Students for Free Palestine einen Hörsaal der Freien Universität Berlin (FU) besetzt. Die Hochschule stellte den Besetzern ein Ultimatum,bis 16 Uhrden Saal zu verlassen. Als diese der Aufforderung nicht nachkamen, räumte die Polizei den Hörsaal. Am Abend liefen Demonstranten, mutmasslich auch Studenten der Universität, durch den Berliner Ortsteil Dahlem und skandierten «Zionisten sind Faschisten!». Ein Gespräch mit der Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland (JSUD) Hanna Veiler über die jüngsten antisemitischen Vorfälle an Berliner Universitäten.
Frau Veiler, waren Sie noch überrascht über das, was nun an der Freien Universität Berlin passiert ist?
Überrascht hat uns das nicht, weil wir schon lange beobachten, wie schlimm die Atmosphäre für jüdische Studierende an deutschen Universitäten ist, vor allem auch an der FU in Berlin. Solche Aktionen gab es da schon vorher, nur nicht in diesem Ausmass.
Welches Gefühl hat die Aktion bei Ihnen ausgelöst: Wut, Fassungslosigkeit oder schon Resignation?
All diese Gefühle. Wir sind wütend darüber, was passiert ist und dass die Universitätsleitung erst so spät eingegriffen hat. Zur Fassungslosigkeit kommt die Erkenntnis, dass das jetzt die Realität ist, in der wir leben. Wir sind aber nicht bereit, diese Realität zu akzeptieren.
Was hat sich für jüdische Studenten seit dem 7.Oktober, dem Tag des Terrorangriffs der Hamas auf Israel, verändert?
Antisemitismus am Campus war ein Thema, mit dem jüdische Studierende schon lange vor dem 7.Oktober konfrontiert waren. Seither erleben wir aber einen regelrechten Boom an antisemitischem Gedankengut. Wir erleben, dass entsprechende Äusserungen überhaupt nicht mehr zurückgehalten werden. Israel und der Israel-Hamas-Krieg dienen als Projektionsfläche für den eigenen tiefsitzenden Antisemitismus. Wir erleben auch, dass viele einfach mitlaufen, ohne sich auch nur ansatzweise damit beschäftigt zu haben, was im Nahen Osten passiert. All das hat starke Auswirkungen auf jüdische Studierende. Viele haben sich in den ersten Wochen nach dem 7.Oktober nicht in ihre Unis getraut. Wir bilden Gruppen, um am Campus nicht allein unterwegs sein zu müssen.
Hanna Veiler wurde 1998 in Weissrussland geboren und zog im Alter von sieben Jahren mit ihrer Familie nach Deutschland. Sie studierte Kunstgeschichte in Tübingen. Seit diesem Jahr ist sie Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion Deutschland.
PD
Wie erklären Sie sich das Verhalten der Mitläufer? Sind diese Leute einfach uninformiert?
Das Versagen des Bildungssystems ist nur ein Teil. Wir haben es als Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten versäumt, über Israel-bezogenen Antisemitismus zu sprechen. In linken Kreisen wird in Dichotomien gedacht, was damit zu tun hat, dass die postkoloniale Theorie omnipräsent ist. Hinzu kommt, dass wir seit dem 7.Oktober eine starke Verbreitung von antisemitischem Gedankengut und Verschwörungserzählungen auf Online-Plattformen wie Tiktok und Instagram haben.
Man hat den Eindruck, dass mehr Studenten an propalästinensischen Kundgebungen teilnehmen als an proisraelischen. Woran liegt das?
Schwer zu sagen. Einerseits sind Jüdinnen und Juden eine sehr kleine Minderheit. Dazu kommt die postkoloniale Theorie an den Universitäten. Viele Studenten denken nur in der binären Logik des Unterdrückers und des Unterdrückten. In diesem Weltbild stellt Israel den Täter und die Palästinenser stellen die Opfer dar. Wenn dieses Weltbild akzeptiert wird, ist es natürlich einfach, Menschen zu mobilisieren, weil sie glauben, für Menschenrechte und Freiheit zu kämpfen. Sie glauben, gegen einen Genozid zu kämpfen, was grundsätzlich löblich, in diesem Fall aber eben faktisch falsch ist. Wir leben in einer Zeit, in der Juden als diejenigen dargestellt werden, die dem Kampf für Menschenrechte und Freiheit im Weg stehen.
Wie sollte die Freie Universität Berlin auf den jüngsten Vorfall reagieren?
Wir haben schon vor Wochen einen Massnahmenkatalog veröffentlicht und diesen ans Bildungsministerium und an die Kultusministerkonferenz geschickt. Eine Forderung lautete: Studierende, die sich antisemitisch äussern, müssen exmatrikuliert werden. Ausserdem haben wir gefordert, dass antisemitische, antidemokratische sowie extremistische Gruppierungen vom Campus verbannt werden. Aber jetzt sehen wir, dass die Universitätsleitungen immer noch viel zu langsam reagieren. Der logische nächste Schritt wäre die Forderung, den Rücktritt von deutschen Hochschulpräsidenten und Dekanen zu fordern. Wir haben ein erstes Beispiel dafür gerade in den USA gesehen. Und wir sind nicht mehr bereit, so diplomatisch zu sein wie in den letzten Wochen.
Sollten die Studenten, die in Berlin den Hörsaal besetzt haben, exmatrikuliert werden?
Ja.
Bundeskanzler Olaf Scholz hat immer wieder betont, Antisemitismus habe in Deutschland keinen Platz. Hat er recht?
Antisemitismus hat Platz in Deutschland, das wissen Juden ganz genau. Das haben wir leider in den letzten Jahren auf bittere Art und Weise beobachten können. Da müssen wir nicht erst beim 7.Oktober anfangen, sondern beim rechtsextremen Anschlag von Halle, bei der Documenta oder beimSkandal um Hubert Aiwanger. Wenn Antisemitismus auftritt, dann wird geredet, aber gehandelt wird viel zu spät. Natürlich ist es wichtig, solche Positionierungen des Bundeskanzlers zu hören. Aber wir brauchen Taten.
Nach dem Massaker der Hamas-Schergen in den Dörfern und Kibuzim am Gazastreifen tobt nun ein Krieg. Im Moment
ist noch nicht absehbar (Ende Oktober 2023), ob sich dieser Krieg zu einem Flächenbrand ausweiten kann.
Was wir aber mit Sicherheit heute schon wahrnehmen können, ist die Tatsache, dass in der Folge antisemitische Übergriffe
auf jüdische Menschen und Institutionen weltweit, auch in der Schweiz, massiv zugenommen haben. Gewisse
Kreise wollen dies nicht wahrhaben, aber eine Tatsache ist, dass diese antisemitischen Übergriffe einerseits
aus extremen linken Kreisen kommen, aber - und dies geschieht jetzt ganz besonders stark - stammen diese
Übergriffe aus islamischen (nicht nur islamistischen!) Kreisen.
Es ist eine Tatsache, dass in der gegenwärtigen Antisemitismuswelle Menschen aus dem islamischen Umfeld eine nicht
Rolle spielt! Diese Tatsache wird v.a. von selbsternannten "Friedensaposteln" und von Muslimen selber heruntergespielt, geleugnet!
Der folgende NZZ-Artikel geht auf diese Thematik ein:
KOMMENTAR NZZ vom 4.11.2023
All diese Menschen, die gerade aus ihren Löchern gekrochen kommen und immer so getan haben, als würden sie nur Israel hassen, hassen in Wahrheit Juden
Die Ermordung von weit über tausend Juden durch Hamas-Terroristen hat eine erschreckende Nebenwirkung: Der Antisemitismus wird wieder gesellschaftsfähig.
Zelda Biller04.11.2023, 05.30 Uhr7 min
Neue Zürcher Zeitung – 31. Oktober 2023 Seite: 7 Schweiz Beschimpft, bespuckt und angerempelt Für die Schweizer Juden wird der islamische Antisemitismus zum gravierenden Problem Simon Hehli
Drei Wochen sind vergangen, seit Hamas-Terroristen auf bestialische Weise Hunderte von israelischen Kindern, Frauen und Männern ermordet und mehr als 200 Geiseln genommen haben. Israel antwortet mit Bombardements, die wohl bereits mehrere tausend Menschenleben gefordert haben, und beginnt nun mit der Bodenoffensive, um die Terrororganisation zu vernichten. Das Geschehen im Nahen Osten löst Schockwellen aus – auch in der Schweiz. Zu spüren bekommen das insbesondere die rund 18 000 Schweizer Jüdinnen und Juden.
Am Wochenende gingen in Zürich, Bern oder Basel Tausende auf die Strasse, um ihre Solidarität zu bekunden – mit den Palästinensern, nicht mit Israel. Die meisten beliessen es dabei, Palästina-Fahnen zu schwenken oder Schilder mit dem Aufruf «Free Palestine» in die Luft zu halten. Doch auf manchen Transparenten wurden auch Vergleiche zwischen Israel, Hitler und dem Holocaust gezogen. Und selbst der Slogan «From the river to the sea, Palestine will be free» tauchte vereinzelt auf. Ein palästinensischer Staat vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer: Das würde die Auslöschung des Judenstaates bedeuten.
Attacken häufen sich Die Stimmung ist aufgeheizt – und es gibt eine beispiellose Häufung von antisemitischen Attacken. Die Meldestelle des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) kommt kaum mehr nach bei der Auswertung der Meldungen. Online, also vor allem auf Facebook, X (vormals Twitter) oder Telegram, zählte der SIG vom 7. Oktober bis letzten Freitag 173 Vorfälle. Sonst sind es pro Monat rund 70.
In der realen Welt kam es bis zum 25. Oktober zu 33 Vorfällen, darunter vier Tätlichkeiten – sonst in der Schweiz eine absolute Ausnahme. Zwei Jugendliche pöbelten im Kanton Zürich einen Mann an, der eine Halskette mit dem Davidstern trug. Sie spuckten ihm auf die Füsse und schrien: «Free Palestine!» Beim Bahnhof Stadelhofen wurden zwei jüdische Männer mit Boxschlägen attackiert. Jemand beschimpfte die Zürcher FDP-Kantonsrätin Sonja RueffFrenkel
mit «Scheiss-Jude».
In Basel wurde ein Sicherheitsbeamter bei der Grossen Synagoge provoziert und angespuckt. Hinzu kommen antisemitische Schmierereien, Hassbriefe und Hassmails an jüdische Organisationen oder Privatpersonen. «Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sich in der Schweiz so schnell eine Antisemitismuswelle aufbauen kann», sagt der SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. «Die jüdische Community kam praktisch über Nacht in eine enorm schwierige Situation.» Kreutner, sonst stets zurückhaltend, zeigt sich stark beunruhigt – zumal der neuste Konflikt gerade erst begonnen hat und weitere Eskalationen zu befürchten sind.
Das Credo des SIG sei es, dass sich jüdische Menschen nicht einschüchtern lassen sollen, dass sie sich nicht gezwungen sehen sollen, die Kippa oder den Davidstern zu verbergen. «Aber es ist ein Fakt, dass sich viele Jüdinnen und Juden unsicher fühlen und dass man wachsam sein muss.» Mit Blick auf die Nachbarländer sagt Kreutner: «Juden werden bespuckt, Juden werden angerempelt, aber bis jetzt zum Glück hierzulande nicht an Leib und Leben bedroht.» Die gegenwärtige Situation in der Schweiz erinnere ihn an die leiderseit J
ahren «normalen» Zustände in Frankreich oder Deutschland, während der Antisemitismus dort derzeit wegen der Ereignisse in Nahost noch viel stärker grassiere. Offenkundig ist, dass für die verbalen und tätlichen Attacken neben Linksradikalen auch Muslime verantwortlich sind. Oder wie es Kreutner diplomatisch formuliert: «Antisemitische Angriffe kommen aus der Mitte der Gesellschaft, aber es sind auch Vorfälle auf Personen mit Migrationshintergrund zurückzuführen.» Es stellt sich deshalb die Frage, wie verbreitet der Antisemitismus unter den rund 400 000 Musliminnen und Muslimen in der Schweiz ist. Umfragen aus Deutschland zeigen, dass die Muslime dort deutlich judenfeindlicher sind als der Rest der Gesellschaft. Entsprechende Erhebungen sind für die Schweiz Mangelware, auch das Bundesamt für Statistik hat dazu bisher keine Zahlen publiziert.
Viele Albaner, wenige Araber Mehr als die Hälfte der Muslime in der Schweiz stammen vom Balkan, es sind Albaner und Bosnier. Weitere 20 Prozent sind Türken. Nur ein geringer Anteil hingegen kommt aus arabischen Ländern. Zwar gibt es im Islam – ähnlich wie im Christentum – einen religiös begründeten Antisemitismus, wie der Islamwissenschafter Amir Dziri vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg sagt. Aus der Enttäuschung Mohammeds, dass die jüdischen Gemeinden sich ihm nicht anschlossen, hätten spätere Muslime eine pauschale Verunglimpfung von Juden abgeleitet.
Dieses Narrativ wäre theoretisch anschlussfähig für alle Muslime. Dennoch ist es laut Dziri in der arabischen Welt viel weiter verbreitet als in anderen islamischen Ländern: «Es passt eben gut zum modernen politischen Antisemitismus, der sich vor allem aus dem arabischen Nationalismus und der Ablehnung des Staates Israel speist.» Vor diesem Hintergrund ist auch der Tweet eines aus Ägypten stammenden Dozenten der Universität Bern zu sehen, in dem dieser die Hamas-Attacke verherrlichte und der den Forscher mittlerweile den Job gekostet hat. Die Muslime aus Ex-Jugoslawien treibt der Nahostkonflikt hingegen deutlich weniger um.
Ein Fragezeichen gibt es hingegen bezüglich der türkischstämmigen Bevölkerung. Der Rechtsanwalt Emrah Erken, der als Publizist immer wieder über Islamismus schreibt und selbst in der Türkei geboren ist, stellt diesbezüglich eine «sehr beunruhigende Entwicklung» fest. In der Schweiz leben gut 100 000 Menschen mit Wurzeln in der Türkei. Bis vor einigen Jahren vertrat die Türkei gegenüber Israel eine relativ wohlwollende Haltung. «Doch vor allem in den letzten Wochen hat sich eine massive Israel- und eine davon völlig unabhängige Judenfeindlichkeit bemerkbar gemacht», sagt Erken.
Regierungstreue TV-Sender, die in der Diaspora sehr populär seien, üben laut Erken besonders laute Kritik an den Angriffen der Israeli auf die Hamas im Gazastreifen. Und selbst linke türkische Tageszeitungen würden antisemitische Stereotype verbreiten. «Die Falschmeldung, dass Israel das Al-Ahli-Spital angegriffen und absichtlich Hunderte von Menschen getötet habe, brachten diese Medien gross. Und sie haben sie nie korrigiert.» Erschrocken ist Erken, dass auch linke Intellektuelle wie der Pianist Fazil Say inzwischen als «Israelhasser» wahrnehmbar seien. Am Wochenende verschärfte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Ton nochmals. «Israel, wir werden dich vor der Welt zum Kriegsverbrecher ernennen!», verkündete er. Die Hamas ist laut Erdogan keine Terrorgruppe, sondern eine Befreiungsorganisation. Emrah Erken fürchtet, dass solche Haltungen auf die Türkinnen und Türken im Ausland abfärben könnten.
Pascal Gemperli, Sprecher des muslimischen Dachverbandes FIDS, ist sich da weniger sicher. Gegen eine solche Entwicklung spreche, dass die Vertreter türkischer Moscheevereine stark in der Schweiz verankert seien und sich teilweise selbst dann hinter vorgehaltener Hand Erdogan-kritisch äusserten, wenn ihre Institutionen vom türkischen Staat mitfinanziert würden. Gemperli bedauert, dass es unter den Schweizer Muslimen auch Personen mit antisemitischen Haltungen gibt. Die Muslimverbände in der Schweiz nehmen laut Gemperli eine «möglichst nüchterne und objektive Haltung» ein – und würden dafür intern auch von propalästinensischen Kreisen kritisiert. Vom Mittelmeer bis zum Jordan ein freies Palästina: Was diese Demonstranten am Samstag in Genf forderten, stufen manche Beobachter als Aufruf zur Vernichtung Israels ein. Martial Trezzini / keyston
Antisemitismus ist ein gegen jüdische oder nichtjüdische Individuen, ihr Eigentum, ihre Institutionen oder den Staat Israel gerichteter „Judenhass“. Er „klagt Juden häufig derVerschwörungzum Schaden der Menschheit an und wird oft benutzt, um Jüdinnen und Juden dafür verantwortlich zu machen, ‚wenn etwas falsch läuft‘.“ Er drücke sich in Worten, Texten, Bildern und Taten aus und verwende dazu „unheilvolle Stereotypen und negative Charakterzüge“, etwa:
Aufrufe zum Töten oder Schädigen vonJudenim Namen einer radikalen Ideologie oder extremistischen religiösen Sicht,
verlogene, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Behauptungen über Juden oder die kollektive Macht von Juden, etwa einesWeltjudentumsoder jüdischer Kontrolle von Medien, Regierungen usw.,
Juden kollektiv für reale oder vermeintliche Vergehen einzelner oder mehrerer Juden oderNichtjudenzu beschuldigen,
Juden als Kollektiv oder Israel zu beschuldigen, sie hätten den Holocaust erfunden oder dramatisiert,
jüdische Staatsbürger zu beschuldigen, sie seien loyaler gegenüber Israel oder vermeintlichen jüdischen Prioritäten weltweit als gegenüber ihren eigenen Staaten,
das Selbstbestimmungsrecht von Juden abzulehnen, etwa zu behaupten, Israel sei ein rassistisches Projekt,
doppelte Standards anzuwenden, also von Israel Verhalten zu fordern, das von keiner anderen demokratischen Nation erwartet wird,
klassisch-antisemitische Symbole und Bilder wie denGottesmord-Vorwurf oder dieRitualmordlegendeauf Israel oder Israelis anzuwenden,
Israels aktuelle Politik mit der Vernichtungspolitik desNationalsozialismuszu vergleichen,
eine Kollektivverantwortung der Juden für Israels Politik zu behaupten.
Kritik, die an Israel ähnlich wie an anderen Staaten geäußert wird, könne jedoch nicht als antisemitisch eingestuft werden.[43]
Die 34 Mitgliedsstaaten derInternational Holocaust Remembrance Alliance(IHRA) übernahmen am 15. Mai 2016 die EUMC-Definition fast unverändert. Der Beschlusstext und Mitautoren des EUMC-Definitionstextes betonen, dass dieser „nicht für die Umsetzung in europäisches oder nationales Recht gedacht“ gewesen sei.[44]Auch die Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ desEuropean Forum on Antisemitism(EFA) beruht auf der EUMC-Definition von 2005.
DerMinisterratÖsterreichs übernahm die IHRA-Arbeitsdefinition am 21. April 2017.[45]Diedeutsche Bundesregierungübernahm sie im September 2017 und zählte dabei den ersten Beispielsatz zur Definition:[46]
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Die IHRA-Definition führt folgende aktuelle Beispiele von Antisemitismus im öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Arbeitsplatz und in der religiösen Sphäre auf, die unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts folgendes Verhalten einschließen können, ohne darauf beschränkt zu sein.
„Beispiele:
Der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung.
Falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden oder die Macht der Juden als Kollektiv – insbesondere aber nicht ausschließlich die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder anderer gesellschaftlicher Institutionen durch die Juden.
Das Verantwortlichmachen der Juden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nicht-Juden.
Das Bestreiten der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z.B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaust).
Der Vorwurf gegenüber den Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
Der Vorwurf gegenüber Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer.
Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.
Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.
Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.
Das kollektive Verantwortlichmachen von Juden für Handlungen des Staates Israel.“[47]
Jerusalemer Erklärung
Bis März 2021 verfassten rund zwanzig Wissenschaftler dieJerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die dann rund zweihundert Wissenschaftler aus aller Welt unterzeichneten.[60]Sie soll eine kohärente und politisch neutrale Definition anbieten und damit die IHRA-Definition ergänzen und verbessern. Sie definiert Antisemitismus als „Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Institutionen als jüdische)“ und liefert dazu 15 Leitlinien. Zentral ist für sie die Unterscheidung zwischen Antizionismus und Antisemitismus und die Einordnung des Kampfes gegen Antisemitismus in den größeren Kampf gegen andere Formen von Rassismus und Diskriminierung.[61]Sie stieß bei einigen Antisemitismusforschern auf Kritik und wurde in den Medien kontrovers aufgenommen.
Ich werde hier auf dieser Seite von Zeit zu Zeit konkrete und aktuelle Beispiele von aufgetretenem "Antisemitismus" publizieren!
Es ist fast nicht zu fassen, aber die alten Verschwörungsmythen geistern auch heute noch herum. Der blutrünstige Kreml-Herrscher
Putin gebracht sie wieder im Zusammenhang mit dem (jüdischen) ukrainischen Präsidenten SELENSKY!
zuonline.ch – 08. September 2023 06:04 - ausland
Putins Verschwörungstheorie : Der «ethnische Jude» Selenski soll Nazismus kaschieren Wladimir Putin behauptet, der Westen habe Wolodimir Selenski in Kiew als Staatschef eingesetzt. Der Kremlchef bereitet damit dem Antisemitismus den Boden.
Dass in muslimischen Kreisen ein klarer Antisemitismus vorherrcht, der sich mindestens zum Teil auf entsprechende Stellen im
Koran bezieht, ist unbestritten, auch wenn dies immer wieder abgestritten wird. Dass auch nachweislich in gewissen "linken Kreisen" unter
Deckmantel von "Antisemitismus" sich klare antisemitische Einstellungen verstecken, ist ebenfalls eine Tatsache.
Diese Seite teilen
Diese Seite teilen
Antisemitismus
Ist Antisemitismus mit (normalem) Rassismus gleichzusetzen? Ich denke nein, da er eher eine eigene Geschichte aufweist, eine Entwicklung durch die Jahrhunderte hindurch gemacht hat und sich ausschliesslich auf alles "Jüdische"! fokussiert, die nun einmal nicht mit allgemeinem Rassismus zu vergleichen ist. Ich denke, dass man ihn als eine (von vielen) Spielarten von speziellem Rassismus sehen kann.
Antisemitismus gibt es, solange es jüdische Menschen, ein jüdisches Volk, gibt. Sogar in der Antike, bevor sich das Christentum (oder später der Islam) etablierte, ist historisch belegter Antisemitismus nachweisbar. Flavius Josephus, der jüdische Historiker, beschreibt in seiner Apologetik "Gegen Apion" einen wüsten Antisemiten in Ägypten, den Arzt Apion, dem er mit pragmatischen Gegenargumenten begegnet - siehe WIKIPEDIA:
Man kann es überall lesen, hören und auch sehen: ein giftiger "Antisemitismus" weht weltweit und macht das Leben von Jüdinnen und Juden, aber auch
jüdischer Gemeinden, zur Qual, die täglich mit den vielfältigsten Ängsten und Befürchtigungen belastet ist.
Oktober 2023
Nach dem Massaker der Hamas-Schergen in den Dörfern und Kibuzim am Gazastreifen tobt nun ein Krieg. Im Moment
ist noch nicht absehbar (Ende Oktober 2023), ob sich dieser Krieg zu einem Flächenbrand ausweiten kann.
Was wir aber mit Sicherheit heute schon wahrnehmen können, ist die Tatsache, dass in der Folge antisemitische Übergriffe
auf jüdische Menschen und Institutionen weltweit, auch in der Schweiz, massiv zugenommen haben. Gewisse
Kreise wollen dies nicht wahrhaben, aber eine Tatsache ist, dass diese antisemitischen Übergriffe einerseits
aus extremen linken Kreisen kommen, aber - und dies geschieht jetzt ganz besonders stark - stammen diese
Übergriffe aus islamischen (nicht nur islamistischen!) Kreisen.
Es ist eine Tatsache, dass in der gegenwärtigen Antisemitismuswelle Menschen aus dem islamischen Umfeld eine nicht
Rolle spielt! Diese Tatsache wird v.a. von selbsternannten "Friedensaposteln" und von Muslimen selber heruntergespielt, geleugnet!
Der folgende NZZ-Artikel geht auf diese Thematik ein:
KOMMENTAR NZZ vom 4.11.2023
All diese Menschen, die gerade aus ihren Löchern gekrochen kommen und immer so getan haben, als würden sie nur Israel hassen, hassen in Wahrheit Juden
Die Ermordung von weit über tausend Juden durch Hamas-Terroristen hat eine erschreckende Nebenwirkung: Der Antisemitismus wird wieder gesellschaftsfähig.
Zelda Biller04.11.2023, 05.30 Uhr7 min
Kurz nach dem Massaker vom 7.Oktober, für das ein passendes Adjektiv wahrscheinlich erst noch erfunden werden muss, bekam ich einen Anruf. Eine sehr entfernte Bekannte, die wusste, dass ich vor ein paar Tagen aus Tel Aviv zurück nach Berlin gezogen war, hatte mich zu ihrer jüdischen Beichtmutter erkoren und beschlossen, ein Geständnis bei mir abzulegen. «Ich schäme mich so!», brach es aus ihr heraus. Dafür, dass sie, die sich selbst ihr Leben lang als links verstanden hatte, lange nicht hatte wahrhaben wollen, wie ernst die Bedrohung für Juden ist. Aber sie schäme sich auch für die Linke generell, sagte sie, scheinbar leicht zusammenhanglos, dafür, dass sie jemanden wie Yanis Varoufakis mal habe gut finden können.
Das kurzzeitige Idol der europäischen Linken hatte nämlich nicht einmal einen Tag gebraucht, um in einem Interview – noch während Hamas-Terroristen, die er verherrlichend Guerillas nennt, im Süden Israels Juden berauscht die Köpfe abhackten – stolz zu erklären, dass er diesen Akt der Befreiung niemals verurteilen werde, weil er die Zerstörung des angeblichen Apartheidstaates Israel befürworte. «Wie habe ich nur so blind sein können?», sagte meine sehr entfernte Bekannte am Telefon und versprach mir, dieses Fehlverhalten jetzt aufzuarbeiten, was mir zwar immer noch zu sehr nach kommunistischer Selbstkritik klang, aber sicher gut gemeint war.
Kann es sein, dachte ich, als wir aufgelegt hatten und ich auf einmal unendlich traurig wurde, dass der Antisemitismus durch das Hamas-Pogrom endlich wieder seine ursprüngliche, mörderische Bedeutung zurückerlangt hat? Und wäre das vielleicht sogar etwas Gutes? Weil es dadurch ab jetzt so leicht wie noch nie sein wird, jeden einzelnen als Antizionisten getarnten schlechten Gangster, der es sich wie Varoufakis einfach nicht verkneifen kann, seine Freude über den bestialischen Mord an 1400 Juden auszudrücken, als erbarmungslosen Antisemiten blosszustellen? Wird die westliche Welt jetzt vielleicht endlich begreifen, dass wir Juden unter keinem paranoiden Antisemitismus-Wahn leiden und islamistische Terroristen nicht bloss aus Spass behaupten, uns ausrotten zu wollen?
Seite an Seite mit Islamisten
Es dauerte nicht lange, bis ich realisierte, wie naiv diese Gedanken waren, denn sie basierten auf der falschen Prämisse, dass die Mehrheit der Menschen keine Antisemiten sind und Israel unterstützen. Ich behielt zwar recht damit, dass es in den nächsten Tagen ein Kinderspiel sein würde, rechte, linke und arabische Judenhasser zu entlarven. Nur hatte ich unterschätzt, wie viele es tatsächlich sind und wie gross ihre indirekte Unterstützung durch eine grossenteils schweigende oder mit «beiden Seiten» mitfühlende und dadurch das Massaker relativierende Mitte ist.
Ob bei mir um die Ecke auf der Sonnenallee, in der Downing Street oder auf dem Campus von Harvard, überall stehen seit dem 7.Oktober Tausende Fensterglasbrillen tragende LGBTQ-Leute Seite an Seite mit angehenden Islamisten, die sich wahrscheinlich zusammenreissen müssen, damit sie ihre temporären Bündnispartner nicht schon vor der Errichtung des Islamischen Staats in dunkle Verliese werfen. Gemeinsam entfernen sie in den Strassen hängende Plakate, auf denen israelische Geiseln zu sehen sind, sprühen Davidsterne an Hauswände, als wäre 1938, rufen «Free Palestine», was spätestens jetzt nichts anderes mehr als «Destroy Israel» bedeuten kann, und feiern teilweise ganz offen das Blutbad der Hamas.
«Free Palestine» hat jemand auf eine Hauswand an der Berliner Sonnenallee gesprayt.
Sean Gallup / Getty
Warum? Weil sie seit ihrer Kindheit zum Hass auf Juden, Israel und Amerika erzogen worden sind. Oder weil sie gehirngewaschene Linke sind, die sich aus Judenhass einreden können, Israelis seien ein Haufen weisser Kolonisatoren, die das Hamas-Pogrom nur als Ausrede benutzten, um jetzt angeblich eine ethnische Säuberung in Gaza durchzuführen. Beide Varianten sind sich ziemlich ähnlich. Auf Nachfrage wissen die meisten von ihnen weder, dass es vor der Staatsgründung Israels keinen unabhängigen palästinensischen Staat gegeben hat, noch, dass Gaza seit 2005 nicht mehr von Israel besetzt ist.
Aber Fakten haben bei diesem Thema sowieso noch nie eine Rolle gespielt, denn, sorry für die Wiederholung, all diese Menschen, die gerade aus ihren Löchern gekrochen kommen und immer so getan haben, als würden sie nur Israel hassen, hassen in Wahrheit Juden. Ja, und jetzt? Wo bleiben diejenigen, die diese Antisemiten zur Hölle schicken?
Es gibt sie, zum Glück, gerade in Deutschland. Es gibt viele kluge Politiker und Journalisten, die in Zeitungen und Talkshows erklären, dass es jetzt, nach Anbruch der grössten Antisemitismus-Welle seit Ende des Zweiten Weltkriegs, an der Zeit ist, das rituelle «Nie wieder» in die Praxis umzusetzen und Israel notfalls so viele Waffen zu schicken, wie es braucht, um den Krieg gegen die Hamas zu gewinnen. Aber leider gibt es auch noch die mehr oder weniger intellektuellen Helden des internationalen linksliberalen Mainstreams, die genau das nicht machen. Sie heissen Judith Butler, Slavoj Žižek und Greta Thunberg und haben es kürzlich alle geschafft, den Hamas-Terror auf ihre eigene perfide Art zu relativieren.
Schon vor dem antisemitischenInstagram-Wutausbruch von «Fridays for Future»hatte die Erfinderin der Bewegung ein Foto gepostet, auf dem sie mal wieder unschuldig ein Pappschild in die Luft hält – diesmal beschriftet mit «Stand with Gaza». In dem dazugehörigen Post verliert sie natürlich kein Wort über die Hamas, die ganz allein die Verantwortung für die derzeitige Bombardierung Gazas trägt, sondern fordert nur schamlos einen «sofortigen Waffenstillstand». Klar, Greta, wir lassen uns von Terroristen massakrieren, tun nichts, lassen 200 Geiseln in Gaza verrecken und warten einfach brav auf das nächste Massaker!
Antisemitische Relativierungen
Etwas origineller gab sich der marxistische Philosoph und Social-Media-Star Žižek, der bei seiner Rede zur Eröffnung der diesjährigen Buchmesseerst die obligatorische Erklärung ablegte, er verurteile das Massaker bedingungslos, um den nächsten Satz trotzdem mit einem Aber zu beginnen und Israel aufgrund der Situation der Palästinenser eine Mitschuld an dem Pogrom unterzuschieben.
Zum Schluss forderte er die Zuhörer noch auf, einmal darüber nachzudenken, weshalb die europäische Rechte heute Israel so gerne unterstütze, so wie Heydrich damals einen jüdischen Staat im Nahen Osten befürwortet habe. Žižek hatte also das Bedürfnis, zwei Wochen nachdem so viele Juden wie seit dem Holocaust nicht mehr ermordet worden waren, eine Verbindung zwischen Nazis und Israel herzustellen. Geht es noch verdrehter?
Ja, es geht. Ich zumindest habe es nicht geschafft, Judith Butlers Hamas-Entlastungs-Essay in der «London Review of Books» bis zum Schluss zu lesen, ohne dass mir schwindlig wurde. Kurz zusammengefasst, steht darin Folgendes: Für die Poststrukturalistin ist das Simchat-Thora-Massaker lediglich ein Ereignis von vielen innerhalb der langen Geschichte des brutalen israelischen «Siedlerkolonialismus». Von «punktuellen» Verurteilungen halte sie generell nichts, schreibt sie, die seien antiintellektuell, weil sie den Kontext ignorierten.
Und so relativiert diese am Limit ihres linken Denkhorizonts angekommene Jüdin die Greueltaten der Hamas-«Gruppe», wie sie den palästinensischen IS verharmlosend nennt, indem sie sie als Reaktion auf die israelische Besatzungspolitik darstellt. Schade, dass Ernst Nolte, der Vater dieser Kausalketten-Taktik, der 1986 behauptete, die Verbrechen Hitlers seien eine defensive Reaktion auf die Verbrechen Stalins gewesen, nicht mehr lebt. Er wäre sicher stolz.
Damit es keine Missverständnisse gibt: Thunberg, Žižek und Butler sind nicht einfach nur Relativierer. Sie sind Antisemiten, weil sie, jeder auf seine Art, versuchen, Terroristen zu entlasten, die Juden getötet haben, allein aus dem Grund, weil es Juden waren. Damit machen sie sich zu Komplizen aller von dem Hamas-Geballer aus ihrem Dornröschenschlaf geweckten Pöbel-Antisemiten, die gerade weltweit auf den Strassen dafür sorgen, dass Juden im Jahr 2023 wiederBabi-Jar-Albträumehaben. Sie gehören zu all den Menschen, die, wenige Tage nachdem meine und die vorangegangene jüdische Generation ihr erstes von Terroristen gestreamtes Pogrom erlebt haben, uns selbst die Schuld dafür in die Schuhe schieben wollen.
Wie sollte man als Jude reagieren, wenn das, was man bisher nur aus Geschichtsbüchern und Erzählungen kannte, auf einmal wieder zur Realität wird? Man sollte seine Energie auf jeden Fall nicht damit verschwenden, zu versuchen, Nichtjuden durch Aufklärungs-Posts verzweifelt zu erklären, dass die eigenen Familien und Freunde mal wieder Opfer eines Jahrhundertmassakers geworden sind und man deshalb jetzt die Täter kaltstellen muss, um in den nächsten Jahrzehnten etwas Ruhe zu haben. Genau das tun aber fast alle meine jüdischen Freunde in den sozialen Netzwerken gerade, weil sie vergessen haben, dass Argumentieren mit Antisemiten noch nie etwas gebracht hat.
Man sollte auch nicht in Panik geraten und auf einmal denken, dass man in der Diaspora sicherer sei als in Israel, weil dieser grausame Angriff ausgerechnet in dem Land passiert ist, das einen genau davor beschützen sollte. Ja, die israelische Regierung und der Geheimdienst haben Fehler gemacht, weil ihre Anführer selbstbezogen und hochmütig waren.
Und trotzdem bleibt das ewig gutgelaunte Land am Mittelmeer der einzige Ort auf der Welt, an dem Juden sich wehren können und nicht hilflos der antisemitischen Stimmung einer unberechenbaren Mehrheitsgesellschaft ausgesetzt sind. Gerade weil Israel existiert, um Juden zu schützen, sollten jetzt alle Juden dabei helfen, das verwundete Israel zu schützen. Auch die in der Diaspora.
Indem sie Texte wie diese schreiben, Solidaritätskonzerte geben, zur israelischen Armee gehen oder mit einem überlegenen Lächeln über die Sonnenallee spazieren. Und früher oder später sollten sie wahrscheinlich auch hinziehen. Denn was bringen einem schon Geständnisse von ein paar desillusionierten Linken, in einer Welt, die ohne Antisemitismus einfach nicht funktionsfähig zu sein scheint.
Neue Zürcher Zeitung – 31. Oktober 2023 Seite: 7 Schweiz Beschimpft, bespuckt und angerempelt Für die Schweizer Juden wird der islamische Antisemitismus zum gravierenden Problem Simon Hehli
Drei Wochen sind vergangen, seit Hamas-Terroristen auf bestialische Weise Hunderte von israelischen Kindern, Frauen und Männern ermordet und mehr als 200 Geiseln genommen haben. Israel antwortet mit Bombardements, die wohl bereits mehrere tausend Menschenleben gefordert haben, und beginnt nun mit der Bodenoffensive, um die Terrororganisation zu vernichten. Das Geschehen im Nahen Osten löst Schockwellen aus – auch in der Schweiz. Zu spüren bekommen das insbesondere die rund 18 000 Schweizer Jüdinnen und Juden.
Am Wochenende gingen in Zürich, Bern oder Basel Tausende auf die Strasse, um ihre Solidarität zu bekunden – mit den Palästinensern, nicht mit Israel. Die meisten beliessen es dabei, Palästina-Fahnen zu schwenken oder Schilder mit dem Aufruf «Free Palestine» in die Luft zu halten. Doch auf manchen Transparenten wurden auch Vergleiche zwischen Israel, Hitler und dem Holocaust gezogen. Und selbst der Slogan «From the river to the sea, Palestine will be free» tauchte vereinzelt auf. Ein palästinensischer Staat vom Fluss Jordan bis zum Mittelmeer: Das würde die Auslöschung des Judenstaates bedeuten.
Attacken häufen sich Die Stimmung ist aufgeheizt – und es gibt eine beispiellose Häufung von antisemitischen Attacken. Die Meldestelle des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) kommt kaum mehr nach bei der Auswertung der Meldungen. Online, also vor allem auf Facebook, X (vormals Twitter) oder Telegram, zählte der SIG vom 7. Oktober bis letzten Freitag 173 Vorfälle. Sonst sind es pro Monat rund 70.
In der realen Welt kam es bis zum 25. Oktober zu 33 Vorfällen, darunter vier Tätlichkeiten – sonst in der Schweiz eine absolute Ausnahme. Zwei Jugendliche pöbelten im Kanton Zürich einen Mann an, der eine Halskette mit dem Davidstern trug. Sie spuckten ihm auf die Füsse und schrien: «Free Palestine!» Beim Bahnhof Stadelhofen wurden zwei jüdische Männer mit Boxschlägen attackiert. Jemand beschimpfte die Zürcher FDP-Kantonsrätin Sonja RueffFrenkel
mit «Scheiss-Jude».
In Basel wurde ein Sicherheitsbeamter bei der Grossen Synagoge provoziert und angespuckt. Hinzu kommen antisemitische Schmierereien, Hassbriefe und Hassmails an jüdische Organisationen oder Privatpersonen. «Ich hätte es nie für möglich gehalten, dass sich in der Schweiz so schnell eine Antisemitismuswelle aufbauen kann», sagt der SIG-Generalsekretär Jonathan Kreutner. «Die jüdische Community kam praktisch über Nacht in eine enorm schwierige Situation.» Kreutner, sonst stets zurückhaltend, zeigt sich stark beunruhigt – zumal der neuste Konflikt gerade erst begonnen hat und weitere Eskalationen zu befürchten sind.
Das Credo des SIG sei es, dass sich jüdische Menschen nicht einschüchtern lassen sollen, dass sie sich nicht gezwungen sehen sollen, die Kippa oder den Davidstern zu verbergen. «Aber es ist ein Fakt, dass sich viele Jüdinnen und Juden unsicher fühlen und dass man wachsam sein muss.» Mit Blick auf die Nachbarländer sagt Kreutner: «Juden werden bespuckt, Juden werden angerempelt, aber bis jetzt zum Glück hierzulande nicht an Leib und Leben bedroht.» Die gegenwärtige Situation in der Schweiz erinnere ihn an die leiderseit J
ahren «normalen» Zustände in Frankreich oder Deutschland, während der Antisemitismus dort derzeit wegen der Ereignisse in Nahost noch viel stärker grassiere. Offenkundig ist, dass für die verbalen und tätlichen Attacken neben Linksradikalen auch Muslime verantwortlich sind. Oder wie es Kreutner diplomatisch formuliert: «Antisemitische Angriffe kommen aus der Mitte der Gesellschaft, aber es sind auch Vorfälle auf Personen mit Migrationshintergrund zurückzuführen.» Es stellt sich deshalb die Frage, wie verbreitet der Antisemitismus unter den rund 400 000 Musliminnen und Muslimen in der Schweiz ist. Umfragen aus Deutschland zeigen, dass die Muslime dort deutlich judenfeindlicher sind als der Rest der Gesellschaft. Entsprechende Erhebungen sind für die Schweiz Mangelware, auch das Bundesamt für Statistik hat dazu bisher keine Zahlen publiziert.
Der Extremismusforscher Dirk Baier von der Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) hat immerhin eine Studie zur Haltung von Jugendlichen vorgelegt. Dabei zeigte sich, dass fast 20 Prozent der jungen Muslime antisemitisch eingestellt sind, bei sehr religiösen männlichen Muslimen sind es sogar 30 Prozent. Das heisst, sie bejahen folgende zwei Aussagen: «Juden haben in der Schweiz zu viel Einfluss» und «Durch ihr Verhalten sind die Juden an ihren Verfolgungen mitschuldig». Unter den christlichen und konfessionslosen Jugendlichen sind gemäss dieser Definition lediglich rund 6 Prozent antisemitisch.
Die ZHAW-Studie belegt im Umkehrschluss aber auch, dass rund 80 Prozent der muslimischen Jugendlichen keine oder nur geringe Judenfeindlichkeit aufweisen – das ist ein hoher Wert im internationalen Vergleich. Geht man davon aus, dass dies bei den Erwachsenen nicht wesentlich anders aussieht, dann lässt sich das mit einer These erklären, die viele Experten teilen: Die Schweiz hat in dieser Hinsicht Glück, was die ethnische Zusammensetzung ihrer muslimischen Bevölkerung anbelangt.
Viele Albaner, wenige Araber Mehr als die Hälfte der Muslime in der Schweiz stammen vom Balkan, es sind Albaner und Bosnier. Weitere 20 Prozent sind Türken. Nur ein geringer Anteil hingegen kommt aus arabischen Ländern. Zwar gibt es im Islam – ähnlich wie im Christentum – einen religiös begründeten Antisemitismus, wie der Islamwissenschafter Amir Dziri vom Schweizerischen Zentrum für Islam und Gesellschaft an der Universität Freiburg sagt. Aus der Enttäuschung Mohammeds, dass die jüdischen Gemeinden sich ihm nicht anschlossen, hätten spätere Muslime eine pauschale Verunglimpfung von Juden abgeleitet.
Dieses Narrativ wäre theoretisch anschlussfähig für alle Muslime. Dennoch ist es laut Dziri in der arabischen Welt viel weiter verbreitet als in anderen islamischen Ländern: «Es passt eben gut zum modernen politischen Antisemitismus, der sich vor allem aus dem arabischen Nationalismus und der Ablehnung des Staates Israel speist.» Vor diesem Hintergrund ist auch der Tweet eines aus Ägypten stammenden Dozenten der Universität Bern zu sehen, in dem dieser die Hamas-Attacke verherrlichte und der den Forscher mittlerweile den Job gekostet hat. Die Muslime aus Ex-Jugoslawien treibt der Nahostkonflikt hingegen deutlich weniger um.
Ein Fragezeichen gibt es hingegen bezüglich der türkischstämmigen Bevölkerung. Der Rechtsanwalt Emrah Erken, der als Publizist immer wieder über Islamismus schreibt und selbst in der Türkei geboren ist, stellt diesbezüglich eine «sehr beunruhigende Entwicklung» fest. In der Schweiz leben gut 100 000 Menschen mit Wurzeln in der Türkei. Bis vor einigen Jahren vertrat die Türkei gegenüber Israel eine relativ wohlwollende Haltung. «Doch vor allem in den letzten Wochen hat sich eine massive Israel- und eine davon völlig unabhängige Judenfeindlichkeit bemerkbar gemacht», sagt Erken.
Regierungstreue TV-Sender, die in der Diaspora sehr populär seien, üben laut Erken besonders laute Kritik an den Angriffen der Israeli auf die Hamas im Gazastreifen. Und selbst linke türkische Tageszeitungen würden antisemitische Stereotype verbreiten. «Die Falschmeldung, dass Israel das Al-Ahli-Spital angegriffen und absichtlich Hunderte von Menschen getötet habe, brachten diese Medien gross. Und sie haben sie nie korrigiert.» Erschrocken ist Erken, dass auch linke Intellektuelle wie der Pianist Fazil Say inzwischen als «Israelhasser» wahrnehmbar seien. Am Wochenende verschärfte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan den Ton nochmals. «Israel, wir werden dich vor der Welt zum Kriegsverbrecher ernennen!», verkündete er. Die Hamas ist laut Erdogan keine Terrorgruppe, sondern eine Befreiungsorganisation. Emrah Erken fürchtet, dass solche Haltungen auf die Türkinnen und Türken im Ausland abfärben könnten.
Pascal Gemperli, Sprecher des muslimischen Dachverbandes FIDS, ist sich da weniger sicher. Gegen eine solche Entwicklung spreche, dass die Vertreter türkischer Moscheevereine stark in der Schweiz verankert seien und sich teilweise selbst dann hinter vorgehaltener Hand Erdogan-kritisch äusserten, wenn ihre Institutionen vom türkischen Staat mitfinanziert würden. Gemperli bedauert, dass es unter den Schweizer Muslimen auch Personen mit antisemitischen Haltungen gibt. Die Muslimverbände in der Schweiz nehmen laut Gemperli eine «möglichst nüchterne und objektive Haltung» ein – und würden dafür intern auch von propalästinensischen Kreisen kritisiert. Vom Mittelmeer bis zum Jordan ein freies Palästina: Was diese Demonstranten am Samstag in Genf forderten, stufen manche Beobachter als Aufruf zur Vernichtung Israels ein. Martial Trezzini / keyston
Antisemitismus ist ein gegen jüdische oder nichtjüdische Individuen, ihr Eigentum, ihre Institutionen oder den Staat Israel gerichteter „Judenhass“. Er „klagt Juden häufig derVerschwörungzum Schaden der Menschheit an und wird oft benutzt, um Jüdinnen und Juden dafür verantwortlich zu machen, ‚wenn etwas falsch läuft‘.“ Er drücke sich in Worten, Texten, Bildern und Taten aus und verwende dazu „unheilvolle Stereotypen und negative Charakterzüge“, etwa:
Aufrufe zum Töten oder Schädigen vonJudenim Namen einer radikalen Ideologie oder extremistischen religiösen Sicht,
verlogene, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Behauptungen über Juden oder die kollektive Macht von Juden, etwa einesWeltjudentumsoder jüdischer Kontrolle von Medien, Regierungen usw.,
Juden kollektiv für reale oder vermeintliche Vergehen einzelner oder mehrerer Juden oderNichtjudenzu beschuldigen,
Juden als Kollektiv oder Israel zu beschuldigen, sie hätten den Holocaust erfunden oder dramatisiert,
jüdische Staatsbürger zu beschuldigen, sie seien loyaler gegenüber Israel oder vermeintlichen jüdischen Prioritäten weltweit als gegenüber ihren eigenen Staaten,
das Selbstbestimmungsrecht von Juden abzulehnen, etwa zu behaupten, Israel sei ein rassistisches Projekt,
doppelte Standards anzuwenden, also von Israel Verhalten zu fordern, das von keiner anderen demokratischen Nation erwartet wird,
klassisch-antisemitische Symbole und Bilder wie denGottesmord-Vorwurf oder dieRitualmordlegendeauf Israel oder Israelis anzuwenden,
Israels aktuelle Politik mit der Vernichtungspolitik desNationalsozialismuszu vergleichen,
eine Kollektivverantwortung der Juden für Israels Politik zu behaupten.
Kritik, die an Israel ähnlich wie an anderen Staaten geäußert wird, könne jedoch nicht als antisemitisch eingestuft werden.[43]
Die 34 Mitgliedsstaaten derInternational Holocaust Remembrance Alliance(IHRA) übernahmen am 15. Mai 2016 die EUMC-Definition fast unverändert. Der Beschlusstext und Mitautoren des EUMC-Definitionstextes betonen, dass dieser „nicht für die Umsetzung in europäisches oder nationales Recht gedacht“ gewesen sei.[44]Auch die Arbeitsdefinition „Antisemitismus“ desEuropean Forum on Antisemitism(EFA) beruht auf der EUMC-Definition von 2005.
DerMinisterratÖsterreichs übernahm die IHRA-Arbeitsdefinition am 21. April 2017.[45]Diedeutsche Bundesregierungübernahm sie im September 2017 und zählte dabei den ersten Beispielsatz zur Definition:[46]
„Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nichtjüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen. Darüber hinaus kann auch der Staat Israel, der dabei als jüdisches Kollektiv verstanden wird, Ziel solcher Angriffe sein.“
Die IHRA-Definition führt folgende aktuelle Beispiele von Antisemitismus im öffentlichen Leben, in den Medien, Schulen, am Arbeitsplatz und in der religiösen Sphäre auf, die unter Berücksichtigung des Gesamtkontexts folgendes Verhalten einschließen können, ohne darauf beschränkt zu sein.
„Beispiele:
Der Aufruf zur Tötung oder Schädigung von Juden im Namen einer radikalen Ideologie oder einer extremistischen Religionsanschauung sowie die Beihilfe zu solchen Taten oder ihre Rechtfertigung.
Falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen Juden oder die Macht der Juden als Kollektiv – insbesondere aber nicht ausschließlich die Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle der Medien, Wirtschaft, Regierung oder anderer gesellschaftlicher Institutionen durch die Juden.
Das Verantwortlichmachen der Juden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar von Nicht-Juden.
Das Bestreiten der Tatsache, des Ausmaßes, der Mechanismen (z.B. der Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Deutschland und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkrieges (Holocaust).
Der Vorwurf gegenüber den Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen.
Der Vorwurf gegenüber Juden, sie fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer.
Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, z.B. durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen.
Die Anwendung doppelter Standards, indem man von Israel ein Verhalten fordert, das von keinem anderen demokratischen Staat erwartet oder gefordert wird.
Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus in Verbindung stehen (z.B. der Vorwurf des Christusmordes oder die Ritualmordlegende), um Israel oder die Israelis zu beschreiben.
Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik der Nationalsozialisten.
Das kollektive Verantwortlichmachen von Juden für Handlungen des Staates Israel.“[47]
Jerusalemer Erklärung
Bis März 2021 verfassten rund zwanzig Wissenschaftler dieJerusalemer Erklärung zum Antisemitismus, die dann rund zweihundert Wissenschaftler aus aller Welt unterzeichneten.[60]Sie soll eine kohärente und politisch neutrale Definition anbieten und damit die IHRA-Definition ergänzen und verbessern. Sie definiert Antisemitismus als „Diskriminierung, Vorurteil, Feindseligkeit oder Gewalt gegen Jüdinnen und Juden als Jüdinnen und Juden (oder jüdische Institutionen als jüdische)“ und liefert dazu 15 Leitlinien. Zentral ist für sie die Unterscheidung zwischen Antizionismus und Antisemitismus und die Einordnung des Kampfes gegen Antisemitismus in den größeren Kampf gegen andere Formen von Rassismus und Diskriminierung.[61]Sie stieß bei einigen Antisemitismusforschern auf Kritik und wurde in den Medien kontrovers aufgenommen.
Ich werde hier auf dieser Seite von Zeit zu Zeit konkrete und aktuelle Beispiele von aufgetretenem "Antisemitismus" publizieren!
Es ist fast nicht zu fassen, aber die alten Verschwörungsmythen geistern auch heute noch herum. Der blutrünstige Kreml-Herrscher
Putin gebracht sie wieder im Zusammenhang mit dem (jüdischen) ukrainischen Präsidenten SELENSKY!
zuonline.ch – 08. September 2023 06:04 - ausland
Putins Verschwörungstheorie : Der «ethnische Jude» Selenski soll Nazismus kaschieren Wladimir Putin behauptet, der Westen habe Wolodimir Selenski in Kiew als Staatschef eingesetzt. Der Kremlchef bereitet damit dem Antisemitismus den Boden. Enver Robelli
Hat noch eine Propagandalüge aus der Mottenkiste geholt: Wladimir Putin. Mit seinem Angriffskrieg gegen die Ukraine befeuert der russische Präsident Wladimir Putin auch unzählige Verschwörungstheorien. Dazu gehört das Märchen, die Ukraine sei kein souveräner Staat, oder der Mythos, die Nato habe den Konflikt mit der friedliebenden Grossmacht Russland provoziert. Nun hat Putin noch eine Propagandalüge aus der Mottenkiste geholt.
Er beschuldigte den Westen diese Woche, einen «ethnischen Juden» als Staatschef in Kiew eingesetzt zu haben. Die Marionette Wolodimir Selenski kaschiere die Verherrlichung des Nazimus in der Ukraine, so der Kremlchef gegenüber russischen Medien. Putin meinte, Selenskis Wahlsieg 2019 sei das Ergebnis eines vom Westen unterstützten Komplotts. Im «Herzen des ukrainischen Staates» liege «ein unmenschliches Wesen», fuhr der Kriegstreiber fort und unterstellte Selenski, er decke jene Ukrainer, die den Holocaust «angeführt» hätten.
Viele Juden verlassen Russland Es ist nicht das erste Mal, dass Putin mit Geschichtsklitterung irritiert. Auf dem Internationalen Wirtschaftsforum in St. Petersburg im Juni erklärte Putin, Selenski decke «mit seinen Taten diese Missgeburten, diese Neonazis». Dabei sei der ukrainische Präsident «kein Jude, er ist eine Schande des jüdischen Volkes». Deshalb bleibe die «Entnazifizierung» der Ukraine die «Schlüsselaufgabe» Moskaus. Für die Ermordung von 1,5 Millionen Juden in der Ukraine während des Zweiten Weltkrieges beschuldigte Putin ukrainische Nationalisten. Dass die SS und die deutsche Wehrmacht erwiesenermassen die Hauptschuld für die Gräueltaten trugen, verschwieg er geflissentlich. Präsident Wolodimir Selenski mit seinem neuen Verteidigungsminister Rustem Umjerow. Der Oberrabbiner von Moskau, Pinchas Goldschmidt, sagte bereits im Mai gegenüber dem britischen «Guardian», der Antisemitismus in Russland habe zugenommen. Er forderte alle Juden auf, das Land zu verlassen. Nach Angaben der Jewish Agency wanderten allein 2022 fast 40’000 Juden aus Russland nach Israel aus. Goldschmidt, in Zürich geboren, weigerte sich, Putins Eroberungskrieg zu unterstützen und verliess Russland nach 33 Jahren. Putins neuste antisemitische Ausfälle seien selbst für seine Verhältnisse abscheulich, meinte der britische Historiker Ian Garner.
Wolodimir Selenski ist der erste jüdische Staatschef der Ukraine. Seine Urgrosseltern und drei Grossonkel wurden während des Holocaust ermordet, sein Grossvater starb im Kampf gegen die Nazi-Truppen. Das ukrainische Aussenministerium verurteilte die Äusserungen des Kremlchefs. «Putins chronische Fixierung auf die ethnische Herkunft des ukrainischen Präsidenten ist ein weiterer Beweis für den tief verwurzelten Antisemitismus der russischen Eliten.» Putins neuste antisemitische Ausfälle seien selbst für seine Verhältnisse abscheulich, meinte der britische Historiker Ian Garner auf der Twitter-Nachfolgeplattform X. Die russischen Bomben haben bisher mindestens einen Holocaust-Überlebenden getötet. Boris Romantschenko hatte vier Konzentrationslager der Nazis überlebt. Im vergangenen Jahr starb er im Alter von 96 Jahren, als eine russische Rakete sein Haus in Charkiw traf. 2015 hatte er auf dem Gelände des KZ Buchenwald das Gelöbnis der Überlebenden gesprochen: «Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.» Bei einem russischen Angriff wurde auch die Gedenkstätte Babyn Jar bei Kiew beschädigt. Dort hatte ein Sonderkommando der Wehrmacht 34’000 Juden ermordet.
Dass in muslimischen Kreisen ein klarer Antisemitismus vorherrcht, der sich mindestens zum Teil auf entsprechende Stellen im
Koran bezieht, ist unbestritten, auch wenn dies immer wieder bestritten wird. Dass auch nachweislich in gewissen "linken Kreisen" unter
Deckmantel von "Antisemitismus" sich klare antisemitische Einstellungen verstecken, ist ebenfalls eine Tatsache.
Der folgende Artikel von Cicero geht auf diese Thematik ein:
cicero.de – 09. August 2023 - aussenpolitik
Warum deutsche Juden nach Israel gehen Rechter, linker, islamistischer Antisemitismus – Juden in Deutschland sehen sich aktuell aus verschiedenen politischen Richtungen bedroht. Nicht der einzige Grund, warum deutsche Juden nach Israel auswandern. - ILGIN SEREN EVISEN
Ein jüdisches Sprichwort besagt, die Alija ist eine Heirat. Am Anfang überwiegen Euphorie und Verliebtheit. Das Gefühl der anfänglichen Verliebtheit teilen viele Juden, die Alija nach Israel gemacht haben. Ein Leben ohne Antisemitismus, mit koscheren Restaurants, einer solidarischen und kosmopoliten Gemeinschaft, bestehend aus Juden aus zahlreichen Ländern. Für die jüdischen Israelis gilt ihre neue Heimat als Garant für Sicherheit und als einzige Möglichkeit, ihre jüdische Identität frei, also ohne Angst vor alltäglichem bis lebensbedrohlichem Antisemitismus zu leben.
Die Geschichte der Alija beginnt schon zu babylonischen Zeiten. Nach der Zerstörung des ersten Tempels wanderten die jüdischen Stämme aus Israel in alle Länder der Welt aus. Mit der Gründung des Staates Israels, 1948, und für viele vom Holocaust verfolgte deutsche und osteuropäische Juden schon in den 30er Jahren, beginnt die massenhafte Rückkehr gläubiger Juden in das Land ihrer Vorfahren.
Beitrag zur demografischen Stabilität Die Alija hat in der israelischen Gesellschaft einen großen Stellenwert. Die 1929 gegründete Jewish Agency for Israel etwa agiert weltweit und unterstützt Zehntausende Juden bei ihrer Migration nach Israel. Ein eigens dafür benannter Minister, der Alija-Minister, informiert die Öffentlichkeit über die jährlichen Einwanderungen und preist sie als kulturelle Bereicherung für das Land.
Neben ihrem Beitrag zur demografischen Stabilität des Landes, das auf eine kontinuierliche Zuwanderung von Juden angewiesen ist, sind die meist gut qualifizierten Einwanderer – darunter viele Ingenieure, Ärzte, Wissenschaftler – Garanten für eine stabile Wirtschaft. Der Staat unterstützt die „Olim“, hebräisch für Teilnehmer der Alija, finanziell und mit Sprachkursen beim Ankommen in ihrer neuen Heimat. Die gut organisierte Immigration der Juden ist auch auf das im Jahr 1950 in der Knesset erlassene Rückkehrgesetz zurückzuführen. Demnach hat jeder Jude das Recht, nach Israel zurückzukehren, und wird hierbei bei allen Anträgen und organisatorischen Angelegenheiten durch die Jewish Agency for Israel unterstützt.
Jecke bleibt Jecke Nach der quasiindustriellen Vernichtung deutscher und osteuropäischer Juden folgte eine massive Auswanderungswelle deutscher Juden nach Palästina. Über die als „Jecke“ bezeichneten deutschen Juden, denen Eigenschaften wie Perfektion und Fleiß, aber auch eine gewisse Überheblichkeit zugesprochen wurde, spottete die Mehrheit der Juden in Israel. Neben diesen als schrullig empfundenen Eigenschaften brauchten sie länger als andere Juden, um Ivrit – Neuhebräisch – zu lernen, und sie verloren anders als Juden aus anderen Ländern selten ihren deutschen Akzent.
„Was ist der Unterschied zwischen einem Jecke und einer Jungfrau? Jecke bleibt Jecke“, lautete ein gängiger jüdischer Witz über deutsche Juden. Neben ihrer Borniertheit in preußischen Tugenden wurde deutschen Juden oft der Vorwurf gemacht, sie seien weniger aus Heimatliebe, sondern aus Angst vor den Schrecken der Nazis nach Deutschland geflohen. „Kommst du aus Zionismus oder aus Deutschland?“, wurden die frisch immigrierten deutschen Juden nicht selten gefragt.
Auch gleichgeschlechtliche Ehen gelten Als Jude gilt, wer eine jüdische Mutter hat oder zum Judentum konvertiert ist. 1970 wurde das Rückkehrgesetz ausgeweitet auf Kinder (ein jüdisches Elternteil reicht) und Enkel von Juden. Mittlerweile besteht das Recht auf Rückkehr auch für nichtjüdische Ehepartner von Juden; auch im Falle einer eingetragenen Partnerschaft oder einer gleichgeschlechtlichen Ehe können nichtjüdische Partner von Juden nach Israel einwandern. Insbesondere mit Beginn der Corona-Pandemie zog es verstärkt europäische Juden nach Israel. Über 20000 Juden sind allein 2021 nach Israel eingewandert, also 31 Prozent mehr als im Vorjahr. Die vom Ministerium für Alija verkündeten Zahlen zeigen, dass sich neben russischen, französischen und südafrikanischen Juden auch junge deutsche Juden, meist unter 35, zur Alija entschließen. Aus diversen Gründen.
Ein Anstieg um 40 Prozent Die Zunahme antisemitischer Stereotype in Form von Verschwörungstheorien, die zur Zeit der Pandemie in den sozialen Medien zirkulierten, ist ein Anlass, wieso jüdische Mitbürger Deutschland verlassen. Alleine 2021 wurden in Deutschland 2738 antisemitische Vorfälle erfasst. Dem Bundesverband der Recherche- und Informationsstellen Antisemitismus (RIAS) zufolge war dies ein Anstieg um 40 Prozent zum Jahr 2020.
August 2023: Ein israelischer Tourist, der Hebräisch spricht, wird in Berlin von mehreren Männern verprügelt. Der krankenhausreif geschlagene junge Mann ist sich sicher, dass die Angreifer Araber waren. Doch neben Bedrohungen, Beleidigungen und roher Gewalt gibt es noch andere Formen von Antisemitismus, die auch in linksausgerichteten deutschen Medien anzutreffen sind: die höchst undifferenzierte Kritik an israelischer Innen- und Außenpolitik. Das jüngste Beispiel: Fabian Wolff. Der 1989 in Berlin geborene deutsche Journalist machte viele Jahre Karriere als deutsch-jüdischer Autor und schrieb über seine jüdische Identität und den Nah-Ost-Konflikt. Bei seinen Artikeln nahm er eine israelkritische Haltung ein. Berichte über Antisemitismus in orientalischen Einwandererkreisen setzten dem jungen Autor derart zu, dass er nach einem kritischen Beitrag Ahmad Mansours seine journalistische Tätigkeit für die Jüdische Allgemeine einstellte. Wolff allerdings, der von linken deutschen Medien gefeiert wurde, weil er als „Jude“ Israel kritisierte, musste im August öffentlich eingestehen, dass er gar kein Jude ist.
Antisemitismus in Deutschland ist also kein Phänomen speziell der Radikalen. Nicht nur deutsche Rechte, Israel gegenüber voreingenommene linke deutsche Medien und Islamisten pflegen antisemitische Ressentiments. Die Pandemie hat gezeigt, wie weit verbreitet antisemitische Verschwörungstheorien sind und wie unkritisch deutsche Leitmedien antisemitische Israelkritik wiedergeben.
Auf technologischen Fortschritt ausgerichtet Aber auch die israelische Wirtschaft mit ihrer florierenden Startup-Kultur lockt vor allem junge deutsche Juden nach Israel. Die jungen Unternehmen gelten als volkswirtschaftliche Ressource, die dem Land durch einen Gründerboom in den 90er Jahren zu internationalem Ansehen verhalfen und zahlreiche ausländische Investitionen in das Land lockten. Auch der Staat selbst investiert in die Hightech-Industrie, die einen Großteil der Startups ausmacht.
Das vom israelischen Staat für die Startup-Branche genehmigte Budget ist eins der weltweit höchsten. Israel verfügt im internationalen Vergleich über eine auf technologischen Fortschritt ausgerichtete Wirtschaft, es übertrumpft mit seinem Lebensstandard zudem alle anderen Länder des Nahen Ostens. Die eingewanderten deutschen Juden finden auf einem derart vitalen Arbeitsmarkt schnell Anschluss.
Im Job Englisch oder Ivrit Ein deutscher Jude, der ausgewandert ist, ist Sebastian aus Berlin. Aus Angst vor antisemitischen Anfeindungen bei seiner nächsten Deutschland-Reise möchte er anonym bleiben. Als Sohn einer deutsch- und osteuropäisch-jüdischen Familie wuchs er in bescheidenen Verhältnissen bei seiner alleinerziehenden Mutter in der deutschen Hauptstadt auf. „Wegen dem mediterranen Klima und den schönen Frauen“, erklärt er scherzhaft seine Motive für seine Alija. Für ihn steht fest, dass er in Israel ein besseres Leben hat als in Deutschland.
Im Alltag sprechen deutsche Juden in Israel weitestgehend Deutsch miteinander, im Job Englisch oder Ivrit. Anders als osteuropäische Juden sind deutsche Juden überwiegend säkular und besuchen ihre weiterhin in Deutschland lebenden Familien regelmäßig. „Bis in die 90er Jahren hatten wir sogar eine deutschsprachige Zeitung“, erzählt Sebastian, der seine Auswanderung aus Deutschland nicht bereut hat. Zurück nach Deutschland zu ziehen, kann er sich nicht vorstellen. „Die Auswahl an koscherem Essen, die Vielfalt jüdischen Lebens, die vielen Innovationen – auf diese Solidarität und die Freiheit, Jude sein zu dürfen, will ich nicht verzichten.“
Marcel hatte für seine Alija vor zwei Jahren andere Gründe als Sebastian. Zwar erlebten einige seiner Freunde antisemitische Überfälle aus islamistischen Kreisen, aber für den Informatiker und Projektleiter waren es andere Motive, die ihn nach Israel führten: „Meine Firma baute eine Filiale in Israel auf und wollte einen Mitarbeiter vor Ort einbinden. Ich meldete mich sofort und sagte zu.“
Bis zu seinem Aufenthalt in Israel lebte Marcel in einem multikulturellen Bezirk Berlins. Zum jüdischen Neujahrsfest bekam seine Familie von den türkischen Nachbarn koschere Schokolade geschenkt, sein bester Freund, libanesischer Moslem, blieb auch nach seinem „Outing“ als Jude sein bester Freund. „Am Anfang fiel es ihm schwer, zu glauben, dass ich Jude sei. Bis dahin hielt er mich für einen Christen. Inzwischen stelle ich fest, dass sich seine Einstellungen zu Juden geändert haben“, sagt er.
Unterstützt vom israelischen Staat In der zentralisraelischen Kleinstadt Modi`in finden Marcel, seine Ehefrau und die gemeinsamen drei Kinder ein Zuhause. Unterstützt vom israelischen Staat lernen sie Ivrit, die Kinder erhalten in der Schule ein Sonderprogramm, das sie bei ihrem Übergang in das israelische Schulsystem bestmöglich unterstützt. Anders als für viele andere Juden sind es also nicht primär Erfahrungen von Antisemitismus, die Marcel nach Israel migrieren ließen. Der engagierte Vater möchte seinen Kindern ein Kennenlernen der israelischen Kultur, eine solidarische sowie kosmopolite Gemeinschaft und eine behütete Kindheit ermöglichen. „Unsere Kinder können hier auch nachts in öffentlichen Parks mit Freunden spazieren. In Berlin wäre das undenkbar gewesen“, so Marcel.
Aber auch die insgesamt optimistische Stimmung, die guten Netzwerke vor Ort und das angenehme Kleinstadtleben begeistern die jüdische Familie aus Berlin für ihr neues Leben in Israel: „Wir begegnen immer wieder Juden aus Deutschland, es gibt nicht so viele von uns. Außerdem haben wir hier einen deutsch-jüdischen Stammtisch und auf Social-MediaPlattformen können wir uns ebenfalls vernetzen. Selbst ein Jecke-Parlament gibt es“ sagt Marcel, nicht ohne Stolz.
Zurück nach Deutschland will die Familie vorerst nicht, nicht aus Angst vor Ressentiments oder erlebter Diskriminierung. Für Israel spricht für Marcel und seine Familie die individuelle Zufriedenheit, die starke solidarische Gemeinschaft und die gelungene und schnelle Integration in das moderne kosmopolite Land. „Für uns war es die richtige Entscheidung, Alija zu machen, aber wir sind Deutschland und unseren jüdischen sowie nicht-jüdischen Freunden dort sehr verbunden und kommen immer wieder gerne zu Besuch“, sagt er. Einen Beitrag zur aktuellen Debatte über die Justizreform in Israel finden Sie hier.