Das Fach und allgemein die Thematik "Psychologie" hat für viele Menschen fast eine magische Anziehungskraft. Warum? Ist es nicht so, dass jeder von uns sich tagtäglich mit «Psychologie» im weitesten Sinn beschäftigt, sich mit seinem eigenen Verhalten, seiner eigenen Psyche konfrontiert sieht?
Ich möchte auf dieser Seite meiner Homepage von Zeit zu Zeit auf praktische psychologische Themen eingehen.
Von meinem Provider wird mir gemeldet, dass wöchentlich meine Homepage von 4-500 Personen aufgerufen wird. Konkret heisst dies, dass eine recht grosse Zahl von Lesefreudigen auf meiner Homepage landet und sich für die hier aufgeführten Themen interessiert. Offensichtlich ist es auch so, dass nicht nur "gelesen" wird, was hier steht, sondern dass sich der oder die eine oder andere mit dem Inhalt auch auseinandersetzt. Immer wieder erhalte ich - v.a. via Emailling - feedback. Dadurch entsteht eine sinnvolle Art von "virtueller Kommunikation", sogar einer Art von "Dialog". Das empfehle ich auch für diese hier aufgegriffenen Themen zu praktizieren.
Zusammenfassung der Themen
... und hier folgen die vollen Artikel:
19. November 2022
Nichts ist so sicher in unserem Leben ... wie unsere "Endlichkeit". Der Tod, das Ende unseres irdischen Daseins, unserer Existenz kommt früher oder später. Dieses Wissen um unsere Endlichkeit beeinflusst unser Sein und wohl auch - je danach - unser Handeln.
Lukas Maisel ist diesen Fragen im Essay in der heutigen NZZ nachgegangen. Ausgelöst hat diese Fragen der Tod seines Vaters.
Wir dürfen uns ruhig fragen: wie gehen wir mit unserer Endlichkeit um? Was löst bei jedem von uns bei einer Konfrontation mit dem Tod eines lieben Menschen aus?
NZZ Feuilleton 19. November 2022
Was bleibt, wenn wir einmal tot sind, fragte ich mich beim Tod meines Vaters
Die Spurlosigkeit unseres Verschwindens ist der grosse Skandal unseres Lebens. Nichts quält uns so sehr wie der Gedanke, dass wir einmal vergessen sein werden und dass nichts an uns erinnern wird.
Lukas Maisel19.11.2022, 05.30 Uhr
Rowohlt Verlag
An einem Mittwoch im März 2019 freute ich mich auf den baldigen Feierabend: Am Tag darauf würde ich nach Japan fliegen. Nicht nur war ich aufgeregt, weil es meine erste Reise nach Japan sein würde, sondern auch, weil ich dort eine Frau treffen würde, der ich vier Jahre bloss online geschrieben hatte – wir hatten uns noch nie gesehen. A. lebte im Grossraum Los Angeles, ihre Eltern stammten aus Taiwan. Ich machte mir ungenaue romantische Hoffnungen.
Ich sass im Büro einer Werbeagentur und dachte mir Slogans aus für eine Parfümeriekette oder einen Saucenhersteller («Unsere Sauce hat den besten Spargel verdient»). Als ich wieder auf das Display meines Mobiltelefons blickte, erschrak ich:
Meine Schwester hatte versucht, mich zu erreichen, ich ahnte, dass es um unseren Vater ging. Er hatte seit mehreren Tagen das Telefon nicht abgenommen, und meine Mutter, seine Ex-Frau, hatte die Polizei verständigt. Ich hatte ihn vor einer knappen Woche das letzte Mal gesprochen, ihn am Telefon gefragt, wie man ein Lammnierstück brät. Er war als Koch vor Jahrzehnten aus Bayern in die Schweiz gekommen, hatte in einem Hotel die Frau kennengelernt, die meine Mutter werden sollte.
Ich wusste nicht, was ich tun sollte
Draussen neben dem Hauseingang rief ich meine Schwester an. Sie sagte, die Polizei habe unseren Vater in seinem Bett gefunden. Tot. Mir fehlten die Worte, ich atmete schwer in die Muschel. Ich weiss nicht mehr, ob meine Schwester weinte, ich weiss nur, dass ich nicht weinte. Heisst es nicht, dass der Schock, der auf eine Verletzung folgt, so gross sein kann, dass man keinen Schmerz empfindet? Es war ohnehin nicht der Augenblick, um zu weinen, erst musste ich es meinem Vorgesetzten mitteilen.
Ich musste die Worte meiner Schwester wiederholen, die ich nicht glaubte, und ich fragte mich, ob er mir glauben würde. Er drückte sein Beileid aus, sprach vom Hinschied seiner Mutter, was ich ihm nicht übelnahm, ich dachte nicht: Es geht hier um mich, denn mein Vater ist gestorben. Indem er von seiner Mutter sprach, sagte er: Ich kenne deinen Schmerz.
Er fragte mich: Was wirst du jetzt tun? Ich wusste es nicht. Ich war mit den Abläufen, die ein Tod mit sich bringt, nicht vertraut. Sollte ich meine Reise nach Japan absagen? Das wollte ich nicht – aber es war wohl das, was ich wollen sollte. Wenn ich reiste, könnten Aussenstehende denken, ich nähme seinen Tod auf die leichte Schulter. Und mir selbst könnte ich vorwerfen, dass ich vor dem Tod fliehe, meine Trauer aufschiebe, ich müsste fürchten, sie wuchere in mir zu etwas Monströsem.
Wieder draussen, rief ich die Pfarrerin an, die die Abdankung leiten würde. Sie bat mich, ihr eine Beschreibung unseres Vaters zu schicken. Ich versprach es. Und welche Musik soll gespielt werden? Er liebte Schlager und Volksmusik – untauglich für eine Beerdigung. Doch spielte an Sonntagen, wenn der Geruch von Knödeln und Schweinebraten durch unsere Wohnung waberte, das bayrische Radio oft Pachelbels «Kanon in D-Dur».
Auch Bachs «Jesus bleibet meine Freude» nannte ich der Pfarrerin, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass Jesus nie seine Freude gewesen war. Ich weiss nicht, ob er gläubig war. Darüber haben wir nie gesprochen, wie über so viele Dinge nicht. Wir sprachen über Fussball, über Fernsehen, übers Kochen. Ich weiss allein, dass er seinen Konfirmationsspruch nie vergessen hatte: «Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln.» Er spendete ihm wohl Trost.
Abends begann ich den ersten Entwurf meiner Beschreibung, als Brief: ein Brief an einen Toten. Aus dem Lautsprecher klang die Stimme von John Lee Hooker, er sang von Tupelo, Mississippi, von einem nicht enden wollenden Regen, der die Stadt unter Wasser setzte.
«Du kanntest die Namen fremder Länder, Gebirge und Flüsse und bist doch in deinem Leben niemals geflogen. Reichte dir der verheissungsvoll-fremde Klang der Länder, Gebirge und Flüsse aus?»
Dann folgte Blind Willie Johnson, «Dark Was the Night, Cold Was the Ground». Der Song besteht aus dem sorgenvollen Summen von Johnson, kein Wort wird gesungen. Er handelt vielleicht von einer Situation, in der sich der umherziehende Musiker nur zu oft wiederfand: Die Nacht bricht herein, und er hat keinen Platz zum Schlafen. Der Song ist, neben anderen Songs sowie Geräuschen von der Erde – Froschgequake, Vulkanausbrüche, Herzschläge –, auf einer goldenen Schallplatte verewigt, die sich an Bord der Raumsonden Voyager 1 und 2 befindet.
Beide Sonden haben unser Sonnensystem verlassen und sind in den interstellaren Raum vorgedrungen. Die Platte soll fünfhundert Millionen Jahre abspielbar bleiben. Wenn es die Menschheit schon lange nicht mehr geben wird, dann fliegt Blind Willie Johnsons Blues noch immer durch die ewige Nacht des Weltraums. Das kommt der unsterblichen Seele, an die ich nicht glauben kann, am nächsten.
«In deinen letzten Jahren sprachst du manchmal davon, auf eine ferne Reise gehen zu wollen . . . Du sagtest, was dich abhalte, sei nicht Flugangst, sondern die Furcht, dich zu blamieren, weil du die Abläufe am Flughafen nicht kennst.»
Die Welt kommt gut ohne mich aus
Und was bleibt von meinem Vater? Was bleibt überhaupt von einem Menschenleben? Einige Spuren im Bewusstsein einiger Homo sapiens, elektrische Ladungen in den Synapsen. Der beliebte Todesanzeigenspruch, wonach ein Toter nicht tot ist, solange Lebende sich an ihn erinnerten, hat mir nie behagt. Er deutet an, dass es doch einen endgültigen Tod gibt – schlimmer als der erste, weil er ohne Trost bleibt.
Wenn alle gestorben sind, die eine Erinnerung tragen, stirbt man erst wirklich. Warum reicht es nicht, sein Leben gelebt zu haben? Warum will man sein Leben auch noch erinnert wissen? Einer der Gründe, warum ich Bücher schreibe, ist die Hoffnung, ein Teil von mir werde meinen Tod überleben – wenn schon keine goldene Schallplatte, dann wenigstens ein paar Romane. Ist es nicht furchtbar eitel, dass ich mir eine Welt ohne mich nicht vorstellen kann? Die Welt kam vor meiner Geburt gut ohne mich zurecht und wird es auch nach meinem Tod.
Am nächsten Morgen stand ich neben der Kirche vor dem Leichenhaus, wo mein Vater aufgebahrt war. Meine Schwester schrieb, sie verspäte sich. Ich wusste nicht, wie ich reagieren würde, wenn ich ihn gleich sähe. Als sein Vater gestorben war, hatte ich nicht geweint. Wenn ich nicht um meinen Vater weinen würde: Was stimmte dann nicht mit mir? Fehlte es mir dann an Liebe zu ihm? Fehlte es mir dann im Allgemeinen an Liebe? Ich hatte meinem Vater nie gesagt, dass ich ihn liebte – überhaupt hatte ich Schwierigkeiten, meine Zuneigung zu äussern, als sei Liebe eine Schwäche, die einzugestehen verhängnisvoll sei.
Im Innern des Häuschens trennt eine Glasscheibe den Vorraum vom Kühlraum, in dem du aufgebahrt liegst. Du trägst ein weisses Hemd und eine Halskrause, die wohl dein Gesicht straffen soll. Du hast eine leichte Röte in den Wangen, als schämtest du dich des Makels, nicht mehr zu leben. Die Scham war deine lebenslange Begleiterin. Du schämtest dich für uns, deine beiden Kinder, wenn wir im Restaurant nicht stillsassen, sondern taten, was Kinder eben tun: die Beine baumeln lassen, mit dem Besteck klappern, andere Gäste mit aus Speichel und Brot geformten Kügelchen beschiessen.
Und du schämtest dich deines Körpers. Niemals sahen wir dich an den italienischen und französischen Stränden, an die wir sommers fuhren, dein Hemd ausziehen. Du fürchtetest die urteilenden Blicke der anderen. Nun liegt dein Körper hier, und du kannst keine Hand bewegen, um diesen oder jenen Makel zu verbergen. In Hemingways «Der alte Mann und das Meer» blickt der Junge auf die Hände des schlafenden alten Fischers und weint, weil sie zerschunden sind vom Kampf mit dem Fisch. Ein Kampf, der letztlich vergeblich war. Auch ich blicke auf deine Hände und weine. Sie sind von deinem Leben gezeichnet. Von deinem vergeblichen Kampf. Endlich hat dein Leiden ein Ende.
Bald wird dein Körper Asche sein
Ich hoffe, nicht die Scham habe dir das Blut in die Wangen getrieben in deinem letzten Augenblick, sondern die Schwerkraft. Du sollst auf dem Bauch gelegen haben, als dein Herz stehenblieb. Ich hoffe, du hast dich in deinem letzten Augenblick nicht mehr durch die Augen der anderen gesehen, sondern ihn in vollkommener Gelassenheit verlebt.
Noch kann ich dir ins Gesicht blicken, noch kann ich dich berühren. Bald wird dein Körper Asche sein, und aus dieser Asche wird er sich nicht wieder zusammensetzen lassen. Das ist der Lauf der Welt – alles wird Asche (ausser vielleicht goldene Schallplatten). Ich küsse zwei meiner Finger, lege sie auf deine Stirn, die weich und kalt ist, und sage – nicht Ciao, sondern Adieu.
Die Angst, ich würde nicht weinen können, hatte sich als unbegründet erwiesen. Schon lange hatte ich nicht mehr geweint, ich hatte vergessen, wie es sich anfühlte, was für eine unwillkürliche körperliche Reaktion es war. Das Weinen hatte mich gereinigt, ich hatte die Pflicht zu trauern erfüllt. Damals glaubte ich tatsächlich, ich hätte mich ausgeweint und dass das Trauern damit zu Ende sei.
Nun hatte ich kaum noch Zweifel daran, dass ich die Reise antreten sollte. Es waren doch bloss elf Tage, war es wirklich nötig, dass ich blieb? Da unterschätzte ich freilich noch den bürokratischen Aufwand, den ein Tod mit sich bringt und den meine Schwester bald allein stemmen musste. Diversen Organisationen gilt es die neue Nichtexistenz zu beweisen.
Ich wollte meinem Vater eine Postkarte schicken
Vom Totenhaus machte ich mich direkt auf zum Flughafen nach Genf. Im Zug erhielt ich einen Anruf meiner aufgebrachten Schwester: Warum habe ich im Leichenhaus nicht auf sie gewartet? Sie spricht von all den Dingen, die geklärt werden müssen, sie wirft mir vor, sie damit allein zu lassen. Kleinlaut antworte ich, es sei zu spät, die Reise abzusagen, und ich würde ihr aus der Ferne so gut helfen, wie ich könne.
Ich reiste ans Ende der Welt, um eine Unbekannte zu treffen, während sich meine Schwester mit dem Tod herumschlagen musste – was sagte das über mich aus? Als Rechtfertigung dienten mir zwei Phrasen. Erstens: Das Leben muss weitergehen, und zweitens: Mein Vater hätte nicht gewollt, dass ich die Reise seinetwegen absage.
«Ich wollte dich immer stolz machen, ich wollte jene Reisen unternehmen, die du nie gewagt hast. Du wirst nun doch noch auf eine ferne Reise gehen, zu fremden Ländern, Gebirgen und Flüssen.»
Aber wahr war auch: Ich würde all die Ablenkungen geniessen, die mit Reisen einhergehen. Erinnerungen sind an Orte gebunden, und diese Orte zurückzulassen, bedeutet, die Erinnerungen zurückzulassen. So durchflog ich eine amnestische Nacht. Mein Hostel lag in der Nähe des Tokyo Tower, der wie ein Ölbohrturm anmutete. Es war eigenartig, A. zu treffen, jemanden, den ich kannte – und doch irgendwie nicht.
Anfangs war sie zurückhaltend, als müsste ich erst beweisen, dass ich derjenige war, mit dem sie jahrelang Nachrichten ausgetauscht hatte. Bald aber fühlte es sich so an, als würden wir uns schon lange kennen. Und trotzdem war ich enttäuscht, als sie nach Taiwan abflog, das sie vor ihrer Rückkehr nach L. A. noch besuchen wollte. Es war nicht die berauschende romantische Erfahrung gewesen, die ich erhofft hatte. Wir waren nach Kyoto gereist und nach Kinosaki, wo wir in Badehäusern in heissem Wasser blanchierten, wir küssten uns abends, doch ein Funkenschlag blieb aus.
Ich blieb allein in Tokio zurück.
Rastlos wanderte ich durch die Stadt, ich fühlte Einsamkeit, ja – aber eine, die auszuhalten war, die zu Hause, an den Erinnerungsorten, unerträglich wäre. Meine Melancholie war leicht und wurde bloss selten unterbrochen von Momenten der Schwere. Als ich an einem Postkartenständer vorbeikam, wollte ich meinem Vater eine Postkarte schreiben, bis mir einfiel, dass es ihn nicht mehr gab.
In einer Buchhandlung stiess ich auf einen Gedichtband: «Japanese Death Poems». Es waren Gedichte, die japanische Wanderpoeten kurz vor ihrem Tod geschrieben hatten. Ich kaufte den Band, ich wollte ein japanischer Wanderpoet werden.
Die Kirschblüte hatte begonnen, in den Parks sassen Leute unter weiss blühenden Kronen auf blauen Planen und gaben sich die Kante. Ich, auf einer Bank sitzend, schlug den Gedichtband mehrere Male zufällig auf. So stiess ich auf ein Gedicht, das mich rührte, es stammte von Mizuta Masahide. Hier mein Versuch einer Übersetzung aus dem Englischen – sie entspricht nicht ganz dem Silbenschema eines Haikus.
«Schuppen brennt nieder / Nichts verhindert mehr die Sicht / Auf den Mond»
Die Erlösung vom Leben
Warum fand ich dieses Gedicht so tröstlich?
Ich verstand es so: Wenn man die Grenzen des Körpers im Tod aufgibt, ist man wieder vereint mit dem All. Nabokov schrieb, dass der Mensch nur existieren könne, weil er von der Welt getrennt sei: «Die Schädeldecke ist der Schutzhelm eines Raumfahrers. Bleib drinnen, oder du gehst zugrunde. Der Tod ist Entkleidung, der Tod ist Kommunion.» Diesen tröstlichen Gedanken fasste ich in ein Haiku, mit dem ich den Brief an meinen Vater beendete.
«Ein Regentropfen / Der fällt hinab ins Meer / Und ist nun das Meer»
Am Tag meines Rückflugs schickte ich den Brief an die Pfarrerin. Sie finde ihn, schrieb sie zurück, berührend und würde ihn bei der Abdankung gerne vorlesen, ich war einverstanden. Es war erstaunlich, dass sie sich am Haiku nicht stiess, schliesslich verneinte es eine unsterbliche Seele. Nein, hätte sie sagen müssen, die Seele ist kein Tropfen, der sich im Meer auflöst, sie ist so etwas wie ein Stein, der über alle Zeiten besteht, ohne sich mit seiner Umgebung zu vermischen.
Was mich bewegt
rbl. · Mit diesem Text des Schweizer Schriftstellers Lukas Maisel setzen wir unsere Reihe fort, in der jüngere Stimmen aus der internationalen Literaturszene zu Wort kommen. Die Aufgabe ist so anspruchsvoll wie einfach: Wir bitten die Autorinnen und Autoren, über ein Phänomen zu schreiben, sei es gesellschaftlicher, politischer oder privater Natur, das sie bewegt und geprägt hat oder das sich ihrem Werk auf besondere Weise eingeschrieben hat.
wiederum bei Rowohlt sein Roman «Tanners Erde».
Nächste Woche schreibt an dieser Stelle der Genfer Schriftsteller Guillaume Gagnière.
Warum mir die Seele als Tropfen, der sich im Meer auflöste, Trost spendete? Mein Vater machte sich ständig Gedanken, was andere über ihn dachten oder welche schlimmen Dinge geschehen könnten, und er war sich seiner selbst in übersteigerter Weise bewusst. Das war sein Leiden, und das Verlöschen des Ichs bedeutete Erlösung.
Die Abdankung fand in so kleinem Kreis statt, dass wir nicht in Bänken im Kirchenschiff sassen, sondern auf Stühlen in der Apsis. In der Mitte stand die Urne mit der Asche. Während die Pfarrerin meinen Brief vorlas, blickte ich zu Boden, es war mir unangenehm, meine Gefühle und Gedanken ausgesprochen zu hören. Dann sprach sie von der Auferstehung der Toten und vom ewigen Leben – aber wer will das schon?
Wer sich an die Regeln hält, wird belohnt mit dem Paradies, aber dort muss man sich ja weiter an die Regeln halten. Man ist verdammt zu ewiger Anständigkeit. Das Christentum hat nicht gelernt, mit dem Tod umzugehen, obwohl es lange genug Zeit hatte. Es verleugnet den Tod. Er wird als Ereignis innerhalb des Daseins verstanden und nicht als das Ende aller Ereignisse, das Ende aller Anfänge und aller Enden.
Nach der Abdankung besuchten wir (meine Schwester, unsere Mutter und ich) seine Wohnung, um nach dem Rechten zu sehen und zu lüften. Sie lag im Souterrain, wie passend. Weil ich und meine Schwester beabsichtigten, das Erbe auszuschlagen, durften wir nichts mitnehmen.
Wie ich gehört hatte, konnte man persönliche Gegenstände abholen, bevor die Wohnung geräumt würde. Das stellte sich als falsch heraus. Und als Fehler: Fragt mich heute jemand, was in meinem Leben ich bereue, fällt mir bloss diese Sache ein: nichts aus der Wohnung meines Vaters gerettet zu haben. Das Stück der Berliner Mauer etwa, das er von seiner Mutter nach jahrzehntelangem Nachfragen endlich bekommen hatte, oder das uralte vergilbte bayrische Kochbuch.
Und dann frage ich mich, warum ich bereue, dass all das vernichtet wurde. Brauche ich einen Gegenstand, um mich an ihn zu erinnern? Nein. Was ist es dann? Die Vernichtung seiner Habe gemahnt daran, wie einfach die Spuren eines Lebens verschwinden – und dass auch mein Leben einmal vergessen sein wird.
26. August 2022
Vor 25 Jahren starb der Dritte Wiener Psychologe Viktor E. Frankl. Frankl betonte immer wieder, dass er mit seiner Lehre der Logotherapie/Existenzanalyse an und für sich seine beiden Kollegen Freud und Adler keineswegs ersetzen möchte. Vielmehr ginge es ihm darum, das bisher Erreichte durch seine Sicht zu erweitern. Ich denke, dass v.a. seine Message vom "Sinn des Lebens" gerade in heutigen, unsicheren Zeiten ganz besonders wichtig ist. Jeder von uns, muss sich seinen eigenen "Sinn des Lebens" immer wieder von neuem überdenken und - je nach Lebenssituation - wieder neu erarbeiten.
Viktor E. Frankl starb vor 25 Jahren. Die Online-Publikation ISRAEL ZWISCHENZEILEN (der Gesellschaft Israel-Schweiz) wagt einen Nachruf:
Er überlebte den Holocaust und sah Sinnhaftigkeit selbst im grössten Leid. Mit "... trotzdem Ja zum Leben sagen" schrieb der Wiener Psychiater und Begründer der Existenzanalyse Viktor Frankl einen Weltbestseller.
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„Wenn Leben überhaupt einen Sinn hat, dann muss auch Leiden einen Sinn haben“: Diese Erkenntnis bestätigt sich für Viktor Frankl mitten in der Hölle von Auschwitz. „Trotzdem Ja zum Leben sagen“ wurde eine seiner Lebensdevisen. Für den Wiener Psychiater und Begründer der Logotherapie stand fest, dass menschliches Leben unter allen Umständen einen Sinn hat. Aus seinem Mund klingt das mehr als glaubwürdig: Der jüdische Mediziner überlebte vier Konzentrationslager. Vor 25 Jahren, am 2. September 1997, starb Frankl mit 92 Jahren.
von Angelika Prauß
Schon in seiner Schulzeit pflegte Frankl persönliche Kontakte zu den Psychologen Sigmund Freud und Alfred Adler. 1923 machte er in Wien sein Abitur, studierte anschliessend Medizin und promovierte 1930. Dem Leiden am Leben, Depressionen und Suizid galten sein Hauptinteresse. Frankl bemerkte die Orientierungs- und Hoffnungslosigkeit vieler Menschen. Frankl sah die Sinnsuche als Hauptmotivation des Menschen: „Der Mensch ist nicht auf Glück, sondern auf Sinn angelegt.“ 1926 verwendete er erstmals den Begriff Logotherapie. Die Methode unterstützt Klienten dabei, in ihrem Leben einen Sinn zu finden.
Als Oberarzt leitete er von 1933 bis 1937 den sogenannten Selbstmörderpavillon im psychiatrischen Krankenhaus in Wien, wo er 3.000 suizidgefährdete Frauen betreute. Danach durfte er keine „arischen“ Patienten mehr behandeln und übernahm die Leitung eines Spitals für jüdische Patienten. Um ihr Leben zu retten, umging er mit gefälschten Gutachten die Euthanasie-Anordnung.
1942 heiratete er und wurde kurz darauf mit seiner Frau und seinen Eltern ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Ausser ihm überlebte niemand seiner Familie die Lagerzeit. Drei Jahre verbrachte Frankl in Auschwitz und anderen Konzentrationslagern, wo sich seine Lehre unter grausamen Umständen bewähren konnte.
In seinem eindrucksvollen Buch „… trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ verarbeitet der Häftling mit der Nummer 119104 seine Erlebnisse. Für ihn kommt es auf die innere Haltung an, mit der man existenziellen Krisen begegnet und diese als „innere Bewährungsprobe“ annimmt. So sei es möglich, „aus seinem blossen Leidenszustand eine innere Leistung zu gestalten“ und selbst schwerste Krisen seelisch heil zu überstehen. Gerade aussergewöhnlich schwierige Lebensumstände böten die Gelegenheit, „über sich selbst hinauszuwachsen“.
Nicht jeder in Auschwitz konnte oder wollte dem folgen. Frankl, der dort als ärztlicher Seelsorger arbeiten durfte, traf im KZ auf viele Menschen mit Selbsttötungsabsichten. Er versuchte, seinen Mithäftlingen eine Perspektive zu zeigen, „dass das Leben von ihnen etwas erwarte, dass etwas im Leben, in der Zukunft, auf sie warte“. Für ihn selbst war es der Wille, seine von der Gestapo vernichtete Habilitationsschrift über die Logotherapie wieder zu rekonstruieren. Einer ihrer Ansätze ist angelehnt an Nietzsches Satz: „Wer ein Warum zu leben hat, erträgt fast jedes Wie“.
Nach dem Krieg leitete Frankl von 1946 bis 1970 in Wien die Neurologische Poliklinik und begründete die österreichische Ärztegesellschaft für Psychotherapie. 1955 wurde er Professor für Neurologie und Psychiatrie in seiner Heimatstadt, erhielt aber auch Gastprofessuren in Harvard, Cambridge und Stanford. Daneben schrieb Frankl rund 30 Bücher, die auch Dank ihrer guten Verständlichkeit in 22 Sprachen übersetzt wurden. Von seinem populärsten Werk „Man’s search for meaning“ (Trotzdem ja zum Leben sagen) wurden allein in den USA vier Millionen Exemplare verkauft. Frankl, der als einer der grössten Fachleute auf seinem Gebiet gilt, erhielt 29 Ehrendoktorate.
KNA/aps/pko
13. März 2022
In der Ukraine tobt ein blutiger Krieg. Russland versucht mit allen Mitteln, die bestehende Demokratie und die frei gewählte Regierung zu stürzen und das Land wieder in die Einlfusszone des totalitären Russlands einzuverleiben!
In der Folge kam es zu einer riesigen Fluchtwelle. Bis jetzt spricht man von mehr als 1,5 Mio Flüchtlingen, die das Land verlassen haben. Auch die Schweiz öffnete sich und erwartet bis 60'000 Menschen aus der Ukraine, die hier Schutz suchen. Da die ukrainischen Männer ab 18 bis 60 Jahren zum Militärdienst verpflichtet sind, setzen sich die Flüchtlinge v.a. aus Frauen mit Kindern und älteren Menschen zusammen. Alle diese Menschen haben bereits furchtbares erlebt, und man muss von traumatischen Erfahrungen, v.a. bei Kindern, ausgehen. Es stellt sich die Frage, ob damit zB in den Schulen dies erkannt wird und richtig damit umgegangen werden kann! Die Euphorie rund um die ankommenden Flüchtlinge ist im Moment sehr gross. Die Hilfsbereitschaft fast grenzenlos. Ich stelle mir aber die Frage, ob bei einem längeren Kriegsgeschehen diese Euphorie dann im Laufe der Zeit nicht an ihre Grenzen stossen könnte. Was dann?
Der folgende Artikel von BLUE NEWS thematisiert den Umgang mit Kindern mit Traumatas:
Unter den Flüchtlingen aus der Ukraine befinden sich viele Kinder und Jugendliche (Archivbild).
Unter den Tausenden ukrainischen Geflüchteten, die auch in der Schweiz erwartet werden, befinden sich viele Kinder und Jugendliche im Schulalter. Wie bereiten sich die Schulen auf ihre Integration vor?
Von Maximilian Haase 13.3.2022
Dachverbands der Lehrerinnen und Lehrer
Situation ist «nicht komplett neu»
Kurzfristig gehe es vor allem darum, «dass diese Kinder unkompliziert und unbürokratisch einen Platz in einer Schulklasse zugewiesen bekommen, damit sie in dieser schwierigen Situation eine Struktur und eine gewisse Sicherheit erleben dürfen», erklärt Rösler. Längerfristig brauche es aber sowohl von den Kantonen als auch vom Bund «klärende Regeln und entsprechende Unterstützung für die Schulen».
Die aktuelle Organisation sei nicht einfach, sagte Regierungsrat Fredy Fässler an der Medienkonferenz, doch habe man in der Sache auch Erfahrung aus früheren Krisen. Auch Dagmar Rösler betont, dass die Situation für Lehrkräfte «nicht komplett neu» sei: «Ich erinnere an die Flüchtlingskinder aus Syrien und Afghanistan, die unsere Schulen besuchen.»
Schutzstatus S aktiviert
Wenn es nur wenige Kinder pro Schule seien, die spontan aufgenommen werden, dann sei dies Dagmar Rösler zufolge im alltäglichen Ablauf und in der Organisation zu handhaben. Schwierig werde es, wenn sehr viele Kinder in eine Schule oder Klasse kommen. Dann brauche es «natürlich erst recht angemessene Unterstützung und entsprechende Ressourcen».
Deutschunterricht im Fokus
In jedem Fall brauche es laut Rösler zusätzlichen Deutschunterricht, «damit die ukrainischen Kinder eine Chance haben, sich möglichst schnell zu verständigen». Nach dem Einleben im fremden Umfeld sei der Deutschunterricht sicher mit das Wichtigste, das funktionieren sollte, so die LCH-Chefin zu blue News.
Da die wenigsten Lehrer*innen hierzulande Ukrainisch sprächen, könnten womöglich geflüchtete Lehrer*innen oder Mütter aushelfen, schlug Fredy Fässler an der Medienkonferenz vor. Auch kleine Spezialklassen könnten gebildet werden, so der Präsident der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD).
«Die Schule ist als sicherer Ort für Geflüchtete zentral»
Laut Dagmar Rösler sei zudem davon auszugehen, dass Kinder traumatisiert hierzulande ankommen: «Der Umgang mit Traumata muss dringend ernst genommen werden.» Auch hier seien die Schulen auf zusätzliche Unterstützung von Fachpersonen und professionelle Unterstützung angewiesen.
Die Lehrkräfte verfügten über viel Wissen und Können, «auch wenn es darum geht, Traumata zu erkennen und Betroffene zu begleiten», informiert die Berner Bildungs- und Kulturdirektion. Die Erziehungsberatung verfüge über spezifische Therapieangebote für traumatisierte Kinder.
Ukrainer beschreiben Gräuel
Vergessen dürfe man aber auch die bestehenden Klassen und deren Schüler*innen nicht, gibt Dagmar Rösler zu bedenken. Auch diese müssten auf die neue Situation vorbereitet werden – dies brauche «Zeit und viel Einfühlungsvermögen vonseiten der Lehrerinnen und Lehrer», so Rösler zu blue News.
Dazu gehöre laut Zürcher Bildungsdirektion auch, die Schüler*innen auf die Kinder aus der Ukraine vorzubereiten und «bei Bedarf das Thema Flucht und Krieg altersgerecht zu besprechen». «Die Schule ist als sicherer Ort für Geflüchtete zentral», bringt es die Bildungsdirektion Bern auf den Punkt.
Wichtig erscheine ihr, so Dagmar Rösler zu blue News, dass die Schulen nicht allein gelassen werden – «auch wenn die beeindruckende Welle von Solidarität einmal abflachen sollte».
9. Oktober 2021
Eigentlich könnte man glauben, dass Homosexualität in aufgeklärten Schichten (endlich) akzeptiert und der mehrheitlichen Heterosexualität gleichgestellt wäre. Weit gefehlt! Nina L. Chruschtschowa, Professorin für internationale Angelegenheiten an der New School in New York und Urenkelin von Nikita Chruschtschow, weist nach, dass sich weltweit "Autokratie" auf "Homophie" reimt (NZZ vom 9.10.2021).
NZZ GASTKOMMENTAR vom 9.10.2021
Wer ist hier eigentlich das Weichei? – Warum sich überall auf der Welt «Autokratie» auf «Homophobie» reimt
Starke Männer und gebärfreudige Frauen braucht das Land, in dem ein allmächtiger Führer die Kultur von Nationalismus, Militarismus und Autarkie predigt. So erstaunt es nicht, dass in Russland, China und Ungarn, aber auch in der Türkei Homosexualität staatlich verpönt ist.
Nina L. Chruschtschowa
11 Kommentare
Die chinesische Regierung hat «weichliche» und «weibische» Männerdarstellungen im Fernsehen verboten. Dies ist Teil einer bösartigen Propagandakampagne, die diese Männer als «abnorm» und irgendwie gegen die Moralvorstellungen des Landes verstossend brandmarkt. Dass Präsident Xi Jinping Schwule – und überhaupt alle, die nicht dem herkömmlichen Standard von Männlichkeit entsprechen – ins Visier nimmt, sollte nicht überraschen. Homophobie ist ein autoritäres Markenzeichen.
Was auch immer seine sexuelle Orientierung gewesen sein mag: Unser Kommilitone wurde eindeutig als zu sanft für unser «heroisches» Sowjetmilieu erachtet. Tatsächlich mussten sogar Frauen männlich daherkommen: Bilder junger Arbeiterinnen in orangefarbenen Westen, die Schnee schippten und Nägel einschlugen, waren in der Sowjetära gang und gäbe. Doch für Männer war es im Grunde ein Verbrechen, weniger als ein Vollblutmann mit stolz geschwellter Brust und schussbereitem Gewehr zu sein.
Diktatoren sind von Ordnung abhängig. Sie bewahren sich ihre Stellung nicht, indem sie die Bedürfnisse der Menschen erfüllen, sondern indem sie so viele Aspekte im Leben des Landes kontrollieren, wie sie können. Dazu gehört auch festzulegen, wie genau die Menschen sich verhalten sollten, und Andersartigkeit als nicht vertrauenswürdig oder sogar gefährlich darzustellen. In China ist, wie Rana Mitter gezeigt hat, die Durchsetzung von Konformität in Bezug auf das Geschlecht Teil einer umfassenderen Kampagne, die die Unterordnung unter staatlich gebilligte politische Sichtweisen sicherstellen soll.
Staatlich geförderte Homophobie ist auch ein Merkmal des Lebens im modernen Russland. 2013 entschied Präsident Wladimir Putin plötzlich, dass Homosexualität seine Position bedrohe. Das hatte vermutlich etwas mit anhaltenden Gerüchten zu tun, dass die Beziehungen zwischen Putins mächtigen Ministern und Geschäftspartnern nicht streng beruflicher Art – oder platonisch – seien. Sie sind womöglich nicht homosexuell, doch zumindest von einigen wird angenommen, dass sie Sex miteinander haben, teilweise um ihrer Loyalität Ausdruck zu verleihen.
Das ist nicht die Art von Gerücht, die ein «starker Mann» wie Putin im Umlauf haben möchte. Es ist schliesslich derselbe Mann, der sich hemdlos beim Angeln in einem sibirischen See und zu Pferde fotografieren liess. Diese Fotos entwickelten sich rasch zu populären Icons in Schwulenmagazinen weltweit. Also verabschiedete Russland ein Gesetz, das «homosexuelle Propaganda» verbot.
Ähnlich wie Chinas neue Regel verfolgt das Gesetz vorgeblich das Ziel, Kinder vor Informationen zu schützen, die die «Verleugnung traditioneller Familienwerte» fördern. In Wahrheit hat es den Zugang zu einer LGBT-inklusiven Bildung und zu diesbezüglichen Unterstützungsleistungen drastisch eingeschränkt. Inzwischen sind viele in Russland überzeugt, dass Homosexualität ein erlerntes Verhalten ist. Selbst intelligente, gebildete Leute sind der Meinung, dass Personen, die sie kennen, «zu Schwulen gemacht» worden seien.
Doch war dieses Gesetz nur der Anfang. Einer der im Rahmen des manipulierten Verfassungsreferendums verabschiedeten Verfassungszusätze verbot gleichgeschlechtliche Lebenspartnerschaften und bekräftigte, dass eine Ehe nur zwischen Mann und Frau bestehen könne.
Dieses alte homophobe autoritäre Modell feiert auch auf den Philippinen Wiederkehr, wo Präsident Rodrigo Duterte einmal geäussert hat, er habe sich mit der Hilfe «schöner Frauen» selbst von der Homosexualität «geheilt» – als ob diese eine Art schändlicher Krankheit wäre. Während die Verfassung des Landes die gleichgeschlechtliche Ehe zulässt, tut es sein Familiengesetzbuch nicht.
In der Türkei gibt es LGBT-Rechte, doch zugleich auch weitverbreitete Diskriminierung und Belästigungen. In diesem Jahr äusserte Präsident Recep Tayyip Erdogan nach einer Welle von Studentenprotesten: «Wir werden unsere jungen Leute in die Zukunft tragen, nicht als LGBT-Jugend, sondern als jene Jugend, die in der glorreichen Vergangenheit unserer Nation existierte.»
Selbst einige vorgebliche Demokratien verfallen im Rahmen einer umfassenderen Wende zur Illiberalität auf staatlich geförderte Homophobie. In Ungarn hat die Regierung von Ministerpräsident Viktor Orban ein Gesetz verabschiedet, das «Werbung für Homosexualität» und Geschlechtsumwandlungen bei Minderjährigen verbietet. In Polen wurden in fast hundert Regionen, Städten und Gemeinden «LGBT-Ideologie-freie Zonen» oder LGBT-feindliche «Familien-Chartas» eingerichtet.
Der ehemalige US-Präsident Donald Trump machte sich eine ähnlich «machohafte» Rhetorik zu eigen, etwa indem er Demonstranten Gewalt androhte. Er ging sogar so weit, mit seinem Testosteronspiegel und seiner Penisgrösse zu prahlen. Politisch schwächte er, unterstützt von seinem ultrakonservativen Vizepräsidenten Mike Pence, Schutzbestimmungen für Lesben, Schwule, Bi- und Transsexuelle ab und verbot Transsexuellen den Militärdienst.
Kompensierte innere Schwäche
Die USA sind dem Trumpismus zumindest für den Moment entkommen. Doch die Reihen cartoonartig machohafter Politiker scheinen nichtsdestoweniger zu wachsen. In der Ukraine stellte sich Präsident Wolodimir Selenski in der Vergangenheit nicht als aggressiv maskuline Figur dar; man hätte seinen Stil womöglich als «metrosexuell» bezeichnet. Heute jedoch gibt er den strammen Nationalisten, der – häufig im Kampfanzug – sein Heimatland gegen die russische Bedrohung verteidigt. Er hat Putin kürzlich herausgefordert, ihn in der Kriegszone an der Grenze zwischen der Ukraine und den selbsterklärten russischen Republiken Donezk und Luhansk zu treffen.
Dass sich diese Politiker zur Stärkung ihrer Position auf eine «hegemonische Maskulinität» stützen – die Vorstellung, dass Männer stark, hart und dominant sein sollten –, sollte nicht überraschen. Autoritäre Staaten sind im Grunde schwach, und Diktatoren im Grunde unsicher. Daher versuchen sie ständig, Stärke zu projizieren.
Doch in der heutigen, sich schnell wandelnden Welt fühlen sich auch normale Menschen unsicher – insbesondere jene, die glauben, dass ihre traditionell «dominanten» Stellungen ausgehöhlt werden. Dies verleitet sie dazu, «starke Männer» zu unterstützen, die eine Rückkehr zur Ordnung und Berechenbarkeit einer sozial rigiden Vergangenheit versprechen.
Anders ausgedrückt: Diese Menschen haben Angst vor Veränderung, und sie glauben, dass sie machohafte Politiker und patriarchalische Regeln brauchen, die sie schützen. Wer ist jetzt eigentlich das Weichei?
Nina L. Chruschtschowa ist Professorin für internationale Angelegenheiten an der New School in New York und Urenkelin von Nikita Chruschtschow.
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25. Juni 2021
Klaus Heer (77) gilt als bekannter und erfahrener Paartherapeut. Wie geht er mit seiner Partnerschaft, seinem Alter und mit dem nahenden Tod um? Interview von BLUENEWS, Bruno Bötschi.
Paartherapeut Klaus Heer, 77: «Ich habe nur noch wenig zu verlieren»
«Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Alten mit 18 ein Thema für mich waren. Ich war jung und aufstrebend»: Klaus Heer.
Gerade morgens, beim Aufstehen, wird den meisten ab einem bestimmten Tag mehr und mehr bewusst: Ich werde alt. Wie findet man den Frieden mit sich und der unausweichlichen Realität? Ein Interview in zwei Teilen. - Von Bruno Bötschi/23.6.2021
Herr Heer, Sie werden im Dezember 78 Jahre alt. Wie hat sich Ihr Körper heute beim Aufstehen angefühlt?
Er verdutzt mich jeden Morgen. Hey, nichts tut weh! Mein Körper ist immer noch der gutmütige Alte.
Sie spüren das Älterwerden nicht?
Doch, doch, klar. Nicht nur vom Älterwerden, auch vom Altsein weiss ich einiges. Aber am Morgen im Bett ist das noch kein Thema. Da lädt sich mein Organismus erst mal in aller Ruhe mit Energie auf.
Sorry, das glaube ich Ihnen nicht. Ich bin 54 und mir tut ab und an mein Körper weh, wenn ich am Morgen erwache.
Macht nichts, ich rede ja von meinem Körper, nicht von Ihrem. Ich wollte Ihnen aber kurz von meiner morgendlichen Aufladung erzählen. Seit Jahrzehnten bewegen mich jeden Tag irgendwelche Projekte. Schreiben, Reden, Zuhören, Ausdenken, Planen und so. Die Zeit zwischen dem Aufwachen und dem Aufstehen, dieser Zwischenraum zwischen Schlaf und Wach, der bietet mir die erspriesslichsten Augenblicke des Tages. Und dieser Zeitraum wird immer länger. Inzwischen kann das gut und gern eine Stunde dauern. Manchmal auch zwei. Und dann halte ich es plötzlich nicht mehr aus in meinen Decken.
Zur Person: Klaus Heer
Klaus Heer, 77, bildete sich nach seinem Psychologiestudium in Hamburg und Bern in Psycho- und Paartherapie weiter. In den 47 Jahren, in denen er mit Paaren arbeitet, hat er sich den Ruf einer Kapazität in Fragen Liebe, Partnerschaft und Sexualität erworben. Er schrieb Sachbücher wie die Bestseller «Ehe, Sex & Liebesmüh’» und «Paarlauf. Wie einsam ist die Zweisamkeit?». Heer lebt und arbeitet in Bern.
Ich gratuliere Ihnen: Mit 78 keine Zipperlein zu kennen, finde ich natürlich wunderbar.
Wie kommen Sie denn auf null Zipperlein? Ich bin bitte immerhin Krebsüberlebender und meine Augen sind auch mehrfach operiert.
Sie kennen also doch auch einige Gebresten?
Am happigsten sind die Nebenwirkungen der Krebsbestrahlungen vor neun Jahren. Nein, sonst keine Gebresten.
Sie kamen am 9. Dezember 1943 in Luzern zur Welt. Welche Erinnerungen haben Sie an Ihre Teenagerzeit: Verbrachten Sie da die Morgenstunde auch gern etwas länger im Bett?
Nein, gar nicht. Ich war ein bedauernswerter Streber. Bis zur Matura. Später, an der Uni, war ich zusätzlich eher subdepressiv, weil überfordert.
Ich würde gern mit Ihnen über das Älterwerden korrespondieren. Und das fängt ja bereits in jungen Jahren an.
Ja, diese Weisheit habe ich auch schon gehört. Aber mich begann sie erst zu betreffen, als ich langsam Jahrringe zulegte, vor vielleicht zehn Jahren. Und ich wollte auf keinen Fall werden wie mein vollfetter Onkel Rudolf. Doch der BMI wuchs, beinah unbremsbar. Im Moment schramme ich haarscharf an der Schrecklimite 25 vorbei. Ich stemme mich tapfer gegen den Fluch «alt gleich fett».
Wissen Sie noch, was Sie als 18-Jähriger über 80-Jährige dachten?
In meiner Kinder- und Jugendzeit war mein Vater Leiter eines Altersheims. Dort gab es eine Stimmung wie in einem alten Schwarz-Weiss-Film über ein vergammeltes zaristisches Greisen-Lager. Die Alten waren nicht alt, sondern steinalt. Versteinert. Verstört. Mir katzfremd. Leider hat mein Vater nicht dran gedacht, mein Altenbild menschenwürdig zu beeinflussen.
Und Ihre Mutter, wie hat die Sie beeinflusst?
Sie war eine gottesfürchtige Frau – im allerstrengsten Wortsinn. Je älter sie wurde, umso mehr fürchtete sie sich vor der glühenden Hitze im Fegefeuer. Ihr Schicksal: «Je älter, je Angst.» Sie war der bösartigen Dauer-Hirnwäsche des damaligen katholischen Klerus voll auf den Leim gekrochen. Meine Lehre daraus: Gib niemals das Selberdenken preis. Ein anspruchsvolles Projekt, ich weiss.
Nochmals: Was dachten Sie, Herr Heer, mit 18 über ältere Menschen?
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Alten damals ein Thema für mich waren. Ich war jung und aufstrebend.
Als ich 25 wurde, dachte ich, über das Älterwerden kann ich mir mit 40 noch Gedanken machen. Seit ich jetzt aber 50 bin, fällt mir das immer schwieriger.
Mir wird grad klar: Für mich gilt eher die Bauernregel «Je älter, desto Verdrängung».
Ach, Herr Heer, bitte denken Sie nochmals ein, zwei Momente darüber nach, wie das damals war …
Kä Luscht.
Jetzt benehmen Sie sich also grad so wie ein quengelnder Teenie. Oder ist dies jetzt das berühmte Kind im Manne?
Weder noch. Ich bin alt, wissen Sie. Ich habe nur noch wenig zu verlieren. Darum entscheidet mehr und mehr mein Lustprinzip. Verdrängen macht Freude.
Gelassenheit - Wilhelm Schmid: «Der Sex ist im Alter viel lustvoller»
Die Kunst des Alterns ist demnach, es einerseits zu akzeptieren und andererseits zu vergessen.
Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Ich berichte Ihnen hier nur, wie ich selber das empfinde und mache. Jeder Alte muss sich persönlich zurechtfinden mit seinem Alter. Ja, ich will möglichst annehmen, was nicht zu ändern ist. So weit wie möglich fokussiere ich nicht auf Arges und Bedrohliches. Und drittens bin ich darauf aus, jeden Tag Herz und Hirn offen zu halten. Klingt doch schön und gut, nicht wahr?
Sehr schön und sehr gut sogar. Für Sie ist demnach das Älterwerden eine total gefreute Sache?
Aha, Sie haben meine Ironie nicht ganz mitbekommen. Und jetzt übertreiben Sie. Natürlich gelingt es mir in keinem der drei Punkte, meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden. Zum Beispiel muss ich feststellen, dass ich fast jeden Tag einmal richtig gallig werde. Weil Leute nicht so sind, wie ich mir das vorstelle. Und dann denke ich: Wirst langsam ein grauer Griesgram! Nicht schön, oder?
Ich jedenfalls mache um griesgrämige Alte einen weiten Bogen...
Nein. Für mich gilt: Unterschiede der Menschen sind allemal grösser als die zwischen den Geschlechtern. Meine ich. Gerade morgens, beim Aufstehen, wird den meisten ab einem bestimmten Tag mehr und mehr bewusst: Ich werde alt. Wie findet man den Frieden mit sich und der unausweichlichen Realität? Ein Interview in zwei Teilen.
Klaus Heer, Sie werden im Dezember 78. Andere Menschen in Ihrem Alter sitzen im Heim und warten auf die letzte Stunde. Sie hingegen arbeiten nach wie vor regelmässig als Paartherapeut.
Im Asyl sitzend den eigenen Hinschied abwarten – für mich eine abstossende Fiktion! Ich möchte übrigens auch nicht den Traumtod vieler Leute sterben, nämlich des nachts lautlos vom Gevatter abgeholt zu werden. Ich liebäugle eher mit dem Vorgehen des Swatch-Gründers Nicolas Hayek. Mit 82 legte der – so berichtet es die Legende – eines Tages plötzlich seinen Kopf auf seine Computer-Tastatur und war weg.
‹Wichtig ist, die Grenzen des eigenen Lebens zu akzeptieren, offen zu sein für jüngere Generationen und Neugier zu zeigen bis ins hohe Alter›, sagt Altersforscher François Höpflinger. Können Sie mit dieser Aussage etwas anfangen?
Ja, klar kann ich. Ob sie wirklich für alle Leute wichtig und wahr ist, weiss ich nicht. Für Höpflinger und für mich sicher.
Ein normaler Tag von Ihnen, wie sieht der heute aus?
Mein Werktag startet gewöhnlich richtig spät. Mit digitalem Zeitunglesen im Bett, dann Ausdauertraining auf dem Trampolin und mit dem Crosstrainer. Nach reichlicher Arbeit am iMac verziehe ich mich für eine Stunde oder länger in den nahen Wald, manchmal mit einem Hörbuch im Ohr, oft auch die bewegte Waldstille geniessend oder die Hand meiner Frau in der meinen. Meistens sehe ich am Nachmittag ein Klientenpaar oder zwei. Und später habe ich häufig Gäste oder bin selbst zu Gast. Um Mitternacht herum gehe ich Gassi, ausgiebig. Mit mir allein.
Und am Wochenende, was sind da Ihre Lieblingsbeschäftigungen?
Samstag/Sonntag bin ich nie erwerbstätig. Dafür umso hingebungsvoller in der Natur. Zum Beispiel ein 20'000-Schritte-Projekt in einem Entlebucher Seitentäli ist gut. Oder im abgelegensten Winkel des Val de Travers. Und natürlich im Kiental, wo wir eine kleine Wohnung haben, meine Frau und ich. Wir verreisen am Wochenende gern etwas weiter weg. Weil da die Züge meist beinah leer sind. Manchmal habe ich mich im Verdacht, so etwas wie ein scheuer Misanthrop zu sein. Mich ziehen Gegenden ohne Leute an. Das passt mir. Besonders wenn es regnet.
Und wann machen Sie mal Pause, Herr Heer?
Je älter ich werde, umso schmaler wird für mich die Bedeutung von ‹Pause›, ‹Freizeit›, ‹Weekend› und ‹Ferien›. Ich mag das nicht, dieses «absichtslose Nichtstun». Mindestens Lesen, Telefonieren, Essen, Schreiben, mich Bewegen, Besuchen, Besuchtwerden, Kochen muss sein. Ich lebe so, dass ich keine Ferien brauche. Ferien sind eingewebt in jeden meiner Alltage.
Haben Sie Angst vor dem Rasten, weil Sie fürchten schneller einzurosten?
Nein, Rostangst habe ich keine. Gnadenlose Entschleunigung ist mir einfach zu langweilig. Eine romantisierende Idealvorstellung ist das doch: Wer schafft das schon, diesen freiwilligen erhabenen Stillstand? Ich habs ein paar Mal versucht in meinem Leben. Geht nicht. Widerspricht meinem angeborenen Bewegungsdrang.
Als eine Gefahr des Alterns gilt die Vereinsamung.
Einsamkeitsgefühle sind mir nicht fremd, ich geb's zu. Im Sinne von ‹Kein Schwein ruft mich an›. Ich bevölkere ja meinen Einpersonenhaushalt. Von denen gibt’s, glaube ich, gegen 40 Prozent in der Schweiz. Solche leichte Anwandlungen von Verlassenheit habe ich indes nicht, wenn ich allein zu Hause bin, sondern wenn längere Zeit keiner von den Leuten, die mir lieb sind, nach mir fragt.
Ein-Personen-Haushalt? Wohnen Sie und Ihre Frau nicht zusammen?
Nein. Nach fast dreissig Jahren Ehe- und Familienzeit und Scheidung kam für mich nur noch Alleinleben infrage. Seit 13 Jahren geniesse ich es als alter Mann wieder, wenn es heisst: ‹Zu dir oder zu mir?›
Wie wird heute Abend Ihre Antwort auf die Frage lauten?
‹Du bei dir, ich bei mir.› Die nächsten Tage sind wir beide bei uns. In den Bergen.
Ihr Erfolgsrezept im Alter ist demnach: Zweisamkeit, aber mit Distanz.
Ich bin nicht der Chefkoch.ch, predige keine Rezepte. Ich erzähle Ihnen nur, wie wir’s machen, meine Frau und ich. Auch das kann sich wieder ändern.
Sie sind demnach nicht mit dem US-amerikanischen Schriftsteller Philipp Roth einverstanden, der in seinem Roman ‹Jedermann› den berühmten Satz schrieb: ‹Das Alter ist kein Kampf; das Alter ist ein Massaker.›
Mit dem Roth’schen ‹Massaker›-Satz habe ich tatsächlich vor Jahren öfter kokettiert. Inzwischen hat sich der innere Tumult etwas gelegt. Vielleicht nur, weil ich ‹gesund› altere und ein begabter und geübter Verdränger bin. Natürlich werde ich keinesfalls gesund sterben können, ich weiss das. Ob ich gelassen bleiben kann, wenn ich auf der Zielgeraden zum Krematorium bin, weiss ich indes nicht. Vermutlich nicht.
So grundsätzlich: Ist das Thema Alter in unserer Gesellschaft zu negativ besetzt?
Ich gehe regelmässig in ein nahes Altersheim und lese einem ‹betagten› Mann – nur vier Jahre älter als ich – vor. Er freut sich immer auf mich und hängt an meinen Lippen. Ich bin praktisch sein einziger Besucher. Er liegt den ganzen Tag auf seinem Bett, halbnackt, in Plastikwindeln, in Embryostellung. Dreimal täglich ist Nahrungsaufnahme, um 19 Uhr offizielle ‹Bettruhe›. Die Sonne scheint noch lange in sein Zimmer. Ist das jetzt ‹negativ›? Für uns beide natürlich nicht. Wir geniessen beide die ‹Kindergeschichten› von Peter Bichsel. Aber was Ihre Frage betrifft: Die Alten sind uns generell wohl eher gleichgültig. Ich schliesse das unter anderem aus den Unmengen an Medikamenten, mit denen man sie gewohnheitsmässig tagtäglich ‹versorgt›. Mich schockiert das über alle Massen.
Wie gut und wie selbstständig ich im Alter lebe, ist auch eine Frage des Geldes.
Ja, klar. Lieber betagt und reich als altersarm, nicht wahr? Ich habe Glück: Ohne Pension – ausser AHV – lebt sich's gut, sehr gut, solange ich gesund und klar im Kopf bin und drum mit Freude arbeiten kann wie seit 47 Jahren. Das Leben hat mich immer nach Strich und Faden verwöhnt, bis heute: Ich liebe Autonomie und viel Spielraum. Fremdfinanziertes Pensionistendasein wäre nichts für mich.
Sie sprechen viel von den schönen Seiten des Alters. Trotzdem haben viele Menschen Angst vor dem Alter und vor dem Sterben. Warum?
Nicht jeder ist ein Verdrängungs-Ass.
Denken Sie heute mit 78 öfters ans Sterben als mit 50?
Nein. Aber ich rede mehr drüber. Mit meiner Frau und mit den zwei, drei allernächsten Freunden.
Sind es schreckliche Gedanken?
Nicht wirklich. Ich bin seit Jahrzehnten Exit-Mitglied. Dieser Notausgang nimmt meinem Tod und sogar meinem Sterben zumindest ihre schlimmsten Schrecken. Selbstbestimmung ist mir auch am Schluss lieb und teuer.
Wie alt möchten Sie werden?
Gegen sogenannte ‹lebensverlängernde Massnahmen› der Schulmedizin habe ich mich bereits schriftlich verwahrt.
Gibt es einen schönen Tod?
Nein, tot ist tot. Und mein Sterben ist dann ‹schön›, wenn ich ausdrücklich ja sagen kann dazu – zum Beispiel weil ich neugierig darauf bin, wie das geht, das Sterben.
Wenn Sie zurückblicken: Wie zufrieden sind Sie mit Ihrem Leben? Gibt es etwas, das Sie bereuen, das Sie heute anders machen würden?
Das Paradoxon ist krass und erstaunt mich selbst: Ich hatte ein gutes Leben und gleichzeitig gibt es eine Unzahl von Fehlentscheidungen in meiner Biografie. Das jetzt hier auszudeutschen, wäre viel zu weitläufig und viel zu intim. Drum: kä Luscht.
12. - 18. April 2021
Kongress "Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen (Veranstaltung AUDITORUM - ZOOM)
Reise zum Horizont - Voyage à l'horizon
Psychotherapie mit Kindern und Jugendlichen
Entwicklungs-Psychologie, Therapie,
Wissens- und Spürens-wertes für die Arbeit
unsere Fortführungen/our continuations
und ihren Eltern und Vertrauten in schweren Zeiten
Sie alle, die derzeit unter erschwerten Bedingungen im Einsatz sind, um unseren Kindern in einer Zeit der instabilen äußeren Bedingungen zu innerer und äußerer Balance zu verhelfen, Sie alle sind herzlich eingeladen, sich sieben Tage lang durch eine Vielzahl relevanter Aufnahmen Hilfen, Anregungen und Unterstützung bei hochkarätigen Psychotherapeuten, Erziehern und anderen Spitzenleuten zu holen.
www.plumvillage.or
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)
Michaela Huber: Transgenerationale Weitergabe von Traumata
Das, was wir versäumen, wird ebenfalls Auswirkungen haben. Das 21. Jahrhundert, so viel ist jetzt schon sicher, wird von vielen Umbrüchen und Krisen betroffen sein.
Kommen Sie also einmal mehr mit Auditorium Netzwerk auf eine Reise zum Horizont, dorthin, wo wir Neues lernen können, um das Herz weiterhin offen und den Geist elastisch zu halten.
12. April
Ich wünsche eine gute Reise und Vieles, das ihnen Kraft und Inspiration gibt, auch beim Durchhalten.
Fördernd ist Beharrlichkeit. -
Herzlich
5. April 2021
Was hat "Gott" in der Schweizer Bundesverfassung zu suchen? Das ist eine berechtigte Frage, die der SP-Aktivist Fabian Molina kürzlich stellte!
Was ist überhaupt "Gott", wie wird "Gott" in den verschiedenen Religionen definiert? Was stellt sich der einzelne Mensch darunter vor?
Ich denke, dass wir davon ausgehen müssen, dass wohl jeder einzelne Mensch mit dieser Bezeichnung etwas ganz Individuelles sieht, sich vorstellt: zB eine höhere Macht, die antropomorphe Züge hat, die alles beherrscht, die alles "weiss" und vorhersieht. Die der Gläubige - welcher Glaubensrichtung auch immer - "anrufen" kann, sich Unterstützung und Erfüllung seiner eigenen Bedürfnisse, Ängste und Wünsche erbitten kann!
Für andere Menschen mag "Gott" ein abstraktes Konstrukt sein, ein "geistiges Ideal", eine Urkraft, die die Welt und die Menschheit beseelt, bedeuten. Für andere liegt "die Gottesvorstellung" im tiefen Unbewussten jedes einzelnen Menschen. Ich persönlich denke, dass "Gott" im Grunde genommen weit weg von jeder Dogmatik etwas ganz Persönliches sein mag, das sich im Laufe des Lebens auch verändern kann!
Ich gehe nun einmal davon aus, dass wir heute in einer sehr heterogenen Welt leben, in der wir auf religiöser, spiritueller Ebene praktisch alles vorfinden, sehr viel Gegensätzliches, auch Befremdliches! Nicht nur in der Gottesvorstellung, sondern allgemein im "religiösen Verhalten" können wir heutzutage querbeet alles Mögliche beobachten. Ich denke da an Traditionen wie Weihnachtsdekorationen, Weihnachtsfeiern (und Ostern usw.), die ausgelebt werden, die auch von absolut "Nichtgläubigen", von Menschen, die sich als atheistisch ausgeben, praktiziert werden. In Treppenhäusern werden "Weihnachts- und Osterdekorationen" aller Art (von dekorativ bis kitschig) skrupellos ausgehängt. So erlebe ich es! Von Toleranz den anderen Bewohnern gegenüber (die sich daran stossen mögen), scheint hier keine Spur vorzuherrschen!
Aber - um auf die Frage von Fabian Molina zurückzukommen: hat "Gott" wirklich in der Bundesverfassung etwas zu suchen?
Warum steht Gott in der Bundesverfassung? Wie steht es um die Religionsfreiheit in der Schweiz? Rechtsphilosoph Matthias Mahlmann äussert sich im Interview über die Rolle der Religion für Recht und Politik. (BLUEWIN 5.4.2021 - Lukas Meyer)
Lukas Meyer - 4.4.2021
Diese altehrwürdige Formel soll deutlich machen, dass neben dem Menschen und dem Staat eine höhere Macht existiert – gewissermassen eine Selbstrelativierung der Verfassung gegenüber der Bedeutung religiöser Instanzen.
Ist dieser Gott zwingend der christliche Gott oder könnte es ein anderes höheres Wesen sein?
Man sollte die Bedeutung dieser Anrufung nicht übertreiben. Sie bezieht sich nicht notwendigerweise ausschliesslich auf den christlichen Gott. Die in Artikel 15 der Bundesverfassung garantierte Religionsfreiheit und die implizierte religiöse Neutralität des Staates schliessen aus, dass sich die Schweiz als christlicher Staat versteht, womöglich gar zur Theokratie erklärt.
Und die Nennung von Gott sollte Atheisten nicht stören?
Ich glaube, kein Mensch mit einer rein säkularen, innerweltlichen Orientierung, welcher Art auch immer, hat wegen dieser Anrufung schon eine schlaflose Nacht verbracht.
Die wichtigen Fragen liegen nicht in der Formulierung der Präambel, sondern in unserem grundsätzlichen Verhältnis zum Recht und zur Religion. Wie gehen wir mit Fragen der religiösen Toleranz um? Wie mit der unausweichlichen Pluralisierung der Weltauslegungen und Sinnhorizonte der Menschen? Die echten politischen Konflikte drehen sich um das Verständnis von Religionsfreiheit. Und aus meiner Sicht ist ganz klar, dass die Religionsfreiheit im liberalen Geist, im Geist des Respekts vor der Würde aller Gläubigen, verteidigt werden muss.
Wie steht es denn um die Religionsfreiheit in der Schweiz?
Wir leben in einem pluralistischen Staat – die Religionsfreiheit ist sicher garantiert. Es gibt aber problematische Tendenzen, etwa die feindlichen Gefühle gegenüber Menschen muslimischen Glaubens und ihren Symbolen. Oder Antisemitismus, wovon es kürzlich Fälle in der Armee gab. Wir müssen uns immer wieder über das Verhältnis zwischen religiösen und nichtreligiösen Menschen und das Verhältnis zwischen den Religionen verständigen. Ebenso müssen wir die Toleranz stärken gegenüber Glaubensüberzeugungen, die wir nicht teilen.
Wie wichtig ist heute die Religion für die gemeinsame Verständigung in der Politik?
Die
In einer pluralen Welt muss das Recht säkular organisiert sein, weil es einen Rahmen für alle Bürgerinnen und Bürger liefern muss. Dieser Rahmen darf nicht nur auf einer bestimmten religiösen Perspektive gründen. Sie müssen Quellen identifizieren, die für alle Menschen innerweltlich zugänglich sind. Wir brauchen eine gemeinsame Grundlage. Das ist die Aufgabe der ethischen Fundierung von Recht und Verfassung.
Ist die Schweiz ein christliches Land?
Das kommt drauf an, was Sie darunter verstehen. Die religiöse Neutralität ist als Verfassungsprinzip sehr wichtig und völlig unumstritten. Selbstverständlich ist die Schweiz ein kulturell und in seiner Geschichte durch das Christentum in seinen verschiedenen Formen stark geprägtes Land. Die Kultur hat aber die schöne Eigenschaft, sich zu wandeln, und sie ist am Ende das, was wir alle als Gläubige oder Nichtgläubige aus ihr machen.
6. März 2021
Die Restriktionen rund um die Corona-Pandemie setzt vielen Menschen zu! Für viele Menschen sind all die Einschränkungen, die nun seit bald einem Jahr gelten, derart einschneidend, dass sie fast nicht zu ertragen sind. Im folgenden NZZ-Artikel geht Steve Ayan dieser Frage nach:
NZZ 4. März 2021
Ist das noch normal oder schon gestört?
n der Pandemie hat die psychische Belastung zugenommen. Viele Menschen rätseln: Wie schlimm muss es mir gehen, bis ich Unterstützung suche? Doch diese Frage hilft nicht weiter.
Steve Ayan -
Die Covid-19-Pandemie hält uns weiter fest im Griff. Und die Massnahmen zu ihrer Eindämmung schlagen mit zunehmender Dauer immer mehr Menschen aufs Gemüt. Soziale Isolation, die Doppelbelastung durch Kinderbetreuung und Home-Office, die Angst um den Arbeitsplatz oder vor einer Ansteckung, ganz zu schweigen von der unklaren Aussicht, wann das je wieder aufhört – sie belasten die Psyche.
So mancher stellt sich derzeit die bange Frage: Wo liegt meine eigene Belastungsgrenze? Wie schlecht muss es mir gehen, dass etwas passieren muss? Oft schwingt dabei die Idee mit, es gebe eine Schwelle des Leidens, ab der man sich um Abhilfe bemühen sollte. Aber das ist, als wollte man erst dann Sport treiben, wenn man so übergewichtig oder unfit ist, dass man schon bei geringer Bewegung nach Luft schnappt.
«Psychische Störungen entstehen nicht plötzlich. Sie wachen nicht eines Morgens auf und haben eine depressive Erkrankung», erklärt Ulrike Lüken von der Humboldt-Universität zu Berlin. «Das ist ein schleichender Prozess.» Die Folge: Wie der Frosch im langsam heisser werdenden Wasser bekommt man gewisse Symptome oft erst mit, wenn sie aus eigener Kraft nur noch schwer zu beheben sind. Daher auch das grosse Dilemma der psychosozialen Versorgung: Gerade jene, die es am nötigsten haben, unternehmen oft nichts. Wer morgens nicht aus dem Bett kommt oder täglich von Hoffnungslosigkeit oder Panik ergriffen wird, der findet kaum die Kraft, Yoga zu machen, sich etwas Gutes zu tun oder eine Therapie zu beginnen.
Fliessender Übergang zur Krankheit
Psychiatrische Diagnosen legen konkrete Merkmale etwa einer Angststörung oder einer Depression fest. Wer länger als zwei Wochen deutlich verstimmt und antriebslos ist, sehr viel grübelt, schlecht schläft und nichts geniesst, der hat ein Problem. Solche Kriterien sind vor allem von praktisch-medizinischem Nutzen, damit denjenigen geholfen wird, die es besonders brauchen. Es handelt sich allerdings nicht um feste, naturgegebene Grenzen, sondern sie werden definiert, um eine Diagnose stellen zu können. «Der Übergang zwischen normal und gestört ist jedoch fliessend», sagt Lüken.
Für den Einzelnen bedeutet das: Entscheidend ist der subjektiv empfundene Leidensdruck. Wer den Eindruck hat, dass es ihm helfen könnte, sollte sich Unterstützung suchen, ob im Gespräch mit Freunden, bei der Beratungs-Hotline, beim Arzt oder beim Psychotherapeuten. Vor allem aber gilt es, präventiv tätig zu werden und Selbstfürsorge zu betreiben.
Wie die Psychotherapeutin Lüken betont, sollte man negative Gefühle oder Probleme nicht verleugnen, sondern frühzeitig gegensteuern. Wer auf eine kritische Schwelle warte, der riskiere, dass es dann bereits sehr schwer sei, das Ruder herumzureissen. Zwar gebe es durchaus auch das gegenteilige Phänomen – zu viel Konzentration auf die gegenwärtigen Belastungen könne dazu führen, dass diese noch schwerer erschienen. Doch zu verdrängen, zu bagatellisieren und auf spontane Besserung zu hoffen, sind laut Lüken die häufigeren Reaktionen.
Frauen und Männer reagieren unterschiedlich
Allerdings ist hier ein deutlicher Geschlechterunterschied zu beobachten. Männer schieben Probleme besonders gern beiseite, Frauen setzen sich eher damit auseinander, gehen auch früher zum Arzt oder zum Therapeuten. Das dürfte einer der Gründe dafür sein, warum die Quote der diagnostizierten Depressionen beim weiblichen Teil der Bevölkerung weit höher liegt – und die Lebenserwartung von Frauen die von Männern übersteigt.
Zum Glück gibt es zwischen «Augen zu und durch» und einer intensiven Therapie viele Möglichkeiten: sich informieren, sich mit anderen austauschen, auf einen geregelten Tagesablauf mit festen Auszeiten achten, sich neue Beschäftigungen suchen oder lange vernachlässigte Hobbys wiederaufnehmen.
Wichtiger als die Frage, wo genau die Grenze des Zumutbaren liegt, ist es laut Experten, etwas für das eigene Seelenwohl und eine stabile Psyche zu tun. Dazu zählt vor allem, aktiv für Momente des Wohlbefindens zu sorgen.
Wie die Psychologin Katharina Bernecker von der Universität Zürich mit ihrer Nimwegener Kollegin Daniela Becker herausfand, stehen uns wichtige langfristige Ziele beim Abschalten oft im Weg. Wer jedoch in der gegenwärtigen Pandemie an hohen beruflichen oder privaten Ambitionen festhalte, den plage oft das schlechte Gewissen, sagt Bernecker. Denn unter den erschwerten Corona-Bedingungen könne nicht alles perfekt laufen.
Doch kann man sich vornehmen, abzuschalten? In einer noch unveröffentlichten Studie fanden die Psychologinnen Hinweise darauf, dass bewusst eingelegte, quasi «genehmigte» Pausen seltener von Bedenken unterbrochen werden als spontane Auszeiten. «Die bewusste Entscheidung, jetzt abzuschalten oder etwas für sich zu tun, hilft dabei», sagt Bernecker.
Resilienz durch Horrorfilme
Selbst die beste Vorbeugung oder Therapie kann akute Belastungen jedoch nicht aus dem Weg räumen. Unsicherheiten und Risiken bleiben. Aber man findet vielleicht einen Weg, sie etwas leichter zu nehmen. Die Vorstellung, man könne relaxt durch die Krise kommen, weckt falsche Hoffnungen. Im schlimmsten Fall geben einem die in den Medien allgegenwärtigen Tipps und gutgemeinte Ratschläge von Freunden sogar das Gefühl, an der eigenen Misere selbst schuld zu sein.
Studie von Psychologen um Coltan Scrivner
Corona schlägt aufs Gemüt – immer mehr Menschen wollen eine Psychotherapie
Therapie ist gefragt, doch nicht immer möglich. Wegen mangelnder Kapazitäten oder aus finanziellen Gründen müssen Therapeuten viele Patienten abweisen. Psychologen werben für politische Reformen.
Selina Schmid
Psychische Belastung: Jungen Menschen schlägt die Pandemie mehr aufs Gemüt als den Alten
Senioren erkranken zwar schwerer an Covid-19, aber sie scheinen resilienter gegenüber Depressionen und Ängsten in der Pandemie zu sein. Ein Erklärungsversuch.
Lena Stallmach
Für diesen Psychiater klingt vieles in der Corona-Krise zu alarmistisch. Und er weiss: «Die Praxen der Psychotherapeuten sind halb leer»
Der Psychiater Josef Hättenschwiler hält den Menschen für psychisch widerstandsfähiger, als er in der jetzigen Krise dargestellt wird. Nur etwas setzt auch ihm persönlich zu.
Birgit Schmid
Was Resilienz ausmacht
Manche Menschen können schlimme Erlebnisse gut verarbeiten, andere gehen daran zugrunde. Nur langsam ergründen Forscher, woran das liegt.
Lena Stallmach
Normal oder gestört – wo verläuft die Grenze?
Psychiater befürchten eine Inflation psychischer Erkrankungen. Denn im neuen Diagnose-Handbuch für psychische Störungen (DSM) werden einige Grenzen zwischen normal und psychisch krank neu gesetzt.
Lena Stallmach
Corona schlägt aufs Gemüt – immer mehr Menschen wollen eine Psychotherapie
Therapie ist gefragt, doch nicht immer möglich. Wegen mangelnder Kapazitäten oder aus finanziellen Gründen müssen Therapeuten viele Patienten abweisen. Psychologen werben für politische Reformen.
Selina Schmid
Psychische Belastung: Jungen Menschen schlägt die Pandemie mehr aufs Gemüt als den Alten
Senioren erkranken zwar schwerer an Covid-19, aber sie scheinen resilienter gegenüber Depressionen und Ängsten in der Pandemie zu sein. Ein Erklärungsversuch.
Lena Stallmach
Für diesen Psychiater klingt vieles in der Corona-Krise zu alarmistisch. Und er weiss: «Die Praxen der Psychotherapeuten sind halb leer»
Der Psychiater Josef Hättenschwiler hält den Menschen für psychisch widerstandsfähiger, als er in der jetzigen Krise dargestellt wird. Nur etwas setzt auch ihm persönlich zu.
Birgit Schmid
9. Dezemnber 2020
Wer von uns hat nicht auch Probleme mit der Winter-Jahreszeit, wenn sich die Sonne eher selten zeigt, alles grau und verhangen und regnerisch (sogar mit Schnee vermischt) ist! Das schlägt bei vielen aufs Gemüt! Wie kann damit umgegangen werden, was hilft, wie können wir uns damit organisieren? Ist die "Lichttherapie" eine Möglichkeit, gibt es noch andere Möglichkeiten? Der folgende Artikel versucht Antworten zu geben.
Die gegenwärtige Corona-Krise zwingt die Bevölkerungen weltweit, Social Distancing einzuhalten, um Ansteckungsmöglichkeiten zu reduzieren. Aber wir Menschen sind nun einmal soziale Wesen, wir wollen nicht isoliert leben, wir brauchen den (physischen und auch seelischen) Kontakt zu unseren Mitmenschen. Wie kann damit umgegangen werden?
Hochstapler-Syndrom – wenn man dem eigenen Erfolg nicht traut: Von richtigen, grossen Hochstaplern hören wir von Zeit zu Zeit in den Medien. Aber es gibt "Hochstapler" auch im Kleinen, Leute die "angeben", Geschichten erzählen, um sich wichtig zu machen, um jemand zu sein (der man eben nicht ist). Oder auch gerade das Gegenteil geschieht: Leute die sich selber "klein" machen! Diese (kleinen) Hochstapler bewegen sich dann meistens auf der Ebene der Lüge. Mit solchen Hochstaplern umzugehen, ist nicht leicht, denn sobald ihre Lügenmärchen aufgeflogen sind, verzieht sich der Zweifel nicht so leicht!
Seelisches Gleichgewicht – mit Licht gegen den Winterblues
Tom Nebe, dpa - 8.12.2020 - 18:00
Licht hellt die Stimmung auf und vertreibt trübe Gedanken, sagt man. Dass da etwas dran ist, spüren manche Menschen jeden Winter aufs Neue.
Antriebsarm und gedrückt:
Die dunkle Jahreszeit schlägt manchen Menschen aufs Gemüt. Therapeutisches Licht scheint in dem Fall als Hilfe naheliegend – doch die Anwendung erfordert Disziplin.
Licht hellt die Stimmung auf und vertreibt trübe Gedanken, sagt man. Dass da etwas dran ist, spüren manche Menschen jeden Winter aufs Neue.
Sie fühlen sich nicht so gut in der dunklen Jahreszeit, sind antriebsarm, die Stimmung ist gedrückt. Umgangssprachlich hat sich dafür der Begriff «Winterblues» eingebürgert.
«Das ist ein uraltes Thema und findet sich schon in der antiken Literatur», erzählt der Psychiater Prof. Andreas Hillert, Chefarzt für Psychosomatik und Psychotherapie an der Schön Klinik Roseneck in Prien am Chiemsee. «Wir würden bei ausgeprägten Fällen dieser Art heute von einer saisonal bedingten Depression sprechen.»
Dunkelheit als Nebenaspekt
Wobei der saisonale Aspekt, in dem Fall also der Winter mit seiner Dunkelheit und Kälte, nur ein Nebenaspekt sei. Um zu beurteilen, ob eine Depression vorliegt und behandlungsbedürftig ist, schauen die Mediziner auf Symptome wie gedrückte Stimmung, Interessen- sowie Freudlosigkeit, erhöhte Ermüdbarkeit und weitere Anzeichen – Schlafstörungen und Konzentrationsschwierigkeiten etwa.
Young man working at the office with light therapy lamp
Wirklich effektiv sind Therapieleuchten vor allem dann, wenn sie zu einem Zeitpunkt genutzt werden, an dem es draussen noch dunkel ist.
«Es gibt aber auch nicht wenige Menschen, die fühlen sich in der dunklen Jahreszeit etwas weniger gut», sagt Hillert. «Ohne dass es Krankheitswert hätte oder behandlungsbedürftig wäre.»
Der Checkup-Guide - Vorsorgen ist wichtig. Wann Sie welchen Gesundheits-Check machen sollten.
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Wenn fehlendes Licht eine Ursache für diesen Blues ist, könnten Therapieleuchten mit künstlichem Tageslicht doch helfen, oder?
Tatsächlich wird die Lichttherapie bei der Behandlung von Depressionen eingesetzt – und kann auch selbst ausprobiert werden. Zu viel darf man aber nicht erwarten. Damit es einen Effekt hat, ist ausserdem eine gewisse Disziplin gefragt.
Längere Tageslichtdauer simulieren
Dabei kommt eine Lichttherapielampe zum Einsatz, die recht helles weisses Licht abgibt. Dadurch soll möglichst intensives Tageslicht imitiert werden, sagt Hillert. Der Hintergedanke ist einleuchtend: Zu viel Dunkelheit sorgt dafür, dass der Körper grössere Mengen des «Schlaf-Hormons» Melantonin ausschüttet. Die Folge kann unter anderem anhaltende Müdigkeit sein – also das, was man möglicherweise als Winterblues empfindet.
Mit Hilfe des Lichts wird die Tageslichtdauer quasi künstlich verlängert. Die Ausschüttung von Melantonin soll damit am Morgen reduziert, Stimmung und Antrieb gleichzeitig besser werden.
Bei sensiblen Menschen könnte schon nach einigen Tagen eine leichte Verbesserung der Befindlichkeit zu spüren sein, so Hillert. Zugleich betont er aber: Wunderdinge seien von den Lampen nicht zu erwarten. «In den meisten Fällen, übrigens auch bei anderen Formen der Depression, ist Lichttherapie wenn dann eine ergänzende therapeutische Massnahme, die für sich genommen meist nicht ausreicht, entsprechende Störungen zu behandeln.»
Früh aufstehen für sinnvolle Anwendung
Wer die Melantonin-Ausschüttung des Körpers mit Hilfe der Lampe effektiv beeinflussen möchte, darf sich nicht nach Lust und Laune irgendwann tagsüber davor setzen. Man sollte es idealerweise am frühen Morgen machen, erläutert Hillert. Und zwar für mindestens eine halbe Stunde täglich, über mehrere Wochen hinweg.
Hillert erzählt davon, dass in seiner Klinik auch Lichttherapien angeboten werden. Viele Patienten stünden dem Angebot aber zwiegespalten gegenüber. Der Grund ist das frühe Aufstehen. «Sie müssen dann 7 Uhr, eben wenn es draussen noch dunkel ist, vor der Lampe sitzen und nicht erst um 11 Uhr. Ein Spaziergang wäre im letzteren Fall absehbar die effektivere – weil aktivere – Methode.» Nach seinen Worten führe die Lichttherapie «derzeit eher ein Schattendasein im therapeutischen Kontext».
Dennoch: Wer ausprobieren möchte, ob es einem hilft, kann es praktisch bedenkenlos machen. Lichttherapeutische Lampen gibt es in verschiedenen Preisklassen im Handel zu kaufen. «Das Nebenwirkungsrisiko ist gering», sagt der Experte. «Man kann nicht viel falsch machen, schlimmstenfalls funktioniert es halt nicht.»
Hochstapler-Syndrom – wenn man dem eigenen Erfolg nicht traut
Dorothée Barth, dpa/tafi - 5.12.2020 - 18:00
HANDOUT - 18.11.2020, ---, --: Protagonistin «Verena» - sie möchte lieber anonym bleiben (undatierte Aufnahme). Die junge Frau leidet am Impostor- oder Hochstapler-Phänomen. Sie lügen, dass sich die Balken biegen. Erfinden Fähigkeiten und Erfolgsgeschichten: Hochstapler. Menschen, die am Hochstapler-Phänomen leiden, fühlen sich ähnlich. Doch die Geschichte dahinter ist eine ganz andere. (zu dpa-Korr "Jung, erfolgreich, Hochstapler? - Vom Gefühl, ein Betrüger zu sein") Foto: --/privat/dpa - ACHTUNG: Nur zur redaktionellen Verwendung im Zusammenhang mit der aktuellen Berichterstattung und nur mit vollständiger Nennung des vorstehenden Credits +++ dpa-Bildfunk +++
Protagonistin «Verena», sie möchte lieber anonym bleiben, hat mit Talent und harter Arbeit vieles erreicht: Doch sie führt ihre Erfolge auf äussere Umstände zurück. Die junge Frau leidet am Impostor- oder Hochstapler-Syndrom.
Privat/dpa
Hochstapler sind die besten, tollsten, begabtesten Menschen. Sagen sie selber. Andere Menschen behaupten genau das Gegenteil von sich und trauen ihren eigenen Erfolge nicht: Wer am Hochstapler-Syndrom leidet, wird oft von massiven Selbstzweifeln geplagt.
Verena ist 27 und ist in ihren verschiedenen Jobs weit gekommen. Sie ist eine gefragte und preisgekrönte Fotografin, kann auf eine erfolgreiche Ausbildung, ein sehr gutes Abitur und eine Karriere als Leistungssportlerin zurückblicken. Trotzdem hat Verena ein Problem. Hört man ihr zu, könnte man denken, dass sie eine Hochstaplerin und Betrügerin ist. Sie sagt: «Ich kann eigentlich gar nicht so viel, wie ich vorgebe.»
Dabei ist das Gegenteil der Fall – denn die junge Frau leidet am Impostor- oder Hochstapler-Phänomen. «Das sind Personen, die nachweislich erfolgreich sind, das aber nicht verinnerlichen können», erklärt die Wissenschaftlerin Mirjam Zanchetta. Sie erforscht die Einflüsse des Impostor-Phänomens. Menschen, die darunter leiden, glauben nicht an die eigenen Erfolge, sondern daran, dass sie durch externe Faktoren, durch Glück oder Zufall so viel erreicht haben.
Ähnlich sei es auch bei ihr, sagt Verena. «Das ist das Paradoxe daran, dass ich ja niemanden anlüge und nicht irgendwas behaupte, was ich könnte. Und trotzdem habe ich Angst, dass irgendjemand mal sagt: Was tust du hier?»
Ein inneres Geheimnis
Verena heisst eigentlich anders. Sie möchte unerkannt bleiben. «Ich habe kein Problem damit, über mein Empfinden und meine Gedanken offen zu sprechen», erklärt sie. «Mir ist es sogar wichtig, anderen zu zeigen, dass sie nicht alleine sind. Aber ich finde das Thema Selbstzweifel so persönlich, dass ich gerne den direkten Austausch dazu habe.»
Nach aussen trägt Verena ihre Ängste nur bedingt: «An sich wahre ich natürlich den Schein, dass ich super souverän bin», sagt sie. So gehe es den meisten, die ähnliche Gefühle haben, erklärt die Wissenschaftlerin Zanchetta. «Es ist ein inneres Geheimnis.»
NarzissmusIch – und dann alle anderen: Krankhafte Selbstverliebtheit
Wie viele Menschen wirklich unter dem Phänomen leiden, könne dadurch schwer ermittelt werden. Denn auch in Studien gäben Betroffene diese Unsicherheiten nur ungern zu. Dadurch gebe es wenig Evaluiertes und viel Theoretisches.
Bis zu 70 Prozent der Menschen geben an, dass sie das Gefühl kennen, sagt der Autor und Psychologe Leon Windscheid. Richtig zuordnen könnten es viele jedoch nicht. «Das sind einfach verdammt viele. Was vielleicht auch der Punkt ist, weshalb wir nicht von einer Krankheit sprechen, sondern eher von einem Normalzustand.» Auslöser könne zum Beispiel hoher Leistungsdruck in der Kindheit sein.
Eigene Erfolge zählen nicht
Wer am Hochstapler-Phänomen leide, habe etwa Probleme damit, sich selbst positives Feedback zu geben. «Du bist mit deinen eigenen Erfolgen nie so wirklich zufrieden. Es muss immer weitergehen wie in einem Hamsterrad», so Windscheid. Wichtige Indizien für das Impostor-Phänomen seien auch Selbstzweifel: «Bin ich gut genug für das, was ich hier mache?»
Auch Verena fällt es schwer, eigene Erfolge zu benennen. Erst nach mehreren Nachfragen zählt sie ein paar mögliche auf: ein Einserschnitt im Abitur parallel zum Leistungssport zum Beispiel. «Ist das ein Erfolg? Weiss ich nicht», sagt sie. Nach längerem Überlegen erzählt die 27-Jährige, dass ihre journalistische Ausbildung ein Erfolg für sie gewesen sei. «Da weiss ich mittlerweile, was ich kann und was vielleicht nicht so gut.» Trotzdem denke sie sich bei Lob: «Leute, das bin doch nur ich!»
Überfordert, Burnout – wenn das Privatleben zu viel wird
Erfolge sollten normalerweise das Selbstbewusstsein stärken. Mit dem Impostor-Phänomen sei das jedoch anders, sagt Windscheid. Damit untergrüben die Menschen schon von Anfang an die Chance, dass sie sich am Ende sagen können, eine Sache gut gemacht zu haben – etwa weil sie sich einfach gut auf eine Aufgabe vorbereitet haben.
«Kämpfe niemals gegen deine eigenen Gefühle»
Das zeigt sich auch bei Verena. Trotz der offensichtlich erreichten Ziele plagen sie negative Gefühle: «Ich habe immer diese latente Angst, Mist verzapft zu haben» – wirklich Fehler gemacht habe sie allerdings noch nie. Dennoch befürchte sie ständig, dass sie «Scheisse gebaut» habe und es aktuell einfach niemand merke. «Aber irgendwer muss sich doch irgendwie mal denken: Alter, die kann man hier nicht arbeiten lassen», sagt sie.
Social Distancing - Wann wird die Angst vor Nähe krankhaft?
Mittlerweile hat die 27-Jährige diese Ängste nach eigenen Angaben besser im Griff. Vor allem Gespräche mit Freunden helfen ihr, damit umzugehen, sagt sie. Auch Psychologe Windscheid rät dazu, mit anderen Menschen über das Hochstapler-Gefühl zu sprechen. Das helfe einem selbst, aber auch anderen Betroffenen.
Ganz wichtig aber sei: «Kämpfe niemals gegen deine eigenen Gefühle», ergänzt der Psychologe. Wenn man Ängste und negative Emotionen zulässt, könnte man viel besser mit ihnen umgehen. Denn schliesslich basiere «das Imposter-Phänomen darauf, dass man selbst denkt, Hochstapler zu sein – obwohl das eigentlich nicht der Fall ist.»
7. Dezember 2020
Die gegenwärtige Corona-Pandemie hat weltweit alles durcheinander gewirbelt. Wohl in allen Ländern traf diese Pandemie auf unvorbereitete Verantwortliche, die teilweise überfordert waren - auch in der Schweiz! Aber nicht nur die verantwortlichen Behörden waren überfordert, auch jeder einzelne Mensch. Die letzte grosse Pandemie, die spanische Grippe, tobte vor etwa 100 Jahren. Von der hörte man, aber konkret rechnete eigentlich kaum jemand, dass so etwas in unserer heutigen, aufgeklärten und modernen Welt ein solches Ausmass annehmen könnte, wie die Corona-Pandemie sie nun zeigte.
Jeder Mensch verhält sich in einer Krisensituation auf seine ganz spezifische Art. Ich beobachte, dass die Reaktionen auf die verfügten Einschränkungen zur Eindämmung der Infektionen so unterschiedlich wie etwas sind: die einen versinken in grösste Ängste und bangen um ihr persönliches Leben. Andere wiederum zeigen sich "mutig", nehmen manchmal sogar in Corona-Widerstandsgruppen und ihren Demonstrationen teil und behaupten, dass diese Pandemie "eine ganz normale Grippe" sei und die "aufgespielten" Todesfälle nicht nur übertrieben, sondern auch falsch seien. Da diese (v.a. älteren Menschen) ja sowieso sterben müssten.
Bei solchen Aussagen stockt mir manchmal der Atem. Diese abgrundtiefe Ignoranz gegenüber nachweisbaren Tatsachen, empfinde ich nicht nur als falsch, unbegründet, sondern auch als lieblos, unmenschlich und asozial gegenüber allen unter einer Covit-19-leidenden oder sogar sterbenden Menschen! Dass diese Leute - die nicht selten einer Verschwörungstheorie noch anhängen - nicht nur Unsinn herausposaunen, sondern auch noch fanatisch missionarisch alle anderen Leute von ihren abstrusen Ideen überzeugen wollen ist der Gipfel der Frechheit!
Der folgende Artikel beschäftigt sich mit dieser Thematik!
Ein Covid-Patient auf einer Schweizer Intensivstation – Besuch ist auch in diesem Zustand wichtig.
In der Schweiz starben im November über 2300 Menschen an den Folgen von Covid-19. Wie verbrachten sie ihre letzten Minuten? Waren sie alleine? Eine Suche nach Antworten bei Spitälern und Altersheimen.
Das ganze Ausmass der Corona-Pandemie ist auch nach zehn Monaten wenig fassbar. Täglich hören wir den neuesten Stand von Infizierten, Hospitalisierten und Toten. Doch die nackten Zahlen können nicht wiedergeben, was in den Altersheimen und Spitälern los ist. Manchmal braucht es Bilder, um den Leuten vor Augen zu führen, welches Leid das Virus mit sich bringt. Im Frühling waren es etwa die Militärtransporter mit Särgen aus Bergamo, die uns wachrüttelten.
und auch jetzt sind wieder Bilder von der Corona-Front entstanden, die unter die Haut gehen.
Vergangene Woche ging etwa das Foto eines Arztes aus Texas viral.
Tausendfach geteilt wurde auch ein Foto von aufgereihten iPads. Diese wurden vorbereitet, damit die Corona-Patienten kurz vor dem Tod wenigstens digital Kontakt mit ihren Angehörigen haben können.
Die Corona-Patienten kämpfen nicht nur gegen die Krankheit, sondern auch gegen die Isolation.
Sterben die Leute in der Schweiz alleine?
Die Übersterblichkeit bei den über 65-Jährigen ist hoch
Alle 18 Minuten gab es ein Corona-Todesopfer.
«Das ist die alles entscheidende Frage», sagt Peter Burri, Leiter Kommunikation von Pro Senectute, «lassen die Altersheime Besuch rein, wenn eine Person im Sterben liegt?». Die allermeisten Leute, welche in einem Altersheim wohnen, würden auch irgendwann dort sterben, sagt Burri. Das sei auch so, wenn es gerade keine Pandemie gebe. Es sei die Aufgabe der Heime, den Bewohnerinnen und Bewohnern würdevolle letzte Jahre zu ermöglichen.
Er spricht sich deshalb mit Nachdruck dafür aus, dass die Altersheime auch dann Besuch reinlassen, wenn es Corona-Fälle gibt.
Altersheime in Zürich und Bern wollen keine Besuchsverbote
«Wenn eine Person im Sterben liegt, findet das Heim eine Lösung für einen Besuch»
Curaviva in Bern
Curaviva im Kanton Zürich
«Wenn Personen im Sterben liegen, dann ist ein Besuch natürlich möglich»
Sowohl Nalbandian als auch Müller betonen, dass man jetzt viel mehr über das Virus wisse als noch im Frühling. Man könne deshalb die Besuche unter Sicherheitsvorkehrungen verantworten.
Bei Curaviva Schweiz klingt es ähnlich wie bei den Kantonalverbänden: Sterbende sollen Besuch empfangen dürfen.
Was jedoch nicht zu unterschätzen ist: Zahlreiche Altersheimbewohnerinnen und Altersheimbewohner sind auch im Normalfall einsam und haben wenige bis gar keine Kontakte mehr ausserhalb des Heimes. Womöglich ist gar niemand mehr da, der sie in den letzten Minuten besuchen möchte.
© KEYSTONE In vielen Altersheimen werden Besuche weiterhin möglich gemacht.
Auch Spitäler erlauben Besuch
Auch in den Spitälern hält man nichts von einem kompletten Besuchsverbot.
Inselspitals Bern
Unispital Zürich
dass bei sterbenden Patientinnen und Patienten Ausnahmen gemacht werden können.
© KEYSTONE Das Unispital Zürich erlaubt Besuche von Covid-Patienten.
Bilder von aufgereihten iPads und tröstenden Ärzten geben also nur einen Teil der Wirklichkeit wieder
Welche Erfahrungen hast du gemacht? Durftest/darfst du deine Angehörigen besuchen? Gerne darfst du deine Erfahrungen in der Kommentarspalte teilen.
26. November 2020
Wer darf über Leben oder Tod entscheiden?
Kürzlich wurde am Schweizer Fernsehen ein hochinteressanter Film vorgeführt mit dem Titel "Gott". Eine anschliessende Diskussion im "Zschitigs-Club" ging auf das in diesem Film präsentierte Thema von unterstütztem Suizid ein. Es stellten sich die Fragen: wo, resp. in welchem Fall, ist es ethisch zu verantworten, einem leidenden Menschen Hilfe zum Suizid zu geben?
In diesem Film "Gott" ging es um einen Mann, der seine Frau verlor und jede Art von Lebenssinn - ohne sie - verlor. Seine "seelischen Schmerzen", ohne seine Lebenspartnerin weiterleben zu müssen, waren für ihn unerträglich. Er wollte seinem Leben ein Ende setzen.
Im zweiten Fall (in diesem Film) ging es um eine jüngere Frau, die mit ihrem Auto einen tödlichen Unfall verursachte, an dem ein Kind zu Tode kam. Für sie war dieser Umstand, den Tod dieses Kindes verursacht zu haben, unerträglich. Auch sie wollte ihr Leben beenden.
Der Online-Dienst ref.ch setzt sich mit dieser Thematik von "Sterbehilfe" im folgenden Interview von ref.ch auseinander!
«Wir flüchten uns in eine Hypermoral»
... und ein weiteres Thema, das mit dem Tod zu tun hat:
Der Abschied am Ende des Lebens....- Trauerredner!
Ich bin in einer Zeit aufgewachsen und wurde in einer Gesellschaft sozialisiert, in der jedermann einer Religionsgemeinschaft angehörte. Ich habe in meiner Jugend nie gehört, dass sich jemand als "Atheist" bezeichnete. Es war wohl so, dass die einen mehr, die anderen weniger oder gar nie einen Gottesdienst ihrer Religion besuchten. Und vor allem wichtig war in jener Zeit, dass am Ende des Lebens sich die Trauerzeremonien auf religiöser Ebene abspielten. -
All das hat sich in der Zwischenzeit komplett geändert. Ein Grossteill der westeuropäischen Bevölkerung bewegt sich ausserhalb von Religion. Das zeigt sich auch rund um die Bestattungen. Heute hört man mehr und mehr von sogenannten (neutralen)Trauerrednern, die rund um die Beerdigungen - welcher Art auch immer - die Funktion von Priestern, Pfarrern und Rabbinern übernehmen.
Carl Achleitner ist so ein "Trauerredner", der im nachfolgenden Interview auf die Frage "Gibt es über jemanden nichts Positives zu sagen, ist es eben so.", eingeht!
Carl Achleitner, Trauerredner: «Die Töchter bezeichneten ihre verstorbene Mutter als ‹richtigen Teufel›»
Bruno Bötschi - 26.11.2020 - 06:55 - auf Bluewin erschienen
Carl Achleitner: «Mein Grossvater war der Held meiner Kindheit, der einzige Mensch, der mir damals Schutz gegeben hat.»
Carl Achleitner ist Schauspieler und Trauerredner. Er hat mehr als 2500 Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet. Ein Gespräch über das Geheimnis eines guten Lebens, den Tod und die letzten Worte bei seiner eigenen Abdankung.
Herr Achleitner, hatten Sie je Todesangst?
Nein. Interessanterweise nicht einmal bei meinem Autounfall, einem Frontalcrash, vor 15 Jahren.
Menschen, die einen schweren Unfall erlitten haben, erzählen hin und wieder, Sie hätten dem Tod in die Augen geschaut – Sie demnach nicht?
Ich kenne solche Erzählungen von Menschen, die eine Nahtoderfahrung gemacht haben, also zum Beispiel schwer verletzt und bewusstlos waren. Das war bei meinem Unfall nicht so. Ich war zwar verletzt, aber durchgehend bei Bewusstsein. Im ersten Moment nach dem Crash, als ich merkte, ich lebe, habe ich nicht dem Tod, sondern meinem 1979 verstorbenen Grossvater in die Augen geschaut. Sein Bild war das erste, das vor meinem geistigen Auge erschien.
Ihr Grossvater war ein sehr wichtiger Mensch in Ihrem Leben. Er hat sich Ihren Vater vorgeknöpft, der Sie als Kind oft windelweich geschlagen hat.
Ja, er war der Held meiner Kindheit, der einzige Mensch, der mir damals Schutz gegeben hat. Dass er mir 36 Jahre nach seinem Tod in einem Moment höchster Schutzbedürftigkeit in den Sinn kam, ist kein Zufall. Seine Liebe hat Spuren in mir hinterlassen.
In Ihrem Buch ‹Das Geheimnis eines guten Lebens› erzählen Sie von Ihren Erlebnissen und Erkenntnissen als Trauerredner. Was haben Sie dabei gelernt, wie ein Leben zu einem guten wird?
In einer alten Legende der amerikanischen Ureinwohner*innen heisst es, dass in jedem Menschen zwei Wölfe existieren, die ein Leben lang miteinander kämpfen. Die Waffen des bösen Wolfs heissen Gewalt, Hass, Gier, Neid, Engstirnigkeit und Lüge. Die Waffen des guten Wolfs heissen Liebe, Empathie, Sanftmut, Grosszügigkeit, Humor und Wahrhaftigkeit. Siegen wird am Ende unseres Lebens jener Wolf, den wir füttern. Wenn der gute Wolf in uns dick und fett und wohlgenährt ist, haben wir mit hoher Wahrscheinlichkeit ein gutes Leben gehabt.
Sie haben mehr als 2500 Menschen auf ihrem letzten Weg begleitet und verabschiedet. Ich nehme an, darunter gab es auch einige, die den bösen Wolf gefüttert haben.
Natürlich. Es sterben nicht nur die guten Menschen. Kürzlich sassen mir zwei Damen Mitte 60 gegenüber, die ihre hochbetagt verstorbene Mutter als ‹richtigen Teufel› und ‹durch und durch bösen Menschen› bezeichnet haben. In solchen Fällen sind die Vorgespräche oft deutlich wichtiger als die Rede.
Sie scheinen ein Mann der klaren Worte zu sein. In einer Trauerrede sagten Sie einmal: ‹Wer ohne Sünde ist, also wer noch nie ein Arschloch war, wer noch nie Scheisse gebaut hat, wer noch nie versagt hat, der soll den ersten Stein werfen.›
Und wir wissen, wie die Geschichte ausgeht: Niemand wirft einen Stein, weil wir alle unsere Schwächen und Schattenseiten haben. In diesem Fall war der Verstorbene eine ambivalente Persönlichkeit und die Wortwahl passte zum Milieu. Mir sind Heuchelei und Verlogenheit in Trauerreden zuwider.
Carl Achleitner: «Kürzlich sassen mir zwei Damen Mitte 60 gegenüber, die ihre hochbetagt verstorbene Mutter als ‹richtigen Teufel› bezeichnet haben.»
Ich stelle mir das schwierig vor, einen bösen Menschen auf seinem letzten Weg zu begleiten. Wie schaffen Sie es, immer die richtigen Worte zu finden?
Wie gesagt, die Vorgespräche sind oft wichtiger als die Rede, da wird im geschützten Rahmen oft Tacheles geredet und Dampf abgelassen. Man schimpft niemandem ins Grab nach. Aber wenn es über einen Menschen rein gar nichts Positives zu sagen gibt, dann ist es eben so.
Haben Sie auch schon einmal nicht die richtigen Worte gefunden?
Ich hatte in all den Jahren eine einzige Beschwerde – da hat von Beginn an die Chemie nicht gestimmt.
Woran hat's gelegen?
Ich hätte den Auftrag nicht annehmen sollen.
Bekommen Sie oft Reaktionen nach Trauereden?
Ja, eigentlich immer. Die Menschen haben nach dem Begräbnis meist ein Bedürfnis zu sagen, wie es war. Und wenn es tröstlich für sie war, bringen sie das in Form von Dankbarkeit zum Ausdruck, verbal, schriftlich per E-Mail oder auch als Eintrag im Gästebuch meiner Internetseite. Das ist natürlich sehr motivierend.
Sie sind Film- und Theaterschauspieler und seit 2012 zudem als Trauerredner tätig. Wie kam das?
In meinem Beruf als Schauspieler gibt es regelmässig Durststrecken, ich war auf der Suche nach etwas mehr Stabilität. Eines Tages kam meine Frau mit der Idee nach Hause, dass ich mich bei der Trauerredner-Agentur Stockmeier in Wien vorstellen könnte. Ich habe das total abgelehnt und gesagt, dass ich doch nicht jeden Tag zum Friedhof gehe. Aus heutiger Sicht war es schlicht die Angst, mit der Thematik ‹Tod› konfrontiert zu werden. Ich habe mich dann doch dort gemeldet, wurde eingeladen, und wir hatten ein sehr gutes Gespräch. Ich war fasziniert. Bis heute empfinde ich es als eine sehr ehrenwerte Aufgabe, letzte Worte für jemanden sprechen zu dürfen. Es ist eine grosse Verantwortung. Und es ist das echte Leben, echter Schmerz.
Ist die Arbeit eines Trauerredners mit jener eines Bühnenschauspielers vergleichbar?
In beiden Fällen ist Empathie wichtig. Sich in andere Menschen einfühlen zu können. Aber als Trauerredner spiele ich nichts vor. Da stehe ich als ganz normaler Mensch und versuche, die Trauernden gut durch das Ritual des Abschieds zu begleiten. Als Schauspieler bin ich ja im Fernsehen oder auf der Bühne immer in fiktiven Geschichten unterwegs, aber damit kann ich die Menschen nicht annähernd so berühren, wie ich es als Trauerredner kann. Im Idealfall kann ich sie etwas trösten.
Ihre ersten Worte bei einer Trauerrede sind …
Ich beginne eigentlich immer mit einem der Situation angemessenen Zitat. Wenn dem Tod ein Leidensweg in Form einer längeren Krankheit voranging, passt ein Franz Kafka zugeschriebenes Wort: ‹Man sieht die Sonne langsam untergehen, und erschrickt doch, wenn es plötzlich dunkel wird.› Das zielt auf die Tatsache ab, dass man sich auf den Tod eines geliebten Menschen nicht wirklich vorbereiten kann. Selbst wenn es absehbar war – wenn es dann Wirklichkeit geworden ist, bleibt trotzdem die Welt kurz stehen. Wenn der Tod überraschend passiert ist, beginne ich mit Goethe: ‹Der Tod ist gewissermassen eine Unmöglichkeit, die plötzlich zur Wirklichkeit wird.› Das nenne ich mir Dichtung – in einem Satz hat der grosse Meister das Mysterium auf den Punkt gebracht.
Was muss eine gute Rede unbedingt beinhalten?
Die Spuren, die die verstorbene Person in den Lebenswegen seiner Liebsten hinterlässt, sowie Trost, Perspektive, Mut zum Weiterleben.
Erzählen die Angehörigen gern über das Leben des Verstorbenen oder müssen Sie hin und wieder Umwege gehen, um genug zu erfahren, damit es für eine Rede reicht?
Das ist ganz unterschiedlich. Manche schicken mir sieben eng beschriebene Seiten, andere verstummen. Ich bedränge die Menschen nicht, mir möglichst viel zu erzählen. Manche wollen das nicht, das ist zu respektieren. Wenn ich, wie kürzlich, auf die Frage: ‹War sie eine gute Mutter für Sie?› zur Antwort bekomme: ‹Die beste, die ich mir wünschen konnte!›, dann reicht das vollkommen aus, um einen würdigen Abschied zu gestalten.
Carl Achleitner: «Aber als Trauerredner ‹spiele› ich nichts vor. Da stehe ich als ganz normaler Mensch und versuche, die Trauernden gut durch das Ritual des Abschieds zu begleiten.»
Wie lange sollte eine Trauerrede dauern?
Ein hier in Österreich recht prominenter Politiker, der Anton Benya, meinte einmal: ‹Man kann über alles reden, nur nicht über 20 Minuten.› Daran orientiere ich mich. Mit zwei bis drei Liedern dauert eine Trauerfeier zirka 30 Minuten.
In einem Interview mit einem Trauerredner habe ich gelesen, dass er während des ersten Liedes die Leute dazu auffordert, sich währenddessen an einen Moment zu erinnern, der ihnen gerade einfällt. Und dass sie gern die Augen schliessen können. Machen Sie solches auch?
Musik ist mächtiger als das gesprochene Wort, erst recht in einer emotionalen Ausnahmesituation. Sie spricht unsere Gefühle direkt an. Deshalb lade ich die Menschen – sofern ein Lied in der Mitte der Feier gespielt wird – ein, beim Zuhören den Abschied zu vollziehen und noch einmal an die schönsten, beglückendsten, vielleicht auch fröhlichsten Momente zu denken, die sie mit dem verstorbenen Menschen erleben durften, diese Bilder anzuschauen und festzuhalten, denn die gehören den Trauernden ganz alleine.
Haben Sie schon über Ihre eigene Beerdigung nachgedacht?
Ich habe meinen Körper der Medizin vermacht, es wird also kein Begräbnis geben. Wer über mich spricht und was gesagt wird, ist nicht meine Sache, sondern die meiner Hinterbliebenen. Ein Freund sagte neulich: ‹Unsere befugtesten Richter sind unsere Kinder.› Da ist was dran. Einziger Wunsch wäre, dass ‹Always look on The Bright Side of Life› von Monty Python gespielt wird.
Kennen Sie das Geheimnis eines guten Lebens?
Wenn der oben angesprochene gute Wolf in uns am Ende unseres Lebens feist und wohlgenährt ist, dann ist die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein gutes Leben hatten, sehr hoch. Das Geheimnis eines guten Lebens ist ein offenes Geheimnis. Im Grunde wissen wir das doch alle, oder? Das Wichtigste im Leben ist die Liebe.
Das Ping-Pong mit Trauerredner Carl Achleitner wurde schriftlich geführt.
Bibliografie: Das Geheimnis eines guten Lebens, Carl Achleitner, Edition A, 224 Seiten, ca. 29.90 Fr.
20. Mai 2020
Hass auf andere … oder auf eigene Menschen!
Hass auf «andere» Menschen war schon immer ein Merkmal der Gesellschaft. Vor allem Menschen, die sich selber im Grunde als «schwach», als «übergangen» etc. empfinden, entwickeln sehr öfters ein eigenes diskriminierendes Verhalten anderer Menschen, v.a. Minderheiten, gegenüber. Auch «Selbsthass» gehört in diese Kategorie. Ein Schwuler, der seine sexuelle Ausrichtung unterdrückt, nicht wahrhaben will, wird nicht selten zum Schwulenhasser. Mir persönlich sind auch Menschen mit jüdischen Wurzeln bekannt, die mit ihrer Herkunft Mühe haben und sich zu dezidierten Antisemiten entwickeln.
Ich beobachte auch immer wieder eine spezielle Art von Frauenfeindschaft, die von Frauen ausgelebt werden, die sich als emanzipiert ausgeben und mit eigenen Geschlechtsgenossinnen nicht nur lieblos sondern militant aggressiv umgehen. Frauen die andere Frauen bashen und ein spezielles Mobbing praktizieren!
Der folgende NZZ-Artikel geht auf diese Thematik mit dem Titel «Der verdrängte Hass» ein.
Neue Zürcher Zeitung – 20. Mai 2020 Seite: 10 Meinung und Debatte
Der verdrängte Hass
Wenn Juden, Homosexuelle und andere Minderheiten attackiert werden, wären klare Worte nötig. Doch sobald die Täter selbst einer Minderheit angehören, suchen Medien und Politiker gerne andere Schuldige. Das ist gefährlich. Von Lucien Scherrer
Der kubanische Diktator Fidel Castro ist ein leicht erregbares Gemüt. Und so ist er ausser sich, als er im Oktober 1962 erfährt, dass sein sowjetischer Verbündeter Nikita Chruschtschow gerade keine Lust auf einen Atomkrieg mit den USA hat. «Hurensohn!», so ruft er aus, «Arschloch! Keine Eier! Schwuler!» Was man heute als homophobe Hassrede taxieren würde, war kein Ausrutscher, sondern Ausdruck einer tiefsitzenden Schwulenverachtung. Castro und sein stalinistischer Genosse Che Guevara liessen in den 1960er Jahren Tausende Homosexuelle und «verweichlichte» Männer ohne Anklage einsperren und misshandeln. Dennoch geniesst der brutale, homophobe Diktator im Westen bis heute Kultstatus – gerade unter Sozialdemokraten und Grünen, die sich dem Minderheitenschutz und dem Fortschritt verpflichtet fühlen.
«Es» passiert einfach
Das scheinbare Paradox, dass sich Unterdrückte, Minderheiten und deren vermeintliche «Befreier» à la Castro selbst als Schwulenhasser, Antisemiten, Rassisten und Unterdrücker gebärden können, stellt westliche Progressive immer wieder vor ein Dilemma: Was, wenn die Realität nicht mit der alten antiimperialistischen Theorie übereinstimmt, wonach reaktionäre Weissrassisten für Hass und Intoleranz zuständig sind? Das Problem stellt sich heute umso mehr, als die Gewalttäter nicht mehr im fernen Havanna zuschlagen, sondern mitten in unseren weltoffenen Städten, vor Schwulenklubs und Multikulti-Siedlungen. Homosexuelle etwa müssen in Zürich, Hamburg oder Berlin vermehrt damit rechnen, angepöbelt, geschlagen oder niedergestochen zu werden. In Berlin hat die Bürgermeisterin am letzten Wochenende extra Regenbogenfahnen hissen lassen, denn die Gewalt ebbt selbst während der Coronakrise nicht ab.
Über die Täter reden auch viele Betroffene nur ungern, aber wenn sie es tun, ist oft von jungen Männern die Rede, die mit «sehr markanten Akzenten» auffallen, wie es ein Homosexueller kürzlich auf SRF ausdrückte. Gemeint sind Migranten aus Kulturen und Staaten, in denen Homosexualität geächtet oder gar mit dem Tod bestraft wird. Neben Homosexuellen fühlen sich auch viele europäische Juden zunehmend unsicher. Dafür verantwortlich sind laut Umfragen nicht nur Rechtsextreme, sondern auch Israelhasser und radikale Muslime, wobei Letztere oft an erster Stelle genannt werden. In Frankreich haben Islamisten in den letzten Jahren über zwei Dutzend Juden ermordet, hinzu kommen zahlreiche Messerangriffe und Prügelattacken. Dutzende Quartiere gelten mittlerweile als Gefahrenzone, Zehntausende Juden haben das Land in den letzten Jahren verlassen. Der Glaube, dass eine bunte Gesellschaft automatisch toleranter wird, ist damit genauso diskussionswürdig wie die Behauptung, Fidel Castro sei ein fortschrittlicher Rächer der Unterdrückten gewesen. Umso wichtiger wäre eine Diskussion darüber, wie man offene Gesellschaften schützen könnte, ohne ihre Grundsätze zu verraten. Doch wie zu Fidels Zeiten, als die Schwulenhatz schlicht «übersehen» oder verdrängt wurde, ist die Versuchung auch heute gross, Dissonanzen zwischen Wunsch und Wirklichkeit mit allen möglichen Gaukeleien wegzuzaubern.
Eine beliebte Masche besteht darin, die genannten Probleme anzusprechen, ohne die Ursachen genau zu benennen. So war dem «Tages-Anzeiger» kürzlich zu entnehmen, dass «der Hass auf alles Jüdische» überall auf dem Vormarsch sei, unter anderem in Frankreich. Dort habe sich die Bedrohungslage derart verschlimmert, dass «es in den letzten Jahren zu einer jüdischen Abwanderung nach Israel kam». Womit diese Bedrohungslage und der Exodus zusammenhängen, erfährt der Leser nicht. «Es» passiert einfach.
Neben diesem «Es» gibt es eine Reihe dankbarer Schuldiger, mit denen sich scheinbar das meiste erklären lässt. Rechtsextreme zum Beispiel, die für Judenhass zwar massgeblich mitverantwortlich sind, aber eben längst nicht mehr allein. Oder Donald Trump und «die Rechtspopulisten», deren Aufstieg laut Politikerinnen wie Rosmarie Quadranti (BDP) gleich noch die zunehmende Gewalt gegen Minderheiten erklären soll. Unangenehme Themen wie «Judenhass und Islam» gilt es derweil zu umgehen, etwa indem das Stichwort Antisemitismus im selben Atemzug mit der angeblich ebenso schlimmen oder noch schlimmeren Islamophobie genannt wird. Muslime, so die implizite Botschaft, können nur Opfer sein, selbst wenn es erwiesen ist, dass die meisten arabischen Länder stark antisemitisch geprägt sind. Der deutsche «Tagesspiegel» mutmasste im Januar, wenn muslimische Einwanderer antisemitisch seien, liege das «offenbar» auch an einer zunehmenden «Islamfeindlichkeit» in Europa – und erntete dafür auch in der Schweiz Beifall. Am Ende, so die Logik dahinter, ist «die Gesellschaft» an allem schuld. In der sind, wohlgemerkt, antisemitische und homosexuellenfeindliche Ressentiments genauso verbreitet wie pauschale Vorurteile gegenüber Muslimen. Das kann jedoch weder eine Rechtfertigung noch eine Erklärung für die zum Teil massive Zunahme der registrierten Gewalttaten gegen Juden und sexuelle Minderheiten sein. Wenn das Berliner Antigewaltprojekt Maneo in einem langen Bericht schreibt, man betrachte Homofeindlichkeit als «gesamtgesellschaftliches Problem», um gleichzeitig einzuräumen, dass in Berlin 90 Prozent der Täter polizeibekannt seien und mit Vorliebe in Quartieren wie Neukölln zuschlügen, wirkt das fast schon beschwörend.
Der Reflex, Rassismus und Gewalt herunterzuspielen und zu verdrängen, sobald die Täter gesellschaftlichen und religiösen Minderheiten angehören, ist zunächst nachvollziehbar. Man kann darin eine Gegenreaktion auf die Versuche der Rechten sehen, Minderheiten im Kollektiv für alle möglichen Übel in der Welt verantwortlich zu machen. Ebenso wirkt es nicht sehr glaubwürdig, wenn sich manche Konservative nun plötzlich um Schwulenrechte sorgen oder das Schicksal der Juden beklagen. Umgekehrt gilt aber auch: Wer bestimmte Minderheiten kollektiv zu eigentlichen Opfern stilisiert und glaubt, die Treiber für Intoleranz und «gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit» einzig in der Mitte der Gesellschaft suchen zu dürfen, betreibt ein nicht minder gefährliches Spiel. Denn Probleme, für die alle und damit niemand verantwortlich ist, können auch nicht bekämpft werden. Von ein paar Regenbogenfahnen und gut gemeinten Appellen werden sich die Täter nämlich kaum beeindrucken lassen. Und wer die Öffentlichkeit über das Unübersehbare zu täuschen versucht, schürt nicht nur Misstrauen und Ängste. Er nimmt auch die Betroffenen nicht ernst.
Der Theologe Bruno Amatruda monierte im Magazin «Bref» bereits vor zwei Jahren, die Linke sei «aufgrund ihrer Tabuisierungen mit verantwortlich für den Aufstieg des rechtspopulistischen Monsters». Bezeichnend ist, dass das «linke Minderheiten-Paradox» (Amatruda) gerade auch in jüdischen und homosexuellen Kreisen für Unmut sorgt. Der homosexuelle Ex-Fernsehmoderator Kurt Aeschbacher sagte kürzlich in der NZZ, «natürlich» habe schwulenfeindliche Gewalt einen kulturellen oder religiösen Hintergrund – und von Politikerinnen erwarte er, dass sie Probleme «nicht durch eine ideologisch verbrämte Sichtweise schönreden». Die Aussagen richteten sich direkt an die grüne Zürcher Polizeidirektorin Karin Rykart, die Attacken auf Homosexuelle damit erklärt hatte, dass die Täter arm und männlich seien – alles Faktoren, für die ein Mensch nun einmal nichts kann und die nichts mit anerzogenem Hass zu tun haben.
Verrat an den eigenen Werten
Absurderweise führt die vermeintlich fortschrittliche Kunst des Wegsehens und Verständnishabens dazu, dass die Gefahr eines gesellschaftlichen Rückschritts wächst. Zumal sich die Täter ermuntert fühlen dürften, ihr Herr-im-Haus-Gebaren überall auszuleben. So mag es auf den ersten Blick pragmatisch sein, wenn linke Politiker fordern, homosexuelle Flüchtlinge müssten verlegt werden, weil diese in Unterkünften von anderen Asylsuchenden gemobbt würden, wie in Zürich oder Genf geschehen. Im Grunde sagt man den Belästigern damit jedoch nichts anderes als dies: «Nicht ihr müsst euch ändern, sondern die anderen. Und wenn ihr nicht wollt, müsst ihr nicht mit Leuten zusammenwohnen, deren sexuelle Ausrichtung oder Religion euch nicht passt.»
Die letzte Stufe dieser Entwicklung ist die offene Anbiederung an die Täter. In Malmö etwa, wo ein Spaziergang mit Kippa durch islamisch geprägte Gegenden gefährlich sein kann, sollen die Juden selber für den Antisemitismus verantwortlich sein, weil sie sich nicht genug von Israel distanzieren – so zumindest verbreitete es der sozialdemokratische Bürgermeister. Damit werden genau jene Werte und jene Minderheiten verraten, für welche die Linke einst eingestanden ist. Das gilt auch für alle Muslime, die im Westen ein freies Leben führen wollen. Die Folgen dieses Verrats sind in Frankreich bereits offensichtlich, weil man die Islamisten aus Angst vor Rassismusvorwürfen jahrelang gewähren liess. Wie ein Forscherteam kürzlich nachgewiesen hat, kooperieren manche Politiker mittlerweile mit ihnen, um sich Wählerstimmen zu sichern. In den islamistisch kontrollierten Quartieren ist die offene Gesellschaft passé: Frauen haben verhüllt zu sein, aufgeschlossene Muslime werden drangsaliert, und «Ungläubige» haben dort genauso wenig zu suchen wie Nichtweisse in rechtsextrem dominierten Gebieten Ostdeutschlands. Oder wie Schwule im Revolutionsparadies Fidel Castros.
Absurderweise führt die vermeintlich fortschrittliche Kunst des Wegsehens dazu, dass die Gefahr eines gesellschaftlichen Rückschritts wächst.
20. April 2020
Gewisse Leute unter uns gefährden durch ihr egoistisches Fehlverhalten ihre Mitmenschen mit Infektion und sind dadurch eine Gefahr für Leib und Leben. So ein Verhalten könnte je danach sogar rechtliche Folgen haben (Straftatbestand von «versuchter Körperverletzung», «versuchter Todschlag»). Wie in allen Extremsituationen kann auch in der jetzigen Corona-Pandemie-Zeit ein extremes Verhalten (im Guten und im Bösen) unserer Mitmenschen beobachtet werden.
Die Auswirkungen der Corona-Pandemie werden vermutlich noch monatelang die Bevölkerung beschäftigen und vor allem alle Lebensäusserungen krass einschränken. Schönfärberisch wird von den Verantwortlichen immer wieder betont, dass eine grosse Mehrheit sich immer an die Anordnungen des BAG halten würden. Dass sich die «Mehrheit» daran gehalten hat, das mag sicher richtig sein. Aber ich persönlich beobachte tagtäglich in meinem Umfeld, v.a. in der unmittelbaren Nachbarschaft, schwere Verstösse gegen die BAG-Vorschriften. Da sehe ich Leute – übrigens der altersmässigen Risikogruppe zugehörig – die sich über diese Vorgaben foutieren, sich nicht entfernt daran halten und dadurch ihre unmittelbare Umgebung (also die Mit-Nachbarn) mit einer Ansteckung bedrohen.
Ich gehe davon aus, dass solche schwerwiegenden Missachtungen/Übertretungen der BAG Vorschriften auch anderswo ausgelebt werden.
Ab Ende April versprach der Schweizer Bundesrat nun eine Lockerung der Vorschriften. Umfragen haben gezeigt, dass eine Mehrheit der Schweizer Bevölkerung das Tragen von Gesichtsmasken in der Öffentlichkeit fordert. Ich vermute aber, dass auch hier gewisse Leute sich über diese Bestimmungen hinwegsetzen werden.
Ich bin der Meinung, dass Übertretungen der BAG-Vorschriften jeder Art streng bestraft werden müssen. Teilweise wurde dies von Seiten der Polizei auch getan, und zwar bei Ansammlungen von mehr als 2 Personen ohne das social distancing. Es wurden Bussen von CHF 100.—pro Person ausgesprochen. Ich bin der Meinung, dass bei Gesichtsmaskenpflicht Fehlbare ebenfalls bestraft werden sollten. Auf eine andere Art werden diese Gesetzesübertreter sonst nicht zur Vernunft kommen und auch zukünftig ihre Mitmenschen mit Ansteckung bedrohen.
Der folgende Text ist eine Zusammenfassung des sda (veröffentlich in Bluewin Infos vom 20.4.2020) und zeigt den aktuellen Meinungsstand der Scheizer Bevölkerung.
Mehrheit der Schweizer für Masken-Pflicht – jeder Dritte storniert Reise
SDA 20.4.2020 - 08:00
Tamedia-Umfrage: Maskenpflicht findet breite Zustimmung
Die Lockerung der Massnahmen zur Eindämmung des Coronavirus sollte nach dem Willen einer Mehrheit der Schweizer Bevölkerung mit einer generellen Maskenpflicht in der Öffentlichkeit einhergehen. Das geht aus einer am Montag veröffentlichten Tamedia-Umfrage hervor.
Sechs von zehn befragten Personen sprachen sich in der Umfrage dafür aus, dass das Tragen von Masken in der Schweiz verpflichtend wird, sobald genügend Schutzmasken verfügbar sind. Ein Obligatorium fände derzeit bei der Basis aller Parteien eine Mehrheit.
Parteien von rechts bis links halten nichts von einer staatlich verordneten Durchseuchung. Eine knappe Mehrheit lehnt es ab, dass der Staat Ansteckungen in Kauf nimmt mit dem Ziel, dass die Bevölkerung immun wird.
Ja zur Impfpflicht
Hingegen stösst die Nutzung anonymisierter Bewegungsdaten in grossen Teilen der Bevölkerung auf Akzeptanz. Sollte dereinst ein Impfstoff vorliegen, würden Wähler aller Parteien eine Impfpflicht befürworten.
Der Bundesrat erhält von der Bevölkerung gute Noten. Die Massnahmen zum Gesundheitsschutz und zur Unterstützung der Wirtschaft werden als angemessen beurteilt. Auch die schrittweise Lockerung der Massnahmen stösst bei den befragten Personen auf Zustimmung.
Corona: Wie hoch ist das Risiko für Asthmatiker?
Schweizer Kreuz erleuchtet den Burj Khalifa
Die rasche Wiedereröffnung von Geschäften und Coiffeursalons beurteilt die Bevölkerung positiv. Nur knapp jeder Dritte möchte, dass Restaurants schon in den nächsten Wochen wieder Gäste bewirten dürfen. In der SVP-Basis wollen dies nur 35 Prozent, bei der FDP sind es 32 Prozent und bei der CVP 29 Prozent.
Kinos und Zoos sollen warten
Eine Wiedereröffnung von Freizeitbetrieben wie Kinos oder Zoos befürworten nur gerade 13 Prozent und eine Aufhebung des Veranstaltungsverbots nur 6 Prozent. Romands und Tessiner sind dabei noch deutlich zurückhaltender als die Deutschschweizer. Die Tamedia-Umfrage wurde am 15. April 2020 auf den Online-Plattformen der Tamedia-Zeitungen und von "20 Minuten" durchgeführt. Insgesamt nahmen 40'835 Personen aus allen Landesteilen daran teil. Die Umfrage erfolgte in Zusammenarbeit mit den Politologen Lucas Leemann und Fabio Wasserfallen.
So viele Anhänger hat Schwedens Plan bei uns Auch in der Schweiz findet das umstrittene Modell Anklang, wie eine Umfrage von 20 Minuten zeigt. Rund jeder dritte Befragte ist dafür (13 Prozent) oder eher dafür (21 Prozent), dass der Staat die Ansteckung von Bevölkerungsgruppen ausserhalb der Risikogruppe zugunsten einer Herdenimmunität in Kauf nehmen soll. Schweden will Covid-19 mittels Durchseuchung bekämpfen. Laut einer neuen Umfrage hätte das Vorgehen auch in der Schweiz Anhänger. Im Kampf gegen das Coronavirus fährt Schweden einen Sonderkurs: Statt auf einen Lockdown setzt der Staat auf eine kontrollierte Durchseuchung. Der schwedische Staatsepidemiologe Anders Tegnell geht anhand seiner mathematischen Modellen davon aus, dass es im Mai in Stockholm möglicherweise eine Herdenimmunität von drei bis vier Prozent gibt. Auch in der Schweiz findet das umstrittene Modell Anklang, wie eine Umfrage von 20 Minuten zeigt (siehe Box). Und jeder dritte Befragte ist dafür (13 Prozent) oder eher dafür (21 Prozent), dass der Staat die Ansteckung von Bevölkerungsgruppen ausserhalb der Risikogruppe zugunsten einer Herdenimmunität in Kauf nehmen soll. Die Männer (38 Prozent) zeigen sich dabei etwas weniger zurückhaltend als die Frauen (31 Prozent). Viel Support von jüngster Altersgruppe Am grössten ist die Zustimmung mit 16 Prozent bei der jüngsten Altersgruppe (18- bis 34-Jährige), am geringsten bei der ältesten Altersgruppe (über 65-Jährige) mit 9 Prozent. Die grössten Chancen hat eine Herdenimmunität bei Absolventen einer Uni oder Fachhochschule oder einer höheren Fachschule (16 Prozent bzw. 15 Prozent). Am wenigsten sprachen sich dafür die Befragten mit einem obligatorischen Schulabschluss oder einer Berufslehre aus (12 Prozent).
19. April 2020
Extremsituationen, wie die heutige Corona-Pandemie-Situation, verursachen auch bei Menschen Extremreaktionen! Hier in der Schweiz ist das BAG zuständig für das richtige Verhalten der Bevölkerung und gibt laufend Verordnungen/Empfehlungen für einen richtigen Umgang. Es ist leider eine Tatsache, dass sich im zwischenmenschlichen Verhalten v.a. auch im Nachbarschaftsbereich, auf Spazierwegen (und überall, wo Menschen zusammentreffen) viele unserer Mitmenschen über diese lebenswichtigen Verordnungen hinwegsetzten, sich darüber foutieren! Manchmaml nimmt dieses zu beobachtende Fehlverhalten Extremformen an!
Ich beobachte dieses Fehlverhalten (das übrigens strafbar ist) nicht zuletzt bei Nachbarn, die zB über die Ostertage frisch fröhlich bis zu sechs eingeladene Leuten , eng zusammengepfercht an ihrem Gartentisch versammelten. Die Empfehlung für die Ostertage, möglichst niemand in den Privatbereich einzuladen, aber auch das Einhalten der wichtigen Abstandsregel von 2 Metern, werden somit brutal gebrochen. Interessant mag in diesem Zusammenhang auch die Tatsache sein, dass diese Leute in die altersmässige «Risikogruppe» gehören. Damit gefährden sich diese Unholde nicht nur selber, angesteckt zu werden. Sie nehmen auch in Kauf, dass sie – sofern sie angesteckt werden – nicht nur alle Mitbewohner im gleichen Haus gefährden und letzten Endes auch alle diese Nachbarn in Quarantäne zwingen. Das ist ein unverzeihliches Fehlverhalten, das unentschuldbar ist.
Gleich sieht es auch auf Spazierwegen und überall dort aus, wo Menschen einander begegnen! Da gibt es die Anständigen, die – wie es sich gehört – diese Abstandsregeln und alle BAG-Vorschriften klar einhalten. Aber leider gibt es daneben auch das Gegenteil: Ich beobachte auch hier ein extrem egoistisches, unentschuldbares Verhalten: jüngere Leute (aber auch Alte!) breiten sich zB auf diesen Wegen egoistisch über die ganze Wegbreite aus. Ich habe erlebt, dass auf Hinweise zur Einhaltung der «social distance»-Vorschrift Grobheiten aller Art die Runde machen: «Ihr Alten könnt ja zu Hause bleiben!», «spielen Sie den Polizisten», und noch Schlimmeres usw. usw.
Der folgende Artikel der NZZ geht auf das Ansteckungsrisiko von Joggern und Bikern ein, die gerade als Folge ihrer körperlichen Anstrengungen ein ganz besonderes Risiko für Menschen darstellen, denen sie begegnen. Ich gehe davon aus, dass die meisten dieser Sportler sich gar nicht bewusst sind, wie gross ihre Ansteckungsgefahr durch ihre Ausscheidungen ist:
Kann man sich beim Radfahren und beim Joggen mit dem Corona-Virus infizieren?
«Läufer und Velosportler sollten sich nebeneinander aufhalten und nicht hintereinander. Auch versetzt hintereinander ist man relativ sicher», sagt Bert Blocken, Physiker an der der Universität Eindhoven.
NZZ - Tom Mustroph - 18.04.2020, 06.30 Uhr
Joggen in einem Park in Rom: Durch das Tragen von Masken soll die Ansteckungsgefahr reduziert werden können.
Alberto Lingria / Reuters
Sportliche Betätigung in Zeiten der Corona-Pandemie ist wichtig, sowohl für den in Quarantäne ruhiggestellten Körper als auch für den unruhigen Geist. Studien von Aerodynamikern sowohl des Massachusetts Institute of Technology (MIT) als auch der Universität Eindhoven legen aber nahe, dass diese Betätigung gerade jetzt nicht ohne Risiko ist. Denn in der Atemluft der anderen können sich Coronaviren befinden. Und diese mit Viren angereicherte Atemluft kann sich weit über die empfohlenen zwei Meter Distanz hinaus ausbreiten. 20 Meter beim Velofahren
«Viele Menschen würden erschrecken, wenn sie sähen, welche Partikel sich gewöhnlich in der Atemluft befinden», sagt Bert Blocken am Telefon. Zum Alltagsgeschäft des Physikers der Universität Eindhoven gehört es, diese Partikel zu visualisieren – analog im Windkanaltest und digital in Computersimulationen. Ende letzter Woche hat er eine Studie über die Flugbahnen von Tröpfchen in der Atemluft veröffentlicht (www.urbanphysics.net). Tröpfcheninfektion gilt laut dem Berliner Robert-Koch-Institut derzeit als der verbreitetste Übertragungsweg von Sars-CoV-2. In eindrücklichen Bildern demonstriert Blocken in der Studie, wie aus Nase und Mund dringende Atemluft einen Jogger umhüllt und aufgrund von dessen Vorwärtsbewegung ihm wie ein Kometenschweif folgt. Bis zu zehn Metern kann die Wolke sich hinter einem Läufer ausbreiten, der mit 14,4 km/h unterwegs ist. Bei Velosportlern kann, je nach Geschwindigkeit, nicht einmal ein Sicherheitsabstand von zwanzig Metern ausreichen.
«Das gilt aber nur für die Personen, die sich im Windschatten befinden», präzisiert Blocken. Der Aerodynamiker aus Eindhoven ist ein Windschattenspezialist. Im letzten Jahr hatte er bei den Radprofis bereits die unterschiedlichen Windschatteneffekte für verschiedene Positionen im Feld, aber auch in Bezug auf Begleitfahrzeuge im Windkanal getestet. Als die Covid-19-Pandemie auch für Europa zu einem Problem wurde, beendete er mit seinem Team gerade eine Untersuchung über die Bewegung von festen Partikeln in der Luft. «Wir haben darauf aufgebaut und das Forschungsdesign dann auf Tröpfchen und Tröpfchenwolken ausgedehnt», erzählt Blocken.
Mehrere Stunden in der Tröpfchenwolke
Bereits Alltagsbeobachtungen legen nahe, dass der Windschatteneffekt bei sich bewegenden Objekten zu grösseren Luftzirkulationen führen kann. Mit genau dieser Begründung sagte etwa der in Kalifornien beheimatete Bicycle Club of Irvine alle Gruppenausfahrten ab (http://www.bikeirvine.org/news/2020/4/1/riding-in-the-time-of-covid-19). Eine schematische Darstellung auf der Homepage des Klubs zeigt, wie sich Partikel in der Atemluft hinter dem Rücken eines Velosportlers ausbreiten. Extrapoliert man dieses Bild auf Feldgrösse oder auch nur auf eine Radwandergruppe, wird das Problem deutlich: Mehrere Stunden halten sich zahlreiche Personen in den ausgeatmeten Tröpfchenwolken von Vordermann und Vorderfrau auf. Das Gleiche gilt, wenngleich weniger ausgeprägt, für Laufgruppen.
Bei einem sich mit 4 km/h bewegenden Spaziergänger erkannte Blocken einen Abstand von fünf Metern und bei einem sich mit 14,4 km/h bewegenden Läufer einen Abstand von zehn Metern als sicher an. «Dann treffen die Partikelwolken nicht auf Kopf, Oberkörper und Hände», erklärt Blocken. Zahlen für Velofahrer befinden sich nicht in der Studie, denn hier sind die Messungen komplizierter. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse empfiehlt Blocken dort Abstände von 20 Metern. «Das gilt aber nur für Personen, die sich im Windschatten befinden. Läuft oder fährt man nebeneinander oder versetzt hintereinander, reichen die normalen Abstände aus», präzisiert er.
Wie hoch die Infektionsgefahr selbst ist, will der Aerodynamiker nicht einschätzen. «Selbst Biologen haben unterschiedliche Positionen darüber, wie lange ein Virus in der Luft noch ansteckend sein kann. Mir kam es darauf an, die Flugbahnen der Tröpfchenwolken zu beschreiben. Und wenn ein Sicherheitsabstand von zwei Metern zwischen stehenden Personen gefordert wird, dann müssen wir auch kohärent sein und schauen, welche Abstände zwischen sich bewegenden Personen als sicher angesehen werden können», sagt er.
Eine Studie der MIT-Physikerin Lydia Bourouiba, veröffentlicht bereits Ende März im Journal der American Medical Association (https://jamanetwork.com/journals/jama/fullarticle/2763852), kommt zu dem Schluss, dass die landläufig empfohlenen Abstände nicht einmal bei stehenden Personen ausreichen könnten. Sie integrierte in ihre Studie ein Video, das in Zeitlupe demonstriert, wie eine Tröpfchenwolke nach einem heftigen Niesanfall sich auf bis zu acht Meter ausbreitet. Wie häufig in der Praxis derartige explosionsähnliche Nieser vorkommen und wie hoch die tatsächliche Infektionsgefahr ist, diskutierte Bourouiba nicht.
Was bedeuten diese Studien nun für den Sport? «Läufer und Velosportler sollten sich nebeneinander aufhalten und nicht hintereinander. Auch versetzt hintereinander ist man relativ sicher», sagt Blocken. Befindet sich vor dem Gesicht ausreichend Abstand, wäre man sogar vor den Niesanfällen, die Bourouiba hochauflösend fotografiert hat, weitgehend geschützt.
Und wenn es windet?
Welchen Einfluss Seitenwind, Rückenwind und Gegenwind auf die Ausbreitung der Tröpfchenwolken haben, haben die Aerodynamiker bisher nicht untersucht. Ebenso wenig die Effekte von Masken. «Das ist sehr kompliziert. Es gibt viele unterschiedliche Masken, und es hängt auch davon ab, wie man sie aufsetzt», sagt Blocken. Dass die Gefahr durch das Tragen von Masken reduziert werden kann, hält er aber für wahrscheinlich. Könnte das auch eine Massnahme für den Profisport sein, die Tour de France als Maskenrennen also? «Ich sage nicht Nein. Es kann tatsächlich helfen», meint Blocken.
Für die Alltagspraxis lässt sich aus den Untersuchungen ableiten: Auf die Vorteile des Laufens und Fahrens im Windschatten sollte man unbedingt verzichten.
Mehr zum Thema: Coronavirus: So halten Sie sich fit
Fitnesscenter und Sportvereine haben ihren Betrieb eingestellt. Das tägliche Training muss zu Hause stattfinden. Tipps und Anleitungen für das Fitnessprogramm in den eigenen vier Wänden.
13. Januar 2020
Intoleranz gegenüber Menschen der LGBT-Gemeinschaft
Es erstaunt wohl kaum, dass neueste Umfragen herausgefunden haben, dass die Toleranz gegenüber homosexuellen Männern und Frauen bei vielen nicht existiert. Echte Toleranz ist ja generell eine waklige Sache, die gewisse Leute überhaupt nicht kennen und im zwischenmenschlichen Bereich schon gar nicht ausleben. Ich mache immer wieder die Erfahrung, dass vor allem Leute, die ein geringes Selbstwertgefühl besitzen, dann eben rund um ihre Mitmenschen alles andere ausleben als wirkliche Toleranz. Gelebte Intoleranz zeigt sich im aktiven Sinne ja vor allem auf der Ebene von Mobbing und jeder weiteren Art von Hassaktivität. Mobbing - im weiteren Sinne ja ein Ausleben von hasserfüllter Ausgrenzung - muss sich ja nicht unbedingt nur im beruflichen Alltag abspielen. So etwas gibt es bekanntlich zum Beispiel auch im nachbarlichen Zusammenleben. Mir sind Fälle bekannt, da dies tatsächlich sehr aktiv ausgelebt wurde und wird. Da muss zum Beispiel in einem Haus jemand – Frau oder Mann – eine Meinung vertreten, die eine andere Partei (oder sogar mehr als eine) in die Nase sticht. Und voilà: dann geht’s los! Und dann werden die primitivsten Instinkte aktiv ausgelebt!
Der heutige Artikel in der NZZ «Hassschreiben, Pöbeleien, Prügel – so homophob ist die Schweiz» bezieht sich auf eine Untersuchung der ZHAW (Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften) und zeigt die Situation rund um die Homophobie. Es ist weit gefehlt, wenn wir denken, dass heute in unserer aufgeklärten Gesellschaft homosexuelle Mitmenschen ein besseres Leben hätten, als noch vor einigen Jahrzehnten. Aktive Homophobie wird immer wieder ausgelebt, auch auf der Ebene von physischen Attacken jeder Art.
Wenn niemand zuschaut, wenn sich labile, primitive Leute unbeobachtet fühlen, kommt oft feige Feindlichkeit gegen Schwule und Lesben zum Vorschein: So homophob ist die Schweiz!
Zehn Prozent aller Erwachsenen in der Schweiz halten Homosexualität für unmoralisch. Das zeigt eine neue Untersuchung. Angst vor Prügel, verbale Attacken sowie Hassschreiben gehören für Schwule und Lesben in der Schweiz zum Alltag.
NZZ Daniel Gerny 13.01.2020, 05.30 Uhr
Händchenhalten in der Öffentlichkeit ist für Schwule oft mit einem mulmigen Gefühl verbunden.
Max Rossi / Reuters
Als Roman Heggli an einem Sommerabend im letzten Jahr mit seinem Freund Hand in Hand durch Zürich spaziert, verringert ein Auto auf der gleichen Strasse kurz die Geschwindigkeit. Der Beifahrer kurbelt die Scheibe hinunter und schreit nach draussen: «Ihr dreckigen Schwuchteln!» Dann beschleunigt der Wagen und verschwindet.
«Fast jeder Schwule kann von solchen Erfahrungen erzählen», sagt Heggli, der Geschäftsführer von Pink Cross ist, dem Dachverband der schwulen und bisexuellen Männer. Ist es dunkel, oder schaut niemand zu, weil der Ort abgelegen ist, bricht Hass hervor – feige Feindseligkeit gegen alle, die dem traditionellen Familienideal nicht entsprechen. Heggli weiss deshalb genau, in welchen Momenten er darauf verzichten sollte, seinem Freund zu nahe zu kommen, und meint: «Ich habe oft ein mulmiges Gefühl.»
Homophobie auch bei Jugendlichen
Unbegründet sind Hegglis Befürchtungen nicht. Eine bisher unveröffentlichte Untersuchung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften (ZHAW) zeigt, dass Homophobie verbreiteter ist, als es auf Anhieb erscheint. So bezeichnen immerhin 10,8 Prozent aller Erwachsenen in der Schweiz Homosexualität als unmoralisch, wie Dirk Baier vom Institut für Delinquenz und Kriminalprävention an der ZHAW in seiner repräsentativen und schriftlich erfolgten Befragung vom letzten Jahr erhob. 22,7 Prozent sind der Ansicht, dass Ehen zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren nicht erlaubt sein sollen. Immerhin deutet dies auch darauf hin, dass fast 80 Prozent einer entsprechenden Änderung des Zivilgesetzbuches offen gegenüberstehen.
Wer aber glaubt, dass Homophobie ein Phänomen der älteren Generation sei, täuscht sich: In einer Jugendbefragung von 2017 äusserten sogar 14,3 Prozent der Befragten die Ansicht, Homosexualität sei unmoralisch. Die Ehe zwischen gleichgeschlechtlichen Paaren lehnten 29,9 Prozent ab. Und 23,3 Prozent bezeichneten es als ekelhaft, wenn sich Homosexuelle in der Öffentlichkeit küssten. Interessant ist dabei, welche Bevölkerungsgruppen besonders anfällig für eine homophobe Einstellung ist: Männer neigen dazu eher als Frauen (bei der Jugendbefragung war dieser Wert bei männlichen Befragten doppelt so hoch wie bei Frauen). Eine höhere Bildung schützt laut Baier dagegen vor Homophobie. Befragte, die Transferleistungen beziehen, erwiesen sich als anfälliger.
Bekannt ist ausserdem, dass Migranten eher zu homophoben Einstellungen neigen, wobei bestimmte Herkunftsregionen besonders einschlägig sind. Baiers Untersuchung bestätigt dies: Bei Erwachsenen aus Süd- und Osteuropa ist der Mittelwert auf der Homophobie-Skala deutlich höher als bei Personen aus der Schweiz. Dabei fallen als Herkunftsländer vor allem Kosovo und Nordmazedonien, aber auch Italien mit hohen Werten auf. Nicht überraschend ist, dass Religiosität Homophobie begünstigt – und zwar unabhängig von der Religionszugehörigkeit.
«. . . solches unbelehrbares Pack!»
Solche Einstellungen allein bedeuten allerdings noch nicht, dass sich die betreffenden Personen in der Öffentlichkeit auch abschätzig über Schwule und Lesben äussern oder gar tätlich werden. Dass diese Hemmschwelle regelmässig überschritten wird, zeigte sich in der Silvesternacht erneut: Ein schwules Paar wurde mitten im Zürcher Niederdorf angegriffen und spitalreif geprügelt. Wie fliessend die Grenze zwischen homophober Einstellung und Gewalt ist, zeigt ein Schreiben, das nach der Attacke bei Pink Cross einging – anonym. «Dass Sie vermehrt öffentl. angegriffen werden, halten wir als normal, da Sie die Öffentlichkeit mit Ihrem Verhalten stören!», schreibt der Autor, der trotz holprigem Deutsch mit seinem Doktortitel prahlt. «In div. Ländern wird solches unbelehrbares Pack mit Recht verfolgt!»
Statistisch messen lässt sich offen geäusserter Schwulenhass allerdings nur ansatzweise. So existieren nicht einmal Zahlen darüber, welche Straftaten homophob motiviert sind: Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst die Hintergründe und Motive nicht. Doch es gibt deutliche Hinweise darauf, wie verbreitet Hate-Crime gegen Schwule, Lesben, Transgender und Bisexuelle ist. Bei Pink Cross beispielsweise gehen jede Woche zwei Meldungen ein – von Anpöbeleien und Hate-Speech im Internet bis hin zu handfesten Drohungen oder gar körperlicher Gewalt.
«Keine Beweise»
Dieses Ausmass entspricht ziemlich genau den Zahlen einer Untersuchung, die im vergangenen Mai veröffentlicht wurde. Während eines guten Jahres wurden LGBT-People dazu aufgefordert, Vorfälle zu melden. Mit einem standardisierten Fragebogen wurden diese erfasst und ausgewertet. 95 Meldungen gingen ein. In 78 Fällen wurden die Opfer beleidigt und beschimpft, oft verbunden mit Androhung von Gewalt (30 Fälle). In 30 Fällen kam es zu körperlicher Gewalt, in einem Fall gar mit einer Waffe. Ebenso erschreckend: In 9 Fällen klagten die Betroffenen über verweigerte Hilfeleistung durch die Behörden oder im Gesundheitswesen. Auch Kündigungen der Arbeitsstelle (5 Fälle) oder der Wohnung (4) wurden gemeldet.
Und obschon in erster Linie strafrechtlich relevante Fälle gemeldet wurden, landeten die wenigsten bei der Polizei – nämlich nur 18. Die Antworten auf die Frage, weshalb die Betroffenen von einer Anzeige abgesehen hätten, offenbaren erneut, wie schwer fassbar Schwulenhass ist: «Wir waren erst mal froh, körperlich unbeschadet in Sicherheit zu sein», antwortet eine betroffene Person. «Danach haben wir bemerkt, dass wir überhaupt keine handfesten Beweise haben, die uns bei den Behörden irgendwie weiterhelfen könnten.»
Die Angriffe auf Schwule und Lesben in der Stadt Zürich mehren sich. Eine schweizweite Bewegung von Party-Veranstaltern wehrt sich.
Linda Koponen 03.01.2020
Weshalb die Strafnorm gegen Schwulen- und Lesben-Hetze keine gute Idee ist
Die Argumente, mit denen konservative Kräfte gegen die Strafbarkeit von Hassreden gegen Homosexuelle kämpfen, sind scheinheilig. Doch die Frage, was die schrittweise Ausweitung der Rassismusstrafnorm bringen soll, ist berechtigt.
Daniel Gerny 07.12.2019
10. Januar 2020
Wir Menschen bestehen bekanntlich aus zwei Komponenten: unserem Körper und unserer Seele. Was tatsächliche «Seele» ist könnte diskutiert werden. Aber sagen wir einmal: wir sind auf unseren Körper – neben dem Geistigen, unserem Bewusstsein etc. – in unserem irdischen Leben angewiesen. Dieser Körper kann uns aber durch Krankheiten, aber auch durch Abnutzung im Laufe der Jahre, Probleme machen. Wie gehen wir damit um?
Ein körperliches «Problem» ist unser Skelett, v.a. unsere Gelenke, die garantieren, dass wir uns einigermassen flink bewegen können. Und da sind wir bei unseren Gelenken, die mit höherem Alter bei vielen von uns zum «Problem» werden.
Arthrose, so wird immer wieder behauptet, ist eine (Schweizer) Volkskrankheit. Viele Menschen in diesem Alter leiden – vor allem im höheren Alter – unter Abnutzung der Gelenke. Dabei stellen sich die Fragen: Kann man dagegen etwas machen? Wie kann man – zB schmerzfrei – mit Arthrose gut leben? Wann ist eine Operation mit künstlichen Gelenken angebracht?
Mir persönlich sind vorschnelle Empfehlungen für eine Gelenkoperation etwas unheimlich. Mir scheint, dass nicht selten ein Chirurgen-Ehrgeiz (möglicherweise auch ein kommerzieller Wunsch, durch Operationen zu Geld zu kommen) im Vordergrund so einer «Empfehlung» steht.
Arthrose-Ursachen:
7 Risikofaktoren für die Gelenkabnutzung
Arthrose kann nicht geheilt, aber behandelt werden! Wenn Sie die Ursache der Gelenkabnutzung kennen, können Sie Arthrose-Schmerzen spürbar lindern.
Das sind die 7 Risikofaktoren für Arthrose:
Arthrose entsteht, wenn sich die Knorpelmasse im Gelenk verringert und die Knochen aneinander reiben. Rund 5 Millionen Menschen in Deutschland leiden unter Arthrose-Beschwerden.
Häufigste Ursachen von Arthrose sind Übergewicht, erbliche Veranlagungen und Verletzungen, wie z. B. Meniskusschäden. Gelenke, die unter Gewichtsbelastung stehen, werden am meisten in Mitleidenschaft gezogen. Dazu gehören Knie, Füße und die Hüfte. Beim Gehen oder Treppensteigen halten sie eine Menge aus.
Arthrose ist nicht immer die Ursache von Gelenk-Schmerzen. Um sich aber zu vergewissern, ist ein Besuch beim Arzt vonnöten. Eine Wiederherstellung des Knorpelgewebes ist zwar nicht möglich, aber zumindest kann ein Fortschreiten der Krankheit hinausgezögert werden.
Dieser Text ist sozusagen eine Reklame für eine Broschüre und auch für eine Behandlungsmethode.
Aber was ist Arthrose ganz genau: Hier ein Link zu WIKIPEDIA https://de.wikipedia.org/wiki/Arthrose
Der folgende Text über Arthrose-Erkrankung, und wie man damit umgehen kann, entnehme ich der Bluewin-Information. Vielleicht kann er für den einen oder anderen Leser hilfreich sein:
Liebe Leserin,
lieber Leser,
das Hüftgelenk ist das Gelenk in Ihrem Körper, das am stärksten belastet wird. Egal, ob Sie stehen, sitzen, sich drehen, bücken − an jeder dieser Bewegungen ist das Hüftgelenk beteiligt. Und sogar im Liegen wird die Hüfte − je nach Schlafposition − beansprucht.
Das heißt im Umkehrschluss: Ist das Gelenk einmal angegriffen wird jede Bewegung zur Qual. Es treten immense Schmerzen ein, die eine erhebliche Einschränkung der der Lebensqualität bedeuten.
Das muss nicht sein, denn tatsächlich können die Beschwerden auch wieder zum Stillstand
kommen, wenn die Gelenke richtig be- und entlastet werden.
Bewegung regt die Gelenkinnenhaut an, wieder Gelenkschmiere zu bilden, die den Knorpel ernährt. Kombinieren Sie also gelenkschonende Bewegung, die den Gelenkknorpel wieder aufbaut mit effektiven naturheilkundlichen Maßnahmen, sind Sie auf einem sicheren Weg, Ihre Schmerzen in den Griff zu bekommen und einen schwerwiegenden Eingriff um Jahre hinauszuzögern, wenn er nicht sogar ganz hinfällig wird.
Bei einer Hüftarthrose rate ich Ihnen, es mit Schwimmen, Radfahren und Aquajogging zu probieren. Fangen Sie sanft an und steigern Sie Ihr Pensum nach einiger Zeit.
Mit diesen 3 Übungen stärken Sie ganz nebenbei Ihre kranken Hüftgelenke
Mein Tipp
Am Anfang kann es hilfreich sein, wenn Sie ein Schmerzmedikament einnehmen, wenn Sie "sporteln". Das werden Sie aber nach kurzer Zeit regelmäßigen Trainings nicht mehr benötigen.
Wenn Ihnen Arthrose-Beschwerden das Leben zur Qual machen …
… Ihnen die Lebensfreude rauben, die Beweglichkeit zunehmend einschränken und Ihr Arzt sogar schon von Operationen und Spritzen spricht –dann klicken Sie lieber gleich hier!
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oder schmerzenden Gelenken
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Akupunktur gegen Ihre chronischen Schmerzen
Akupunktur ist eine Behandlungsmethode der traditionellen chinesischen Medizin. Auch bei Arthrosebeschwerden
zeigt die Akupunktur Wirkung: Die behandelten Patienten verspüren eine starke Linderung der Beschwerden.
In der chinesischen Medizin sind Schmerzen nichts anderes als Blockaden. Blockiert oder verstopft sind bei einem erkrankten Menschen die Meridiane, in denen die Lebensenergie Qi fließt. Die Akupunktur dient dazu, die Meridiane wieder durchgängig gemacht. Die Meridiane werden bei der Akupunktur mit feinen Nadeln gestochen, um den Fluss anzuregen und damit die Faktoren, die den Körper schädigen, zu eliminieren.
Alle Untersuchungen zeigen, dass Arthrosepatienten bei einer Behandlung mit Akupunktur deutliche Besserungen verspüren. Auch die Anzahl der Tage, an denen die Patienten akute Schmerzattacken hatten, reduzierte sich enorm. Testen Sie diese fabelhafte Behandlungsmethode doch auch aus und profitieren sie von der enormen Besserung der Bewegungs- und Belastungsschmerzen. Und dies sogar noch Monate nach der Therapie!
Bei Kniegelenkarthrose übernehmen die Kassen heutzutage die Kosten. Bei Hüftgelenksarthrose leider nicht. Rechnen Sie mit 40 € pro Sitzung.
So profitieren Sie von den heilenden Kräften des Fastens
Bei vielen Arthroseerkrankten führt Heilfasten zu einer erheblichen
Linderung der Beschwerden. Das ist darauf zurückzuführen, dass Sie keine Arachidonsäure zu sich nehmen, die vor allem in Lebensmitteln tierischer Herkunft enthalten ist. Es konnte beobachtet werden, dass bereits nach zwei Tagen nahezu zwei Drittel
weniger entzündungsauslösende Stoffe gebildet werden. Außerdem erhöht sich der Cortisonspiegel im Blut signifikant, dass wiederum eine entzündungseindämmende Wirkung hat.
Entscheidend beim Heilfasten ist, dass Sie auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr (mindestens zwei, besser drei Liter täglich) achten. Dafür eignen sich vor allem Mineralwasser, Molke, Tee oder Gemüsesäfte. Die Zufuhr fester Nahrung können Sie entweder von einem auf den anderen Tag komplett einstellen oder aber Sie reduzieren nach und nach. Dies hängt unter anderem davon ab, wie lange Sie fasten möchten. Wollen Sie die Kur länger als drei Tage durchführen, empfehle ich Ihnen, die Nahrungsaufnahme schrittweise zu reduzieren und nach Beendigung auch wieder schrittweise aufzunehmen. Bei einer über zwei Wochen praktizierte Fastenkur sollten Sie auch unbedingt vorher Ihren Arzt konsultieren.
Zusätzlicher positiver Effekt ist eine Gewichtsreduktion, die die Gelenke entlastet. Vorteilhaft ist auch, dass es Ihnen nach dem Fasten wahrscheinlich sehr viel leichter fällt, Ihre Ernährung umfassend zu ändern. Und zwar weg von sehr fetthaltiger, tierischer Kost, hin zu fettarmer und größtenteils pflanzlicher Nahrung.
So wirkt Osteopathie bei Arthroseschmerzen
Die Osteopathie ist eine Möglichkeit, sanft gegen die zermürbenden Schmerzen anzugehen. Entwickelt wurde sie aus dem Gedanken heraus,
dass der Körper ein ganzheitliches System ist. Haben Sie an einer Stelle des Körpers Schmerzen, entwickeln sich daraus an einer anderen Stelle ebenfalls Schmerzen oder Erkrankungen, weil alle Vorgänge im Körper ineinander greifen. Ein Beispiel:
Bewegen wir den Fuß, setzen wir einen ganzen Bewegungsapparat in Gang. Die Kette der Bewegungen verläuft dabei vom Fuß bis zur Schulter. Hat ein Kettenglied auf diesem Weg eine Störung, führt dies unwillkürlich dazu, dass diese
in weit entfernt liegende Körperpartien weiter getragen wird und dort Beschwerden auslöst. Auch eine Erkrankung der Organe kann ein Auslöser dieses Prozesses sein.
Der Osteopath versucht nun, diese Beeinträchtigung in der Bewegungskette zu finden und sanft zu korrigieren. Durch Abtasten geht der Osteopath Bewegungseinschränkungen auf den Grund und löst sie in mehreren Behandlungen.
Ziel ist es, durch die Wiederherstellung der Beweglichkeit die Schmerzen verschwinden zu lassen, was in der Regel auch gut funktioniert. Je nach Schwere der Erkrankung müssen Sie mit drei bis zehn Behandlungen rechnen. Die Behandlungen werden bis dato nicht von den Krankenkassen übernommen. Rechnen Sie mit 80 € pro Sitzung.
Magnetfeldtherapie
– Regt den Knorpel zur Regeneration an
Die Magnetfeldtherapie verbesset einerseits die Sauerstoffaufnahme und der Stoffwechsel in den Zellen und aktiviert andererseits die Selbstheilungskräfte. Die Magnetfeldtherapie
zielt also darauf ab, die Vorgänge in der Zelle zu normalisieren und zu aktivieren.
Es ist mehrfach untersucht und erwiesen, dass die Behandlung vor allem bei Verschleißerscheinungen an Gelenken, Arthrose und Osteoporose zur Regeneration beiträgt.
Der Arzt ortet den Schmerzherd und stimuliert ihn mit Hilfe des erzeugten Magnetfelds. Dies führt nach ungefähr zehn bis fünfzehn Sitzungen dazu, dass der Heilungsprozess einsetzt..
Allerdings müssen Sie auch hier damit rechnen, dass Ihre Krankenkasse, sowohl die gesetzlichen als auch die privaten, die Behandlungskosten nicht übernimmt. Pro Sitzung berechnen die Ärzte ca. 30 €, die Sie selbst tragen müssen.
Mein Fazit für
Sie
Leider werden diese alternativen Therapien − trotz erwiesener Wirksamkeit − von der Schulmedizin
oft stiefmütterlich behandelt. Das sollte Sie jedoch nicht davon abhalten, die beschriebenen Naturheilverfahren auszuprobieren
− sinnvollerweise in Kombination mit Nahrungsergänzungen, die den Prozess von innen unterstützen. Denken Sie immer daran. Es geht um Ihre Gesundheit! Nehmen Sie diese selbst in die Hand! Das ist immer die bessere Alternativen zu Schmerzmitteln
und fehlerträchtigen Gelenkoperationen!
Mit den besten Grüßen für Ihre Gelenkgesundheit
Ihre
Maria von Rohrer,
Gesundheitsberaterin
Bestprovita B.V.
Impressum
Bestprovita B.V.
Vogt 21
6422 RK Heerlen
Niederlande
info@bestprovita.com
9. Dezember 2019
Richard David Precht ist allen, die Bestsellers in Sachen Philosophie und alltäglicher "Lebenweisheiten" in TV und auf dem Büchermarkt verfolgen.
Schauen Sie sich das folgende YouTube von Richard David Precht an, das von ihm im Rahmen des Stuttgarter Dialogs aufgenommen wurde. Richard David Precht ist ein echter Showman, und es ist ein Vergnügen, ihm mit seinen "Weisheiten" zu folgen:
https://www.youtube.com/watch?v=on-O5v3UcBk
25. November 2019
Unsere Träume
Wer erlebt sie nicht, die Albträume, die uns nicht selten im Schlaf aufschrecken und eine Gänsehaut erzeugen? Jeder von uns kennt sie. Aber woher kommen sie, was wollen sie uns sagen.
Der folgende Bericht findet eine Antwort auf diese Frage:
Schlechte Träume bereiten uns wahrscheinlich auf reale Ängste vor
25.11.2019 - 18:02, SDA/uri
Wer häufig unter schlechten Träumen leidet, wird es fast nicht glauben mögen: Sie haben offenbar durchaus einen Nutzen.
Beängstigende Träume haben womöglich eine durchaus positiven Effekt, wie Genfer Forschende herausgefunden haben. Sie härten die Träumenden wahrscheinlich für negative Erlebnisse in der Realität ab.
Wo im Gehirn entstehen schlechte Träume? Dieser Frage ist ein Forschungsteam um Lampros Perogamvros und Sophie Schwartz von der Universität und den Universitätsspitälern Genf (HUG) nachgegangen. Ihre Studie zeigt, welche Hirnareale bei beängstigenden Träumen aktiv sind. Und dass dies womöglich auch für den Wachzustand abhärtet, wie die Forschenden im Fachblatt «Human Brain Mapping» berichten.
Die Forschenden zeichneten die Hirnaktivität von 18 Probanden beim Schlafen auf. Dazu trugen die Testpersonen Kappen mit 256 Elektroden, die ein sogenanntes Elektroenzephalogramm (EEG) aufzeichneten, wie die Uni Genf und die HUG in einer gemeinsamen Mitteilung vom Montag schrieben. Während der Nacht weckten die Forschenden die Probanden mehrfach und befragten sie zu ihren Träumen.
Böses Erwachen - Wenn aus Albtraum Realität wird
Anhand des Aussagen identifizierten die Forschenden zwei Hirnareale, die insbesondere mit beängstigenden Träumen zusammenhängen: die sogenannte Inselrinde und den Gyrus cinguli. Im Wachzustand – und den neuen Ergebnissen zufolge offenbar gleichermassen im Traum – spielt die Inselrinde eine Rolle bei der Bewertung von Emotionen, der Gyrus cinguli beim Vorbereiten motorischer Reaktionen auf eine Bedrohung.
Angstvolle Träume härten ab
In einem nächsten Schritt untersuchten die Wissenschaftler, ob sich das Erleben von Angst im Traum auf die Gefühlsregungen der Probanden im Wachsein auswirkten. Dafür liessen sie 89 Probanden eine Woche lang ein Traumtagebuch führen und die Art ihrer Träume jeden Morgen nach dem Aufwachen festhalten.
Anschliessend massen sie die Hirnaktivität der Probanden mittels Magnetresonanztomografie, während sie ihnen beängstigende Bilder, beispielsweise von gewalttätigen Übergriffen zeigten. Der Fokus lag dabei auf Hirnarealen, die an der Verarbeitung von Emotionen beteiligt sind, wie die Inselrinde, die Amygdala, der mediale präfrontale Cortex und der Gyrus cinguli.
Sensations-OP Auf Eis gelegt: Ärzte versetzen Mann in Scheintod – und holen ihn zurück
Tatsächlich stellten die Forschenden fest, dass Inselrinde, Gyrus cinguli und Amygdala umso weniger auf die beunruhigenden Bilder reagierten, je schlechter die jeweilige Person in der Woche zuvor geträumt hatte. Der mediale präfrontale Cortex hingegen, der die Angstreaktion der Amygdala hemmt, war hingegen umso aktiver.
Im Traum üben für die Realität
Die Ergebnisse bestätigen eine neurowissenschaftliche Theorie, dass Menschen beängstigende Situationen im Traum simulieren, um in der Realität besser zu reagieren. Nun wollen die Forschenden prüfen, ob sich auf dieser Basis eine Therapie gegen Angststörungen entwickeln liesse.
Ausserdem wollen sie auch den Effekt von Albträumen besser erforschen. Bei Albträumen übersteigt die Angst das Level von schlechten Träumen und stört den Schlaf. Wenn die Furcht im Traum einen gewissen Schwellenwert überschreite, verliere sie wahrscheinliche ihre hilfreiche Funktion, so Perogamvros.
https://de.wikipedia.org/wiki/Albtraum
22. November 2019
Was passiert mit der „Künstlichen Intelligenz“, was mit den „Algorythmen“? Wie sieht die menschliche Zukunft im Zusammenhang mit allen Social Medias aus? Werden wir in absehbarer Zukunft vollkommen fremdbestimmt unser Leben gestalten müssen?
Das NZZ-Interview von Christiane Hanna Henkel mit dem in Standford lehrensde Psychologie-Professor Michal Kosinski streift diese Themen:
«Facebook ist phantastisch für die Demokratie»
Der in Stanford lehrende Psychologieprofessor Michal Kosinski fordert, dass wir uns endlich von der Privatsphäre verabschieden. Und uns der wahren Bedrohung zuwenden: Künstlicher Intelligenz.
Christiane Hanna Henkel NZZ 21.11.2019, 05:30 Uhr
Michal Kosinski könnte Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Nur indirekt, aber mit dem Vorwurf muss er seit Trumps Wahlsieg im Jahr 2016 leben. Denn Kosinski ist ein Psychologe, der mithilfe des Analysierens von Daten in das Innere unserer Herzen und Köpfe vordringt.
Die ganze Geschichte beginnt Mitte der 2010er Jahre, als Kosinski am renommierten Zentrum für Psychometrie an der Universität Cambridge arbeitet. Er findet heraus, dass Algorithmen mit nur wenigen auf Facebook gegebenen Likes ein umfassendes Persönlichkeitsprofil des Nutzers erstellen können.
Diese Methode wendet später die Wahlkampffirma Cambridge Analytica für Trump in abgewandelter Form an. Sie nutzt für die Kampagne widerrechtlich über Facebook gewonnene persönliche Daten. Das kommt im Rahmen der Cambridge-Analytica-Affäre im Frühjahr letzten Jahres an die Öffentlichkeit. Die Empörung über Facebooks legeren Umgang mit Nutzerdaten ist gross. Kosinski wird unfreiwillig in den Strudel der Ereignisse mit hineingerissen. Heute lehrt und forscht der gebürtige Pole an der Universität Stanford.
Herr Kosinski, Sie fordern, die Privatsphäre aufzugeben. Was bedeutet Privatsphäre eigentlich für uns Menschen?
Für den grössten Teil der Menschheitsgeschichte gab es so etwas wie Privatsphäre nicht. Wir lebten in kleinen Gruppen in der Savanne, und es gab keine Rückzugsmöglichkeiten. Alles, was in der Gemeinschaft geschah, spielte sich vor den Augen aller ab. So ähnlich war – und ist noch heute – das Leben auf dem Land. Erst das Leben in der Stadt hat uns Privatsphäre ermöglicht. Das hat seine Vorteile im Vergleich zum Leben in der Gruppe in der Savanne. Wenn wir zum Beispiel Ansichten vertreten, die von einer Gruppe nicht geteilt werden, wären wir in der Savanne möglicherweise ausgegrenzt worden. Das Stadtleben hingegen bietet den Schutz der Anonymität und damit enorme Freiheiten.
Warum sollten wir diese Freiheiten aufgeben?
Zum einen müssen wir aufhören, diese Thematik schwarz-weiss zu betrachten. So ist das Individuum in der Dorfgemeinschaft zwar weniger frei, aber die Gemeinschaft wird zusammengehalten durch eine Art sozialen Klebstoff: Inakzeptables Fehlverhalten kann relativ schnell erkannt und geahndet werden. Im Stadtleben ist dieser soziale Klebstoff weniger vorhanden, und Menschen neigen mehr zu Fehlverhalten wie Diebstahl. Dafür haben sie aber auch mehr Freiheiten. Es ist immer ein Trade-off. Zum andern aber müssen wir uns bewusst werden, dass es keinen Weg mehr zurück gibt. Das realisiert man erst, wenn man versteht, wie moderne Technologie funktioniert und welche Vorteile Big Data und Algorithmen uns bieten.
Warum gibt es keinen Weg mehr zurück?
Die aufkommende Landwirtschaft beispielsweise hatte für die Gesellschaft nebst Vorteilen auch sehr hohe Kosten. So konnten sich die Menschen nun ausreichend ernähren, die Bevölkerung wuchs. Auf der anderen Seite führte die Sesshaftigkeit dazu, dass es nun verstärkt Kriege gab: Die Bauern konnten den Feinden ja nicht entfliehen, sonst hätten sie ihr Land verlassen müssen. Auch waren sie schlechtem Wetter ausgesetzt, dem sie ja nicht ausweichen konnten. Und so ist und war es mit vielen neuen Technologien: Zunächst bringen sie uns Nachteile. Aber es gibt keinen Weg zurück. Die sesshafte Landbevölkerung konnte nicht mehr zu Nomaden werden, dazu war sie viel zu gross geworden.
Heisst das, dass wir erst durch eine lange Periode der Misere gehen müssen, bevor sich neue Technologien wie Big Data und KI auszahlen?
Ja, wir werden die Schattenseiten der Technologien zu spüren bekommen. Aber es gibt keinen Weg zurück, auch nicht für Europa. Was, meinen Sie, wird in China, Russland oder in den USA passieren? Dieser Fehler ist schon einmal in Europa begangen worden, und das ist der Grund, warum es Firmen wie Google oder Facebook eben nicht in Europa, sondern in den USA gibt. Und da die USA in Regulierungsfragen Europa folgen wollen, werden die Firmen bald nach China ziehen beziehungsweise dort gegründet werden. Wenn wir nicht aufpassen, werden die Amerikaner und die Europäer bald chinesische Tech-Dienstleistungen nutzen – weil die dank den generierten Datenmengen einfach besser sein werden. Amerika und Europa drohen zu den Verlierern der Digitalisierung zu werden, weil sie etwas versuchen zu schützen, was man nicht mehr schützen kann: die Privatsphäre.
Was bekämen wir dafür, wenn wir unsere Privatsphäre aufgäben?
Die neuen Dienstleistungen und Produkte, die auf dem Sammeln von Daten basieren, bereichern unser Leben enorm. Natürlich ist es unheimlich, wenn unsere genetischen Daten gesammelt werden, aber auf der anderen Seiten können so Krankheiten leichter erkannt und behandelt werden. Anstatt das Unausweichliche zu bekämpfen, sollten wir es gestalten.
Wie sollen wir eine Gesellschaft gestalten, in der uns unsere Daten nicht mehr gehören?
Das Problem ist eben nicht, dass unsere persönlichen Daten nicht mehr in Datenbanken versteckt sind, sondern was mit ihnen gemacht werden kann. Versicherungskonzerne könnten DNA-Daten nutzen, um Kunden mit genetischen Defekten vom Versicherungsschutz auszuschliessen. Wenn nun aber die Branche so reguliert wäre, dass die Versicherung verpflichtet wäre, alle Kunden zu versichern, dann wäre es im Interesse der Versicherung, die Interessen des Kunden zu vertreten und dem Kunden zu helfen, mit dem Gesundheitsrisiko bestmöglich umzugehen. Wie viele Menschenleben könnte man retten, wie viele Kinder schützen, wenn man Zugang hätte zu den Suchanfragen auf Google: Wenn dort jemand nach Methoden sucht, um sich umzubringen, oder ein Kind fragt, ob es normal sei, dass es von einem Erwachsenen an den Genitalien angefasst worden sei, dann könnte die Suizid- und Missbrauchsprävention einschreiten. Aber das gäbe natürlich einen riesigen Aufschrei der Datenschützer.
Wir würden uns schnell in Richtung Überwachungsstaat bewegen.
Es herrscht in der Diskussion eine grosse Scheinheiligkeit. Wir dürfen solche Daten nicht nutzen, um Leben zu retten. Aber Facebook und Google dürfen die Daten nutzen, um uns allen möglichen Mist zu verkaufen.
Lassen Sie uns über die Präsidentenwahlen in den USA im kommenden Jahr sprechen. Befürchten Sie, dass die Wähler über die sozialen Netzwerke von den Kandidaten, anderen Politikern oder gar dunklen Kräften aus dem Ausland manipuliert werden?
Nein, die sozialen Netzwerke sind phantastisch für die Demokratie. Diese Angst, dass etwa Facebook zum Werkzeug der Massenmanipulation wird, ist ein weiteres Beispiel dafür, dass sich heute viele über Probleme aufregen, die gar keine sind, und die Leute die wirklichen Probleme ausser acht lassen. Nehmen wir Fake-News. Natürlich gibt es Falschnachrichten. Es gibt davon sehr viel mehr als früher, weil jeder im Internet diese zum Besten geben und sie etwa über die sozialen Netzwerke hundert- oder millionenfach verbreiten kann. Die Frage ist doch aber, ob ein Bürger im Durchschnitt heute mehr diesen Falschnachrichten glaubt, als er es früher getan hätte. Die Menschen sind heute so gut informiert wie noch nie zuvor. Natürlich gibt es immer auch einmal einen Rückschlag, wie es die Anti-Impf-Kampagne gezeigt hat; aber der Trend ist eindeutig.
Dann gehen Sie davon aus, dass es ebenfalls ein Mythos ist, dass Menschen über das Internet und Plattformen wie Facebook oder Twitter radikalisiert werden?
Ja, weltweite Umfragen über Werte und Ansichten zeigen, dass die Menschen generell in diesem Bereich in eine Richtung gehen: Immer mehr Menschen setzen sich für Menschenrechte ein, für Demokratie oder für die Rechte von Homosexuellen. Und das auch, dank den im Internet vorhandenen Informationen. Das ist ein enormer Fortschritt.
Wenn man nach Amerika schaut oder auf den Populismus, dann deutet das doch auf eine gewisse Spaltung hin.
Dann schauen Sie einmal fünfzig Jahre zurück. Da hatten wir in Europa noch den Eisernen Vorhang. Das war eine echte Spaltung. Oder blicken wir nach Amerika. Es ist noch nicht lange her, dass es in dem Land zwei Fraktionen gab, von denen die eine der Minderheit der Afroamerikaner die vollen Bürgerrechte vorenthalten wollte. Diese fundamentale Spaltung ist überwunden. Heute diskutiert Amerika darüber, ob die Gesundheitsversorgung 80 oder 100 Prozent der Bürger abdecken soll. Das sind doch Nuancen. Natürlich wird heute sehr laut gestritten. Aber das kommt daher, dass der Zugang zu Kommunikationskanälen durch die sozialen Netzwerke und das Internet im Allgemeinen demokratisiert ist.
In Ihrer Forschung haben Sie gezeigt, dass es nur wenig Datenpunkte braucht, um wesentliche Merkmale einer Persönlichkeit herauszufinden. Wie gross schätzen Sie die Gefahr ein, dass diese Erkenntnisse im nächsten amerikanischen Wahlkampf missbraucht werden und die Kandidaten oder ausländische Akteure mit auf das Individuum abgestimmten Falschinformationen eine Art Gehirnwäsche vornehmen?
Das ist doch lächerlich. Es ist eine gute Sache, wenn sich die Politiker an jeden einzelnen Wähler mit einer individuellen Botschaft wenden können. Stellen Sie sich vor, ein Politiker hätte die Möglichkeit, im Wahlkampf an fast jede Haustüre zu klopfen und mit dem Bürger ein Gespräch zu beginnen? Das ist im realen Leben nicht möglich, aber auf Facebook und anderen sozialen Netzwerken sehr wohl. Die sozialen Netzwerke sind gut für die Demokratie.
Was sind denn die tatsächlichen Risiken, die wir in der Diskussion Ihrer Meinung nach übersehen?
Wir ignorieren die Gefahr, dass Algorithmen unsere Demokratien vollständig umkrempeln werden. Stellen wir uns einmal zwei Politiker vor. Der eine bedient sich der Algorithmen, um seine Wahlbotschaft zu übermitteln, der andere nicht. Ersterer wird mit höherer Wahrscheinlichkeit die Wahlen gewinnen. Der Wahlsieger wird sich wieder der Algorithmen bedienen, um seine politischen Anliegen durchzubringen. Und damit wird er erfolgreicher sein als ein Amtsinhaber, der Algorithmen nicht nutzt. Die Algorithmen werden dann aufgrund der Daten immer besser. Und das führt eines Tages dazu, dass der Politiker nicht mehr der Akteur, sondern nur noch die Schnittstelle ist für einen Algorithmus, der eigenständig handelt und entscheidet. Gleiches könnte für Konzernchefs, Generäle oder Ärzte gelten: Sie alle geben ihre Entscheidungsbefugnis freiwillig ab. Das ist ein enormes Risiko.Wohin führt das?
Erstens laufen wir Gefahr, als Gesellschaft von Algorithmen gesteuert und nicht von Menschen regiert oder geführt zu werden. Zweitens würden wir dabei Algorithmen folgen, die wir nicht mehr verständen. Unsere Gehirne sind für die Komplexität der Algorithmen nicht gemacht. Die Zeit wird kommen, in der die Algorithmen Entscheidungen treffen, die für uns als Homo sapiens sehr schlecht sind, und wir Menschen werden einfach die entsprechenden Befehle ausführen.
Das hört sich an wie Science-Fiction
Das ist zum Teil schon Realität. Wenn die Zentralbank Zinsentscheidungen fällt, dann basiert das auf Algorithmen, die Terabytes an Daten verarbeitet haben. Die Händler an der Wall Street stützen ihre Käufe und Verkäufe bereits zum überwiegenden Teil auf Algorithmen.
Sie selbst wenden als Psychiater auch Algorithmen an, um aus Daten auf die Persönlichkeit von Menschen zu schliessen. Vertrauen Sie diesen?
Es ist sehr einfach, mit nur wenigen Daten zu berechnen, ob jemand an Depressionen leidet. Aber wie die Algorithmen zu ihrem Schluss kommen, das durchschaue ich oft erst nach wochen- oder gar monatelangen Untersuchungen – obwohl es vergleichsweise einfache Algorithmen sind. Und nun stellen Sie sich einen Ingenieur bei Google vor. Der will einfach nur immer bessere Algorithmen machen. Den interessiert es wahrscheinlich nicht, wie der Algorithmus zu einer Entscheidung gelangt. Das ist sehr gefährlich.
Wie können wir das Risiko mindern, eines Tages von Algorithmen gesteuert zu werden?
Zunächst müssen wir dieses Risiko überhaupt erst einmal erkennen, und aufhören, uns wegen Fake-News oder Radikalisierung die Köpfe rot zu reden. Und dann müssen wir einsehen, dass es keinen Weg zurück gibt. Es gibt immer mehr Daten, die Algorithmen werden immer besser, und wir werden sie immer stärker nutzen. Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten. Schliesslich müssen wir fordern, dass künstliche Intelligenz transparent und nachvollziehbar ist.
Das Gespräch wurde geführt anlässlich Kosinskis Auftritt an der NZZ-Finanzmarkttagung Swiss International Finance Forum (SIFF) sowie des vom SIFF und vom Swiss FinTech Innovation Lab der Universität Zürich gemeinsam durchgeführten FinTech, InsurTech & Blockchain Forum.
https://de.wikipedia.org/wiki/Algorithmus
23. September 2019
Befürchtungen, an „Krebs“ zu erkranken.
ÄNGSTE begleiten uns Menschen durchs ganze Leben. Übermässige Ängste schränkten jedoch unser tägliches Leben nicht selten unnötig ein. Heutzutage bieten unzählige Quellen v.a. über die verschiedenen Internetkanäle Informationen über alles Mögliche an. Durch Informationen können wir gerade Ängste sinnvoll anpacken und in vielen Fällen sogar minimieren!
Jedermann von uns möchte möglichst gesund durchs Leben gehen. Unsere heutige Generation lebt – das darf man wohl sagen – in einer sehr gesundheitsbewussten Zeit. Aber ich beobachte nicht zuletzt bei mir selber immer wieder Gedanken, die sich um gesundheitliche Aspekte drehen (trage ich vielleicht, ohne es zu bemerken, irgendeine Krebsart mit mir? Lebe ich vernünftig, gesund etc.).
Bei Frauen übet 50 geistert die Angst herum, früher oder später an „Unterleibskrebs“ (welcher Art auch immer) zu erkranken.
Bei Männern im fortgeschrittenen Alter macht die Möglichkeit an Prostatakrebs zu erkanken (bei Männern die häufigste Krebserkrankung), die Runde.
Der BEOBACHTER hat online soeben einen Text erscheinen lassen, der die Thematik „Prostatakrebs“ behandelt. Er ist nachstehend zu lesen, und ich denke, die hier veröffentlichten Details rund um diese Krebserkrankung sind für jeden Mann interessant.
Prostatakrebs (BEOBACHTER Gesundheit)
(Prostatakarzinom)
Von Onmeda-Ärzteteam
1. Überblick
Prostatakrebs (Prostatakarzinom) ist in der Schweiz die häufigste Krebserkrankung des Mannes. Wird Prostatakrebs in einem frühen, gut behandelbaren Stadium entdeckt, bestehen gute Heilungschancen. Meist kommt es erst im fortgeschrittenen Stadium zu Beschwerden, die aber nicht eindeutig für ein Prostatakarzinom sprechen, sondern auch bei anderen Erkrankungen auftreten können.
Da typische Symptome fehlen, spielt die Früherkennung von Prostatakrebs eine Schlüsselrolle und ist Grundlage für eine erfolgreiche Therapie.
Die Früherkennungs-Untersuchung auf Prostatakrebs umfasst die Tastuntersuchung, bei der der Arzt mit dem Finger die Prostata (Vorsteherdrüse) vom Darm aus abtastet. Ergibt sich der Verdacht auf ein Prostatakarzinom, werden in Absprache weitere Untersuchungen wie zum Beispiel ein PSA-Test gemacht, um den möglichen Befund zu bestätigen. Beispielsweise kann eine Gewebeprobe (Biopsie) entnommen werden.
Steht die Diagnose Prostatakrebs fest, muss der Betroffene nach eingehender Beratung mit seinem Arzt entscheiden, welche Behandlung für ihn infrage kommt. Es gibt mehrere Therapiemöglichkeiten bei einem Prostatakarzinom, die sich nach der Art und dem Stadium des Tumors sowie den individuellen Bedürfnissen und dem Alter des Betroffenen richten. Das Spektrum reicht von kontrolliertem Abwarten über eine reine Bestrahlungstherapie bis zur sogenannten Prostatektomie (Prostataentfernung), bei der die gesamte Vorsteherdrüse in einer Operation entfernt wird. Bei weiter fortgeschrittenen Fällen und im höheren Alter kommt häufig eine Hormontherapie zum Einsatz.
In den Fällen, wo der Tumor zum Zeitpunkt der Diagnosestellung bereits in andere Organe gestreut hat (Metastasierung), ist der Prostatakrebs zwar nicht mehr heilbar, aber dennoch behandelbar. Eine weitere Ausbreitung des Prostatakarzinoms lässt sich somit bei vielen Männern verzögern.
2. Definition
Einen bösartigen Tumor der Prostata (Vorsteherdrüse) bezeichnet man als Prostatakrebs (Prostatakarzinom). Er ist in der Schweiz der häufigste Krebs beim Mann. Ungefähr 30 Prozent aller bei Männern jährlich neu auftretenden Krebserkrankungen betreffen die Prostata, pro Jahr kommt es zu rund 5'800 Neuerkrankungen. Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 70 Jahren. Vor dem 50. Lebensjahr tritt das Prostatakarzinom kaum auf.
Anatomie und Lage
Die Vorsteherdrüse, lateinisch Prostata, ist Teil der männlichen Fortpflanzungsorgane und zählt zu den inneren Geschlechtsorganen. Eine kurze anatomische Beschreibung hilft, sich die Lagebeziehungen der Prostata zu Darm und Harnblase vorstellen zu können. Entsprechend leichter versteht man, wie eine Veränderung der Grösse und Form der Prostata zu bestimmten Symptomen führt und welchen Einfluss dies auf Diagnose und Therapie des Prostatakrebses hat.
Die Prostata ist etwa so gross wie eine Kastanie und liegt unterhalb der Harnblase. Sie umschliesst dort den Anfangstteil der Harnröhre, die den Urin von der Blase durch den Penis bis zur Öffnung an der Eichelspitze transportiert. Hierdurch ergibt sich auch der Zusammenhang zu etwaigen Beschwerden beim Wasserlassen. Die Lage der Prostata vor dem Mastdarm (Rektum, ein Teil des Enddarms) ermöglicht dem Untersucher, mit dem durch den After eingeführten Finger durch die Darmwand hindurch die Prostata abzutasten. Dies ist für die Früherkennung von Prostatakrebs von grösster Bedeutung.
In ihrem Drüsengewebe produziert die Prostata ein spezielles Sekret, das einen wichtigen Bestandteil der Samenflüssigkeit ausmacht und die Beweglichkeit der Spermien stimuliert. Prostatakrebs bildet sich in den meisten Fällen in diesem Drüsengewebe. Auch Muskelgewebe, das für das Ausstossen des Sekrets sorgt, und Bindegewebe durchziehen die Prostata.
Stummes oder latentes Prostatakarzinom
Beim Prostatakrebs findet sich eine interessante Besonderheit: Untersuchungen an verstorbenen Männern haben ergeben, dass etwas 30 Prozent der Männer über 50 Jahren ein sogenanntes stummes Prostatakarzinom in sich tragen, bei dem zu Lebzeiten keinerlei Beschwerden auftreten. Bei dieser Art von Prostatakrebs bedarf es in der Regel auch keiner Behandlung.
3. Ursachen
Für Prostatakrebs (Prostatakarzinom) gibt es viele Ursachen. Diese sind bis heute nicht vollständig geklärt. Mehrere Risikofaktoren werden für ein gehäuftes Auftreten verantwortlich gemacht: Als gesichert gilt ein familiäres Risiko, wobei mittlerweile eine Veränderung des Erbguts identifiziert wurde, welche die Krankheitsentstehung begünstigt. Sind Vater oder Bruder an Prostatakrebs erkrankt, verdoppelt sich das Risiko, selbst ein Prostatakarzinom zu bekommen. Sind Vater und Bruder oder weitere Verwandte von einem Prostatakarzinom betroffen, steigt das Risiko für Prostatakrebs auf das Fünf- bis Elffache an. Männer mit erblicher Vorbelastung erkranken ausserdem in jüngerem Alter als der Durchschnitt an Prostatakrebs. Somit wird diesen Männern empfohlen, frühzeitig urologische Untersuchungen in Anspruch zu nehmen. Schätzungen zufolge sind genetische Faktoren bei etwa fünf bis zehn Prozent der Fälle von Prostatakrebs die Ursachen.
Generell spielt das Alter eine sehr wichtige Rolle bei der Entstehung von Prostatakrebs. Ab dem 50. Lebensjahr steigt die Wahrscheinlichkeit, an einem Tumor der Vorsteherdrüse zu erkranken, steil an. Mehr als 80 Prozent der Männer mit Prostatakarzinom sind älter als 60 Jahre.
Auch Hormone sind bei Prostatakrebs mögliche Ursachen – vor allem das männliche Sexualhormon Testosteron. Ohne Testosteron kann kein Prostatakarzinom entstehen. Möglicherweise kommen auch weitere Hormone als Prostatakrebs-Ursachen infrage.
Inwiefern der Lebensstil und die Ernährung das Auftreten von Prostatakrebs beeinflussen, ist noch nicht vollständig geklärt. Bisher gibt es keine Beweise, dass einzelne Lebensmittel oder Nahrungsbestandteile, die das Risiko für ein Prostatakarzinom erhöhen oder senken. Vermutlich spielt aber Bewegungsmangel eine Rolle. Mediziner raten deshalb insgesamt zu einem gesunden Lebensstil mit ausreichend Bewegung und einer gesunden Ernährung mit wenig Fett und Fleisch, stattdessen viel Gemüse, Obst und Ballaststoffen.
Solange der Prostatakrebs (Prostatakarzinom) noch klein ist, verursacht er meist keine Symptome – gibt also keine Warnsignale ab. Daher kann das Prostatakarzinom zu Beginn nur im Rahmen von Früherkennungs-Untersuchungen entdeckt werden. Ist der Krebs beim Abtasten der Prostata vom Mastdarm aus fühlbar, so ist er meist schon fortgeschritten. Selbst in dieser Zeit bestehen in der Regel noch keine Symptome. Sind aber bereits Absiedelungen (Metastasen) – zum Beispiel in den Knochen – vorhanden, haben Betroffene meist Schmerzen.
Die Prostatakrebs-Symptome treten erst relativ spät auf und sind oft wenig charakteristisch. Mögliche Anzeichen für ein Prostatakarzinom können sein:
Diese Beschwerden können auch bei anderen Erkrankungen wie einer gutartigen Prostatavergrösserung auftreten und sind keine eindeutigen Prostatakrebs-Symptome. Nur etwa jeder zehnte Mann mit diesen Beschwerden hat tatsächlich ein Prostatakarzinom.
Sind bereits Tochtergeschwulste (Metastasen) in den Knochen vorhanden, können bei Prostatakrebs auch Symptome wie starke Schmerzen im unteren Rückenbereich, der Hüfte oder den Beinen auftreten.
5. Diagnose
Häufig wird die Diagnose Prostatakrebs (Prostatakarzinom) während einer Früherkennungs-Untersuchung gestellt. Manchen Männern macht dies Angst. Vergegenwärtigt man sich aber die Chance, den Prostatakrebs früh zu entdecken, wird der Nutzen der Früherkennung deutlich. Ist der Krebs noch auf die Prostata begrenzt, sind die Heilungsaussichten sehr gut. Oft finden sich bei der Untersuchung auch Befunde, die sich nach weiterer Abklärung als nicht bösartig erweisen.
Bei der Prostatakrebs-Diagnose befragt der Arzt den Patienten zunächst nach seinen Beschwerden und untersucht ihn. Eine wichtige Untersuchung bei der Prostatakarzinom-Diagnose ist die Tastuntersuchung mit dem Finger (digital-rektale Untersuchung). Dazu führt der Arzt (Urologe) den Zeigefinger in den Enddarm ein und kann so die Prostata durch die Darmwand hindurch abtasten und untersuchen. Er achtet dabei unter anderem auf die Grösse und Beschaffenheit der Prostata.
Nur mit der Tastuntersuchung kann der Arzt noch keine Prostatakrebs-Diagnose stellen. Deshalb führt der Arzt zusätzlich eine Blutuntersuchung – den sogenannten PSA-Test – durch: Er überprüft den Wert des sogenannten prostataspezifischen Antigens (PSA) im Blut. Dieser Wert wird in Nanogramm (ng) pro Milliliter (ml) gemessen. PSA ist ein Eiweiss, das nur die Prostata bildet. Bei einem Prostatakarzinom steigt der PSA-Wert stark an, allerdings auch bei anderen Erkrankungen der Vorsteherdrüse, zum Beispiel eine Prostataentzündung (Prostatitis). Er kann deshalb nur einen Hinweis auf Prostatakrebs geben und die Diagnose unterstützen. Ist der PSA-Wert erhöht, sollte er regelmässig kontrolliert werden:
Liegt der PSA-Wert über 4 ng/ml, kann dies ein Hinweise für Prostatakrebs sein und der Arzt sollte zur weiteren Diagnose etwas Gewebe aus der Prostata entnehmen (Biopsie) und auf Krebszellen untersuchen. Eine Gewebeprobeentnahme ist auch dann sinnvoll, wenn der PSA-Wert im Verlauf der Kontrolluntersuchungen auffällig ansteigt.
Ein weiteres Untersuchungsverfahren beim Verdacht auf ein Prostatakarzinom ist der transrektale Ultraschall. Dabei führt der Arzt den Schallkopf in den Darm ein und untersucht über die Darmwand die Prostata. Da dieses Verfahren nicht genauer ist als die Tastuntersuchung, wird es nur ergänzend zur Prostatakrebs-Diagnose eingesetzt.
Gewebeentnahme (Biopsie)
Besteht nach der digital-rektalen Tastuntersuchung und dem PSA-Test der Verdacht auf Prostatakrebs (Prostatakarzinom), führt der Arzt für die genaue Diagnose eine Biopsie durch. Dazu entnimmt er mit einer dünnen Hohlnadel über den Darm etwa zehn bis zwölf Gewebeproben aus der Prostata, die anschliessend auf Krebszellen untersucht werden. Mit Ultraschall kontrolliert der Arzt die Position der Hohlnadel, damit er die Proben an den richtigen Stellen entnimmt. Die Biopsie erfolgt in der Regel unter örtlicher Betäubung.
Vorgehen bei gesicherter Diagnose
Nach erfolgter Prostatakrebs-Diagnose bestimmt der Arzt, wie weit sich der Tumor bereits in der Prostata ausdehnt hat. Verfahren, mit denen der Arzt bestimmen kann, ob das Prostatakarzinom Tochtergeschwulste gebildet hat, sind zum Beispiel:
Mit den Ergebnissen dieser Untersuchungen kann der Arzt die Therapie besser planen. Einen Hinweis darauf, ob bereits Metastasen vorliegen – ob der Tumor also bereits gestreut hat – gibt der PSA-Wert. Liegt er unter 10 ng/ml ist dies nur sehr selten der Fall und es sind keine weiteren Untersuchungsverfahren notwendig.
Stadium/Tumorklassifikation (Staging)
Nach der Prostatakrebs-Diagnose (Prostatakarzinom-Diagnose) ist es wichtig, zunächst festzustellen, um was für eine Art Tumor es sich handelt und wie weit er sich bereits ausgebreitet hat. Danach richtet sich auch die Therapie. Zur Bezeichnung der Tumorstadien wird die internationale TNM-Klassifikation verwendet. Drei Merkmale des Prostatakarzinoms sind darin zur Stadieneinteilung (sog. Staging) wichtig: Die Tumorgrösse, die Zahl der von Metastasen betroffenen Lymphknoten sowie möglicherweise vorhandene Tochtergeschwulste in anderen Organen (Fernmetastasen).
TNM-Klassifikation
T - Primärtumor
Tx – keine Beurteilung des Primärtumors möglich
T0 – kein Anhaltspunkt für Primärtumor
T1 – der Primärtumor ist nicht zu erkennen
T1a – in dem bei einer Prostataoperation wegen Schwierigkeiten beim Wasserlassen entfernten Drüsengewebe finden sich Krebsanteile von bis zu 5%
T1b – Krebsanteile im bei einer Prostataoperation entfernten Drüsengewebe von mehr als 5%
T1c – Tast- und Ultraschallbefund sind unauffällig, aber der PSA-Spiegel übersteigt den Schwellenwert von 4 ng/ml, so dass eine Biopsie durchgeführt wird, die Krebs nachweist
T2 – Tumor ist auf die Prostata begrenzt
T3 – Tumor hat sich über die Prostatakapsel hinaus ausgebreitet
T4 – Tumor befällt auch benachbartes Gewebe (Blasenhals, Blasenschliessmuskel, Beckenwand, Rektum, Beckenbodenmuskulatur)
N – Benachbarte (regionäre) Lymphknoten
Nx – keine Beurteilung der umgebenden Lymphknoten möglich
N0 – kein Anhaltspunkt für befallene Lymphknoten in der Umgebung des Tumors
N1 – Lymphknoten in der Umgebung sind vom Tumor befallen
M – Fernmetastasen
Mx – keine Beurteilung von Fernmetastasen möglich
M0 – kein Anhaltspunkt für Fernmetastasen
M1 – Fernmetastasen vorhanden
Gleason-Score
Eine weitere Gradeinteilung nach der Prostatakrebs-Diagnose (Prostatakarzinom-Diagnose) ist der sogenannte Gleason-Score. Er wurde von dem amerikanischen Arzt Donald Gleason entwickelt und ist für therapeutische Entscheidungen und die Prognose bei einem Prostatakarzinom wichtig. Der Gleason-Score beschreibt, wie stark sich die Krebszellen von normalen, gesunden Körperzellen unterscheiden. Dies gibt einen Hinweis darauf, wie schnell und aggressiv der Prostatakrebs wächst. Die in der Gewebeprobe entnommenen Zellen werden ihrem Aussehen nach in fünf verschiedene Gruppen (1-5) eingeteilt:
Für den Verlauf der Erkrankung ist bedeutungsvoll, welchen Wert die meisten Proben erzielen – einzelne erhöhte Werte spielen eine geringere Rolle. Deshalb werden im Gleason-Score die beiden Punktwerte der am häufigsten vorkommenden Zellen zusammengezählt. Dieser Score beträgt dann mindestens 2 und maximal 10. 10 ist dabei der ungünstigste Wert und spricht für das Vorliegen von sehr bösartigen Zellen.
6. Therapie
Die Prostatakrebs- oder Prostatakarzinom-Therapie ist sehr vielschichtig. Sie stellt in der Medizin einen Sonderfall dar und richtet sich neben der Art und Ausbreitung des Tumors mindestens ebenso stark nach dem Alter des Patienten Arzt und Patient suchen gemeinsam den besten Weg und legen dann die Prostatakarzinom-Therapie fest. Deshalb gibt es nicht «das Verfahren», das allgemeingültig zur Therapie empfohlen und eingesetzt werden könnte.
Prinzipiell stehen bei Prostatakrebs folgende Möglichkeiten zur Therapie zur Verfügung:
PSA-Wert im Fokus
Bei Prostatakrebs (Prostatakarzinom) ist nicht immer sofort eine Therapie nötig – manchmal reich das aktive Beobachten des Tumors aus. Dies ist der Fall, wenn der Tumor früh entdeckt wurde, klein ist und nur sehr langsam wächst. Dabei wird der trotz Prostatakrebs beschwerdefreie Mann engmaschig überwacht und betreut. Vor allem für Betroffene über 75 Jahren und bei sehr kleinen Prostatakarzinomen kann das aktive Beobachten eine sinnvolle Therapie-Alternative sein. Dabei misst der Arzt regelmässig den PSA-Wert im Blut, tastet die Prostata ab (digital-rektale Untersuchung) und entnimmt Gewebeproben (Biopsie) aus der Vorsteherdrüse. Es wird zunächst also keine Operation, Bestrahlung oder sonstige Therapie vorgenommen. Schreitet der Prostatakrebs jedoch voran, wächst er also, beginnt der Betroffene eine Therapie, die den Tumor beseitigen soll. Diese Vorgehensweise wird auch als «watch and wait» oder «watchful waiting» bezeichnet.
Das Ziel des aktiven Beobachtens es, unnötige Belastungen durch eine sofortige Behandlung zu vermeiden. Dies spielt insbesondere bei älteren Patienten über 70 Jahren eine Rolle oder dann, wenn eine verbleibende Lebenserwartung von circa zehn Jahren angenommen werden kann. Das aktive Beobachten spielt im Vorfeld der Prostatakrebs-Therapie auch deshalb eine wichtige Rolle, weil durch die verbesserte Krebsfrüherkennung immer mehr Prostatakarzinome in einem sehr frühen Stadium entdeckt werden. Diese sind so klein, dass sie keinerlei Beschwerden verursachen. Da sie oft nur sehr langsam wachsen, bereiten sie dem Betroffenen teilweise ein Leben lang keine Schwierigkeiten, so dass er ohne die Früherkennungsuntersuchungen wahrscheinlich nicht von seiner Erkrankung erfahren hätte. In diesem Fall ist eine Prostatakrebs-Therapie oft nicht sinnvoll.
Prostatektomie (Prostatakrebs-Operation)
Eine Prostatektomie (Prostatakrebs-Operation) ist bei einer örtlich begrenzten Tumorausdehnung sinnvoll. Ziel der Operation ist, den Prostatakrebs vollständig zu entfernen und die Betroffenen damit zu heilen. Bei dem Eingriff wird die Prostata mitsamt der Samenbläschen entfernt (sog. radikale, d.h. umfassende, Prostatektomie). Wann immer möglich, versucht der operierende Arzt, die Nerven zu schonen und kann einer Impotenz dadurch unter Umständen vorbeugen. Neben der «offenen» Prostatektomie beim Prostatakarzinom, bei der der Zugang zur Prostata durch einen Schnitt im unteren Bauchbereich (Bauchschnitt) erfolgt, wird die Prostata heute auch laparoskopisch, das heisst in Schlüssellochtechnik, entfernt. Über einen kleinen Schnitt am Damm kann der Arzt die Prostata ebenfalls entnehmen.
Dank moderner Operationstechniken sind die Heilungschancen bei einem Prostatakarzinom heute gut. Trotzdem können nach einer Prostatektomie Komplikationen auftreten. Die häufigsten unerwünschten Folgen einer Prostatakrebs-Operation sind Erektionsschwierigkeiten (Impotenz) und Harninkontinenz. Gerade eine vorübergehende Harninkontinenz tritt relativ häufig auf. Sie bessert sich beispielsweise durch regelmässige Beckenbodengymnastik. Nur etwa fünf bis zehn Prozent der operierten Männer bleiben dauerhaft inkontinent. Etwa die Hälfte bis zwei Drittel der Betroffenen mit Prostatakarzinom sind nach der Prostatektomie weiterhin erektionsfähig.
Bestrahlung (Strahlentherapie)
Bei Prostatakrebs (Prostatakarzinom) ist die Strahlentherapie (Radiotherapie) eine anerkannte Therapie-Möglichkeit. Die Bestrahlung kann alternativ zur Operation erfolgen oder diese ergänzen. Die Heilungschancen der Bestrahlung sind bei einem örtlich begrenzten Prostatakarzinom gegenüber denen der Operation etwa gleichwertig. Bei manchen Betroffenen ist die Strahlentherapie eine sinnvolle Alternative, wenn ihr allgemeiner Gesundheitszustand für eine Operation zu schlecht ist oder wenn sie die Operationsrisiken vermeiden möchten. Bei fortgeschrittenem Prostatakrebs, der sich bereits über die Prostata hinaus ausgebreitet hat, wird die Bestrahlung in Kombination mit einer Hormontherapie durchgeführt.
Bei einigen Patienten stellt sich nach der Operation heraus, dass das entfernte Prostatakarzinom nicht mit einem Rand aus gesundem Gewebe entfernt werden konnte – es besteht also die Möglichkeit, dass Krebsgewebe im Körper verblieben ist. In diesen Fällen wird die Strahlentherapie als zusätzliche Massnahme nach der Operation durchgeführt (sog. adjuvante Strahlentherapie). Damit soll das Risiko eines Wiederauftretens des Prostatakrebses (Rezidiv) vermindert werden.
Bei jeder Form der Bestrahlung eines Prostatakarzinoms ist eine sorgfältige Planung wichtig, um umliegende Gewebe wie Darm und Harnblase zu schonen und gute Therapieergebnisse erzielen zu können. In der Regel erfolgt die Strahlentherapie der Tumorregion «von aussen» (externe Bestrahlung) – die Strahlenquelle kann aber auch direkt an den Tumor gebracht werden (Kurzdistanzbestrahlung = Brachytherapie). Sie erfolgt dann sozusagen «von innen».
Bestrahlung von «aussen»
Perkutane oder externe Bestrahlung bei Prostatakrebs (Prostatakarzinom): Perkutan bedeutet «durch die Haut». Bei dieser Technik erfolgt die Bestrahlung in mehreren Terminen – die Strahlendosis wird sozusagen aufgeteilt (fraktioniert). Betroffene mit Prostatakarzinom werden dazu für etwa sieben bis neun Wochen von montags bis freitags für wenige Minuten bestrahlt. Oft kann die Strahlentherapie ambulant erfolgen, so dass die Betroffenen danach wieder nach Hause können. Die Bestrahlungen verursachen keinerlei Schmerzen. Dank moderner Techniken kann die Strahlendosis exakt in der Vorsteherdrüse platziert werden, ohne zu viel gesundes umliegendes Gewebe mit einzubeziehen.
Bestrahlung von «innen»
Brachytherapie mit Seed-Implantation (Prostata-Spickung): Seeds (engl. für Samen, Kerne) sind kleine titanverkapselte, radioaktive Strahler in Stiftform. Mit dünnen Nadeln werden die kleinen Stifte unter örtlicher Betäubung oder Vollnarkose vom Damm her in die Prostata eingeführt (implantiert). Dort geben sie über einen Zeitraum von bis zu drei Monaten ihre Strahlendosis ab. Die Seeds verbleiben in der Prostata und werden nicht wieder herausoperiert. Ihre Strahlung ist nur in direkter Umgebung der Stifte wirksam, so dass sie lediglich für die Krebszellen schädlich ist. Mediziner nennen dieses Verfahren auch LDR-Brachytherapie – diese Bezeichnung leitet sich von dem Begriff «low-dose rate» ab, was so viel bedeutet wie «niedrige Dosis».
Diese Seed-Implantation kommt bei Prostatakrebs dann zum Einsatz, wenn das Prostatakarzinom im Anfangsstadium ist und sich noch nicht über die Prostata hinaus ausgebreitet hat, der Gleason-Score sowie der PSA-Wertrelativ niedrig sind. Ob die LDR-Brachytherapie Vorteile gegenüber den anderen Bestrahlungsmethoden hat, ist bislang nicht abschliessend geklärt.
Brachytherapie mit Afterloading-Verfahren
Diese Form der Bestrahlung kommt bei weiter fortgeschrittenem Prostatakrebs (Prostatakarzinom) zum Tragen, bei dem noch keine Metastasen vorhanden sind. Bei der sogenannten HDR-Brachytherapie (HDR = high-dose rate: «hohe Dosis») oder Nachladetechnik (sog. Afterloading) wird eine Bestrahlung von aussen mit einer Strahlentherapie von innen kombiniert. In zwei bis vier Sitzungen werden in wöchentlichem Abstand radioaktive Strahler vom Damm her in die Prostata eingebracht. Diese Strahler werden wieder entfernt, wenn sie ihre Strahlung vollständig abgegeben haben.
Welche Folgen hat die Strahlentherapie?
Die Aussagen darüber, wie häufig unter einer Strahlentherapie bei einem Prostatakarzinom Nebenwirkungen auftreten, sind uneinheitlich. Grundsätzlich können akute Beschwerden und Langzeitfolgen auftreten. Zu den akuten Nebenwirkungen während einer Strahlentherapie bei Prostatakrebs gehören Darmprobleme (z.B. Durchfall) und Blasenbeschwerden (z.B. erhöhter Harndrang, Harnwegsentzündungen).
Mögliche Spätfolgen der Bestrahlung sind:
Welche Nebenwirkungen auftreten, hängt unter anderem von der Art und Dauer der gewählten Bestrahlung ab.
Hormontherapie
Die Tumorzellen wachsen bei Prostatakrebs (Prostatakarzinom) fast immer hormonabhängig – daher bietet sich eine Hormontherapie (genauer: eine Hormonentzugstherapie) zu Behandlung an. Dies gilt insbesondere bei fortgeschrittenem Prostatakrebs, der bereits Tochtergeschwulste (Metastasen) gebildet hat. Hauptziel der Hormonbehandlung ist, das Tumorwachstum aufzuhalten und die Beschwerden zu lindern (palliative Therapie). Die Hormontherapie kann Prostatakrebs aber nicht heilen.
Durch die Hormontherapie entstehen weniger männliche Sexualhormone (Testosteron) – Prostatakarzinome wachsen dadurch langsamer. Ob die Therapie erfolgreich ist, kann der Arzt durch regelmässige Kontrollen des PSA-Werts überprüfen.
Es gibt bei Prostatakrebs folgende Möglichkeiten der Hormontherapie:
Zu den unterschiedlich stark ausgeprägten Nebenwirkungen einer Hormontherapie bei Prostatakarzinom zählen Libidoverlust, Erektionsschwierigkeiten, Hitzewallungen, geistige Beeinträchtigung, Antriebsverlust, nachlassender Bartwuchs, zum Teil schmerzhafte Brustschwellungen, eventuell Osteoporose (Verminderung der Knochenmasse).
Wenn der Prostatakrebs (Prostatakarzinom) nicht (mehr) für Hormone sensibel ist und die Hormontherapie daher keine Wirkung hat, kann eine Chemotherapie eine geeignete Behandlungsmöglichkeit darstellen. Dabei erhält der betroffene Mann Medikamente (Zytostatika), welche das Wachstum und die Vermehrung von Krebszellen hemmen. Eine solche Chemotherapie erfordert eine sehr genau abgestimmte Therapieplanung und -überwachung und fällt damit in das Fachgebiet erfahrener Spezialisten. Trotz aller Sorgfalt lassen sich für die Dauer der Chemotherapie manche Begleiterscheinungen wie Übelkeit und Erbrechen nicht immer vermeiden – erfreulicherweise stehen heute aber sehr wirksame Medikamente gegen diese Symptome zur Verfügung. Eine weitere Nebenwirkung der Chemotherapie ist ein vorübergehender Haarausfall, da die Medikamente die Zellen der Haarwurzeln schädigen.
Weitere Therapieformen
Bei örtlich begrenztem Prostatakrebs – wenn das Prostatakarzinom also noch keine Tochtergeschwulste gebildet hat – stehen weitere Therapieformen zur Verfügung, deren Wirksamkeit noch nicht bewiesen ist:
7. Verlauf
Prognose
Wenn Prostatakrebs (Prostatakarzinom) früh erkannt wird, ist die Lebenserwartung und damit die Prognose gut. Sie hängt vom feingeweblichen Aufbau (Tumortyp) ab und davon, wie weit sich das Prostatakarzinom bereits ausgebreitet hat (Befall anderer Organe, Tumorgrösse). 83 bis 94 Prozent der erkrankten Männer leben fünf Jahre nach der Diagnosestellung noch. Die Wahrscheinlichkeit, dass der Prostatakrebs lebensbedrohlich wird, sinkt danach immer weiter.
Nachsorge
Die Prostatakrebs-Nachsorge zielt darauf ab, ein Wiederauftreten der Erkrankung (sog. Rezidiv) möglichst rechtzeitig zu erkennen und gegebenenfalls zu behandeln. Der betreuende Arzt kann ausserdem eventuell eingetretene Nebenwirkungen und Folgen von Operation oder Bestrahlung behandeln. Nicht ausser Acht zu lassen sind seelische und soziale Aspekte beim Prostatakarzinom, die den Betroffenen eventuell belasten. In der Regel finden Nachsorgeuntersuchungen in den ersten zwei Jahren alle drei Monate statt. Danach sind nur noch seltener Nachsorgeuntersuchungen nötig: im dritten und vierten Jahr halbjährlich, ab dem fünften Jahr jährlich. Im Rahmen der Untersuchungen wird weiterhin auch der PSA-Wert bestimmt. Diese Termine sollten pünktlich wahrgenommen werden. Betroffene sollten ausserdem auf ausreichend Bewegung und eine gesunde Ernährung achten, da sie die Erkrankung und den weiteren Verlauf positiv beeinflussen.
8. Vorbeugen
Prostatakrebs (Prostatakarzinom) können Sie nicht sicher vorbeugen. Es gibt aber ein paar Verhaltensmassnahmen, die Prostatakrebs und auch einem Wiederauftreten
nach einer überstandenen Erkrankung wahrscheinlich vorbeugen. Regelmässige körperliche Bewegung, ein normales Körpergewicht und eine gesunde Ernährung (viel Obst und Gemüse, wenig tierisches Fett) zeigen einen möglicherweise
positiven Effekt und spielen daher eine wichtige Rolle, wenn Sie Prostatakrebs vorbeugen möchten.
Auch Früherkennungs-Untersuchungen können einem Prostatakarzinom im eigentlichen Sinne nicht vorbeugen, aber sie können eine
bereits entstandene Erkrankung bereits früh aufdecken. Das ist wichtig, weil die Heilungsaussichten bei Prostatakarzinomen sehr gut sind, wenn sie früh erkannt und behandelt werden. Mit Untersuchungen zur Früherkennung von Prostatakrebs kann
der Arzt die Erkrankung bereits feststellen, bevor die ersten Symptome auftreten.
Der PSA-Bluttest kann dem Arzt bereits einen Hinweis auf ein Prostatakarzinom im Frühstadium geben. In den USA wird ein solches PSA-Screening seit Ende der
1980er Jahre eingesetzt. Dort hat Mitte der 1990er Jahre die Sterblichkeit am Prostatakarzinom kontinuierlich bis heute um etwa ein Drittel abgenommen.
Es gibt eine anhaltende Diskussion über den Nutzen der PSA-Bestimmung als Screening-Methode
auf Prostatakrebs. Grosse Studien erbrachten in einer Zwischenauswertung keine endgültige Antwort. Kritiker merken an, dass mit dem PSA-Test sogenannte stumme Prostatakarzinome entdeckt werden könnten. Dies könnte in der Folge für die Betroffenen
psychische und mitunter auch körperliche negative Auswirkungen haben. Dann nämlich, wenn weitere Untersuchungen oder eine Therapie eingeleitet würden, die eigentlich nicht notwendig wären (sogenannte «Überdiagnose» und
«Übertherapie»). Der stumme (latente) Prostatakrebs ist eine Form des Prostatakarzinoms, bei dem keinerlei Beschwerden auftretenund somit in der Regel auch keine Therapie erforderlich ist.
Befürworter des PSA-Tests halten
dem entgegen, dass es unter Berücksichtigung der Untersuchungsbefunde und der Situation des Betroffenen möglich ist, individuell sehr genau zu entscheiden, welches Vorgehen für den Prostatakarzinom-Patienten das Beste ist. Somit liessen sich
Fehluntersuchungen und -behandlungen zumeist vermeiden. Der grosse Vorteil der PSA-Bestimmung läge dann darin, diejenigen Männer zu entdecken, bei denen ein aggressives Prostatakarzinom vorliegt und die von der Entdeckung und der Möglichkeit
einer Therapie sehr profitieren würden.
Letztlich sollte jeder Mann mit seinem Arzt besprechen, ob er den PSA-Test als Individuelle Gesundheitsleistung (IGeL) machen möchte und welche möglichen Auswirkungen ein auffälliges
Ergebnis haben könnte.
7. September 2019
Intoleranz, Diskriminierung und Mobbing in Kirchenvorständen, in Nachbarschaften usw. - «Schwul und unerwünscht» … im bernischen Melchnau»
Menschen, die mit ihrer eigenen Persönlichkeit, mit ihrem Leben, (ungelöste) Probleme haben, neigen sehr oft zu aktiver und ausgelebter Intoleranz, Diskriminierung und hässlichem Mobbing ihrer Mitmenschen. Sein eigenes Versagen, seine eigene Unvollkommenheit auf andere Menschen abzuwälzen, wird von solchen Zeitgenossen nicht selten auf der Ebene von Aggressionen, Attacken und jeder Art von Ausgrenzungen ihrer Mitmenschen ausgelebt. Wir können ein solches Verhalten überall und zu jeder Zeit beobachten. Die meisten von uns könnten mit einigen selbsterlebten Beispielen – aus der eigenen Nachbarschaft, seinem Umkreis - praktisch erlebte Situationen erzählen. Ich könnte es auch.
In Melchnau im Kanton Bern spielt sich so eine menschliche «Ausgrenzung» innerhalb der reformierten Kirchenpflege ab. Ein frisch (einstimmig) gewählter Kirchenpfleger wird in diesem kleinen Bernerdorf mit allen menschlichen negativen Möglichkeiten von der Präsidentin und den Pflegekollegen gemobbt. Der Mann, er scheint in der Gemeinde sehr beliebt zu sein (denn er wurde ja mit allen Stimmen gewählt, ohne Gegenstimmen) steht zu seiner Homosexualität. Und dies scheint offenbar der Grund für schlimmste Attacken und Ausgrenzungen zu sein.
Der TAGES-ANZEIGER hat dort recherchiert und unter dem Titel «Schwul und unerwünscht» leuchten die beiden Journalisten Frank Geister und Simon Gsteiger detailliert die Hintergründe dieser unappetitlichen Geschichte aus:
Schwul und unerwünscht
Die Spitze der reformierten Kirche gibt sich liberal. Doch der Fall eines gemobbten Homosexuellen im Kirchgemeinderat zeigt, dass sich viele noch schwertun mit dem Thema.
Max Blum* ist Mitglied des Kirchgemeinderats von Melchnau, einer Gemeinde im bernischen Oberaargau unweit von Langenthal. Wäre es nach der Kirchgemeinderatspräsidentin Chantal Lanz gegangen, sässe er nicht in diesem kirchlichen Gremium. Zwei Monate vor seiner Wahl hat Lanz einen Brief an die damalige Pfarrerin geschickt, worin sie schrieb, dass Blum nicht in den Kirchgemeinderat gehöre. Die Bibel sei da sehr klar: «Homosexualität hat in der Gemeindeleitung keinen Platz.» Sein Verlangen sei Ausdruck für ein Herz, das in erster Linie an eine Neigung vergeben sei, die nicht «Gottes Willen» entspreche. «Und das ist Sünde.» Der Brief liegt dieser Zeitung vor. Die Homosexuellen Arbeitsgruppen Bern haben den Fall den Medien gemeldet.
Homophobe Zwischenfälle in der Kirche kommen «immer wieder» vor, sagt Irène Schwyn. Sie ist Pfarrerin der Reformierten Kirche Zug und Mitglied von Cool, einer christlichen Organisation von Lesben. «Ich kenne Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung bei der Stellensuche Mühe bekunden, andere werden innerhalb der Gemeinschaft von ungeschickten und teilweise verletzenden Äusserungen getroffen.»
«Der Mann wird wegen seiner Homosexualität diskriminiert. Das ist gegen die Haltung der Landeskirche.»Andreas Zeller, Synodalratspräsident Reformierte Kirchen Bern-Jura- Solothurn
Die Spitze der reformierten Kirche ist liberal eingestellt. Vor drei Wochen sagte der oberste Protestant der Schweiz, Gottfried Locher, dass die Homosexualität «Gottes Schöpfungswillen» entspreche. Er befürworte die Ehe auch für gleichgeschlechtliche Paare. Im Juni nahm die Delegiertenversammlung des Kirchenbundes einstimmig folgende Position an: «Wir sind von Gott gewollt, so wie wir geschaffen sind. Unsere sexuelle Orientierung können wir uns nicht aussuchen. Wir nehmen sie als Ausdruck geschöpflicher Fülle wahr.»
Als Pfarrerin in Zug erlebt Irène Schwyn im Umgang mit Homosexualität keine Probleme. Es ist auch nicht so, dass alle ländlichen Pfarrgemeinden anfällig für Situationen wie in Melchnau wären. Das zeigt der Fall des Pfarrers Stephan Haldemann im bernischen Signau. Er lebt mit seinem Lebenspartner im Pfarrhaus der Emmentaler Gemeinde und ist weitherum geschätzt. Haldemann sagt, viel hänge davon ab, wer bereit sei, sich im Kirchgemeinderat zu engagieren. Es sei heute schwierig, genug Leute zu finden.
Sie verbieten ihm den Mund
In Melchnau wird Max Blum von der Kirchgemeindeversammlung im Dezember 2017 zwar einstimmig in den Kirchgemeinderat gewählt. Doch die Lage entspannt sich dadurch nicht. Blum, der mit seinem Partner zusammenlebt, fühlt sich von der Kirchgemeinderatspräsidentin aufgrund seiner Homosexualität gemobbt. Seine Probleme im Rat führt er darauf zurück, dass die Mitglieder mehrheitlich freikirchlich orientiert seien.
Nach seiner Wahl nimmt er an mehreren von der Kirche organisierten Workshops teil, etwa zur «Ehe für alle». Als Kollektenidee schlägt er die Aidshilfe vor. Dass er sich in seiner Funktion auch mit «aktuell relevanten Themen» beschäftigt, wie Blum sagt, habe den anderen Mitgliedern des Kirchgemeinderats nicht gepasst. Es kommt zum Streit. «Man hat mir den Mund verboten.» Blum wendet sich an die Reformierten Kirchen Bern-Jura-Solothurn (Refbejuso). Diese vereinbaren eine Auszeit und eine Mediation zwischen Blum und dem Rat; die Refbejuso wollen ausloten, ob eine weitere Mitarbeit möglich ist.
Andreas Zeller, Synodalratspräsident der Refbejuso, kennt den Fall und sagt dazu: «Das ist unschön, vor allem weil die sexuelle Orientierung eines Kirchgemeinderats nichts mit seiner Funktion zu tun hat.» Zeller kritisiert das Vorgehen in Melchnau: «Offensichtlich will man den Mann nicht mehr im Kirchgemeinderat haben. Er wird wegen seiner Homosexualität diskriminiert. Das ist gegen die Haltung der Landeskirche.» Zeller glaubt, dass der Fall Folgen für die reformierte Kirche haben wird. In der grossen liberalen Mehrheit werde man sich noch viel stärker bewusst, dass man «sorgfältig miteinander umgehen muss und dass es so nicht geht». Der Synodalrat könne jedoch nicht die Entscheide des Kirchgemeinderats Melchnau korrigieren.
Der Anruf an die Chefin
Während der Auszeit geht das Mobbing erst richtig los, so Blums Empfinden. So kontaktiert Kirchgemeinderatspräsidentin Lanz entgegen dem ausdrücklichen Wunsch Blums dessen Chefin bei der Arbeit. Blum stellt Lanz zur Rede. In seiner Darstellung passiert darauf Folgendes: Sein Name verschwindet vorübergehend von der Homepage des Kirchgemeinderats. Protokolle werden ihm nicht mehr zugestellt. Er wird zeitweise aus der Whatsapp-Gruppe des Kirchgemeinderats ausgeschlossen. Schliesslich droht man ihm widerrechtlich mit Amtsenthebungsverfahren. Blum stürzt in eine psychische Krise.
Die Kirchgemeinderäte schweigen zu den Vorwürfen und verweisen auf die Präsidentin, die in diesem Fall kommuniziere. Chantal Lanz will trotz wiederholter Anfragen nicht konkret Stellung nehmen. Sie schreibt nur, sie bedauere es sehr, dass es im Rat zu «Unstimmigkeiten» gekommen sei. In ihrer Kirche sollten weiterhin die «unterschiedlichsten Menschen ihren Platz haben».
Welche Inhalte und Werte zentral sind, hängt in der reformierten Kirche stark von den Pfarrpersonen und den Kirchgemeinden ab. Begünstigen solche Strukturen die Diskriminierung? Das Hauptproblem liege darin, zu welchen Fragen die evangelisch-reformierte Kirche Position beziehe und zu welchen nicht, sagt die Zuger Pfarrerin Irène Schwyn. «Oft ist es bereichernd, wenn nicht alle eine gemeinsame Vorstellung teilen.» Aber in Bezug auf die sexuelle Ausrichtung stelle sie eine «Diskussionsscheu» fest.
Homophobe sind «gut organisiert»
Menschen, die aus religiösen Gründen homophob agieren: Sie bilden Schwyn zufolge in den reformierten Kirchgemeinden eine Randgruppe, seien aber «gut organisiert». Dass Diskriminierungen besonders häufig auf dem Land oder bei evangelikalen Kirchenmitgliedern vorkommen, das glaubt die lesbische Pfarrerin nicht. Es gebe aber «Tendenzen, die Frage nach dem Umgang mit Homosexualität zur Bekenntnisfrage hochzustilisieren», sagt Schwyn. «Das stört mich sehr.» Die Einheit der Kirche sei in Jesus Christus begründet, nicht in einer sexuellen Ausrichtung.
Auszeit und Mediation sind vorbei, Max Blum ist offiziell immer noch Kirchgemeinderat von Melchnau. Er sagt, der Kirchgemeinderat habe ihm mitgeteilt, man werde ihn Ende Jahr nicht zur Wiederwahl vorschlagen. Begründung: «unkollegiales» Verhalten.
Blum geht aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr zu den Sitzungen. Und er sagt: «Wenn ich gewusst hätte, dass es ein Problem für den Kirchgemeinderat ist, dass ich schwul bin, dann hätte ich es mir nochmals überlegt, ob es Sinn macht, dieses Amt auszuüben.»
* Name geändert
Erstellt: 06.09.2019, 18:58 Uhr
Diskriminieren mit der Bibel in der Hand
Die römisch-katholische Kirche verfolgt im Umgang mit der Homosexualität einen konservativeren Kurs als die Reformierten. Die sexuelle Orientierung entscheidet gar darüber, ob sich jemand für einen Posten eignet oder nicht.
Für mediales Aufsehen sorgte ein Basler Fall aus dem Jahr 2017, als einem Theologen der Stellenantritt als Spitalseelsorger verwehrt blieb – weil er in einer eingetragenen Partnerschaft mit einem Mann lebt.
«Die Tätigkeit als Seelsorger ist an die Missio, also die bischöfliche Beauftragung geknüpft», sagt Bruno Fluder, katholischer Theologe und Pressesprecher von Adamim, dem Verein schwuler Seelsorger Schweiz. «Nach wie vor können Homosexuelle keine solchen Ämter bekleiden.» Bei ehrenamtlichen Tätigkeiten stelle die sexuelle Ausrichtung aber grundsätzlich kein Hindernis dar.
Offiziell gibt es also keine Schwulen in Ämtern, die der Missio bedürfen. Und inoffiziell? Fluder sagt, das komme durchaus vor. «Manche Personen unterdrücken ihre sexuelle Orientierung, manchmal schaut auch niemand allzu genau hin.» Wie hoch das Mass an Diskriminierung ist, kann Fluder nicht abschätzen. «Das hängt vom personalen und regionalen Umfeld ab.» Manche Pfarreien seien sehr liberal, andernorts werde immer noch offen und mit der Bibel in der Hand gegen «Regenbogenmenschen» gehetzt.
Im Bistum Basel entstand 2017 mit bischöflichem Segen der Arbeitskreis Regenbogenpastoral. Auf der Website des Arbeitskreises heisst es, man wolle «alle Menschen in ihrem eigenen Sein als Geschöpfe Gottes» wertschätzen, Vorurteile und Diskriminierung abbauen und lesbische, schwule, trans-, bi- und intersexuelle Menschen seelsorgerlich begleiten.
«Das bedeutet offiziell, dass im Bistum Basel eine diskriminierende Haltung auch von Pfarreigremien nicht toleriert wird», sagt Theologe Bruno Fluder. Auf berufspolitischer Ebene aber handle das Bistum selber diskriminierend, wie der Fall des Spitalseelsorgers zeige. (gss)
31. August 2019 –
Sexuelle Vorlieben werden durch die Gene geprägt?
Heutzutage spricht man ziemlich offen über alles Sexuelle, die meisten Tabus sind in unserer heutigen modernen Welt gefallen. Zum Beispiel ist mehrheitlich akzeptiert, dass Homosexualität ein Teil der Normalität ist - es auch immer war!
Ist Homosexualität vererblich, oder wie kommt ein Mensch dazu, sich für eine gleichgeschlechtliche Beziehung zu entscheiden? Der folgende NZZ-Artikel vom 29.8.2019 geht auf wissenschaftlicher Basis diesem Thema nach:
Sexuelle Vorlieben werden durch die Gene geprägt (NZZ)
Ein «Schwulengen» gibt es nicht, aber die Vorliebe für gleichgeschlechtlichen Sex ist zu einem gewissen Grad erblich bedingt. Das bestätigt nun auch eine grosse Studie. Doch die Interpretation der Daten stellt sich als Herausforderung dar.
Lena Stallmach NZZ 29.8.2019, 20:00 Uhr
Die sexuelle Orientierung eines Kindes wird von den Genen, aber auch durch hormonelle und andere Einflüsse im Mutterleib geprägt.
Viele Männer und Frauen schlafen gern mit Frauen, andere ausschliesslich mit Männern, und wieder andere fühlen sich zu beiden Geschlechtern hingezogen. Studien zeigen, dass die sexuellen Vorlieben zu einem gewissen Grad genetisch bedingt sind. Aber welche Gene dabei eine Rolle spielen und wie viele es sind, ist unklar. Deshalb haben Forscher nun die bis anhin grösste Studie zu dieser Frage mit etwa 500 000 Männern und Frauen durchgeführt.1
Die Studienteilnehmer hatten ihre Erbgutdaten in zwei Datenbanken, der UK-Biobank oder jener der Firma 23andme, hinterlegt. Auf freiwilliger Basis füllten sie darüber hinaus auch verschiedene Fragebögen über ihre Gesundheit und ihre persönlichen Eigenschaften aus. Unter anderem beantworteten sie dabei auch Fragen zu ihrem Sexualverhalten.
Die Kunden der UK-Biobank, im Alter von 40 bis 70 Jahren, wurden allerdings nur gefragt, ob sie jemals in ihrem Leben gleichgeschlechtlichen Sex hatten. Darauf antworteten vier Prozent der Männer und knapp drei Prozent der Frauen mit Ja. Es handelt sich dabei also um eine sehr heterogene Gruppe: von experimentierfreudigen Heterosexuellen über Bisexuelle bis zu rein homosexuellen Menschen. All diese Menschen warfen die Forscher bei der Suche nach gemeinsamen genetischen Markern in einen Topf – auch wenn sie sich bewusst waren, dass dies für die Interpretation der Daten problematisch ist.
Viele hatten gleichgeschlechtlichen Sex
Von den fast 70 000 Kunden von 23andme, die den Fragebogen über das Sexualverhalten ausfüllten, hatten fast 19 Prozent schon einmal gleichgeschlechtlichen Sex gehabt. Das sei ein ungewöhnlich hoher Anteil, schreiben die Autoren. Sie vermuten daher, dass von den vier Millionen Kunden der Firma jene, die gleichgeschlechtlichen Sex hatten, den Fragebogen über das Sexualverhalten häufiger ausfüllten. Dieser umfasste weitere Fragen, auch über die Anzahl von gleichgeschlechtlichen Sexualpartnern und Beziehungen.
Um gemeinsame genetische Marker zu finden, suchten die Forscher im gesamten Erbgut der fast 500 000 Teilnehmer nach DNA-Varianten, die mit dem gleichgeschlechtlichen Sexualverhalten korrelierten. Dabei fanden sie mehrere hundert Stellen im Genom. Die Forscher gehen deshalb davon aus, dass viele verschiedene Gene zusammen das Sexualverhalten in die eine oder andere Richtung lenken, wie dies bei allen komplexen Eigenschaften der Fall ist.
Im Vergleich zu allen anderen stachen fünf DNA-Varianten als signifikant heraus. Zwei davon nur bei Männern und eine nur bei Frauen. Die Forscher versuchten, etwas Licht in die biologische Funktion dieser genetischen Marker zu bringen, und untersuchten, welche Gene diese beeinflussen. Eine der bei Männern gefundenen Varianten lag in einem DNA-Abschnitt mit Genen, die den Geruchssinn prägen. Die andere geht bei Männern mit einem erhöhten Risiko für Haarausfall einher, wobei männliche Hormone eine Rolle spielen.
Der Beitrag jedes einzelnen Gens ist bei Eigenschaften, die von vielen Genen beeinflusst werden, aber gering. Bei den fünf identifizierten Markern lag er jeweils bei unter einem Prozent. Alle genetischen Varianten zusammengenommen konnten aber 8 bis 25 Prozent (je nach Analysemethode) des gleichgeschlechtlichen Sexualverhaltens erklären.
Aufgrund von Zwillingsstudien wird geschätzt, dass die Homosexualität zu etwa dreissig Prozent genetisch bedingt ist. Allerdings handelt es sich dabei um Schätzungen und Durchschnittswerte. Es kann also sein, dass bei einzelnen Personen der genetische Anteil viel höher oder tiefer ist. Als weitere Einflussfaktoren kommen neben der Erziehung und persönlichen Erfahrungen auch hormonelle und immunologische Prozesse im Mutterleib infrage, welche die Hirnentwicklung des Kindes prägen.
Unklare Resultate
Das Problem bei der neuen Studie ist, dass die Forscher bei ihrer Suche nach genetischen Gemeinsamkeiten eine sehr heterogene Gruppe untersucht haben, deren Motivation zu gleichgeschlechtlichem Sex sehr unterschiedlich sein dürfte. Deshalb ist unklar, ob die gefundenen Marker überhaupt etwas mit homosexuellem Verhalten zu tun haben. Eine differenziertere Analyse könnte auf ganz andere Marker kommen. Dies zeigt auch die Auswertung der Daten der Firma 23andme. Hier gab der Fragebogen Raum für detailliertere Informationen über sexuelle Vorlieben, so dass die Forscher die Teilnehmer für eine weitere Analyse in fünf Gruppen von rein hetero- bis rein homosexuell einteilen konnten. Hier korrelierten verschiedene Marker mit dem unterschiedlichen Sexualverhalten.
Den Autoren der Studie war bewusst, wie heikel das Thema ihrer Studie ist und dass die Resultate falsch interpretiert und für Diskriminierungen missbraucht werden könnten. In der Publikation und an einer Pressekonferenz betonten sie deshalb mehrfach, dass ihre Ergebnisse erneut bestätigten, dass Homosexualität eine natürliche Form der menschlichen Sexualität sei und dass man anhand der Ergebnisse keine definitive Aussage darüber machen könne, wie gross der Einfluss der Biologie und der Erziehung sei.
Video starten
Rechte für Homosexuelle und Transgender: Wie weit ist die Schweiz?
Das Darwinsche Paradox der Homosexualität
Johannes Gräff 27.8.2008, 00:00
Homosexuelle in Senegal – «Wir haben Gott nicht darum gebeten, uns so zu machen»
David Signer (Text) / Katja Müller (Bilder), Dakar 22.8.2019, 06:00
24. August 2019
Was ist "Glück", was heisst "glücklichsein"? Ich habe v.a. während meiner psychologischen Ausbildung, aber auch später in Weiterbildungen, immer wieder Seminare und Vorträge über dieses Thema besucht. Aber auch rein persönlich war das "Glück", das "Glücklichsein" immer ein Diskussionsthema! Hier möchte ich wieder einmal einen Text veröffentlichen, der einer Definition des Glücks, des Glücklichseins nachgeht:
Das «Glück», das «Glücklichsein», was ist das?
Das «Glück», das «Glücklichsein» - was ist das, ja, was bedeutet das für jeden Einzelnen von uns? Der Fall von Hans Peter Meier, der im Tagi vom 24.8.2019 vorgeführt wird, zeigt ein Menschenschicksal, das sich mit «Glücklichsein» beschäftigt.
«Ich bin glücklicher als damals, als ich 200'000 Franken verdiente» (Tages-Anzeiger vom 24.8.2019)
Hans Peter Meier war Extrembergsteiger und IT-Spezialist, führte ein Jetsetleben, verfiel dem Alkohol. Heute verkauft er «Surprise». Trotzdem möchte er nicht zurück.
Zur Person:
Hans Peter Meier (61) wäre gern Psychologe oder Philosoph geworden, entschied sich dann aber für eine Fotoverkaufslehre. Nach zehn Jahren im Beruf entschied er sich 1984 für eine Zweitausbildung als IT-Spezialist und machte schnell Karriere. Mit 43 verlor er seinen Job und arbeitete bei der Stadtreinigung, bis er auch diese Arbeit verlor – und wegen eines Alkoholproblems keine mehr bekam. Heute arbeitet er als Verkäufer des Strassenmagazins «Sur-prise» und als Surprise-Stadtführer. (red)
Sommerserie
Macht es glücklich? Oder einsam? Ist es ein notwendiges Übel? Oder lebt man besser ohne? Und warum ist es so ungerecht verteilt? Unsere Sommergespräche widmen sich dem Thema Geld. In der Zeitung und auf unserer Website. (red)
Artikel zum Thema
«Es ist die soziale Wertschätzung, die das Glück fördert»
Sie
hatten einen Spitzenlohn, dann verloren Sie alles. Was ist der grösste Unterschied, wenn man viel oder wenig Geld hat?
Wer viel Geld hat, hat viele Verpflichtungen, und wer wenig hat, weniger. Ich fühle mich freier mit weniger Verpflichtungen.
Wo trifft man die besseren Menschen, unter den Armen oder den Reichen?
Das kann man nicht verallgemeinern. Ich traf tolle Menschen bei den Bankern, andere waren nicht so toll. Dasselbe jetzt: Manche sind super, bei anderen denke
ich: Mit dieser Lebenseinstellung kannst du doch nicht durch die Welt gehen. Als es mir schlecht ging, wechselten manche Kollegen von früher die Strassenseite, wenn sie mich sahen. Da musste ich zum Teil ziemlich einstecken. Jetzt ist das nicht mehr der
Fall.
Wie muss man sich Ihren Tagesablauf als «Surprise»-Verkäufer und Stadtführer vorstellen?
Ich stehe um 4.30 Uhr auf und fange um 6.30 Uhr mit der Arbeit an. Meistens arbeite ich bis 18.30 Uhr, manchmal
auch bis 21 Uhr.
Und die Arbeit befriedigt Sie?
Anfangs haderte ich, mittlerweile gefällt es mir. Ich mag es, die Welt und die Menschen quer durch alle Schichten zu beobachten. Der Job hat auch einen sozialen Aspekt, viele
ältere Menschen kommen, um zu plaudern, manchmal aber auch Bundesräte – mit mir kann jeder reden, weil ich total bedeutungslos bin, es ist sogar noch chic. Das kann auch eine Freiheit sein.
Wie alt waren Sie, als es mit der Karriere
losging?
Nach einer Lehre als Fotoverkäufer suchte ich mit 26 einen Job mit Zukunft. Es hiess, dass man in der IT ein Leben lang immer Arbeit haben werde. Am Anfang war das auch so. Bis 1993 hatte ich keine Sorgen, mit jedem Jobwechsel
verdiente ich ein paar Tausender mehr.
Wie viel verdienten Sie zu Spitzenzeiten?
200'000 im Jahr.
Wie haben Sie sich in dieser Zeit verändert?
Ich glaube nicht, dass ich mich wahnsinnig veränderte
– ausser, dass ich eben nicht mehr viel Inhalt im Leben hatte. Ich hatte eine normale Wohnung für 1500 Franken, aber ich gab das Geld trotzdem fast so schnell aus, wie ich es einnahm.
Dann müssen Sie aber ganz schön auf
den Putz gehauen haben. Beschreiben Sie mal einen typischen Ausgang.
Man ging essen, schon am Mittag, vielleicht in die Kronenhalle oder ins Baur au Lac. Abends in den Ausgang bis spät, öfter mal ein Wochenende in Singapur oder Bali.
Wir hatten auch einen Männerclub, trafen uns einmal pro Woche. Da gab jeder pro Abend auch locker 2000 bis 3000 Franken aus. Trotzdem weiss man, dass man im Vergleich zu denen, die wirklich Geld haben, ein armer Schlucker ist.
Vergleicht
man sich immer?
Ich nicht. Aber ich fand es lustig, dass Banker, die bis zu einer Million im Jahr verdienten, immer das Gefühl hatten, wir in der IT verdienten noch viel mehr.
Fühlt man sich mit Geld akzeptierter?
Man lebt eher in einer Parallelwelt, weil man sich alles leisten kann und Geld einfach da ist. Ich gab es aber auch sehr locker aus. Wenn ich wusste, es geht jemandem nicht gut, steckte ich ihm etwas zu oder lud ihn zum Essen ein.
Hatten
Sie das Gefühl, Sie seien reich?
Nein. Für mich zählte immer der innere Reichtum. Er ist die Voraussetzung, auch finanziell reich sein zu können.
Sagten Sie nicht, dass Sie in dieser Zeit eben keinen inneren
Reichtum empfanden?
Damals nicht. Zuvor schon und danach auch, aber während dieser Phase nicht.
Waren Sie verheiratet?
Ich heiratete mit 37 und führte zweieinhalb Jahre eine Ehe. Dann merkte ich, dass
dieses Konzept nichts für mich ist.
«Ich sparte beim Essen, aber nicht beim Trinken. Ab einer gewissen Anzahl Bier hat man keinen Hunger mehr.»
Warum haben Sie sich von Ihrer Frau getrennt?
Beim Scheidungsgericht
wurde der Alkohol angeführt, aber das war nicht der Hauptgrund. Sie war Russin, und ihr Bruder versprach ihr ein Geschäft, mit dem sie reich werden könne. Zusammen wollten sie der Russenmafia Rohdiamanten abluchsen und in Westeuropa verkaufen.
Ich erklärte ihr, das sei eine schlechte Idee, aber sie wollte nicht hören und liess sich von mir scheiden, weil sie glaubte, mit Diamanten reich zu werden. Deshalb verzichtete sie auch auf alle Ansprüche, was mich damals überraschte. Ihr
Bruder wurde dann erschossen.
Wie begann Ihre Sucht?
Beim Alkohol geht das schleichend, nicht wie bei anderen Drogen, die man ein paarmal nimmt, und dann ist man süchtig. Es ging über Jahre. Erst merkt man es gar nicht,
denkt, man habe es im Griff. Anfangs trank ich jedes Jahr zwei bis drei Monate gar nicht, um zu sehen, ob das geht. Irgendwann machte ich das nicht mehr, und das war der Zeitpunkt, als das Ganze kippte.
Wurde der Alkohol bei der Arbeit zum Problem?
Mit der Zeit. Bis 40 kann der Körper den Alkohol gut abbauen, da merkt das Umfeld nicht so viel, auch wenn du stark trinkst. Aber mit den Jahren baut man schlechter ab, kriegt eine Ausdünstung, und dann merkt man es.
Mit 43 verloren
Sie dann Ihren Job. Wie war das?
Ich war sehr optimistisch, bald wieder etwas zu finden, und machte erst mal neun Monate Ferien in Südostasien. Als ich zurückkam, war ich mehr oder weniger pleite. Dann kam die harte Landung, ich bekam
keinen Job mehr. Ich begann also mit Gelegenheitsjobs bei der Stadtreinigung, putzte die Strasse, leerte Abfalleimer, baute Ausstellungen auf und ab. Es war nicht wie früher, aber es reichte zum Leben.
Wie schwierig war die Umstellung?
Am Anfang haderte ich sehr, aber mit der Zeit entdeckte ich eben auch die Freiheiten, die man in einer solchen Situation hat.
Wie lange ging es, bis Sie sich auf die neue Lebensrealität eingestellt hatten?
Drei bis vier
Jahre. 2008 begann ich «Surprise» zu verkaufen. Ich trank damals sehr viel, dort wurde es dann sehr eng mit den Finanzen. 2010 hörte ich mit dem Trinken auf.
Wie viel verdienten Sie in dieser Zeit?
Ich weiss es
nicht, aber es war knapp. Erst als ich bei Surprise Stadtführer wurde, stabilisierte sich die Situation. Heute bin ich glücklicher als damals, als ich viel Geld verdiente.
Wie haben Sie Ihre Sucht finanziert?
Ein Süchtiger
kann das immer. Ich sparte beim Essen, aber nicht beim Trinken. Ab einer gewissen Anzahl Bier hat man keinen Hunger mehr. Andere machen krumme Sachen, Einbrüche und so.
Haben Sie so etwas auch getan?
Nein. Es gab Zeiten,
da ass ich ein, zwei Wochen gar nichts mehr, weil kein Geld da war, ich trank nur. Ich wusste damals auch nicht, an wen ich mich wenden könnte. Später bekam ich dann Gutscheine einer sozialen Institution und wusste danach auch, wo man gratis essen
kann, wenn man bedürftig ist.
Wie sind Sie vom Alkohol losgekommen?
Eines Tages begann ich, mich darauf zu konditionieren, dass ich irgendwann aufhören muss. Eineinhalb Jahre später hörte ich auf, von einem
Tag auf den anderen. Das Wichtigste ist die Einsicht. Ich halte nichts von der Methode des Blauen Kreuzes, bei der man dauernd das Bekenntnis wiederholt, man sei süchtig. Das ist Selbstsuggestion. Selbst wenn man nicht mehr konsumiert, bleibt man süchtig.
Den Entzug haben Sie ohne ärztliche Begleitung gemacht?
Der hat mich schon durchgeschüttelt, aber ich halte nichts von Ersatzdrogen. Heute trinke ich vielleicht zwei-, dreimal pro Jahr ein Glas Wein. Ich sage immer, ich
will selber entscheiden, wann ich trinke.
Da muss man einen wahnsinnigen Willen haben.
Ich war Extrembergsteiger, da braucht man einen wahnsinnigen Willen.
Warum haben Sie mit dem Bergsteigen aufgehört?
Alle, die regelmässig mit mir zu Berg gingen, sind irgendwann dabei umgekommen – immer ohne mich. Irgendwann wusste ich: Wenn ich nicht aufhöre, sterbe ich. Damit ging aber auch ein grosser Teil der Identität verloren.
Mit
wie viel Geld leben Sie heute?
Beim Verkaufen von «Surprise» verdient man je nach Verkauf. Ich schätze, dass ich heute mit 2000 bis 3000 Franken pro Monat lebe.
Wenn eine gute Fee kommen und Ihnen Ihren alten
Job anbieten würde: Würden Sie zusagen?
Es müsste schon ein sehr tolles Angebot sein. Ich werde im Herbst 61, muss also nicht mehr so lange machen. Ich sage immer: Wenn wirklich alles stimmt, würde ich es vielleicht machen,
aber im Prinzip gefallen mir meine Freiheiten.
Erstellt: 24.08.2019, 08:07 Uhr
24. März 2019
Die Geschwistersituation – psychologische Tatsachen.
Jeder von uns wird während seiner Frühkindheit (der Periode der ersten 5-6 Jahren) fürs ganze Leben geprägt. Eine ganz besondere Prägung erfahren wir Menschen aber durch die Geschwistersituation, die wir innerhalb unserer Kernfamilie erleben.
Der nachfolgende NZZ-Artikel geht diesem Thema auf interessante Art nach:
Alfred Adler hat zu seiner Zeit immer wieder auf die ganz wichtige Situation der Geschwisterrolle(n) hingewiesen. Die ersten prägenden Erfahrungen, die ein Kind in seinem Leben macht, gehen auf seine Rolle innerhalb der Kernfamilie zurück. Unter diesen Erfahrungen ist die Geschwistersituation ganz besonders prägend. Wenn ein Kind als "Alleinkind" sein Leben bestreiten muss, ist dies eine ganz andere Rolle, als wenn es zB als Zweites, als Jüngstes etc. seinen Platz in der Familie finden muss. Innerhalb dieser Geschwistersituation kommt es selbtverständlich immer wirder zu Konflikten, Konflikten manchmal, die sehr schmerzlich sein können. solche Verletzungen können nicht selten so prägend sein, dass sie sich in ihren Auswirkungen durchs ganze Leben ziehen!
Der folgende Artikel beschreibt dieses Thema sehr gut:
NZZ Geschwister begleiten uns ein Leben lang – ob wir wollen oder nicht
Es ist die längste Beziehung, die wir uns denken können. Schwestern oder Brüder können wir nicht abwählen wie Freunde. Sie sind unser Familienarchiv und unser Schicksal.
Andrea Köhler25.3.2019
https://www.nzz.ch/feuilleton/geschwister-und-familie-verbunden-auf-lebenszeit-ld.1468344